Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung eines Betriebsratsmitglieds

 

Leitsatz (redaktionell)

1 Bei der Interessenabwägung im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung nach den §§ 626 BGB, 15 KSchG ist zur Ermittlung der (fiktiven) Frist zur ordentlichen Kündigung vorläufig weiterhin die Regelung des § 622 Abs 2 BGB zugrundezulegen.

2 Wenn die Klage des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung für die Dauer eines Kündigungsrechtsstreites vom Arbeitsgericht schon deswegen abgewiesen wird, weil es die Kündigung für wirksam erachtet, bedarf es hinsichtlich des vom Arbeitnehmer im Berufungsverfahren weiter verfolgten Beschäftigungsanspruches keiner gesonderten Berufungsbegründung (Aufgabe der im Urteil des Senats vom 13. Juni 1985 - 2 AZR 452/84 - EzA § 1 KSchG Nr 41 vertretenen gegenteiligen Auffassung).

3 Der Senat hält daran fest, daß unter den vom Großen Senat im Beschluß vom 27. Februar 1985 (GS 1/84 = BAGE 48, 122 = AP Nr 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) bestimmten Voraussetzungen und Grenzen der gekündigte Arbeitnehmer einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses hat.

 

Normenkette

BGB § 611; KSchG § 15; BGB § 626 Abs. 1-2, § 622 Abs. 2; ZPO § 518 Abs. 3; BetrVG § 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 04.07.1986; Aktenzeichen 4 Sa 196/86)

ArbG Celle (Entscheidung vom 29.10.1985; Aktenzeichen 2 Ca 204/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Klägers und darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.

Der am 25. Mai 1945 geborene Kläger ist verheiratet und für drei Personen unterhaltspflichtig. Er war seit dem 1. August 1974 als Wellpappenmaschinenführer zuletzt zu einem Stundenlohn von 15,80 DM brutto bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden im Betrieb der Beklagten tätig. Die Beklagte beschäftigt ca. 160 Arbeitnehmer. Die Parteien sind tarifgebunden. Die ordentliche Kündigungsfrist des Klägers beträgt nach § 17 Abs. 1 MTV zwei Wochen zum Wochenschluß, weil der Kläger zum Kündigungszeitpunkt das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

Im Betrieb der Beklagten besteht seit 1978 ein Betriebsrat. Der Kläger war an seiner Bildung seinerzeit maßgeblich beteiligt und gehört seitdem ununterbrochen dem Betriebsrat an.

Am 28. Januar 1985 erhielt der Kläger eine schriftliche Abmahnung, weil er eine ihm zugewiesene Arbeit, Kreismesserkörper von verhärtetem Staub zu befreien, nicht erledigt haben sollte. Dieser Abmahnung trat der Kläger entgegen. Seine Einwendungen wurden zur Personalakte genommen. Tatsächlich hatte der Kläger zur Zeit der Abmahnung bereits mehr als die Hälfte der Kreismesserkörper gereinigt. Die Beklagte warf ihm aber vor, am 28. Januar 1985 wider besseres Wissen behauptet zu haben, er habe mit der Arbeit überhaupt noch nicht begonnen.

Zum 1. September 1984 hatte die Beklagte einen neuen technischen Werkleiter, den Zeugen K, eingestellt. Dieser ist nach Auffassung der Beklagten leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG. Ihm sind zwei Produktionsleiter unterstellt. Er ist verantwortlich für die ordnungsgemäße Gesamtproduktion im Hinblick auf Qualität und zeitgerechte Ausführung. Er ist Vorgesetzter des Klägers, jedoch besitzt er keine Einstellungs- und Entlassungsbefugnis. Andererseits hat er den Tatbestand, der zur Abmahnung des Klägers im Januar 1985 führte, selbst mit festgestellt und das Abmahnungsschreiben diktiert, es jedoch von einem der Geschäftsführer, denen er direkt unterstellt ist, unterschreiben lassen.

Am 18. April 1985 fand eine Betriebsversammlung statt, an der etwa 80 Belegschaftsmitglieder einschließlich des Werkleiters K und der Geschäftsführer L und R teilnahmen. Nachdem der Betriebsratsvorsitzende La seinen Bericht erstattet hatte, der nicht vorher förmlich vom Betriebsrat beschlossen war, meldete sich der Kläger zu Wort und griff zunächst den Betriebsratsvorsitzenden an. Anschließend wandte er sich an die Geschäftsführung und kam auf den Betriebsleiter K zu sprechen. Er äußerte sich u.a. wie folgt: "Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Geschäftsleitung fragen, insbesondere Herrn L, welche Aufgaben hat der technische Werkleiter Herr K ? Er ist doch nicht nur dazu da, den Leistungsdruck auf die Mitarbeiter zu erhöhen, die Mitarbeiter einzuschüchtern, das Abmahnwesen aufzubauschen und Persönlichkeitsrechte zu verletzen." Der Kläger sagte aber auch, der Werkleiter sei sicher fachlich qualifiziert, sein menschliches Verhalten gegenüber den Mitarbeitern sei jedoch unmöglich. Der Kläger erklärte ferner, alle diese Feststellungen könne er beweisen und Zeugen bringen. Als Beispiel führte der Kläger an, ein Mitarbeiter habe eine zwei Minuten lange Teepause gemacht und sei von Herrn K angefaucht worden, er möge sich an die Arbeit machen. Als weiteres Beispiel führte er an, ein anderer Mitarbeiter sei zur Werksleitung bestellt worden, und habe ihn als Betriebsratsmitglied seiner Wahl zur Begleitung mitgenommen. Der Werkleiter habe dies nicht zugelassen. Man werde hier wie ein Hund zur Arbeit getrieben. Der Werkleiter behindere die Arbeit des Betriebsrats. Soweit sei es hier schon wieder gekommen, er appelliere an die Geschäftsleitung, daß diese ihrer Fürsorgepflicht nachkomme, eine solche habe sie nun einmal, sie müsse derartige Machenschaften unterbinden, oder werde so ein Vorgehen noch unterstützt. Zum Geschäftsführer L gewandt äußerte er dann noch, das könne er ruhig aufschreiben. Dem Kläger wurde, weil eine erhebliche Unruhe in der Betriebsversammlung entstand, dann vom Betriebsratsvorsitzenden das Wort entzogen.

