Entscheidungsstichwort (Thema)

Abmahnung. Wirkungslosigkeit durch Zeitablauf

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Abmahnung gegenüber dem Arbeitnehmer kann durch Zeitablauf wirkungslos werden. Dies läßt sich jedoch nicht anhand einer bestimmten Regelfrist (zB zwei Jahre), sondern nur aufgrund aller Umstände des Einzelfalles beurteilen (entgegen LArbG Hamm Urteil vom 14. Mai 1986 - 2 Sa 320/86 = LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr 2).

 

Orientierungssatz

1. Verhaltensbedingte Änderungskündigung gegenüber einer Fleischbeschau-Tierärztin.

2. Eine ursprünglich ausreichend gewesene Abmahnung verliert mithin ihre Bedeutung erst dann, wenn aufgrund des eingetretenen Zeitablaufs oder aufgrund neuer Umstände (zB einer späteren unklaren Reaktion des Arbeitgebers auf ähnliche Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer) der Arbeitnehmer wieder im Ungewissen sein konnte, was der Arbeitgeber von ihm erwartet bzw wie er auf eine etwaige Pflichtverletzung reagieren werde. Dies läßt sich jedoch nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Art der Verfehlung des Arbeitnehmers und des Verhaltens des Arbeitgebers im Anschluß an die Abmahnung beurteilen.

 

Normenkette

BGB § 611; KSchG § 1 i.d.F des Gesetzes vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1476)

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 27.11.1984; Aktenzeichen 3 Sa 287/84)

ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 30.03.1984; Aktenzeichen 2 Ca 1848/83)

 

Tatbestand

Zwischen den Parteien besteht Streit, ob das zwischen der Klägerin und dem beklagten Landkreis begründete Arbeitsverhältnis durch die mit Schreiben des Landrats vom 15. Dezember 1983 ausgesprochene Änderungskündigung, die die Klägerin nicht nach § 2 KSchG unter Vorbehalt angenommen hat, beendet worden ist.

Die Klägerin ist promovierte Tierärztin und betreibt in K eine eigene Tierarztpraxis. Der beklagte Landkreis bedient sich für die Fleischbeschau außerhalb öffentlicher Schlachthöfe auch niedergelassener Tierärzte. Mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 24. März 1977 wurde die Klägerin vom beklagten Landkreis als Fleischbeschautierärztin im Angestelltenverhältnis eingestellt. Der Arbeitsvertrag enthält u.a. folgende Regelung:

"§ 3

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich ausschließ-

lich nach dem Tarifvertrag über die Regelung der

Rechtsverhältnisse der Fleischbeschautierärzte,

Fleischbeschauer und Trichinenschauer außerhalb

öffentlicher Schlachthöfe vom 1. April 1969 und

den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifver-

trägen.

.......

§ 5

Dem Arbeitgeber bleiben vorbehalten: Die Grenzen

des zugewiesenen Beschaubezirks zu ändern, den

zugewiesenen Beschaubezirk zu teilen, weitere

Fleischbeschautierärzte, Fleischbeschauer und

Trichninenschauer in den zugewiesenen Beschaube-

zirk einzustellen, dem Angestellten zusätzlich

einen anderen Beschaubezirk oder einen Teil von

diesem auf Zeit zuzuweisen."

Mit Schreiben vom 9. November 1983 hat das Veterinäramt des beklagten Landkreises der Klägerin mitgeteilt, daß die Metzgerei Werner U in K aus dem ihr zugewiesenen Beschaubezirk Nr. 14 ausgegliedert werde und daß diese Regelung ab dem 14. November 1983 in Kraft trete.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 1983, der Klägerin zugegangen am 16. Dezember 1983, hat der Beklagte gegenüber der Klägerin vorsorglich eine Änderungskündigung für den Fall ausgesprochen, daß das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis komme, die Anordnung vom 9. November 1983 sei rechtsunwirksam. Das Schreiben, das vom Landrat des beklagten Landkreises unterzeichnet ist, hat u.a. folgenden Wortlaut:

