Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulage bei Heimerziehung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Mitarbeiter im Sozial- und Erziehungsdienst, der im teilstationären Bereich eines Erziehungsheimes nur vorübergehend am Tage anwesende Kinder betreut, hat keinen Anspruch auf eine Heimzulage. Diese soll bei den Bediensteten die besonderen Erschwernisse ganztägiger Heimunterbringung abgelten.

2. Ein Anspruch auf Heimzulage kann aufgrund betrieblicher Übung erwachsen, wenn der Arbeitgeber trotz fehlender Voraussetzungen über einen längeren Zeitraum die Zahlungen erbringt, obwohl er den Arbeitnehmer versetzt hat, Vertragsgestaltung und Vertragshandhabung keine strenge Bindung an die Arbeitsvertragsrichtlinien erwarten lassen und die Zahlungen bei notwendigen Gehaltsanpassungen bestätigt werden.

3. Bei Arbeitnehmern des Diakonischen Werkes ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß sie nur auf eine Behandlung nach den Arbeitsvertragsrichtlinien vertrauen können.

 

Normenkette

BGB § 242; DWArbVtrRL § 12; DWArbVtrRL Anlage 1 a

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 12.01.1993; Aktenzeichen 7 Sa 1233/92)

ArbG Siegen (Entscheidung vom 23.06.1992; Aktenzeichen 1 Ca 1637/91)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Fortzahlung einer der Klägerin bis zum 31. Dezember 1991 gezahlten Heimzulage.

Die Klägerin ist seit dem 1. September 1986 bei der Beklagten als Mitarbeiterin im pädagogischen Bereich aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 14. August 1986 beschäftigt. Im Text des Arbeitsvertrages heißt es u. a.:

"§ 2

Als Vertragsinhalt gelten die Richtlinien für Ar-

beitsverträge für Anstalten und Einrichtungen,

die dem Diakonischen Werk - Innere Mission und

Hilfswerk - der Evangelischen Kirche in Deutsch-

land angeschlossen sind, in der jeweils gültigen

Fassung.

§ 3

Die Angestellte erhält Vergütung in freier Ver-

einbarung von DM 1.713,62 brutto monatlich.

§ 7

Bei Meinungsverschiedenheiten, die sich aus dem

Dienstverhältnis ergeben, haben die Vertrag-

schließenden zunächst die Schlichtungsstelle bei

dem jeweils für die Einrichtung zuständigen Dia-

konischen Werk der Ev. Kirche anzurufen.

§ 9

Mündliche Nebenabreden sind nicht getroffen. Än-

derungen oder Ergänzungen des Vertrages bedürfen

der Schriftform.

..."

In der Arbeitsvertragsergänzung vom 20. Januar 1987 vereinbarten die Parteien gemäß den Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe VI b.

Die Beklagte ist eine mit der Evangelischen Kirche verbundene Einrichtung. Sie unterhält in der gesamten Bundesrepublik Einrichtungen verschiedenster Art auf dem Gebiet der Sozialpädagogik, insbesondere Kinder- und Jugendwohnheime, Wohngruppen, Einrichtungen des betreuten Wohnens und Tagesgruppen. In den Tagesgruppen werden die Kinder und Jugendlichen nur tagsüber betreut und zwar teilweise ganztägig, teilweise nur nachmittags, teilweise aber auch nur an einigen Tagen in der Woche. Die Klägerin ist examinierte Erzieherin. Sie hat die Aufgabe, für die entwicklungsgerechte Förderung sowie die pflegerische und gesundheitliche Versorgung der Kinder zu sorgen. Bei den zu betreuenden Personen handelt es sich überwiegend um seelisch oder geistig gestörte, gefährdete oder schwer erziehbare Kinder und Jugendliche.

