Entscheidungsstichwort (Thema)

Erkrankter Betriebsobmann ohne Ersatzmann und Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eines Betriebsobmannes führt nicht zwangsläufig stets zu seiner zeitweiligen Verhinderung iS des § 25 Abs 1 Satz 1 BetrVG.

2. Hat der Arbeitgeber den erkrankten Betriebsobmann während seiner Erkrankung außerhalb des Betriebes in einer Personalangelegenheit beteiligt, die eine bestimmte Arbeitnehmerin betrifft, dann muß er den Betriebsobmann auch zu einer wenige Tage später beabsichtigten Kündigung dieser Arbeitnehmerin nach § 102 BetrVG anhören.

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Entscheidung vom 25.05.1983; Aktenzeichen 3 Sa 96/82)

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 06.04.1982; Aktenzeichen 4 Ca 373/81)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von der Beklagten der Klägerin erklärten fristlosen Kündigung vom 21. Dezember 1981. Die Beklagte hat die Kündigung mit dem Verdacht begründet, die Klägerin habe als Kassiererin im Rahmen von Stornobuchungen Unterschlagungen begangen. Von dem Verdacht erhielt die Beklagte am 21. Dezember 1981 Kenntnis; zu diesem Zeitpunkt war der Betriebsobmann seit dem 5. Dezember 1981 arbeitsunfähig krank. Seine Stellvertreterin war bereits einige Zeit vorher zurückgetreten.

Gegen die Kündigung erhob die Klägerin am 22. Dezember 1981 Kündigungsschutzklage.

Sie hat zur Begründung vorgetragen, die Kündigung sei bereits unwirksam, weil die Beklagte den arbeitsunfähig erkrankten Betriebsobmann nicht angehört habe, obwohl dies möglich gewesen wäre; die Beklagte habe den Betriebsobmann nämlich auch wegen geschäftlicher Fragen angerufen. Sie habe sich auch zwei bis drei Tage vor dem 21. Dezember 1981 mit dem Betriebsobmann wegen ihres Urlaubs (der Klägerin) telefonisch in Verbindung gesetzt. Abgesehen davon habe sie keine Unterschlagungen begangen, die Stornobuchungen seien korrekt.

Sie hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 21. Dezember 1981 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung ausgeführt, aus Gründen der Rechtssicherheit könne die Anhörung des infolge Krankheit verhinderten Betriebsobmannes, wenn dieser ohne Stellvertreter sei, vor Ausspruch einer Kündigung unterbleiben. Der Arbeitgeber müßte, wenn man der Ansicht der Klägerin folge, Nachforschungen über den Gesundheitszustand des Betriebsobmannes anstellen und diesen notfalls sogar am Krankenbett aufsuchen. Dies sei weder praktikabel noch für den Arbeitgeber als auch für den Betriebsobmann zumutbar. Außerdem müßte eine Verpflichtung des erkrankten Betriebsobmannes bestehen, das Betriebsratsamt während seiner Erkrankung auszuüben, notfalls auf Kosten seiner Gesundheit. Aus Gründen der Rechtssicherheit könne eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Anhörung des erkrankten Betriebsobmannes nicht angenommen werden; anderenfalls bliebe in solchen Fällen regelmäßig in der Schwebe, ob die Kündigung wegen der Verpflichtung zur Beteiligung des Betriebsrates Wirksamkeit erlangen könne oder nicht. Bei Erkrankung des Betriebsobmannes ohne Stellvertreter stehe ein derartiger Betrieb hinsichtlich der Anhörungspflicht einem Betrieb ohne Betriebsrat gleich.