"Hiermit kündigen wir das mit Ihnen bestehende Ar-

beitsverhältnis nach § 18 Abs. 1 des Tarifvertra-

ges über die Regelung der Rechtsverhältnisse der

Fleischbeschautierärzte, Fleischbeschauer und

Trichinenschauer außerhalb öffentlicher Schlacht-

höfe zum 31. März 1984. Wir bieten Ihnen gleich-

zeitig an, das bestehende Arbeitsverhältnis vom

1.04.1984 an zu folgenden geänderten Bedingungen

fortzusetzen: Ihnen wird die Fleischbeschau im

Fleischbeschaubezirk Nr. 14 - mit Ausnahme der

Metzgerei U - übertragen."

Die Klägerin hat am 29. November 1983 Klage eingereicht mit dem Antrag

festzustellen, daß die mit Schreiben des Beklag-

ten vom 9. November 1983 vorgenommene Ausgliede-

rung der Metzgerei Werner U , K

, aus dem der Klägerin mit Arbeitsver-

trag vom 24. März 1977 zugewiesenen Fleischbeschau-

bezirk Nr. 14 unwirksam ist.

Am 27. Dezember 1983 hat die Klägerin eine weitere Klage eingereicht mit dem Antrag

festzustellen, daß die mit Schreiben des Beklag-

ten vom 15. Dezember 1983, zugegangen am 16. De-

zember 1983, ausgesprochene Änderungskündigung

unwirksam ist.

Der Beklagte hat in beiden Verfahren Klageabweisung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, die Ausgliederungsmaßnahme vom 9. November 1983 sei rechtswirksam, weil sie nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages als Direktionsmaßnahme ohne Ausspruch einer Änderungskündigung zulässig gewesen sei. Die bei der Klägerin festgestellten Fleischbeschauzeiten hätten ergeben, daß sie offenbar mit dem größten Fleischbeschaubezirk Nr. 14 überlastet sei. Der Beklagte sei deshalb davon ausgegangen, daß eine Verkleinerung des Fleischbeschaubezirks zu einem besseren Überprüfungsergebnis der Klägerin in den übrigen Metzgereien führen würde.

Auch die Änderungskündigung zum 31.März 1984 sei sozial gerechtfertigt. Durch wiederholt festgestellte Leistungsmängel sei die fehlende Eignung der Klägerin zutage getreten. Ihre Unzuverlässigkeit sei aufgrund von Schlechtleistungen festzustellen, die sie durch ihr Verhalten bewirkt habe. Grundlage des Kündigungssachverhalts sei die Überprüfung der Fleischbeschautätigkeit der Klägerin im November 1980, im August 1982 und im November 1983 durch Amtsveterinäre. Alle drei Überprüfungen hätten erhebliche Beanstandungen ergeben. Neben der unzulänglichen Untersuchung des beschauten Fleisches sei bei den Überprüfungen der Klägerin in den Jahren 1980 und 1983 außerdem eine erhebliche Unterschreitung der Mindestzeit für die Untersuchung von Schweinen festgestellt worden. Die Klägerin sei auf die mangelhafte Fleischbeschau und auf den Entzug der Fleischbeschautätigkeit im Wiederholungsfalle hingewiesen worden. Nach den ersten beiden Überprüfungen in den Jahren 1980 und 1982 sei das Veterinäramt davon ausgegangen, daß die Klägerin als promovierte Tierärztin ihre Leistungen entsprechend bessern würde. Diese Erwartung sei jedoch nicht erfüllt worden. Die Untersuchung im November 1983 habe vielmehr ergeben, daß die Klägerin z.B. am 7. November 1983 trotz der Abmahnung vom 11. November 1980 die Mindestzeit für die Untersuchung von Schweinen nicht eingehalten habe.