Die Klägerin arbeitete ursprünglich in der stationären Wohngruppe Amal in F . Dort werden Kinder und Jugendliche über Tag und Nacht betreut. Während dieser Tätigkeit zahlte ihr die Beklagte gem. der Anmerkung Nr. 1 Einzelgruppenplan (EGP)- Diakonie Ziff. 21 eine Heimzulage. Seit November 1989 ist die Klägerin in der Tagesgruppe III (K /M bei S ) tätig. Sie betreut dort mit 2 weiteren Erziehern Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 15 Jahren. Die Betreuung erfolgt in der Zeit zwischen 11.30 Uhr bis 17.30 Uhr. Während der restlichen Zeit halten sich die Kinder/Jugendlichen bei ihren Familien auf, mit Ausnahme von Wochenendfreizeiten und Ferienmaßnahmen. Die Tagesgruppe ist nicht mit einem Heimbetrieb der Beklagten organisatorisch verbunden.

Die Beklagte zahlte der Klägerin und drei weiteren in vergleichbarer Situation befindlichen Erzieherinnen auch nach dem Wechsel in die Tagesgruppe die Heimzulage bis einschließlich November 1991 weiter. Mit Schreiben vom 11. November 1991 teilte sie der Klägerin mit, sie sei aufgrund der Änderung der Einzelgruppenpläne zur Eingruppierung im Erziehungs- und Sozialdienst durch die Arbeitsrechtliche Kommission mit Wirkung vom 1. Januar 1991 in die Vergütungsgruppe V b AVR eingruppiert. Weiter heißt es in dem Schreiben:

"...Die Heimzulage erhöht sich ab diesem Zeit-

punkt von 90,00 DM auf 120,00 DM."

In der Dezemberabrechnung 1991 behielt die Beklagte insgesamt 1.320,00 DM ein mit der Begründung, die Heimzulage sei in den vorausgegangenen 12 Monaten zu Unrecht gezahlt worden. Daraufhin setzten sich die betroffenen Erzieherinnen mit der Buchhaltung der Beklagten in Verbindung und erklärten, sie seien grundsätzlich mit der Rückforderung einverstanden, wenn der Anspruch auf die Heimzulage nicht mehr vorliegen solle. Gleichzeitig baten sie um ratenweisen Abzug über einen Zeitraum von sechs Monaten. Die Beklagte zahlte daraufhin den einbehaltenen Betrag zurück.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe Anspruch auf die Heimzulage, obwohl sie nicht in einem Heim im technischen Sinne arbeite. Nach der Anmerkung Nr. 1 zum EGP-Diakonie Ziff. 21 sei nur Tatbestandsmerkmal, daß die Kinder oder Jugendlichen zum Zweck der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht seien. Da die Beklagte Heimbetriebe einerseits und betreutes Wohnen bzw. Wohngruppen andererseits führe, käme es nicht darauf an, ob sie selbst in einem Heim mit ständig dort untergebrachten Kindern arbeite. Es reiche aus, wenn der Arbeitgeber auch solche Heime unterhalte.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 600,00 DM

brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich aus

360,00 DM ergebenden Nettobetrag seit dem

31. März 1992 und aus dem sich aus weiteren

120,00 DM ergebenden Nettobetrag seit dem

30. April 1992 und aus dem sich aus weiteren

120,00 DM ergebenden Nettobetrag seit dem

1. Juni 1992 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie ab Juni

1992 monatlich 120,00 DM brutto als Heimzulage

zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Klägerin stehe seit November 1989 die begehrte Heimzulage nicht mehr zu, denn sie sei ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in einem Heim im Sinne der Anmerkung Nr. 1 des EGP-Diakonie Ziff. 21 tätig. Der Begriff des Heims setze eine Unterbringungsform voraus, die als Ersatz für das übliche Leben in einer Familie dienen solle. Dies sei bei Tagesgruppen nicht gegeben. Auch fehle es wegen des nur zeitweiligen Aufenthalts am Merkmal der ständigen Unterbringung. Der Anspruch der Klägerin ergebe sich auch nicht aus betrieblicher Übung. Die Heimzulage sei anläßlich des Wechsels der betroffenen Erzieherinnen in die Tagesgruppen nur versehentlich nicht storniert worden. Dies sei erst bei einer entsprechenden Kontrolle entdeckt worden. Zudem würden auch andere Mitarbeiter der Beklagten keine Heimzulage erhalten, sofern sie in Tagesgruppen arbeiteten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung der Klägerin stattgegeben. Die Beklagte erstrebt mit der Revision weiterhin die Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im wesentlichen nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht von einer Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der Heimzulage gegenüber der Klägerin ausgegangen.