Mit Schreiben vom 19. April 1985 an den geschäftsführenden Gesellschafter Re bat der Werkleiter K darum, die erforderlichen Konsequenzen aus dem Verhalten des Klägers zu ziehen. Die Beklagte nahm dann auch den Auftritt des Klägers in der Betriebsversammlung zum Anlaß, den Betriebsrat um Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Klägers zu ersuchen. Sie wandte sich mit Schreiben vom 26. April 1985 an den Betriebsrat und führte als weiteren Kündigungsgrund an, der Kläger habe Herrn K in einem Gespräch vorgeworfen, "er bediene sich bei seiner Arbeit KZ-Methoden". Der Betriebsrat tagte am 29. April 1985 mit zwei Ersatzmitgliedern für das verhinderte Betriebsratsmitglied B und den befangenen Kläger. Nach der Sitzungsniederschrift vom 29. April 1985 hat der Kläger bei seiner Anhörung eingeräumt, er habe den Ausdruck "KZ-Methoden" Herrn K gegenüber gebraucht, dieser habe den Ausdruck jedoch falsch interpretiert. Mit Schreiben vom 29. April 1985 teilte der Betriebsrat der Beklagten mit, er stimme der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG mehrheitlich zu. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 29. April 1985 das Arbeitsverhältnis fristlos.

Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit der am 3. Mai 1985 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gewehrt.

Er ist der Auffassung, ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung liege nicht vor. Seine Äußerungen auf der Betriebsversammlung stellten keine Beleidigung der Geschäftsleitung oder des Werkleiters K dar. Außerdem hat er behauptet, der Beschluß des Betriebsrats sei nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, weil die Ersatzmitglieder vom Betriebsratsvorsitzenden nicht entsprechend den Listen hinzugezogen worden seien. Dies habe die Beklagte gewußt. Der Kläger hat bestritten, dem Werkleiter am 27. und/oder 28. März 1985 vorgeworfen zu haben, dieser bediene sich KZ-Methoden. Richtig sei allein, daß er eine ähnliche Äußerung im Januar 1985 Herrn K gegenüber im Zusammenhang mit der unberechtigten Abmahnung gemacht habe. Im übrigen sei für diese Vorwürfe ohnehin die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Schließlich ergebe eine Interessenabwägung unter Einbeziehung von mehr als 10 Jahren unbeanstandeter Arbeit, daß die fristlose Kündigung eine unangemessene Reaktion darstelle.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen

den Parteien durch die fristlose Kündigung der

Beklagten vom 29. April 1985 nicht aufgelöst worden

ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger ab der

positiven Entscheidung gemäß Klageantrag 1.

