Leitsatz (amtlich)

Ein Arbeitnehmer, der während des ganzen maßgeblichen Kalenderjahres arbeitsunfähig krank war, hat keinen Anspruch auf die betriebliche Sonderzahlung nach dem Tarifvertrag über Sonderzahlungen in der Metallindustrie Niedersachsens vom 14. Dezember 1971 in der ab 1. Januar 1974 geltenden Fassung.

 

Normenkette

BGB § 611

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 16.11.1976; Aktenzeichen 7 (2) Sa 578/76)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 16. November 1976 – 2 Sa 578/76 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger ist seit Juli 1963 als Arbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem 22. März 1974 ist er ununterbrochen arbeitsunfähig krank. Wegen des völligen Fehlens einer Arbeitsleistung lehnt die Beklagte es ab, ihm für das Jahr 1975 eine Sonderzahlung nach dem auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit anwendbaren Tarifvertrag auszuzahlen (Tarifvertrag über Sonderzahlungen vom 14. Dezember 1971 in der ab 1. Januar 1974 geltenden Fassung, abgeschlossen zwischen dem Verband der Metallindustriellen Niedersachsens e.V. und der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Bezirksleitung Hannover). In dem Tarifvertrag (TV) heißt es u.a.:

㤠2

1. Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate angehören, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen.

Ausgenommen sind die Arbeitnehmer, die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis gekündigt haben.

2. Die Sonder Zahlungen werden nach folgender Staffel gezahlt:

Ab Kalenderjahr 1974

Nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit

10 %

nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit

20 %

nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit

30 %

nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit

40 %

eines Monatsverdienstes bzw. einer Ausbildungsvergütung.

3. Diese Leistungen gelten als Einmalleistungen im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften.

4. Der Berechnung der Leistungen sind zugrunde zulegen:

a) bei Arbeitern

der durchschnittliche Stundenverdienst der letzten abgerechneten 13 Wochen bzw. der entsprechenden Lohnabrechnungszeiträume vor Auszahlung der Leistung, multipliziert mit dem Faktor 173,33.

Der durchschnittliche Stundenverdienst errechnet sich aus dem Gesamt verdienst in dem betreffenden Zeitraum, einschließlich Mehrarbeitsvergütung und aller Zuschläge, jedoch ohne Auslösung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsvergütung, zusätzliches Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers und ähnliche Zahlungen sowie einmalige Zuwendungen, geteilt durch die Zahl der bezahlten Stunden ohne Mehrarbeits-, Kranken- und Urlaubsstunden.

Teilzeitbeschäftigte haben Anspruch auf eine anteilige Leistung, die sich nach dem Verhältnis ihrer vertraglichen Arbeitszeit zu der tariflichen Arbeitszeit bemißt.

b) bei Angestellten

5. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer und Auszubildende, deren Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistung; ruht das Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung. Für Zeiten des gesetzlichen Mutterschutzes tritt eine Minderung des Anspruches nicht ein.

Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichens der Altersgrenze oder aufgrund Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes ausscheiden, erhalten im Jahr des Ausscheidens die volle Leistung.

§ 3 Zeitpunkt

Der Zeitpunkt der Auszahlung wird durch Betriebsvereinbarung geregelt. Er darf nicht nach dem 1. Dezember liegen.

§ 4 Anrechenbare betriebliche Regelungen

Leistungen des Arbeitgebers wie Jahresabschlußvergütungen, Gratifikationen, Jahresprämie, Ergebnisbeteiligungen, Weihnachtsgeld u.ä. gelten als betriebliche Sonderzahlung im Sinne des § 2 dieses Tarifvertrages und erfüllen den tariflichen Anspruch. Hierfür vorhandene betriebliche Systeme bleiben unberührt.”

Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Sonderzahlung für das Kalenderjahr 1975 in Höhe von 40 % seines im Januar, Februar und März 1974 erzielten Durchschnittsverdienstes. Er hat die Auffassung vertreten, der Anspruch stehe ihm nach § 2 Abs. 1 TV zu, obwohl er im gesamten Jahr 1975 wegen Krankheit nicht gearbeitet habe. Hätten die Tarifvertragsparteien für einen solchen Fall die Sonderzahlung nicht gewähren wollen, so hätten sie dies deutlich zum Ausdruck bringen müssen. § 2 Abs. 5 TV schließe den Anspruch nur für ruhende Arbeitsverhältnisse aus, nicht aber auch für Krankheitsfälle, bei denen ein Buhen des Arbeitsverhältnisses nicht eintrete.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 583,78 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 13. Februar 1976 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Wie die Vorinstanzen mit Recht angenommen haben, scheitert der eingeklagte Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung daran, daß der Kläger während des hier maßgeblichen tariflichen Bezugszeitraums, nämlich im Kalenderjahr 1975, für die Beklagte keine Arbeitsleistung erbracht hat.

