Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablösung eines nachwirkenden HausTV. Auslegung einer untypischen Bezugnahmeklausel. Ablösung eines nachwirkenden Haustarifvertrages

 

Orientierungssatz

1. Auslegung einer untypischen arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel, die hinsichtlich der Vergütung sowohl auf den Haustarifvertrag als auch auf eine Zusatzregelung in einem regionalen Verbandstarifvertrag verweist.

2. Die Nachwirkung eines gekündigten Haustarifvertrages wird durch einen danach abgeschlossenen und auf Grund beiderseitiger Tarifgebundenheit geltenden Verbandstarifvertrag abgelöst.

3. Es bleibt offen, ob ein gekündigter nachwirkender Haustarifvertrag auch durch einen bereits vor Eintritt der Nachwirkung des Haustarifvertrages abgeschlossenen Verbandstarifvertrag abgelöst wird.

 

Normenkette

TVG § 4 Abs. 5; BGB §§ 133, 157

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 05.04.2006; Aktenzeichen 9 Sa 1068/05)

ArbG München (Urteil vom 15.09.2005; Aktenzeichen 20 Ca 1289/05)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. April 2006 – 9 Sa 1068/05 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die restliche Vergütung für die Monate Mai und Juni 2004.

Der Kläger ist bei der Beklagten zu 1. und ihrer Rechtsnachfolgerin, der Beklagten zu 2., seit dem 25. Januar 1988 als Busfahrer beschäftigt.

In § 9 des zugrunde liegenden Arbeitsvertrages ist bestimmt:

“Es findet der Lohntarifvertrag für die Omnibusfahrer und Schaffner im Linienverkehr der K… GMBH bzw. die Zusatzvereinbarung für die Omnibusfahrer im OZL-Dienst im Großraum M… in der jeweils gütigen Fassung Anwendung.

Der Stundenlohn beträgt derzeit DM 18,77.”

In § 8 wird im Übrigen ergänzend auf die Vorschriften des Manteltarifvertrages für das Speditions- und Transportgewerbe in Bayern in der jeweils gültigen Fassung verwiesen.

Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di und die Beklagte zu 1. ist Mitglied des Landesverbandes Bayerischer Omnibusunternehmen eV (LBO). Die Beklagte zu 1. hat regelmäßig Haus-Lohntarifverträge mit der Gewerkschaft ver.di (früher ÖTV) abgeschlossen. Der letzte dieser Haustarifverträge, der Lohntarifvertrag Nr. 25 für die Omnibusfahrer/innen im Linienverkehr bei der K… GmbH vom 8. Mai 2002 (Haus-LTV Nr. 25) wurde von der Beklagten zu 1. mit Schreiben vom 23. Oktober 2003 zum 31. Dezember 2003 gekündigt. In einem weiteren Schreiben gleichen Datums an ver.di wies die Beklagte zu 1. darauf hin, dass derzeit nicht geplant sei, einen neuen Haustarifvertrag abzuschließen, sondern künftig nur die Bedingungen des vom LBO abgeschlossenen Tarifvertrages Anwendung finden sollten. Da die Gewerkschaft diesen Tarifvertrag zum 31. Oktober 2003 gekündigt habe, solle sie bei den anstehenden Tarifverhandlungen die Kündigung des Haus-LTV berücksichtigen.

Zwischen der LBO und ver.di ist am 21. Januar 2004 der Lohntarifvertrag Nr. 23 für alle gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes in Bayern mit Geltung ab 1. November 2003 (Verbands-LTV Nr. 23) abgeschlossen worden, der niedrigere Arbeitsentgelte vorsieht als der gekündigte Haus-LTV Nr. 25. Seit Mai 2004 vergütete die Beklagte zu 1. den Kläger nach dem Verbands-LTV Nr. 23. Am 1. Juli 2004 ging das Arbeitsverhältnis infolge Betriebsüberganges auf die Beklagte zu 2. über. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten zu 1. und der Beklagten zu 2. jeweils mit Schreiben vom 25. August 2004 vergeblich die Differenz zu der Vergütung nach dem Haus-LTV Nr. 25 für Mai und Juni 2004 geltend gemacht.