tatsächlich als Wellpappenmaschinenführer zu

den bisherigen Arbeitsbedingungen in ihrem Betrieb

weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Zustimmung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erteilt. Sie habe sich auf die schriftliche Zustimmung des Betriebsratsvorsitzenden und des Schriftführers des Betriebsrats verlassen. Wer im einzelnen vom Betriebsratsvorsitzenden zur Sitzung hinzugezogen sei, entziehe sich ihrer Kenntnis. Darauf habe sie auch keinerlei Einflußmöglichkeiten. Sie stellt sich auf den Standpunkt, der Kläger habe durch seine Äußerungen auf der Betriebsversammlung und seine Äußerung gegenüber Herrn K sowohl die beiden Geschäftsführer als auch den Werkleiter K in besonders grober Weise beleidigt und in ihrer Ehre herabgesetzt. Deshalb sei es ihr nicht zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen. Der Kläger habe nämlich durch seine Äußerungen auf der Betriebsversammlung vom 18. April 1985 die Behauptung aufgestellt, die Geschäftsführer der Beklagten hätten K nur zu dem Zweck eingestellt, um gegenüber Arbeitnehmern ungesetzliche Maßnahmen durchzusetzen, nämlich diese zu abnormen Höchstleistungen anzutreiben, und zwar unter Verletzung von Persönlichkeitsrechten und der Menschenwürde und mit menschenschinderischen Methoden, wobei K sich zu diesen Dingen hergegeben habe. Die Beispiele, die der Kläger gebracht habe, könnten seine ungeheuerliche These nicht stützen. Am 27. März 1985 habe der Werkleiter K den Arbeiter Y angetroffen, mit einem Topf Tee auf einem Wellpappenstapel sitzend, die Beine angezogen und Zeitung lesend. Nachdem sich der Werkleiter dies eine Weile angeschaut habe, habe er ihm dann gesagt, er wünsche nicht, daß er während der Arbeitszeit Zeitung lese, das sei nicht das erste Mal. Wenn dies noch einmal vorkomme, müsse er mit einer Abmahnung rechnen. Im Papierlager sei es zu Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Arbeitern V und M gekommen. Der Arbeiter V habe gemeint, man brauche einen Organisationsplan. Daraufhin habe der Werkleiter K Herrn V gesagt, er solle gleich mitkommen, dann könne man in seinem Büro darüber sprechen. Der Kläger habe darauf bestanden, bei der Unterhaltung dabei zu sein und sei einfach mitgegangen, obwohl es nicht um arbeitsrechtliche Fragen, sondern um Organisationsfragen gegangen sei. Er habe das Büro des Werkleiters erst nach mehrmaliger Aufforderung verlassen, als auch Herr V dem Kläger gesagt habe, daß er allein mit dem Werkleiter sprechen wolle.

Die Beklagte hält den Auftritt des Klägers auf der Betriebsversammlung nicht für eine einmalige Entgleisung, sondern für ein geplantes Vorgehen. Das ergebe sich schon daraus, daß der Kläger sich kurz zuvor dem Werkleiter K gegenüber ohne ersichtlichen Anlaß in übelster Weise beleidigend geäußert habe. K habe den Kläger bereits am 27. November und 4. Dezember 1984 bei ungerechtfertigten Pausen angetroffen und deshalb Veranlassung gehabt, ihn an seine Arbeit zu schicken. Am 27. März 1985 habe K den Kläger im Papierlager angetroffen, das sich in einiger Entfernung vom Arbeitsplatz des Klägers an der Wellpappenanlage sich befinde und wo der Kläger keine Arbeit zu verrichten gehabt habe. Der Kläger habe sich mit dem Zeugen Sch unterhalten. K habe den Kläger aufgefordert, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Den Einwand des Klägers, er habe dem Arbeitskollegen Sch beim Rollenabladen geholfen, habe der Werkleiter nicht gelten lassen, weil der Kläger zum Helfen nicht beauftragt gewesen sei und die leichte Arbeit des Abladens der leeren Papierrollen seit eh und je von einem Arbeitnehmer allein gemacht werde. Trotzdem habe der Kläger zu Herrn K anschließend gesagt, "Das, was Sie hier machen, sind doch KZ- Methoden." Am nächsten Tage sei der Kläger von sich aus noch einmal zu dem Werkleiter gegangen und sei auf den Vorfall vom Vortage zurückgekommen. Er habe sich bei Herrn K beschwert und zu ihm gesagt: "Das ist ja wie im KZ, wie man hier behandelt wird." Erst einen Tag vor der Betriebsversammlung vom 18. April 1985 habe Herr K, als über die kommende Betriebsversammlung gesprochen worden sei, die Geschäftsführer von den Vorgängen am 27. und 28. März 1985 informiert. Im Verlaufe seiner Anhörung vor dem Betriebsrat habe der Kläger im übrigen seine KZ-Äußerungen gegenüber Herrn K zugegeben. Die Beklagte meint, gröber, als es der Kläger gegenüber Herrn K getan habe, könne jemand, der in einem Betrieb der Bundesrepublik Deutschland eine Vorgesetztenfunktion auszuüben habe, überhaupt nicht beleidigt werden. Eine solche Beleidigung des angestellten Vorgesetzten sei aber auch zugleich eine Beleidigung des Arbeitgebers.

Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung des Betriebsratsvorsitzenden La und des Werkleiters K als Zeugen die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, soweit dieses die Feststellungsklage abgewiesen hat, insoweit der Klage stattgegeben und im übrigen die Berufung zurückgewiesen.

Mit der Revision begehrt die Beklagte, das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben, soweit es das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert hat und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts auch insoweit zurückzuweisen. Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen und begehrt im Wege der Anschlußrevision, das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben, soweit es den Antrag auf Weiterbeschäftigung zurückgewiesen hat und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Die Beklagte beantragt, die Anschlußrevision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Revision und Anschlußrevision sind begründet. Aus diesem Grunde war das Urteil aufzuheben und an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