Auf die Überprüfungsergebnisse sei die Klägerin durch Abmahnungsschreiben hingewiesen worden. Die Klägerin habe mehrfach die gewissenhafte Diensterfüllung versprochen. In ihrem Schreiben vom 21. November 1980 habe sie erwidert: "Ich darf Ihnen versichern, daß ich in der Ausübung meiner amtlichen Tätigkeit in Zukunft peinlich darauf achten werde, den fleischbeschaurechtlichen Bestimmungen auch nach den Buchstaben des Gesetzes zu genügen." An dieses Versprechen habe sich die Klägerin jedoch nicht gehalten. Die vorausgegangenen Abmahnungen müßten wegen der Bedeutung der Fleischbeschau ausreichen, um der Klägerin den Teil des Fleischbeschaubezirks zu entziehen, in welchem die gravierendsten Beanstandungen erfolgt seien und wo gleichzeitig auch das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Metzgers nicht mehr gegeben sei.

Die Klägerin hat im wesentlichen entgegnet, die Ausgliederung der Metzgerei U aus ihrem Beschaubezirk stelle in keiner Weise eine aus organisatorischen Gründen vorgenommene Grenzänderung oder Teilung von Beschaubezirken dar, sondern habe lediglich zum Ziel gehabt, sie aus sachfremden und willkürlichen Gründen zu benachteiligen. Die Behauptung des Beklagten, sie sei mit dem Bezirk Nr. 14 überlastet, sei unzutreffend. Ebensowenig treffe es zu, daß sie mit dem Metzgermeister U ein zu gutes Einvernehmen gehabt habe und ihm nicht gewachsen gewesen sei. Diese Behauptungen dienten nur dem Zweck, aus ihrem Beschaubezirk den größten Metzger herauszunehmen, der ihr ein Drittel ihrer Fleischbeschaueinnahmen gebracht habe. Auch die Änderungskündigung sei rechtsunwirksam. Die entscheidende Frage bestehe insoweit keineswegs darin, ob sie objektiv gegen fleischbeschaurechtliche Vorschriften verstoßen habe, sondern darin, ob sie die Verfehlungen vorwerfbar begangen habe. Insbesondere habe sie die beanspruchten Zeiten zur Fleischbeschau ordnungsgemäß in den Fleischbeschautagebüchern angegeben, diese Bücher seien seit vier Jahren Monat für Monat als "sachlich richtig" abgezeichnet worden.

Das Arbeitsgericht hat beiden Klagen stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Grenzen des Fleischbeschaubezirks seien exakt abgesteckt, eine Ausgliederung irgendeiner Metzgerei aus dem Fleischbeschaubezirk stelle eine Änderung der vertraglichen Vereinbarungen dar. Eine solche Änderung, die nicht nur die Tätigkeit der Klägerin, sondern auch deren Entlohnung berühre, stelle rechtlich betrachtet einen erheblichen Eingriff in die vertraglichen Vereinbarungen dar, der nur durch Kündigung erfolgen könne. Die der Klägerin gegenüber ausgesprochene Änderungskündigung zum 31. März 1984 sei nach § 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und daher rechtsunwirksam. Der Beklagte werfe der Klägerin hauptsächlich vor, daß sie die für die Fleischbeschau vorgeschriebenen Mindestzeiten nicht einhalte. Die Kammer gehe davon aus, daß dies tatsächlich der Fall sei; der zuständige Vorgesetzte habe aber monatlich die Fleischbeschautagebücher kontrolliert und mit dem Stempel "sachlich richtig" abgezeichnet und unterschrieben. Dies könne nur bedeuten, daß man die Unterschreitung der vorgeschriebenen Höchstzeiten stillschweigend geduldet habe.