Mit der Klage verfolgt der Kläger diese Ansprüche gegenüber den Beklagten weiter. Er hat die Auffassung vertreten, die Nachwirkung des gekündigten Haus-LTV Nr. 25 sei durch den am 21. Januar 2004 abgeschlossenen Verbands-LTV Nr. 23 nicht abgelöst worden. Im Übrigen stehe ihm die Vergütung nach dem Haus-LTV Nr. 25 auf Grund der Bezugnahme im Arbeitsvertrag zu; dabei handele es sich nicht um eine Gleichstellungsabrede.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten zu 1. und 2. werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 1.090,66 Euro brutto sowie Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 722,89 Euro seit 1. Juni 2004 sowie aus 367,77 Euro seit 1. Juli 2004 zu bezahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben geltend gemacht, dass dem Kläger weder nach der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel, die als Gleichstellungsabrede auszulegen sei, noch tarifrechtlich die höhere Vergütung nach dem Haus-LTV Nr. 25 zustehe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter. Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die höhere Vergütung nach dem Haus-LTV Nr. 25 für die Monate Mai und Juni 2004.

1. Das Landesarbeitsgericht hat erkannt, dass dem Kläger für die Monate Mai und Juni 2004 weder tariflich noch auf Grund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme die Vergütung nach dem Haus-LTV Nr. 25 zusteht. Die tarifliche Nachwirkung des gekündigten spezielleren Haus-LTV Nr. 25 scheide aus, weil dieser Tarifvertrag durch den – voll wirksamen – Verbands-LTV Nr. 23 verdrängt worden sei. Der Haus-LTV Nr. 25 finde in dem maßgeblichen Zeitraum auch nicht auf Grund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme Anwendung. Der Arbeitsvertrag verweise zwar auf den Haus-LTV in der jeweils gültigen Fassung. Diese Verweisungsklausel müsse aber iSd. Rechtsprechung als sog. Gleichstellungsabrede korrigierend dahingehend ausgelegt werden, dass auf den jeweils im Betrieb geltenden Tarifvertrag verwiesen werde.

2. Das hält im Ergebnis der Revision des Klägers stand, der nur die Ablehnung des vertraglichen Anspruchs auf Grund der Bezugnahmeklausel angreift.

Entgegen der Auffassung des Klägers führt die Verweisung in § 9 des Arbeitsvertrags nicht dazu, dass er im Mai und Juni 2004 Vergütung nach dem – zum 31. Dezember 2003 gekündigten – Haus-LTV Nr. 25 verlangen kann. Maßgebend ist für ihn der Verbands-LTV Nr. 23. Das ergibt die Auslegung des Arbeitsvertrages nach den §§ 133, 157 BGB.

a) Der Arbeitsvertrag verweist in § 9 auf den “Lohntarifvertrag für die Omnibusfahrer und Schaffner” bei der – heute anders firmierenden – Beklagten zu 1. und auf die “Zusatzvereinbarung für die Omnibusfahrer im OZL-Dienst im Großraum M… in der jeweils gültigen Fassung”. Die Auslegung dieser besonderen vertraglichen Vereinbarung ergibt, dass zwischen den Parteien nicht allein der Haus-LTV in seiner jeweiligen Fassung vereinbart war, sondern auch der jeweils für die Omnibusfahrer der Beklagten zu 1. geltende (Haus- oder Verbands-)Lohntarifvertrag.

Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und ergänzend aus dem Umstand, dass auch auf die tarifvertragliche Zusatzvereinbarung für die Omnibusfahrer in den Omnibuszubringerliniendiensten im Großraum M… verwiesen ist, bei der es sich jedenfalls nicht um einen Haustarifvertrag für die Beklagte zu 1. handelte.

b) Im Streitzeitraum war der für den Kläger nach § 9 des Arbeitsvertrages geltende Lohntarifvertrag der Verbands-LTV Nr. 23. Die daraus sich ergebenden Ansprüche hat die Beklagte zu 1. erfüllt.

aa) Zunächst galten auf Grund der arbeitsvertraglichen Verweisung die Haus-Lohntarifverträge, welche die Beklagte zu 1. abgeschlossen hatte und an die sie gebunden war. Diese Tarifverträge waren auch die im Sinne der Verweisung “geltenden”, obwohl die Beklagte zu 1. auch an die jeweiligen Verbandstarifverträge gebunden war, weil sie diese allgemeineren Tarifverträge auch tarifvertragsrechtlich nach dem Spezialitätsprinzip verdrängten.

bb) Ab dem 1. Januar 2004 wurde dann aber der nach Eintritt der Nachwirkung des Haus-LTV Nr. 25 abgeschlossene Verbands-LTV Nr. 23 der bei der Beklagten zu 1. geltende Lohntarifvertrag. Er verdrängte tarifrechtlich als andere Abmachung den auf Grund der Kündigung zum 31. Dezember 2003 nachwirkenden Haus-LTV Nr. 25, so dass dieser jedenfalls im Mai und Juni 2004 nicht mehr galt.