I. Die Klage ist zulässig.

1. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht die Schlichtungsvereinbarung in § 7 des Arbeitsvertrages entgegen. Es ist bereits fraglich, ob die Parteien mit dieser Abrede die Zulässigkeit einer Klageerhebung davon abhängig machen wollten, daß zunächst die Schlichtungsstelle angerufen wird. Die Zulässigkeit einer arbeitsgerichtlichen Klage ist dort nicht erwähnt. Zudem ist in § 2 des Arbeitsvertrages die Geltung der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR-Diakonie) vereinbart. In § 44 AVR-Diakonie heißt es zum Schlichtungsverfahren:

"...Sofern bei dem zuständigen gliedkirchlichen

Diakonischen Werk eine Schlichtungsstelle gebil-

det ist, können Dienstgeber und Mitarbeiter bei

Meinungsverschiedenheiten, die sich aus dem

Dienstverhältnis ergeben, zunächst die Schlich-

tungsstelle anrufen. Die Behandlung eines Falles

vor der Schlichtungsstelle schließt die Anrufung

des Arbeitsgerichtes nicht aus."

Damit haben Dienstgeber und Mitarbeiter ein Wahlrecht, ob sie die Schlichtungsstelle anrufen oder sogleich vor dem Arbeitsgericht Klage erheben wollen. Dem Text des § 7 des Arbeitsvertrages läßt sich nicht entnehmen, die Parteien hätten trotz der Vereinbarung der Arbeitsvertragsrichtlinien in § 2 des Arbeitsvertrages von der Freiwilligkeit des Schlichtungsverfahrens abweichen wollen.

Zumindest haben sie aber für die vorliegende Streitigkeit auf die Einhaltung des Schlichtungsverfahrens konkludent verzichtet. Weder hat eine der Parteien die Schlichtungsstelle angerufen noch hat die Beklagte gerügt, daß die Klägerin diese nicht vor Klageerhebung eingeschaltet hat.

2. Der Antrag zu 2) ist als Leistungsklage auf künftige Leistung unzulässig. Die Klägerin macht mit ihrer Klage insoweit zukünftiges Arbeitsentgelt geltend. Die entsprechende Zahlungspflicht der Beklagten steht im synallagmatischen Verhältnis zur Arbeitsleistung. Nach der Anmerkung Nr. 1 des EGP-Diakonie Ziff. 21 wird die Zulage nur für Zeiträume gezahlt, für die Bezüge zustehen. Die Zulässigkeit einer Klage auf künftige Geldforderungen nach § 257 ZPO setzt jedoch voraus, daß sie nicht von einer Gegenforderung abhängen (BAGE 24, 63, 66 = AP Nr. 154 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu I der Gründe; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 46 Rz 47).

Die Klage auf künftige Lohnzahlung ist auch nicht gem. § 259 ZPO zulässig, da nach den Umständen nicht die Besorgnis besteht, die Beklagte werde sich der rechtzeitigen Zahlung entziehen (vgl. BAG Urteil vom 29. Juli 1960 - 5 AZR 532/59 - AP Nr. 2 zu § 259 ZPO, zu 1 der Gründe). Die Parteien streiten über die Auslegung der Arbeitsvertragsrichtlinien und eine mögliche Verpflichtung der Beklagten aus betrieblicher Übung. Es ist damit davon auszugehen, daß die Beklagte auch im Falle eines Unterliegens bei einer entsprechenden Feststellungsklage die Zahlungen für die Zukunft erbringt. Der Antrag kann jedoch dahin ausgelegt werden, die Klägerin begehre inzident die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihr auch ab Juni 1992 monatlich eine Heimzulage in Höhe von 120,00 DM zu zahlen. Die Zulässigkeit der dahingehenden Feststellungsklage ist gegeben, da anzunehmen ist, daß die Beklagte einem Feststellungsurteil folgen wird.