Gegen beide Urteile hat der beklagte Landkreis Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Verfahren verbunden und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 31. Januar 1984 - 2 Ca 1721/83 -, das das Schreiben des Beklagten vom 9. November 1983 betraf, zurückgewiesen. Das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 30. März 1984 - 2 Ca 1848/83 -, das die Änderungskündigung vom 15. Dezember 1983 betraf, hat das Landesarbeitsgericht abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 30. März 1984 - 2 Ca 1848/83 -. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die vom Beklagten mit der Änderungskündigung erstrebte Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt war. Infolge der Ablehnung dieses sozial gerechtfertigten Änderungsangebots durch die Klägerin hat das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1984 geendet. Daß eine Änderung des Fleischbeschaubezirks der Klägerin durch das Schreiben des Beklagten vom 9. November 1983 nicht wirksam erfolgte, steht nicht zur Überprüfung des Senats, da der Beklagte keine Revision eingelegt hat und das Berufungsurteil daher insoweit rechtskräftig geworden ist.

I. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 und 3 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. z.B. BAGE 1, 99 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG; BAGE 45, 146, 151 = AP Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit m.w.N.). Dieser eingeschränkte Prüfungsmaßstab gilt auch bei einer Änderungskündigung.

II. Derartige revisible Rechtsfehler sind weder von der Revision aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.

1. Der Senat folgt zunächst der Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe eine objektive Dienstpflichtverletzung begangen, indem sie die vorgeschriebenen Mindestuntersuchungszeiten erheblich unterschritt. Gemäß § 43 Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen A über die Untersuchung und gesundheitspolizeiliche Behandlung der Schlachttiere und des Fleisches bei Schlachtungen im Inland - AB.A - sind auf die Untersuchung der Proben eines Tierkörpers ausschließlich der für die Herstellung der Präparate und für die Probenentnahme aufgewendeten Zeit ohne Trichinoskop mindestens acht Minuten zu verwenden. Nach den Feststellungen des Berufungsurteils ist jedoch unstreitig, daß die Klägerin am 7. November 1983 bei ihrer Beschautätigkeit in den Metzgereien U und M auf die Untersuchung von zwölf Schweinen nur 57 Minuten bzw. auf die Untersuchung von 17 Schweinen und einem Rind lediglich 105 Minuten verwandt hat. Gegen diese Würdigung erhebt auch die Revision keine Einwendungen.

2. Das Landesarbeitsgericht hat weiter rechtsfehlerfrei ausgeführt, die Klägerin habe schuldhaft gehandelt. Aufgrund ihrer mit der übernommenen Aufgabe verbundenen großen Verantwortung habe sie die maßgebenden Vorschriften kennen müssen. Darüber hinaus habe sie aber auch tatsächlich die erforderlichen Kenntnisse besessen, denn dies sei notwendige Folge ihrer Belehrung im Abmahnungsschreiben des Beklagten vom 11. November 1980 und gehe auch aus ihrem eigenen Schreiben vom 21. November 1980 hervor, in dem sie versichert habe, daß sie die fleischbeschaurechtlichen Bestimmungen künftig peinlich genau beachten werde.

3. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts, es könne nicht festgestellt werden, daß der Beklagte bzw. sein Vertreter im Veterinäramt die Unterschreitung der Mindestuntersuchungszeit geduldet oder sogar von der Klägerin verlangt habe. Die abweichende Beweiswürdigung durch die Revision ist mangels einer durchgreifenden Verfahrensrüge ohne Belang. Deshalb kann dahinstehen, inwieweit eine derartige Duldung bzw. ein derartiges Verlangen die Klägerin, die im Interesse des Allgemeinwohls aufgrund ihrer Sachkunde und besonderen beruflichen Stellung gerade als Tierärztin mit der Fleischbeschau beauftragt worden war, überhaupt zu einer Mißachtung der geltenden Vorschriften berechtigt hätte. Jedenfalls aber durfte die Klägerin angesichts dieser eigenverantwortlichen Stellung entgegen der Ansicht der Revision nicht aufgrund ihrer subjektiven Annahme, der Beklagte billige die Zeitunterschreitungen, die geltenden Vorschriften mißachten.