Das Arbeitsgericht hat der Klage wegen fehlender Anhörung des Betriebsrates stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren ursprünglich gestellten Antrag weiter, während die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei wegen fehlender Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

Die Anhörung des erkrankten Betriebsobmanns sei möglich und zumutbar gewesen, zumal die Beklagte den Betriebsobmann während des Krankenstandes in geschäftlichen Angelegenheiten wiederholt telefonisch angerufen habe, zuletzt zwei oder drei Tage vor der Kündigung. Betriebsobmann und Beklagte hätten eindeutig zu erkennen gegeben, daß sie auch bei Erkrankung des Betriebsobmannes bereit und in der Lage seien, in betrieblichen Angelegenheiten zusammen zu arbeiten. Eine Anhörung des Betriebsrats und entsprechend eines Betriebsobmannes könne nur unterbleiben, wenn dieser verhindert sei. Bei der Prüfung dieser Frage sei ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, je nachdem, ob es sich um einen ersatzmannlosen Betriebsobmann oder um ein Betriebsratsmitglied handele, das einem aus mehreren Personen bestehenden Betriebsrat angehöre. Während ein normales Betriebsratsmitglied in der Regel bei Krankheit verhindert sei, trete bei einem Betriebsobmann wegen der besonderen Bedeutung des Anhörungsrechts eine zeitweilige Verhinderung nur dann ein, wenn er infolge der Erkrankung außerstande oder es ihm unzumutbar sei, die Betriebsratsaufgaben auszuüben. Ob dies der Fall sei, könne der Arbeitgeber durch einen Anruf bei den Angehörigen oder dem behandelnden Arzt feststellen.

Vorliegend habe sich die Beklagte erst zwei oder drei Tage vor Ausspruch der Kündigung wegen des Urlaubs der Klägerin mit dem Betriebsobmann telefonisch in Verbindung gesetzt. Deshalb habe die Beklagte nicht von einer Verhinderung des Betriebsobmannes ausgehen können. Die Beklagte habe auch mit dessen alsbaldiger Genesung rechnen müssen, weil er bereits seit dem 5. Dezember 1981 arbeitsunfähig krank gewesen sei. Zumindest hätte die Beklagte aber die Anhörungsfrist von drei Tagen gemäß § 102 Abs. 2 BetrVG vor Ausspruch der Kündigung abwarten müssen.

B. Den Ausführungen des Berufungsgerichts kann zwar nicht in allen Teilen der Begründung, wohl aber im Ergebnis gefolgt werden.

I. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, bei Verhinderung des Betriebsobmannes und Fehlen eines Ersatzmannes entfalle die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Grundsätzlich tritt nach § 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 25 Abs. 3 BetrVG der Ersatzmann für die Dauer der zeitweiligen Verhinderung des Betriebsobmannes an dessen Stelle. Ist aber ein Ersatzmann nicht vorhanden, kann auch keiner beteiligt werden. Entgegen der Auffassung von Thiele (GK-Thiele, BetrVG, § 25 Rz 32) ist der Betrieb bei längerer Verhinderung des Betriebsobmannes, der nicht vertreten werden kann, zwar nicht als betriebsratslos (§ 13 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG) anzusehen. Im Unterschied zu dem Fall, der in § 13 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG geregelt ist, besteht vielmehr ein Betriebsrat, der nur zeitweilig verhindert und damit funktionsunfähig ist. Die Rechtsfolge ist, daß die Beteiligungsrechte des Betriebsrats, auch im Rahmen des § 102 BetrVG, nicht ausgeübt werden können (vgl. Barwasser, DB 1976, 914 ff.; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 102 Rz 4; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 29 m.w.N. und KR-Etzel, 2. Aufl., § 102 BetrVG Rz 24 a - 24 b m.w.N. sowie LAG Düsseldorf, BB 1968, 628). Der Sechste Senat hat in seiner Entscheidung vom 23. August 1984 (- 6 AZR 520/82 -) schon zutreffend die Funktionsunfähigkeit des Betriebsrats vor seiner Konstituierung angenommen.