A.I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Pflichtverletzung eines Betriebsratsmitglieds wiege ebenso schwer wie die Pflichtverletzung eines jeden anderen Arbeitnehmers. Es sei aber im Gegensatz zu dem Arbeitsgericht nicht davon überzeugt, daß der Kläger auf der Betriebsversammlung die Geschäftsführer oder den Werkleiter K grob beleidigt habe. Beleidigenden Charakter habe zwar die Äußerung des Klägers, man werde hier wie ein Hund an die Arbeit getrieben. Diese Äußerung könne aber nicht verwertet werden, weil zu ihr der Betriebsrat nicht gehört worden sei. Gleiches gelte für die Einlassung des Klägers, der Werkleiter K habe die Betriebsratsarbeit behindert. Keine grobe Beleidigung könne in den Äußerungen des Klägers gesehen werden, Herr K erhöhe den Leistungsdruck auf die Mitarbeiter und bausche das Abmahnwesen auf. Hierbei handele es sich um überspitzte Äußerungen, für die der Kläger hinreichend Rechtfertigungsgründe gehabt habe. Auch der Äußerung des Klägers, der Werkleiter K schüchtere die Mitarbeiter ein, könne keine grobe Beleidigung entnommen werden. Gewichtiger erscheine der Vorwurf, der Zeuge K verletze Persönlichkeitsrechte. Hierzu habe das Verhalten des Werkleiters keinen Anlaß gegeben. Deshalb habe der Kläger auch nach Überzeugung des Landesarbeitsgerichts den Zeugen K beleidigt. Dagegen reiche der Ausdruck "Machenschaften" nicht aus, um eine Beleidigung anzunehmen.

Dagegen habe der Kläger Herrn K in einer unglaublichen Weise beleidigt, indem er ihm am 27. und 28. März 1985 vorgehalten habe, er bediene sich KZ-Methoden. Besonders erschwerend sei, daß der Kläger diese Äußerung nicht nur im Affekt getan habe, sondern einen Tag später kühlen Kopfes die Äußerung wiederholt habe. Die Beklagte habe von diesen Äußerungen erst am 17. April 1985 Kenntnis erlangt. Sie müsse sich aber die Kenntnis des Werkleiters wie eigene Kenntnis anrechnen lassen, so daß insoweit die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt sei. Die Beklagte habe aber auf die verfristeten Kündigungsgründe unterstützend zurückgreifen können. Dabei geht das Berufungsgericht im Gegensatz zum Bundesarbeitsgericht davon aus, daß es nicht darauf ankomme, ob die früheren Vorgänge mit den innerhalb der Ausschlußfrist bekannt gewordenen Tatsachen in einem Zusammenhang stehen, so daß die neuen Vorgänge ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bilden. Bei der Interessenabwägung sei von der 14-tägigen Frist zum Wochenende auszugehen. Unter Berücksichtigung der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers, der Unterhaltsverpflichtung gegenüber drei Personen und der Tatsache, daß er als Betriebsratsmitglied eher in Gefahr gerät, mit dem Arbeitgeber in Konfrontation zu geraten als andere Arbeitnehmer und dem Umstand, daß der Zeuge K dafür gesorgt habe, daß der Kläger im Januar 1985 eine unberechtigte Abmahnung erhalten habe, sei eine fristlose Kündigung nicht unabweisbar gewesen. Auch zur Aufrechterhaltung der Autorität des Werkleiters K und zur Disziplinierung sei es nicht erforderlich gewesen, dem Kläger fristlos zu kündigen.

II. Diesen Ausführungen des Berufungsgerichts kann nicht in allen Punkten gefolgt werden.

1. Mit dem Berufungsgericht ist davon auszugehen, daß der Betriebsrat der Kündigung wirksam zugestimmt hat. Dies ergibt sich aus der Sitzungsniederschrift des Betriebsrats vom 29. April 1985.

2. Die Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB durch das Berufungsgericht kann vom Revisionsgericht nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob der Sachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei berücksichtigt worden sind (BAG Urteil vom 20. September 1984 - 2 AZR 633/82 - AP Nr. 80 zu § 626 BGB und Urteil vom 26. August 1976 - 2 AZR 377/75 - AP Nr. 68 zu § 626 BGB). Auch bei Anwendung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält das angefochtene Urteil der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Zu Unrecht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach bei der außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen Verletzung von Amts- und Arbeitsvertragspflicht ein besonders strenger Maßstab "anzulegen sei" (vgl. zuletzt BAG Beschluß vom 16. Oktober 1986 - 2 ABR 71/85 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen), führe zu einer unzulässigen Begünstigung des Amtsträgers. Der besonders strenge Maßstab dient nur dazu, die Amtstätigkeit des Betriebsratsmitglieds zu schützen (BAG Urteil vom 25. Mai 1982 - 7 AZR 155/80 - nicht veröffentlicht und Beschluß vom 16. Oktober 1986, aaO). Eine Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, die im Rahmen einer Amtstätigkeit begangen wird, kann aus einer Konfliktsituation entstanden sein, der ein Arbeitnehmer, der nicht Betriebsratsmitglied ist, nicht ausgesetzt ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn es bei schwierigen Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu erregten Auseinandersetzungen kommt, die je nach Persönlichkeitsstruktur der Teilnehmer zu verbalen Entgleisungen führen. Der nur insofern "besonders strenge" Maßstab ist also nur Ausdruck einer besonderen Situationsgerechtigkeit. Von ihm ist auch im vorliegenden Fall auszugehen.

