Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbedingte Kündigung. Betriebsratsanhörung

 

Leitsatz (amtlich)

Soll das Verfahren zur Anhörung des Betriebsrats bei Kündigungen in Anwendung des § 102 Abs. 6 BetrVG z. B. durch Einführung einer Beratungspflicht im Falle eines Widerspruchs des Betriebsrats erweitert werden, so muß eine dem § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG entsprechende Sanktion bei Verstoß gegen eine solche Beratungspflicht in der betreffenden Betriebsvereinbarung deutlich geregelt werden.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2; BetrVG § 102 Abs. 1, 6

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.02.1996; Aktenzeichen 8 Sa 77/95)

ArbG Stuttgart (Urteil vom 12.04.1995; Aktenzeichen 3 Ca 5585/94)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war seit 15. Oktober 1982 in der Flugabteilung (HSF) der Beklagten – zunächst zur Ausbildung als Flugzeugführer und seit 1. Oktober 1985 als Pilot – beschäftigt, und zwar gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von zuletzt 13.900,-- DM. Insgesamt beschäftigt die Beklagte regelmäßig etwa 2.000 Arbeitnehmer. Im Zusatzvertrag zum Anstellungsvertrag vom 22. März 1990 ist u. a. in § 3 geregelt, nach Beendigung der Tätigkeit als Flugzeugführer werde der Mitarbeiter entsprechend seinen Kenntnissen und Fähigkeiten in einer anderen Aufgabe weiterbeschäftigt, sofern er die Fortsetzung des Anstellungsvertrages wünsche.

Anläßlich der Umstrukturierung des früheren Unternehmens D… AG in die D… AG (Holding Gesellschaft) und die M… AG im Jahre 1989 schlossen der Gesamtbetriebsrat und die Geschäftsleitung am 24. April 1989 eine Gesamtbetriebsvereinbarung, in der unter Ziff. 2.1 u. a. ausgeführt wird, die zu besetzenden Stellen sollten grundsätzlich bereits im Unternehmen tätigen Mitarbeitern angeboten werden, Mitarbeiter der D… AG und der M… AG würden gleichberechtigt in die jeweiligen innerbetrieblichen Stellenausschreibungen einbezogen.

Ziff. 6.3. dieser Betriebsvereinbarung lautet wörtlich wie folgt:

“6.3. Verfahren

Vor jeder Kündigung wird der Vorsitzende des Betriebsrats oder des Personalausschusses mit dem Vordruck “An den Betriebsrat” unter Angabe der Kündigungsgründe schriftlich informiert. Ausnahmsweise – insbesondere in eilbedüftigen Fällen – ist eine mündliche Information zulässig; eine schriftliche Mitteilung, in welcher auf eine vorangegangene mündliche Unterrichtung Bezug genommen werden kann, wird in diesem Falle nachgereicht.

Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Personalwesen spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt.

Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Personalwesen unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von 3 Tagen schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören.

Der Betriebsrat kann innerhalb einer Woche der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn nach seiner Ansicht

  • der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
  • die Kündigung gegen diese Richtlinie ≪gemeint ist: gegen eine Richtlinie nach § 95 BetrVG 1972≫ verstößt,
  • der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Betriebsstätte oder in einer anderen Betriebsstätte des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
  • die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
  • eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

Widerspricht der Betriebsrat aus den oben genannten Gründen, so wird zwischen dem Personalwesen und dem Betriebsrat – ggf. unter Anhörung des Betroffenen – ein Gespräch geführt mit dem Ziel, die Berechtigung der Kündigung bzw. des Widerspruchs zu klären.

Das Personalwesen teilt dem Betroffenen die Kündigungsgründe mit. Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten. § 15 BBiG bleibt davon unberührt.

Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muß der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen.”

Am 26. Oktober 1993 beschloß der Vorstand der Beklagten, die Flugabteilung aus dem Unternehmen auszugliedern und auf einen externen Anbieter von Flugdienstleistungen zu übertragen. Zugleich wurde der Auftrag erteilt, hierzu mit der MTM … GmbH (im folgenden: MTM) … Verhandlungen aufzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt waren in der Flugabteilung 17 Mitarbeiter beschäftigt, davon 5 Flugkapitäne, 3 Copiloten mit 5 Personen als technisches Wartungspersonal und 4 Arbeitnehmer als administratives Personal. Mit Schreiben vom 2. März 1994 unterrichtete die Beklagte den Kläger darüber, die Flugabteilung werde zum 1. April 1994 auf die MTM übergehen und diese trete zum genannten Zeitpunkt zu unveränderten Bedingungen in das bestehende Arbeitsverhältnis gemäß § 613a BGB ein. Am 23. März 1994 widersprach der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die MTM, was die Beklagte mit Schreiben vom 24. März 1994 bestätigte; sie wies den Kläger darauf hin, daß sein Arbeitsverhältnis nunmehr über den 1. April 1994 hinaus mit ihr fortbestehe, sie aber keine weitere Beschäftigungsmöglichkeit für ihn habe. Demgemäß wurde der Kläger mit Wirkung vom 1. April 1994 unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung freigestellt.