II. Dem Betriebsverfassungsgesetz, auch dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG, kann nicht entnommen werden, der Arbeitgeber müsse Entscheidungen in Fragen, in denen der Betriebsrat ein Beteiligungsrecht hat, zurückstellen, bis der Betriebsobmann wieder funktionsfähig ist (KR-Etzel, 2. Aufl., § 102 BetrVG Rz 24 b; Barwasser, aaO; Fitting/Auffarth/Kaiser, aaO, § 102 Rz 4; Dietz/Richardi, aaO, m.w.N.; Stege/Weinspach, BetrVG, 5. Aufl., § 102 Rz 43 c; a.A. Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, § 102 Rz 6). Das leuchtet ohne weiteres bei Entscheidungen mit einiger Eilbedürftigkeit ein, insbesondere bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, bei der der Arbeitgeber eine Ausschlußfrist von zwei Wochen (§ 626 Abs. 2 BGB) einhalten muß. Aber auch bei anderen mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten kann nichts anderes gelten, ist es doch Sache von Betriebsobmann und Belegschaft dafür Sorge zu tragen, daß ein funktionsfähiger Betriebsrat besteht, nicht aber Sache des Arbeitgebers.

III. Nicht gefolgt werden kann der Annahme des Landesarbeitsgerichts, gerade wegen der rechtlichen Tragweite einer Funktionsunfähigkeit des Betriebsobmanns sei für das Vorliegen der Verhinderung eines ersatzmannlosen Betriebsobmanns ein strengerer Maßstab anzulegen, als bei einem Betriebsratsmitglied: Während bei einem Betriebsratsmitglied, das einem aus mehreren Personen bestehenden Betriebsrat angehöre, in der Regel eine Verhinderung bei Krankheit, Urlaub oder dienstlicher Abwesenheit anzunehmen sei, weil die Mitwirkungsrechte durch die übrigen Betriebsrats- und Ersatzmitglieder stets gewahrt würden, könne wegen der Bedeutung des Anhörungsrechts eine Verhinderung des Betriebsobmanns nur angenommen werden, wenn er infolge Erkrankung außerstande oder es ihm unzumutbar sei, die Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen.

1. Das Gesetz kennt nur einen einheitlichen Begriff der Verhinderung für Betriebsratsmitglieder und Betriebsobmann. Dies ergibt sich aus § 25 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 25 Abs. 3 BetrVG. Schon das spricht gegen einen unterschiedlichen Maßstab für die Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds und eines Betriebsobmannes.

2. Auch der Gesetzeszweck des § 25 BetrVG, die Tätigkeit des Betriebsrats und seine Beschlußfähigkeit (§ 33 BetrVG) zu sichern, rechtfertigt es nicht, einen unterschiedlichen Maßstab an die Voraussetzungen für eine Verhinderung anzulegen. Die Verhinderung eines Betriebsratsmitgliedes kann für die Funktions- und Beschlußfähigkeit des Betriebsrats die gleiche oder ähnliche Bedeutung haben wie die des Betriebsobmannes. Sind z.B. bei einem dreiköpfigen Betriebsrat die Ersatzmitglieder ausgeschieden und alle drei Betriebsratsmitglieder Opfer einer gerade grassierenden Grippewelle, ist der Betriebsrat vorübergehend funktionsunfähig; sind zwei Mitglieder erkrankt oder im Urlaub, ist der Betriebsrat beschlußunfähig. In diesem Falle müßte der Arbeitgeber das verbleibende Betriebsratsmitglied zwar in entsprechender Anwendung des § 22 BetrVG zur Kündigung hören, widersprechen könnte dieses aber der (ordentlichen) Kündigung nicht (BAG vom 18. August 1982 - 7 AZR 437/80 - AP Nr. 24 zu § 102 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist also für die Verhinderung von Betriebsratsmitgliedern und des Betriebsobmanns derselbe Maßstab anzulegen. Danach sind Betriebsratsmitglied wie Betriebsobmann zeitweilig verhindert, wenn sie nicht an einer Betriebsratssitzung teilnehmen können bzw. nicht in der Lage sind, die Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen.