(1) Nach § 4 Abs. 5 TVG gelten nach Ablauf eines Tarifvertrages seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Das kann durch einen für beide Parteien geltenden Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder eine arbeitsvertragliche Regelung erfolgen. Mit der Nachwirkung soll im Interesse der Vertrags- und Tarifvertragsparteien eine Überbrückungsregelung geschaffen werden, die die zwischenzeitliche Bestimmung der bisher tarifvertraglich geregelten Arbeitsbedingungen nach anderen Regelungen und bei deren Fehlen nach § 613a Abs. 2 BGB entbehrlich macht. Die Nachwirkung des abgelaufenen Tarifvertrages entfällt aber nur insoweit, als die andere Abmachung denselben Regelungsbereich erfasst.

(2) Danach ist vorliegend tarifrechtlich von der Ablösung des nachwirkenden Haus-LTV Nr. 25 durch den ab 1. Januar 2004 geltenden Verbands-LTV Nr. 23 auszugehen. Bei Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers ist auf Grund der Mitgliedschaft der Beklagten zu 1. im zuständigen Arbeitgeberverband die kongruente Tarifbindung an den Verbands-LTV Nr. 23 gegeben. Der Geltungsanspruch dieses Tarifvertrages erfasst dann auch das Arbeitsverhältnis der Parteien und betrifft auch den hier relevanten Regelungsbereich des nachwirkenden Haus-LTV Nr. 25, dh. die Vergütung der Busfahrer. Daran ändert § 7 Nr. 4 des Haus-LTV Nr. 25 nichts, in dem bestimmt ist, dass bis zum Inkrafttreten eines neuen Lohntarifvertrages der gekündigte Lohntarifvertrag weiter anzuwenden sei. Diese Regelung entspricht der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG. Sie ist nicht dahingehend auszulegen, dass eine Ablösung des nachwirkenden Haus-LTV nur durch einen neuen Haus-LTV und nicht durch einen Verbands-LTV erfolgen kann.

Die Ersetzung des Haus-LTV durch den Verbands-LTV entsprach im Übrigen auch der Verhandlungssituation bei Abschluss des Verbands-LTV auf Grund des Schreibens der Beklagten zu 1. vom 23. Oktober 2003.

(3) Weil tarifrechtlich der Verbands-LTV Nr. 23 den nachwirkenden Haus-LTV Nr. 25 abgelöst hat, kommt es nicht zu einer Tarifkonkurrenz zwischen diesen beiden Tarifverträgen. Insoweit ist die Frage, ob ein nachwirkender Tarifvertrag nach § 4 Abs. 5 TVG durch einen anderen Tarifvertrag abgelöst wird, vorrangig zu der Frage, wie das Konkurrenzverhältnis zwischen einem nachwirkenden Firmentarifvertrag und einem bereits vor Eintritt der Nachwirkung abgeschlossenen und unverändert voll wirksamen Verbandstarifvertrag zu lösen ist (für einen allgemeinen Vorrang des voll wirksamen Verbandstarifvertrages Wiedemann Anm. AP TVG § 3 Nr. 2; Wiedemann/Wank TVG 7. Aufl. § 4 Rn. 290; Kempen/Zachert/Wendeling-Schröder TVG 4. Aufl. § 4 Rn. 174; Löwisch/Rieble FS Schaub S. 457, 462 f.; Däubler Tarifvertragsrecht 3. Aufl. Rn. 1496; Koberski/Clasen/Menzel TVG Stand November 1999 § 4 Rn. 192; Däubler/Zwanziger TVG 2. Aufl. § 4 Rn. 938; abweichend Däubler/Bepler § 4 Rn. 861).

(4) Der Ablösung der Nachwirkung steht nicht entgegen, dass die Vergütung nach dem Verbands-LTV deutlich niedriger ist als nach dem nachwirkenden Haus-LTV. Die Überbrückungsfunktion der Nachwirkung beinhaltet zwar auch einen Inhaltsschutz, weil die bisherigen Arbeitsbedingungen zunächst bestehen bleiben und nicht einseitig durch den Arbeitgeber verändert werden können. Daraus folgt aber nicht, dass im Verhältnis zwischen nachwirkendem Tarifvertrag und “anderer Abmachung” das Günstigkeitsprinzip Anwendung fände.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

 

Unterschriften

Bepler, Wolter, Creutzfeldt, Kiefer, Pieper

 

Fundstellen

Haufe-Index 1848552

NZA 2008, 552

ZTR 2008, 278

AP, 0

EzA-SD 2007, 20

EzA

ArbRB 2008, 45

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