II. Die Klage ist auch begründet, denn die Klägerin hat Anspruch auf die Zahlung der Heimzulage über den 31. Dezember 1991 hinaus aufgrund betrieblicher Übung.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend einen Anspruch der Klägerin auf die Heimzulage aus § 611 BGB i.Verb.m. dem geschlossenen Arbeitsvertrag und der Anmerkung Nr. 1 des EGP-Diakonie Ziff. 21 verneint.

a) Die AVR-Diakonie finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung in § 2 des Anstellungsvertrages auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Diese haben - soweit es hier interessiert - folgenden Wortlaut:

"21. Mitarbeiter/innen im Sozial- und

Erziehungsdienst

...

Anmerkungen zu EGP-21

(1) Der Mitarbeiter - ausgenommen der Mitarbei-

ter im handwerklichen Erziehungsdienst -

erhält für die Dauer der Tätigkeit in einem

Erziehungsheim, einem Kinder- oder einem

Jugendwohnheim oder einer vergleichbaren

Einrichtung (Heim) eine Zulage in Höhe von

120,-- DM monatlich, wenn in dem Heim über-

wiegend Behinderte im Sinne des § 39 BSHG

oder Kinder oder Jugendliche mit wesentli-

chen Erziehungsschwierigkeiten zum Zwecke

der Erziehung, Ausbildung oder Pflege stän-

dig untergebracht sind; sind nicht überwie-

gend solche Personen ständig untergebracht,

beträgt die Zulage 60,-- DM monatlich. Für

Mitarbeiter im handwerklichen, hauswirt-

schaftlichen oder landwirtschaftlichen Er-

ziehungsdienst in einem Heim im Sinne des

Unterabs. 1) erster Halbsatz beträgt die

Zulage 80,-- DM monatlich.

..."

b) Diese Voraussetzungen erfüllt die Tätigkeit der Klägerin nicht. Denn die Klägerin ist nicht in einem Heim im Sinne der Anmerkung 1 beschäftigt. Die Klägerin ist zwar Erzieherin im Sinne des EGP-Diakonie Ziff. 21, so daß die Anmerkung 1 hierzu Anwendung findet. Sie ist jedoch seit November 1989 nicht mehr in einer vollstationären Wohngruppe, sondern nur in einer teilstationären Tagesgruppe tätig. Bei einer Tagesgruppe handelt es sich nicht um ein Erziehungsheim, Kinder- oder Jugendwohnheim oder eine vergleichbare Einrichtung (Heim) im Sinne der Anmerkung 1 zum EGP-Diakonie Ziff. 21. Nach dem Sprachgebrauch ist ein Heim Wohnung, Haushalt, bzw. Ort, an dem jemand lebt und zu dem er eine gefühlsmäßige Bindung hat. Im vorliegenden Sinne ist Heim eine gemeinschaftliche Wohnstätte für einen bestimmten Personenkreis, besonders als öffentliche Einrichtung der Jugend-, Alters- und Krankenhilfe, z.B. Altenwohnheime, Kinder- und Kindererholungsheime (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 3. Bd., 1981). Eine gemeinschaftliche Wohnstätte setzt eine ununterbrochene Versorgung voraus. Der Lebensmittelpunkt der zu betreuenden Personen muß sich auf das Heim beziehen. Eine Betreuung von nur montags bis freitags zwischen 11.30 Uhr und 17.30 Uhr ist hierzu nicht ausreichend. Die Tagesgruppe III (K /M ) ist damit Einrichtung der Kindertagesbetreuung im Sinne der Anmerkungen zum EGP-Diakonie Ziff. 21. In den Anmerkungen 2 c und 5 a sind u.a. die Tätigkeiten in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung erwähnt. Die AVR-Diakonie unterscheiden damit erkennbar zwischen Heim- und Kindertagesbetreuung. Ansonsten hätte auch in diesen Anmerkungen die Tätigkeit in einem Heim genannt werden können. Im übrigen verlangt die Anmerkung 1 die Vergleichbarkeit der Einrichtung (Heim) mit einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder einem Jugendwohnheim. In solchen Wohn- bzw. Erziehungsheimen leben die Kinder und Jugendlichen üblicherweise wie in einer Familie. Sie haben dort ihren Lebensmittelpunkt.