4. Angesichts dieser der Klägerin gerade als Tierärztin übertragenen Verantwortung hat das Landesarbeitsgericht auch zu Recht angenommen, daß sich die Klägerin nicht durch die Berufung auf gleichartige Verstöße anderer beim Beklagten angestellter Fleischbeschautierärzte oder auf das Verhalten von Bediensteten des Beklagten gegenüber diesen Tierärzten entlasten kann. Selbst wenn einem anderen Tierarzt vor seiner geplanten Überprüfung eine Warnung aus dem Hause des Beklagten zugekommen sein sollte, durfte die Klägerin hieraus nicht auf die Duldung durch den Beklagten schließen, so daß auch die diesbezügliche Verfahrensrüge der Revision nicht durchgreift. Unerheblich ist schließlich, ob die Prüfungsvermerke in den Fleischbeschautagebüchern geeignet waren, den Eindruck zu erwecken, der Beklagte dulde eine Unterschreitung der Mindestuntersuchungszeiten. Angesichts ihrer festgestellten Kenntnis der einschlägigen Vorschriften und der erfolgten Abmahnung vom 11. November 1980 hätte sich die Klägerin, wenn sie nicht sogar zum Erheben von Gegenvorstellungen beim Beklagten verpflichtet gewesen sein sollte, zumindest darüber vergewissern müssen, ob der Beklagte tatsächlich von der Einhaltung der Mindestuntersuchungszeiten absehen wollte. Nur in diesem Falle hätte sich die Klägerin gegenüber dem Beklagten - unbeschadet des Fortbestehens ihrer Verantwortlichkeit gegenüber Dritten - auf das Fehlen einer Pflichtwidrigkeit berufen können.

5. Zutreffend ist auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Abmahnung vom 11. November 1980 habe trotz des seitdem verstrichenen Zeitraums bis zur erneuten Pflichtverletzung am 7. November 1983 ihre Wirkung nicht verloren.

Richtig ist zwar, daß auch eine ursprünglich berechtigte Abmahnung durch Zeitablauf gegenstandslos werden kann. Insbesondere kann es nach einer längeren Zeit einwandfreier Führung des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber verwehrt sein, sich auf früher abgemahnte Pflichtverstöße des Arbeitnehmers zu berufen. Der Senat folgt jedoch nicht der gelegentlich vertretenen Ansicht (vgl. z.B. LAG Hamm Urteil vom 14. Mai 1986 - 2 Sa 320/86 - LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 2 = DB 1986, 1628 = BB 1986, 1296 (Leitsatz), jetzt auch NZA 1987, 26), daß sich hierfür - und sei es auch nur für den Regelfall - eine bestimmte Frist aufstellen ließe. Wann es vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung wieder einer erneuten Abmahnung bedarf, bestimmt sich vielmehr nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei Störungen im Leistungsbereich regelmäßig vor Ausspruch einer Änderungs- oder Beendigungskündigung eine vergebliche Abmahnung erforderlich (vgl. grundlegend Senatsurteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 75/78 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu 2 a der Gründe m.w.N.; BAG Urteil vom 15. August 1984 - 7 AZR 228/82 - BAGE 46, 163, 170 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969, zu II 5 a der Gründe; BAG Urteil vom 9. August 1984 - 2 AZR 400/83 - AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung). Auch bei einem Fehlverhalten im Vertrauensbereich bedarf es dann einer vorherigen erfolglosen Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (vgl. BAG Urteil vom 30. Juni 1983 - 2 AZR 524/81 - AP Nr. 15 zu Art. 140 GG, zu IV 1 der Gründe). Zu den unverzichtbaren Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Abmahnung gehört neben der Rüge eines genau zu bezeichnenden Fehlverhaltens (Rügefunktion) der Hinweis auf die Bestands- oder Inhaltsgefährdung des Arbeitsverhältnisses für den Wiederholungsfall (kündigungsrechtliche Warnfunktion). Durch die Abmahnung soll dem Arbeitnehmer gegenüber zum Ausdruck gebracht werden, daß der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitsleistungen oder ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers als nicht vertragsgemäß ansieht und künftig nicht mehr hinzunehmen gewillt ist (vgl. insbesondere das bereits angeführte Senatsurteil vom 18. Januar 1980, aaO).