Mit Schreiben vom 17. Mai 1994 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu der beabsichtigten Entlassung an. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 25. Mai 1994 der beabsichtigten Kündigung unter Hinweis auf § 102 Abs. 3 BetrVG; in der Begründung wird u. a. angeführt, der Betriebsrat habe Anlaß zu der Feststellung, daß die Flugstaffel bisher tatsächlich nicht auf die MTM … GmbH übergegangen sei. Außerdem bestünden Unterbringungsmöglichkeiten in mehreren einzeln aufgeführten Bereichen.

Der Kläger hat sich gegen die Kündigung gewandt und geltend gemacht, die Beklagte sei jedenfalls zu seiner anderweitigen Beschäftigung verpflichtet. Die Kündigung widerspreche auch den ausdrücklichen Zusagen des Personalvorstandes. Schließlich sei sie auch wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam, und zwar habe sich die Beklagte u. a. nicht an die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 24. April 1989 gehalten, denn das in Ziff. 6.3. Abs. 5 vorgeschriebene Gespräch zwischen dem Personalwesen und dem Betriebsrat sei nie geführt worden.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung laut Schreiben vom 25. Mai 1994 zum 31. Dezember 1994 nicht aufgelöst wird.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, die gesamte Flugabteilung sei mit Wirkung ab 1. April 1994 auf die MTM übertragen worden, weil die Kosten des Geschäftsflugbetriebes im D… Konzern hätten abgebaut werden müssen. Deshalb sei die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, weil es bei ihr keinen Flugbetrieb mehr gebe. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit habe nicht bestanden. Die Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch der Kündigung sei ordnungsgemäß durchgeführt worden, wie sich aus dem Anhörungsschreiben vom 17. Mai 1994 ergebe. Das Verfahren nach der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 24. April 1989 sei eingehalten worden; ein etwaiger Verstoß gegen Ziff. 6.3. Abs. 5 dieser Vereinbarung führe jedenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, zumal insoweit nicht einmal ein ordentlicher Widerspruch des Betriebsrats vorliege.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht nach dem Feststellungsantrag erkannt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung (§ 565 ZPO), damit das Landesarbeitsgericht abschließend über die Berechtigung der Kündigung entscheidet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigung sei gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam, weil sie vor Abschluß des vorliegend einzuhaltenden, besonderen Verfahrens zur Anhörung des Betriebsrats ausgesprochen worden sei. Der Betriebsrat habe der beabsichtigten Kündigung innerhalb von einer Woche nach Anhörung widersprochen, wobei an einen hinreichenden Widerspruch im Sinne des § 6.3. Abs. 5 der Gesamtbetriebsvereinbarung geringere Anforderungen zu stellen seien als an einen “ordnungsgemäßen” Widerspruch im Sinne des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG. Im Hinblick auf diesen Widerspruch habe die Beklagte das Verfahren gemäß § 6.3. der Betriebsvereinbarung vollständig durchführen müssen, was jedoch nicht geschehen sei. Wenn nach dieser Bestimmung (Absatz 5) im Falle des Widerspruchs des Betriebsrats ein Gespräch zwischen den Betriebsparteien zu führen sei, so handele es sich dabei um einen notwendigen Bestandteil des Anhörungsverfahrens, wofür Sinn und Zweck der Regelung spreche. Denn es liege im Interesse des betroffenen Arbeitnehmers, daß das in dieser Bestimmung vorgesehene Gespräch zu führen sei, in welchem das Personalwesen der Beklagten sich nochmals gemeinsam mit dem Betriebsrat über die Berechtigung der beabsichtigten Kündigung und die des Widerspruchs des Betriebsrats Gedanken machen müsse.

II. Dem folgt der Senat nicht. Die Beklagte rügt zu Recht eine Verletzung materiellen Rechts (§ 102 Abs. 1 BetrVG) und der in Rede stehenden Betriebsnormen.