b) Das Berufungsgericht hat festgestellt, der Kläger habe auf der Betriebsversammlung vom 18. April 1985 zur Geschäftsleitung gewandt gefragt, der technische Werkleiter K sei doch nicht nur dazu da, den Leistungsdruck auf die Mitarbeiter zu erhöhen, die Mitarbeiter einzuschüchtern, das Abmahnwesen aufzubauschen und Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Weiter hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, der Kläger habe gesagt, man werde hier wie ein Hund zur Arbeit getrieben. Der Werkleiter behindere die Arbeit des Betriebsrats. Soweit sei es hier schon wieder gekommen, er appelliere an die Geschäftsleitung, daß diese ihrer Fürsorgepflicht nachkomme, eine solche habe sie nun einmal. Sie müsse derartige Machenschaften unterbinden, oder werde so ein Vorgehen noch unterstützt? Das Berufungsgericht hat außerdem festgestellt, der Kläger habe am 27. März 1985 dem Werkleiter K vorgeworfen, das, was er hier mache, seien KZ-Methoden, als er ihn fern von seinem Arbeitsplatz bei einer privaten Unterhaltung überraschte und an seine Arbeit schickte. Am 28. März 1985 habe der Kläger Herrn K noch einmal aufgesucht, ihn auf den Vorfall vom Vortage angesprochen und gesagt, "Das ist ja wie im KZ, wie man hier behandelt wird".

An diese Feststellungen ist der Senat gebunden, weil sie nicht mit einer begründeten Prozeßrüge angegriffen sind.

c) Die Revision rügt zu Unrecht, das Berufungsgericht habe nicht alle getroffenen Feststellungen bei der Würdigung, ob die außerordentliche Kündigung wirksam ist, berücksichtigt.

aa) Das Berufungsgericht hat zutreffend auf die Senatsentscheidung vom 18. Dezember 1980 (BAGE 34, 309 = AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972) abgestellt: In dieser Entscheidung hat der Senat ausgeführt, nachgeschobene Kündigungsgründe, die bereits vor Ausspruch der Kündigung entstanden und dem Arbeitgeber bekannt gewesen sind, die er aber dem Betriebsrat nicht mitgeteilt hat, seien im Kündigungsschutzprozeß jedenfalls dann nicht zu verwerten, wenn der Betriebsrat der Kündigung nicht bereits aufgrund der ihm mitgeteilten Gründe zugestimmt habe. Nach dem Urteil des Siebten Senats vom 1. April 1981 (BAGE 35, 190 = AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972) gilt dies auch dann, wenn der Betriebsrat der Kündigung aufgrund der ihm mitgeteilten Gründe zugestimmt hat. Vorliegend handelt es sich zwar nicht um ein Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG, sondern um das Zustimmungsverfahren nach § 103 Abs. 1 BetrVG. Da das Zustimmungsverfahren nach § 103 BetrVG gegenüber § 102 BetrVG eine qualifizierte Beteiligung ist, sind die für das Anhörungsverfahren geltenden Grundsätze entsprechend auch auf das Zustimmungsverfahren anzuwenden. Das rechtfertigt es auch hier, an das Nachschieben von Kündigungsgründen kollektivrechtlich die gleichen Anforderungen zu stellen wie bei § 102 Abs. 1 BetrVG. Dies zieht auch die Revision nicht in Zweifel. Sie ist nur zu Unrecht der Auffassung, das Berufungsgericht habe das Anhörungsschreiben der Beklagten unzutreffend ausgelegt. Die Revision greift die Ausführungen des Senats im Urteil vom 18. Dezember 1980 (aaO) auf, der Arbeitgeber müsse nur die wesentlichen Kündigungsgründe mitteilen. Nach der Auffassung des Senats ist zwar ein Arbeitgeber, der eine Kündigung auf mehrere Gründe stützen könnte, nicht gehalten, dem Betriebsrat auch solche Gründe mitzuteilen, die er tatsächlich nicht zum Anlaß für die Kündigung nehmen will. Die Revision übersieht aber, daß der Senat gerade in dem Urteil vom 18. Dezember 1980 (aaO) entschieden hat, daß der Arbeitgeber sich im Kündigungsschutzprozeß nur auf solche Gründe berufen könne, die er vorher dem Betriebsrat mitgeteilt hatte.