Das gleiche folgt aus dem Erfordernis der Anmerkung 1, die Kinder oder Jugendlichen müßten "ständig" untergebracht sein. "Ständig" bedeutet sprachlich dauernd, immer, ununterbrochen (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 5. Bd., 1983). Die Unterbringung für höchstens 6 Stunden täglich erfüllt diese Voraussetzung nicht.

Entgegen der Auffassung der Klägerin erfüllt sie auch nicht deshalb die Voraussetzung der Anmerkung 1 zum EGP-Diakonie Ziff. 21, weil die Beklagte auch Heime unterhält, in denen die Kinder und Jugendlichen ständig untergebracht sind. Bereits nach dem Wortlaut der Anmerkung 1 ergibt sich, daß der Mitarbeiter selbst in einem solchen Heim tätig sein muß. Er erhält die Zulage danach nämlich nur für die Dauer der Tätigkeit in einem Heim.

2. Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin ergibt sich jedoch aus § 611 BGB i.Verb.m. dem Arbeitsvertrag aufgrund betrieblicher Übung.

a) Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auch für die Zukunft gewährt werden. Die betriebliche Übung enthält eine Willenserklärung des Arbeitgebers, die von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB). Auf Grund dessen erwachsen vertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer auf die üblich gewordene Vergünstigung. Die Bindungswirkung tritt ein, wenn die Arbeitnehmer aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers darauf vertrauen durften, die Leistung solle auch für die Zukunft gewährt werden (BAGE 52, 33, 49 = AP Nr. 12 zu § 4 BAT, zu 5 der Gründe; BAG Teilurteil vom 5. Februar 1971, BAGE 23, 213, 221 = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu I 2 b der Gründe; BAG Urteil vom 3. August 1982, BAGE 39, 271, 276 = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu II 2 der Gründe). Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Arbeitgeber eine Zulage gewährt, auf die inzwischen die Anspruchsgrundlagen entfallen sind (BAG Urteil vom 7. September 1982, BAGE 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost, zu III 1 a der Gründe; BAG Urteil vom 13. November 1986 - 6 AZR 567/83 - AP Nr. 27 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu II 3 a der Gründe). Die Beklagte hat die Heimzulage gegenüber den Erzieherinnen über mehrere Monate weitergezahlt, obwohl diese durch den Wechsel in den teilstationären Bereich hierauf keinen Anspruch nach der Anmerkung Nr. 1 des EGP-Diakonie Ziff. 21 mehr hatten. Für die betroffenen Mitarbeiter ist ein Vertrauenstatbestand erwachsen, daß die Beklagte eine rechtsgeschäftliche Bindung eingehen wollte. Sie hat bei den einzelnen Zahlungen keinen Vorbehalt gemacht. In dem Einzelarbeitsvertrag vom 14. August 1986 ist auf die Richtlinien für Arbeitsverträge in Anstalten und Einrichtungen des Diakonischen Werkes verwiesen. Gleichwohl ist hiervon in § 3 eine Ausnahme gemacht, weil die Vergütung in freier Vereinbarung festgesetzt wurde. Nach den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprach dies der unterwertigen Vergütung einer Praktikantin. Auch wenn später auf eine bestimmte Vergütungsgruppe verwiesen wurde, ändert das nichts an der Tatsache, daß im Arbeitsvertrag auch sonst von den AVR-Diakonie - etwa bei der Schriftformklausel - abgewichen wurde. Aus allem konnte bei objektiver Betrachtung vom Empfängerhorizont gesehen werden, daß die Beklagte das Arbeitsverhältnis nicht streng an die AVR-Diakonie binden wollte. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte selbst nach elfmonatiger Zahlung ohne Rechtsgrund noch die Erhöhung der Zulage mitteilte. Mag die Erklärung vom 11. November 1991 auch keine eigene rechtsgeschäftliche Erklärung, sondern allein eine Mitteilung sein, konnte die Klägerin darauf vertrauen, daß sie nach Versetzung, monatelanger Zahlung, einzelvertraglicher Abweichung von den AVR-Diakonie und Mitteilung über die Erhöhung dieser Zulage diese weiterhin erhalten sollte. Die Zahlungsverpflichtung ist damit zum Inhalt des Arbeitsvertrages geworden und kann durch einfache Zahlungseinstellung nicht aufgehoben werden.

b) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, die Mitarbeiter hätten davon ausgehen müssen, sie vergüte ausschließlich nach den Regeln der AVR-Diakonie. Eine solche Einschränkung der betrieblichen Übung gibt es in der Regel nur im Bereich des öffentlichen Dienstes. Der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes muß in aller Regel davon ausgehen, sein Arbeitgeber wolle nur die Leistungen gewähren, zu denen er rechtlich verpflichtet ist (BAG Urteil vom 24. März 1993 - 5 AZR 16/92 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; BAG Urteil vom 7. Mai 1986, BAGE 52, 33, 50 = AP, aaO; BAG Urteil vom 6. März 1984 - 3 AZR 340/80 - AP Nr. 16 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu 2 b der Gründe; BAG Urteil vom 10. April 1985, BAGE 49, 31, 38 = AP Nr. 19 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu 5 der Gründe). Diese Grundsätze gelten nicht für den privaten Arbeitgeber, auch wenn sein Vergütungsgefüge in Anlehnung an das des BAT aufgestellt ist. Ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes muß bei Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte davon ausgehen, der an die Grundsätze des Haushaltsrechts gebundene öffentliche Arbeitgeber wolle sich gesetzes- und tarifgemäß verhalten. Dies trifft für Arbeitsverhältnisse im Bereich des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche nicht zu. Das Diakonische Werk ist rechtlich bei der Gestaltung der vertraglichen Beziehungen zu seinen Arbeitnehmern freier als die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes. Denn es unterliegt nicht den gleichen strengen haushaltsrechtlichen Überwachungsbestimmungen (BAG Urteil vom 28. Oktober 1987 - 5 AZR 518/85 - AP Nr. 1 zu § 7 AVR Caritasverband, zu II 2 b der Gründe). Hinzu kommt, daß die Parteien des Rechtsstreits ausdrücklich zum Nachteil der Klägerin von den AVR-Diakonie abgewichen sind.

c) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, die Heimzulage sei nur versehentlich weitergezahlt worden. Für die Begründung eines Anspruchs aus betrieblicher Übung kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit Verpflichtungswillen gehandelt hat. Entscheidend ist allein, ob der Arbeitnehmer aus dem Erklärungsverhalten des Arbeitgebers auf diesen Willen schließen durfte (BAG Teil-Urteil vom 5. Februar 1971, BAGE 23, 213, 220 = AP, aaO; BAG Urteil vom 3. August 1982, BAGE 39, 271, 276 = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).

Eine irrtümliche Zahlung, von der der Arbeitgeber jederzeit wieder abrücken darf, verhindert das Entstehen einer betrieblichen Übung nur dann, wenn der Arbeitnehmer aus den Umständen den Irrtum erkennen konnte. Ein Rechtsirrtum der Beklagten kann dann für die betroffenen Arbeitnehmer erkennbar sein, wenn der Arbeitgeber mit seinen Zahlungen ersichtlich ausschließlich nach den vereinbarten Arbeitsbedingungen verfahren wollte (Senatsurteil vom 11. März 1987 - 4 AZR 234/86 -, nicht veröffentlicht). Dies war aber gerade vorliegend nicht der Fall.