Voraussetzung für die jährliche Sonderzahlung ist nach § 2 Abs. 1 TV, daß der Arbeitnehmer am Auszahlungstag – das ist gemäß § 3 TV spätestens der 1. Dezember des betreffenden Jahres – in einem Arbeitsverhältnis steht und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen sechs Monate angehört. Nach § 2 Abs. 2 TV richtet sich die Höhe der Sonderzahlung nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit.

Im vorliegenden Falle gehörte der Kläger zwar rechtlich während des ganzen Jahres 1975 dem Betriebe der Beklagten an; diese Betriebszugehörigkeit ist aber infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht durch Arbeit im Betriebe aktualisiert worden. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es deshalb darauf an, ob der Anspruch auf die Jahressonderzahlung allein von der Dauer der dem rechtlichen Bande nach bestehenden Betriebszugehörigkeit abhängt oder ob er auch ein gewisses Maß an Arbeitsleistung im Betriebe und damit an aktualisierter Betriebszugehörigkeit erfordert. Da die Tarifvertragsparteien diese Frage weder allgemein noch für den besonderen Fall der lange andauernden Krankheit ausdrücklich geregelt haben, bedarf es der Auslegung des Tarifvertrages, wobei maßgebend auf Sinn und Zweck der tariflichen Sonderzahlung abzustellen ist.

Zahlungen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses haben grundsätzlich Entgeltcharakter. Das gilt auch für die hier in Rede stehende tarifliche Jahressonderzahlung. Mit einer solchen Sonderzahlung können verschiedene Zwecke verfolgt werden. Sie kann eine Anerkennung und damit eine zusätzliche Vergütung für die im Bezugsjahr geleistete Arbeit sein. Sie kann auch ein Entgelt für in der Vergangenheit bewiesene Betriebstreue oder ein Anreiz für künftige Betriebstreue sein. Diese Zwecke können einzeln oder auch gemeinsam einer Sonder Zahlung zugrunde liegen (zum Entgelt Charakter von Gratifikationen auch: BAG AP Nr. 84 zu § 611 BGB Gratifkation [zu 1 und 2 der Gründe] mit Anm. von Schwerdtner, AP Nr. 83, 84 und 86, a.a.O. [zu 2]).

Soll ausschließlich die vergangene Betriebstreue honoriert werden, dann kommt es für den Anspruch auf die Sonderzahlung allein auf die Bauer der rechtlichen Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Betriebe seines Arbeitgebers an. Entsprechendes gilt, wenn mit der Sonderzahlung nur ein bestimmtes Maß an künftiger Betriebstreue erkauft werden soll; in diesem Falle ist der rechtliche Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende des Bindungszeitraums maßgebend. Stellt die Sonderzahlung dagegen eine zusätzliche Vergütung für im Bezugszeitraum geleistete Arbeit dar, dann kann sie demjenigen Arbeitnehmer nicht zugute kommen, der im Bezugszeitraum überhaupt nicht gearbeitet hat.

Es steht den Tarifvertragsparteien frei, wie sie eine Jahressonderzahlung ausgestalten, insbesondere welchen Zweck sie ihr beilegen wollen. Im Zweifel ist jedoch anzunehmen, daß mit einer solchen Jahressonderzahlung, die von der Bauer der bisherigen Betriebszugehörigkeit oder Beschäftigungszeit abhängt, mindestens auch im Bezugszeitraum geleistete Arbeit anerkannt und zusätzlich vergütet werden soll; denn im Vordergrund der beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis stehen der Einsatz der Arbeitskraft des Arbeitnehmers und die dafür vom Arbeitgeber zu entrichtende Vergütung. Auch in den Fällen, in denen kein so enges Gegenseitigkeitsverhältnis mehr besteht wie zwischen der in einem bestimmten Zeitabschnitt geleisteten Arbeit und dem dafür zu zahlenden Normallohn, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, die Arbeitgeberzahlung sei von jeder Beziehung zur Arbeitsleistung gelöst. Die Bauer der Betriebszugehörigkeit, die hier Voraussetzung der Jahressonderzahlung ist, wird normalerweise nicht um ihrer selbst willen honoriert, sondern im Hinblick auf die im Betriebe für den Arbeitgeber geleistete Arbeit. Daher muß im Zweifelsfalle die Auslegungsregel gelten, daß eine tarifliche Sondervergütung zumindest auch ein Entgelt für während des Bezugszeitraums in nicht ganz unerheblichem Ausmaß geleistete Arbeit sein soll, sofern der Tarifvertrag nicht eindeutig etwas anderes ergibt. Dabei kann, wenn anderweitige Anhaltspunkte fehlen, eine Arbeitsleistung von mindestens zwei Wochen als nicht mehr ganz unerheblich angesehen werden.