Die Revision rügt auch zu Unrecht, das Landesarbeitsgericht habe das Anhörungsschreiben unrichtig ausgelegt und deshalb nicht alle beleidigenden Äußerungen des Klägers bei seiner Würdigung berücksichtigt. Die Beklagte hat in dem Anhörungsschreiben zwar formuliert, der Kläger habe "sich auf der Betriebsversammlung zu Wort gemeldet und u.a. wie folgt erklärt:". Daraus ergibt sich aber nicht, daß die Beklagte die Kündigung auf alle Äußerungen des Klägers hat stützen wollen, die dieser auf der Betriebsversammlung abgegeben hatte. Vielmehr ergibt sich aus der zweiseitigen Auflistung der inkriminierten Äußerungen, daß die Beklagte allein auf diese die Kündigung hat stützen wollen. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts steht auch nicht in Widerspruch zur Senatsentscheidung vom 27. Juni 1985 (- 2 AZR 412/84 - AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972), wonach es keiner weiteren Darlegung der Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber mehr bedarf, wenn der Betriebsrat bei Einleitung des Anhörungsverfahrens bereits über den erforderlichen Kenntnisstand verfügt, um über die konkret beabsichtigte Kündigung eine Stellungnahme abgeben zu können. Der Senat hat nämlich auch in dieser Entscheidung verlangt, daß der Betriebsrat wenigstens wissen muß, auf welche Vorwürfe der Arbeitgeber die Kündigung stützen will. Hätte er vorliegend auf alle Äußerungen des Klägers in der Betriebsversammlung die Kündigung stützen wollen, hätte dies zum Ausdruck kommen müssen. Die Beklagte hätte sich dann darauf beschränken können, den Betriebsrat pauschal darauf hinzuweisen, der Kläger habe auf der Betriebsversammlung beleidigende Äußerungen gegenüber der Geschäftsleitung und dem Werkleiter K abgegeben, die ihm, dem Betriebsrat, bekannt seien, weshalb auf eine Wiederholung verzichtet werde. Gerade das hat aber die Beklagte nicht getan, vielmehr hat sie aus den Äußerungen des Klägers diejenigen herausgegriffen, die ihr besonders verwerflich erschienen und auf die sie deshalb die Kündigung stützen wollte. Der Betriebsrat hat nach den konkreten Umständen des vorliegenden Falles deshalb davon ausgehen müssen, die Beklagte habe die Kündigung nur auf die Umstände stützen wollen, die sie in dem Anhörungsschreiben hervorgehoben hat.

bb) War die Beklagte mit der Äußerung des Klägers, bei der im übrigen unklar ist, ob sie auf der Betriebsversammlung oder nur gegenüber einem Betriebsratsmitglied gefallen ist: "Hier wird man wie ein Hund zur Arbeit getrieben", im Kündigungsprozeß ausgeschlossen, ist auch die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe § 286 ZPO verletzt, indem es gerade diese Äußerung nicht berücksichtigt habe, nicht begründet.

d) Zu Recht rügt die Revision aber, das Landesarbeitsgericht habe die in einem Zusammenhang stehenden Äußerungen des Klägers getrennt bewertet und sei deshalb zu einem unrichtigen Ergebnis gekommen. Es macht in der Tat einen Unterschied, ob ein Arbeitnehmer seinem Vorgesetzten entweder vorwirft, er erhöhe den Leistungsdruck oder er bausche das Abmahnwesen auf oder er schüchtere die Mitarbeiter ein. Wird nur eine dieser Erklärungen abgegeben, kann in der Tat von einer überspitzten Kritik gesprochen werden, die auf einer Betriebsversammlung hinzunehmen ist. Fragt aber ein Betriebsratsmitglied die Geschäftsleitung auf einer Betriebsversammlung rhetorisch, welche Aufgaben denn der technische Werkleiter habe. Er sei doch nicht n u r dazu da, den Leistungsdruck auf die Mitarbeiter zu erhöhen, die Mitarbeiter einzuschüchtern, das Abmahnwesen aufzubauschen und Persönlichkeitsrechte zu verletzen, so ergibt der Zusammenhang dieser Äußerungen, daß hier über das Maß einer auch polemischen Kritik hinaus dem Werkleiter vorgeworfen wird, die ihm untergebenen Mitarbeiter in menschenverachtender Weise zu behandeln. Mittelbar wird der Geschäftsleitung der Vorwurf gemacht, das Verhalten des Werkleiters zu dulden. Aus diesem Grunde hat der Kläger schon durch seine Äußerungen in der Betriebsversammlung den Werkleiter und die Geschäftsleitung in grobem Maße unsachlich angegriffen. Es ist nicht auszuschließen, daß das Landesarbeitsgericht bei einer Gesamtwürdigung der im sachlichen Zusammenhang stehenden Äußerungen des Klägers zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Schon aus diesem Grunde war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

3. Zu Unrecht rügt die Revision, das Berufungsgericht habe die zweimaligen Äußerungen des Klägers, der Werkleiter K wende KZ-Methoden an, nur unterstützend berücksichtigt. Es ist nicht rechtsfehlerhaft, wenn das Landesarbeitsgericht angenommen hat, diese beiden Kündigungsgründe seien nach § 626 Abs. 2 BGB verfristet.

a) Nach der Senatsrechtsprechung (BAGE 23, 475, 482 und 24, 341, 344 = AP Nr. 1 und 3 zu § 626 BGB Ausschlußfrist sowie BAGE 29, 158 = AP Nr. 11 zu § 626 BGB Ausschlußfrist) genügt für den Fristbeginn ausnahmsweise die Kenntnis eines Dritten. Der Kündigungsberechtigte muß sich nach dieser Rechtsprechung die Kenntnis eines Dritten nach Treu und Glauben dann zurechnen lassen, wenn dessen Stellung im Betrieb nach den Umständen des Einzelfalles erwarten läßt, er werde den Kündigungsberechtigten von dem Kündigungssachverhalt unterrichten. Der Kündigungsberechtigte darf sich dann nicht auf seine erst später erlangte Kenntnis berufen, wenn dies darauf beruht, daß die Organisation des Betriebs zu einer Verzögerung des Fristbeginns führt, obwohl eine andere Organisation sachgemäß und zumutbar wäre.

b) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Geschäftsführer der Beklagten hätten erst am 17. April 1985 davon erfahren, daß der Kläger dem Werkleiter K am 27. und 28. März 1985 KZ-Methoden vorgeworfen hatte. In Anwendung der Senatsrechtsprechung ist das Berufungsgericht aber davon ausgegangen, daß die Beklagte sich die Kenntnis des Werkleiters hat zurechnen lassen müssen. Das Landesarbeitsgericht hat dies damit begründet, der Werkleiter K habe eine ähnlich selbständige Stellung wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter und sei nicht nur zur Meldung, sondern auch zur Feststellung der für eine außerordentliche Kündigung maßgebenden Tatsachen verpflichtet. Dies ergebe sich daraus, daß er auch den Sachverhalt ermittelt und weitergegeben habe, der die Abmahnung des Klägers vom 28. Januar 1985 habe rechtfertigen sollen. Er sei aufgrund seiner angenäherten Arbeitgeberstellung verpflichtet gewesen, den kündigungsberechtigten Geschäftsführern diesen Kündigungssachverhalt unverzüglich mitzuteilen. Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

c) Gleichwohl hat die Beklagte die Kündigung auch auf die Vorfälle vom 27. und 28. März 1985 stützen dürfen, da diese Vorgänge mit den innerhalb der Ausschlußfrist bekannt gewordenen derart im Zusammenhang stehen, daß die neuen Vorgänge ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bilden, die zum Anlaß der Kündigung genommen worden sind (BAG Urteil vom 10. April 1975 - 2 AZR 113/74 - AP Nr. 7 zu § 626 BGB Ausschlußfrist). Die Kündigung wurde nämlich auch auf die nicht verfristeten beleidigenden Äußerungen des Klägers auf der Betriebsversammlung gestützt, ob denn der Werkleiter K nur dazu da sei, den Leistungsdruck auf die Mitarbeiter zu erhöhen, die Mitarbeiter einzuschüchtern, das Abmahnwesen aufzubauschen und Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Die Vorgänge vom 27. und 28. März 1985 sind deshalb ein weiteres Glied in der Kette der Ereignisse, die zum Anlaß der Kündigung genommen wurden, weil es sich in beiden Fällen wiederum um beleidigende Äußerungen gegenüber dem Werkleiter K handelte. Zu Recht weist die Beklagte daraufhin, daß schlimmer ein Vorgesetzter in einem Betrieb der Bundesrepublik Deutschland kaum beleidigt werden könne als durch die Äußerung, er bediene sich KZ-Methoden.

Das Landesarbeitsgericht hat diese Vorgänge auch gewürdigt und betont, das Schwergewicht der Vorwürfe liege zweifelsfrei bei den Gründen, die nach § 626 Abs. 2 BGB verfristet seien.

4. Bei der Interessenabwägung ist das Berufungsgericht nicht deshalb von einem falschen Maßstab ausgegangen, weil es geprüft hat, ob es der Beklagten noch zumutbar gewesen ist, für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist (vgl. dazu BAG Urteil vom 14. November 1984 - 7 AZR 474/83 - AP Nr. 83 zu § 626 BGB; BAG Urteil vom 6. März 1986 - 2 AZR 15/85 - EzA § 15 KSchG n.F. Nr. 34) von zwei Wochen zum Wochenende mit dem Kläger weiter zusammen zu arbeiten. Die Revision meint, das Landesarbeitsgericht hätte von einer längeren Kündigungsfrist ausgehen müssen, weil die Nichtberücksichtigung der Beschäftigungsdauer vor Vollendung des 35. Lebensjahres für die verlängerte Kündigungsfrist von älteren Arbeitern nach § 622 Abs. 2 BGB vom Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 16. November 1982 (BGBl. I 1983 S. 81) für verfassungswidrig erklärt worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat aber dem Gesetzgeber aufgegeben, eine Regelung zu treffen, die Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Solange der Gesetzgeber nicht tätig geworden ist, hat der Senat für die Fälle, in denen die ordentliche Kündigung wirksam ist, entschieden, die verfassungswidrige Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB sei mit der Maßgabe vorläufig weiteranzuwenden, daß im Beendigungsrechtsstreit durch Teilurteil das Ende des Arbeitsverhältnisses jedenfalls nicht vor Ablauf der Frist festgestellt wird, die sich aus der Beschäftigungszeit nach Vollendung des 35. Lebensjahres ergibt. Da die Festlegung des endgültigen Zeitpunktes der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Zeit noch nicht möglich sei, müsse der Rechtsstreit im übrigen bis zur gesetzlichen Neuregelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB ausgesetzt werden (BAG Beschluß vom 28. Februar 1985 - 2 AZR 403/83 - und vom 12. Dezember 1985 - 2 AZR 596/84 - AP Nr. 21 und 22 zu § 622 BGB).

a) Vorliegend geht es um die Frage, ob die außerordentliche Kündigung rechtswirksam ist und welche fiktive Frist für die Zumutbarkeit der weiteren Zusammenarbeit der Interessenabwägung zugrunde zu legen ist. Solange der Gesetzgeber noch nicht tätig geworden ist, kann auch in diesem Falle für die Berechnung der Kündigungsfrist nicht von der Betriebszugehörigkeit ausgegangen werden, die der Arbeitnehmer seit Vollendung des 25. Lebensjahres erfüllt hat. Vielmehr ist nach wie vor nur die Betriebszugehörigkeit ab Vollendung des 35. Lebensjahres zu berücksichtigen.