1. Zutreffend ist zunächst der rechtliche Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts, daß der Arbeitgeber unter Berücksichtigung von § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG dann die ordentliche Kündigung aussprechen kann, wenn entweder die für den Betriebsrat zur Stellungnahme vorgesehene Wochenfrist abgelaufen ist oder der Betriebsrat eine abschließende Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung abgegeben hat (vgl. BAG Urteil vom 12. März 1987 – 2 AZR 176/86 – AP Nr. 47 zu § 102 BetrVG 1972; zuletzt Senatsurteil vom 12. Dezember 1996 – 2 AZR 803/95 – n.v., zu II 1 der Gründe). Zutreffend ist auch, daß es gemäß § 102 Abs. 6 BetrVG den Betriebspartnern unbenommen bleibt, dem Betriebsrat im Wege einer Betriebsvereinbarung bei der Anhörung zu einer Kündigung weitergehende Rechte als gesetzlich vorgesehen – bis hin zum Zustimmungserfordernis – einzuräumen (vgl. BAG Urteil vom 14. August 1986 – 2 AZR 561/85 – BAGE 52, 346, 363 f. = AP Nr. 43, aaO, zu B II 2c bb der Gründe).

Der vorliegenden Gesamtbetriebsvereinbarung läßt sich jedoch nicht entnehmen, daß mit Ziff. 6.3. Abs. 5 eine Regelung getroffen worden ist, deren Nichtbeachtung zur Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG führt. Soweit das Landesarbeitsgericht diese Bestimmung anders ausgelegt hat, tritt der Senat dem nicht bei.

a) Das Landesarbeitsgericht ist von der Rechtsprechung des BAG zur Auslegung von Betriebsvereinbarungen ausgegangen. Danach sind Betriebsvereinbarungen wie Tarifverträge und diese wiederum wie Gesetze auszulegen. Es ist maßgeblich auf den im Wortlaut der Betriebsvereinbarung zum Ausdruck gelangten Willen der Betriebspartner abzustellen und der von diesen beabsichtigte Sinn und Zweck der Regelung zu berücksichtigen, soweit diese in den Regelungen der Betriebsvereinbarung noch ihren Niederschlag gefunden haben (BAG Urteil vom 11. Juni 1975 – 5 AZR 217/74 – BAGE 27, 187 = AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung; vom 8. November 1988 – 1 AZR 721/87 – BAGE 60, 94, 98 = AP Nr. 48 zu § 112 BetrVG 1972, zu II 2a der Gründe und Senatsurteil vom 5. Oktober 1995 – 2 AZR 269/95 – AP Nr. 71 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu II 4a der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Hierzu ist auf den sich aus der Betriebsvereinbarung ergebenden Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen berücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht nur aus der einzelnen Norm der Betriebsvereinbarung auf den wirklichen Willen der Betriebspartner geschlossen und so nur bei Mitberücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Norm zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben hingegen bei entsprechender Anwendung des Wortlauts der Betriebsvereinbarung und des Gesamtzusammenhangs, soweit er in der Betriebsvereinbarung seinen Niederschlag gefunden hat, als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Betriebspartner auf weitere Kriterien wie z. B. die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Betriebsvereinbarung zurückgegriffen werden (Senatsurteil vom 5. Oktober 1995, AP, aaO). Danach obliegt die Auslegung einer Betriebsvereinbarung auch dem Revisionsgericht, wobei eine vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung – anders als bei der Auslegung von Willenserklärungen – für das Revisionsgericht nicht bindend ist.

b) Wertet man unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung zunächst den Wortlaut der in Rede stehenden Gesamtbetriebsvereinbarung zu Ziff. 6.3. aus, so ergibt sich daraus nicht, daß ein etwaiger Verstoß gegen Ziff. 6.3. Abs. 5 die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung zur Folge haben soll. Davon ist im Wortlaut nicht die Rede. Die Bestimmung regelt nur, daß bei Widerspruch des Betriebsrats “aus den oben genannten Gründen” – gemeint sind die Widerspruchsgründe zu Ziff. 6.3. Abs. 4 – zwischen dem Personalwesen und dem Betriebsrat ein Gespräch zu führen ist mit dem Ziel, die Berechtigung der Kündigung bzw. des Widerspruches zu klären. Eine Sanktion gegen die hier verankerte Gesprächs- bzw. Beratungspflicht – vergleichbar den Regelungen der § 90 Abs. 2 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, dort sanktioniert als Ordnungswidrigkeit, § 121 BetrVG – wird ersichtlich nicht getroffen. Die Wortlautinterpretation gibt daher für die vom Landesarbeitsgericht vertretene Auffassung nichts her. Ebensogut hätte das Landesarbeitsgericht die unterlassene Beratung gemäß Ziff. 6.3. Abs. 5 eventuell als Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 121 BetrVG ansehen können.