IV. Als Beispiele für die zeitweilige Verhinderung werden in der Literatur u.a. Krankheit, Urlaub und dienstliche Abwesenheit genannt (Barwasser, aaO; Dietz/Richardi, aaO, § 25 Rz 7; Fitting/Auffarth/Kaiser, aaO, § 25 Rz 17; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, § 25 Rz 10 und § 102 Rz 6; Stege/Weinspach, aaO, § 25 Rz 4).

1. Richtig daran ist, daß die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zur zeitweiligen Verhinderung des Betriebsratsmitgliedes bzw. Betriebsobmannes führen kann; sie muß es aber nicht. Zum Teil wird deshalb die Auffassung vertreten, bei Krankheit liege dann eine Verhinderung vor, wenn es sich nicht bloß um eine Unpäßlichkeit handelt, die nur vorübergehend zur Arbeitsunfähigkeit führt (Dietz/Richardi, aaO, § 25 Rz 7). Der Senat neigt zu der Ansicht, bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bestehe eine Vermutung für die Amtsunfähigkeit des Betriebsratsmitglieds, die der klagende Arbeitnehmer widerlegen muß. Der Senat hat diese Frage aber nicht abschließend entscheiden müssen, weil das Berufungsgericht in einer Hilfsbegründung den Besonderheiten des Falles zu Recht entnommen hat, daß vorliegend der Betriebsobmann nicht amtsunfähig gewesen ist und auch die Beklagte hiervon ausgegangen ist.

2. Das Landesarbeitsgericht hat nämlich festgestellt, die Beklagte habe sich erst zwei oder drei Tage vor Ausspruch der Kündigung wegen des Urlaubs der Klägerin mit dem arbeitsunfähig erkrankten Betriebsobmann in Verbindung gesetzt. An diese Feststellung ist der Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO gebunden, weil sie von der Revision nicht mit Prozeßrügen angegriffen worden ist. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht aufgrund dieser Feststellung zu der Annahme kommt, im vorliegenden Falle sei zumindest zum Zeitpunkt der Kündigung der Betriebsobmann trotz seiner Arbeitsunfähigkeit nicht mehr amtsunfähig gewesen und die Beklagte habe aufgrund des Anrufs zwei bis drei Tage vorher auch gewußt, daß die Anhörung zur Kündigung ohne weiteres möglich sei. Denn die Frage, ob die Klägerin bereits einen Urlaubsanspruch hatte und ihr demgemäß vom Arbeitgeber Urlaub für die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr unter Berücksichtigung der Belange des Betriebs zu gewähren war, hat die Beklagte zutreffend mit dem Betriebsobmann in seiner Eigenschaft als Amtsträger erörtert. Es gehört nämlich zu den allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats nach § 80 BetrVG darüber zu wachen, daß die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, dazu gehört auch das Bundesurlaubsgesetz, durchgeführt werden. Dies hat die Beklagte beachtet, indem sie gemäß § 80 Abs. 2 BetrVG den Betriebsobmann über den Urlaubswunsch der Klägerin unterrichtete. Es steht aber nicht im Ermessen der Beklagten, in e i n e r betriebsverfassungsrechtlichen Frage den Betriebsobmann zu beteiligen, in einer anderen, nämlich der Kündigung, aber nicht. Da also die Beklagte den Betriebsobmann zur Kündigung hätte hören müssen, dies aber unterlassen hat, ist die Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

V. Dementsprechend war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller

Dr. Hautmann Schulze

 

Fundstellen

BAGE 47, 201-206 (LT1-2)

BAGE, 201

DB 1985, 1028-1029 (LT1-2)

ARST 1985, 101-101 (LT1-2)

BlStSozArbR 1985, 242-242 (LT1-2)

JR 1986, 132

NZA 1985, 367-368 (LT1-2)

AP § 25 BetrVG 1972 (LT1-2), Nr 2

AR-Blattei, Betriebsverfassung XIVC Entsch 92 (LT1-2)

AR-Blattei, ES 530.14.3 Nr 92

EzA § 102 BetrVG 1972, Nr 58 (LT1-2)

ZfA 1985, 562-563 (T)

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