Durch das Erfordernis einer vergeblich gebliebenen Abmahnung vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung soll mithin der mögliche Einwand des Arbeitnehmers ausgeräumt werden, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht gekannt oder jedenfalls nicht damit rechnen müssen, der Arbeitgeber sehe dieses Verhalten als so schwerwiegend an, daß er zu kündigungsrechtlichen Konsequenzen greifen werde. Hat der Arbeitgeber durch entsprechende Klarstellungen gegenüber seinem Arbeitnehmer die Möglichkeit derartiger Einwände ausgeräumt, so liegt eine ausreichende Abmahnung vor, weil dann dem Zweck des Abmahnungserfordernisses entsprochen ist. Eine ursprünglich ausreichend gewesene Abmahnung verliert mithin ihre Bedeutung erst dann, wenn aufgrund des eingetretenen Zeitablaufs oder aufgrund neuer Umstände (z.B. einer späteren unklaren Reaktion des Arbeitgebers auf ähnliche Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer) der Arbeitnehmer wieder im Ungewissen sein konnte, was der Arbeitgeber von ihm erwartet bzw. wie er auf eine etwaige Pflichtverletzung reagieren werde. Dies läßt sich jedoch nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Art der Verfehlung des Arbeitnehmers und des Verhaltens des Arbeitgebers im Anschluß an die Abmahnung beurteilen.

Im Entscheidungsfall hat das Landesarbeitsgericht fehlerfrei festgestellt, daß das Verhalten des Beklagten in den auf die Abmahnung folgenden Jahren nicht den Schluß zuließ, er dulde nun die Zeitunterschreitungen. Auch stand bei der gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Abmahnung die Funktion im Vordergrund, den möglichen Einwand fehlender Rechtskenntnis und den möglichen Einwand der Ungewißheit über die geplanten Konsequenzen im Falle eines erneuten Pflichtverstoßes auszuräumen. Diese Funktion hat die vorliegende Abmahnung, da sie der Klägerin die notwendige Kenntnis verschaffte, unabhängig davon nicht verloren, wie lange sie zurückliegt. Auf den von der Revision gerügten Rechenfehler des Landesarbeitsgerichts, die Abmahnung habe erst zwei Jahre (statt drei Jahre) zurückgelegen, kommt es deshalb nicht an.

6. Keinen revisiblen Rechtsfehler enthält schließlich auch die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht das große Gewicht betont, das den Interessen des Beklagten an der Sicherung einer dem Gesetz entsprechenden Fleischbeschau zukommt. Daß das Berufungsgericht dieses Interesse dem Interesse der Klägerin an der Erhaltung ihres Arbeitsplatzes übergeordnet hat, hält sich ebenso im Rahmen des dem Tatsachenrichter zustehenden Beurteilungsspielraums wie seine Würdigung, die Klägerin sei von der Kündigung nicht allzu hart betroffen, weil sie neben dem Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten noch über weitere umfangreiche berufliche Betätigungsgebiete und Einkommensquellen verfüge.

Dr. Seidensticker Roeper Dr. Steckhan

Neumann Dr. Blaeser

 

Fundstellen

BB 1987, 1252

BB 1987, 1252-1253 (LT)

DB 1987, 1303-1303 (LT)

BetrR 1987, 434-436 (LT)

JR 1987, 440

NZA 1987, 418-419 (LT)

RdA 1987, 188

RzK, I 1 Nr 16 (LT1)

ZTR 1987, 182-182 (LT)

AP § 1 KSchG 1969, Nr 17

AR-Blattei, Abmahnung Entsch 15 (LT)

AR-Blattei, ES 20 Nr 15 (LT)

EzA § 611 BGB Abmahnung, Nr 4 (LT)

PersV 1991, 190 (K)

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