3.a) Die Nichteinhaltung der in § 5 Abs. 4 AVR-Diakonie und in § 9 des Arbeitsvertrages für Vertragsänderungen bzw. Nebenabreden vorgesehenen Schriftform steht der Anspruchsbegründung durch betriebliche Übung nicht entgegen. Gemäß § 125 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, nichtig. Die Nichteinhaltung der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form hat nur im Zweifel die Nichtigkeit zur Folge. Die Parteien haben die im Arbeitsvertrag und den AVR-Diakonie vereinbarten Schriftformklauseln jedoch einvernehmlich aufgehoben. Ein rechtsgeschäftlich vereinbarter Formzwang kann jederzeit wieder formlos und stillschweigend aufgehoben werden (BAG Urteil vom 4. Juni 1963 - 5 AZR 16/63 - AP Nr. 1 zu § 127 BGB). Die vereinbarte Schriftform kann auch durch eine betriebliche Übung formlos abbedungen werden (BAG Urteil vom 27. März 1987 - 7 AZR 527/85 - AP Nr. 29 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Durch die ständige formfreie Gewährung der Heimzulage hat die Beklagte gegenüber den betroffenen Erzieherinnen zu erkennen gegeben, daß sie die dauerhafte Gewährung der Heimzulage nicht von der Beachtung der schriftlichen Form abhängig machen wollte. Die Erzieherinnen haben dies durch die Annahme der Leistungen stillschweigend angenommen (§ 151 BGB).

b) Die Parteien waren auch befugt, die Schriftform des § 5 Abs. 4 der AVR einvernehmlich aufzuheben. Zwar sind tarifvertragliche Formvorschriften gesetzliche Formvorschriften im Sinne von Art. 2 EGBGB (BAG Urteil vom 9. Dezember 1981, BAGE 37, 228, 236 = AP Nr. 8 zu § 4 BAT) und können daher von den Arbeitsvertragsparteien nicht aufgehoben werden. Die Arbeitsvertragsrichtlinien sind jedoch keine Tarifverträge und damit keine Rechtsnormen im Sinne des Art. 2 EGBGB oder des § 72 a ArbGG. Sie sind diesen auch nicht gleichgestellt. Es ist Sache des staatlichen Gesetzgebers, Regelungen nichtstaatlicher Einrichtungen und Stellen die allgemeine Rechtsqualität im Sinne des staatlichen Rechts zuzuerkennen. Dies ist aber nur für Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen geschehen (§ 4 Abs. 1 TVG; § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Für Arbeitsvertragsrichtlinien fehlen solche Bestimmungen (BAG Urteil vom 28. Oktober 1987 - 5 AZR 518/85 - AP Nr. 1 zu § 7 AVR Caritasverband, zu III 1 a der Gründe). Die Zahlung der Heimzulage auch während einer Tätigkeit in einer Tagesgruppe ist damit unabhängig von der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen der Anmerkung Nr. 1 zur EGP-Diakonie Ziff. 21 arbeitsvertraglicher Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten geworden.

4. Die Parteien haben auch nicht vereinbart, die Zahlung der Heimzulage könne entfallen, falls hierauf kein Anspruch nach den AVR-Diakonie bestehe. Zwar haben die Erzieherinnen gegenüber der Buchhaltung der Beklagten erklärt, sie seien mit der Rückforderung einverstanden, wenn der Anspruch auf die Heimzulage nicht mehr vorliegen sollte. Damit wollten sie erkennbar nicht auf einen bestehenden arbeitsvertraglichen Anspruch verzichten. Es fehlt insoweit am Erklärungsbewußtsein. Die Klägerin hat nur zu erkennen gegeben, sie wolle die bereits geleisteten Zahlungen nicht unberechtigt behalten.

III. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288, 285, 284 BGB. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Schaub Dr. Wißmann Für Richter am BAG

Schneider, der in Urlaub

ist.

Schaub

Gotsche Kamm

 

Fundstellen

Haufe-Index 438959

BAGE 73, 191-201 (Leitsatz 1-3 und Gründe)

BAGE, 191

NZA 1994, 88

NZA 1994, 88-90 (Leitsatz 1-3 und Gründe)

ZTR 1993, 471 (Leitsatz 1-3 und Gründe)

AP § 12 AVR Diakonisches Werk, Nr 3

AR-Blattei, ES 960 Nr 45 (Leitsatz 1-3 und Gründe)

ArbuR 1993, 372-373 (Leitsatz 1-2)

EzA § 242 BGB Betriebliche Übung, Nr 29 (Leitsatz 1-3 und Gründe)

KirchE 31, 170-178 (1997) (Leitsatz und Gründe)

MDR 1993, 1211 (Leitsatz 1-3 und Gründe)

ZevKR 39, 86-93 (Leitsatz und Gründe)

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