Der vorliegende Tarifvertrag läßt nicht erkennen, daß die Sonderzahlung ausschließlich anderen Zwecken als der Anerkennung der im Bezugszeitraum erbrachten Arbeitsleistung dienen soll. Zwar ergibt sich aus einzelnen seiner Regelungen, daß auch die Belohnung künftiger und vergangener Betriebstreue eine Rolle spielt. So sind nach § 2 Abs. 1 Satz 2 TV diejenigen Arbeitnehmer von der Sonderzahlung ausgenommen, die im Auszahlungszeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis gekündigt haben, was darauf hinweist, daß die Sonderzahlung auch ein Anreiz für künftige Betriebstreue sein soll. Nach § 2 Abs. 2 TV richtet sich die Höhe der Sonderzahlung nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit, wobei auch solche Zeiten der Betriebszugehörigkeit besonders honoriert werden, die vor dem Bezugsjahr liegen. Hierdurch soll also auch vergangene Betriebstreue besonders anerkannt werden. Dem Tarifvertrag ist aber nicht zu entnehmen, daß sich darin der Zweck der Sonderzahlung erschöpfte. Das Gegenteil ergibt sich vielmehr aus § 2 Abs. 5 Satz 1 TV, wonach anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis in dem betreffenden Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ganz oder zeitweise ruht, keine bzw. nur eine anteilige Sonderzahlung erhalten. Diese Regelung deutet darauf hin, daß nicht allein der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses für die Sonderzahlung ausschlaggebend sein soll.

Daß nach § 2 Abs. 5 Satz 2 TV für Zeiten des gesetzlichen Mutterschutzes, in denen das Arbeitsverhältnis ebenfalls ruht, eine Minderung des Anspruchs nicht eintritt, erklärt sich aus besonderen sozialen Rücksichten. Es handelt sich hierbei um eine Ausnahmeregelung, die keine Rückschlüsse auf andere Fälle zuläßt. Gleiches gilt für die Vorschrift des § 2 Abs. 5 Unterabs. 2 TV, wonach anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichens der Altersgrenze oder aufgrund Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes ausscheiden, im Jahr des Ausscheidens die volle Leistung erhalten. Die hier genannten Arbeitnehmer stehen am Ende ihres Arbeitslebens und haben in der Regel eine langjährige Betriebszugehörigkeit aufzuweisen. Ihnen sollte gegenüber den anderen Arbeitnehmern eine Sondervergünstigung gewährt werden. Diese Fälle sind mit dem Fall langdauernder, sich über ein ganzes Kalenderjahr hinziehender Krankheit eines Arbeitnehmers nicht zu vergleichen.

Schließlich kann auch daraus, daß nach § 2 Abs. 4 Buchst. a) TV bei der Berechnung der tariflichen Sonderzahlung Lohnfortzahlungen im Krankheitsfalle unberücksichtigt bleiben, nichts zugunsten des Klägers hergeleitet werden. Die Bestimmung ist eine reine Berechnungsvorschrift und sagt nichts über die anspruchsbegründenden Voraussetzungen. Sie zeigt zwar, daß die Tarifvertragsparteien an Krankheitsfälle gedacht haben und daß sich die Lohnfortzahlung in solchen Fällen nicht nachteilig auf die Höhe der Sonderzahlung auswirken soll. Im Regelfalle wird sich aber eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht über ein ganzes Kalenderjahr hinziehen, so daß ein gewisses Maß an Arbeitsleistung in dem betreffenden Kalenderjahr noch erbracht wird. Hätten die Tarifvertragsparteien auch solchen Arbeitnehmern, die wegen Krankheit während des ganzen Kalenderjahres nicht gearbeitet haben, die Sonderzahlung gewähren wollen, dann hätten sie dies deutlich zum Ausdruck bringen müssen.

 

Unterschriften

gez.: Dr. Hilger, Dr. Heither, Dr. Seidensticker, Dr. Eck, Döring

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1420190

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