Stellt man unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Rechtsprechung ferner auf den Gesamtzusammenhang ab, ergibt sich nichts anderes. Es fällt auf, daß die Partner der Gesamtbetriebsvereinbarung mit Ziff. 6.3. ein der Bestimmung des § 102 BetrVG nachgebildetes Verfahren bei der Anhörung von Kündigungen geregelt und dabei § 102 BetrVG weitgehend übernommen haben, allerdings ohne die Sanktionsvorschrift des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, wonach eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam ist. Das kann nach Auffassung des Senats nicht durch die Gerichte in dem Sinne nachgebessert werden, daß eine Unwirksamkeit der Kündigung auch dann statuiert wird, wenn der Betriebsrat im Sinne von Ziff. 6.3. Abs. 4 der Betriebsvereinbarung der Kündigung widersprochen hat und das in Abs. 5 der Vorschrift vorgesehene Gespräch nicht geführt worden ist. Es wäre vielmehr Sache der Vertragschließenden gewesen, wenn dies denn ihrem Willen entsprochen hätte, deutlich eine dem § 102 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BetrVG nachempfundene Regelung zu treffen und an geeigneter Stelle in Ziff. 6.3. aufzunehmen. Das ist ersichtlich nicht geschehen, und zwar auch nicht unausgesprochen. Dagegen spricht nicht zuletzt, daß in Ziff. 6.3. Abs. 6 und Abs. 7 weitere Regelungen getroffen sind, die von der abschließenden Logik des Gesamtzusammenhanges her die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Ergänzung ausschließen. So wird in Abs. 6 bestimmt, das Personalwesen teile dem Betroffenen die Kündigungsgründe mit; kündige der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat der Kündigung widersprochen habe, so habe er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten. Wenn die Partner der Gesamtbetriebsvereinbarung tatsächlich den Verstoß gegen Abs. 5 in der Weise hätten sanktionieren wollen, daß bei Nichtführung des Gesprächs die Kündigung unwirksam sein sollte, hätte nichts näher gelegen, als dies in Abs. 6 neben den dort getroffenen Regelungen ergänzend zu bestimmen. Das ist jedoch dort ebensowenig geschehen wie in Abs. 7, wo in Anlehnung an § 102 Abs. 5 BetrVG bei Widerspruch des Betriebsrats nur ein Weiterbeschäftigungsanspruch geregelt wird. Daß eine weitergehende Regelung getroffen werden sollte, hat jedenfalls in den Regelungen der Betriebsvereinbarung keinen Niederschlag gefunden; die stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien – Berücksichtigung des Wortlauts und des Gesamtzusammenhangs – ergeben daher nicht, daß die vom Landesarbeitsgericht befürwortete Sanktion getroffen sein könnte. Deshalb kommt eine Ermittlung des etwaigen Willens der Betriebspartner anhand weiterer Kriterien (Entstehungsgeschichte usw.) nicht in Betracht, wobei ohnehin nicht ersichtlich ist, daß sich daraus etwas anderes ergäbe.

c) Es braucht daher nicht mehr auf die weitere Argumentation der Revision eingegangen zu werden, es liege hier außerdem kein ordnungsgemäßer Widerspruch im Sinne der Ziff. 6.3. Abs. 5 vor, so daß mangels Vorliegens der Voraussetzungen auch die Folge, nämlich Führung eines Gespräches mit dem Ziel, die Berechtigung der Kündigung bzw. des Widerspruchs zu klären, nicht geboten sei.

2. Kann daher die Unwirksamkeit der Kündigung mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung nicht gerechtfertigt werden, so steht damit noch nicht fest, ob nicht andere Umstände, die vom Kläger vorgetragen sind, zur Unwirksamkeit der Kündigung führen können. Da das Landesarbeitsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen und insoweit nur gemäß § 543 ZPO auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen hat, ohne selbst eine Würdigung vorzunehmen, ist es nicht Sache des Revisionsgerichts, im vorauseilenden Vorgriff alle möglichen Gesichtspunkte zu erörtern, die nach den Vorstellungen der Parteien – u. a. im Hinblick auf zahlreiche Parallelprozesse, in denen andere Kammern des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg abschließend im Sinne der Beklagten entschieden haben – möglicherweise nicht mehr relevant sind. Der Rechtsstreit ist vielmehr zur weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Bröhl, Frey, Röder

 

Fundstellen

Haufe-Index 885437

DStR 1998, 262

NZA 1997, 877

SAE 1998, 156

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