Eine Aussetzung des Rechtsstreites bis zur gesetzlichen Neuregelung ist in Fällen der vorliegenden Art aus folgenden Gründen nicht geboten und vertretbar: Anders als dann, wenn es darum geht, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis durch eine sozial gerechtfertigte ordentliche Kündigung (§ 1 KSchG) oder einen begründeten Auflösungsantrag (§ 9 KSchG) beendet worden ist, führt die vorläufige weitere Anwendung des § 622 Abs. 2 BGB in der bisherigen Fassung nicht zwangsläufig zu einem unabsehbaren Rechtsnachteil für den gewerblichen Arbeitnehmer. Eine (fiktive) längere Kündigungsfrist als nach § 622 Abs. 2 BGB vorgesehen kann sich vielmehr im Rahmen der Interessenabwägung auch nachteilig für ihn auswirken, weil jedenfalls im Grundsatz das Gewicht des wichtigen Grundes im ungekehrten Verhältnis zur Dauer der sonst einzuhaltenden Vertragsbindung steht (BAG Urteil vom 8. Oktober 1957 - 3 AZR 136/55 - BAGE 5, 20 = AP Nr. 16 zu § 626 BGB). Die Weiterbeschäftigung für eine kurze Zeit kann eher zuzumuten sein, als die Fortsetzung eines längerfristigen Vertrages. Das gilt jedoch dann nicht, wenn unter Berücksichtigung der Art der Kündigungsgründe und des Zwecks des verstärkten Bestandsschutzes die Berücksichtigung der längeren Bindung zu einem Wertungswiderspruch führt (vgl. BAG Urteil vom 14. November 1984, aaO). Die Länge der fiktiven Kündigungsfrist kann somit bei der einzelfallbezogenen Interessenabwägung auch nach § 15 KSchG entweder zugunsten oder zum Nachteil des älteren Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein.

Die vorläufige Weiteranwendung des § 622 Abs. 2 BGB zur Bestimmung der fiktiven Kündigungsfrist ist auch deswegen erforderlich, weil die Aussetzung bis zur gesetzlichen Neuregelung auch wegen dieser im Rahmen der Interessenabwägung nach den §§ 15 KSchG, 626 BGB eine unerträgliche Rechtsunsicherheit zur Folge hätte, weil dann die Entscheidung nicht nur über den Beendigungszeitpunkt sondern über den Bestand des Arbeitsverhältnisses selbst unzumutbar lange hinausgeschoben würde.

Dies gilt bis zu dem Zeitpunkt, zu dem infolge der Untätigkeit des Gesetzgebers eine nicht mehr hinnehmbare Lücke in § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB und damit in den § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nachgebildeten Tarifverträgen entstanden ist. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB bereits durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 1982 (aaO) für verfassungswidrig erklärt worden ist und der Gesetzgeber immer noch keine verfassungsgemäße Regelung beschlossen hat, wäre der Zeitpunkt, zu dem die Lücke des bisherigen § 622 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BGB durch eine Entscheidung des Senats geschlossen werden muß, bereits gekommen, wenn nicht durch die Bundestagswahl vom Januar 1987 die Arbeit des Bundestages unterbrochen worden wäre. Sollte der Gesetzgeber auch in der zweiten Hälfte des Jahres 1987 die verfassungswidrige Norm des § 622 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BGB nicht ersetzt haben, sähe sich der Senat im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens gezwungen, die Lücke zu schließen.

b) Der Interessenabwägung des Berufungsgerichts liegt auch nicht der unrichtige Maßstab zugrunde, ausschlaggebend für die Wirksamkeit der Kündigung sei, ob eine ordentliche Kündigung zur Disziplinierung und zur Aufrechterhaltung der Autorität des Werkleiters K erforderlich gewesen wäre. Dem Zusammenhang der Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann entnommen werden, daß dieses sehr wohl von dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB ausgegangen ist, wonach entscheidend ist, daß die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dem Kündigenden nicht zugemutet werden kann. Die Überlegung, daß die außerordentliche Kündigung nicht zur Disziplinierung erforderlich gewesen sei, war eine zusätzliche, wie sich aus der Verwendung des Wortes auch ergibt.

c) Die Interessenabwägung ist aber rechtsfehlerhaft, weil das Berufungsgericht die Äußerungen des Klägers auf der Betriebsversammlung nicht in ihrem Zusammenhang gewürdigt hat (vgl. oben zu II 2 d der Gründe).

5. Dementsprechend war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben. Der Rechtsstreit war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, weil die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 ZPO). Dem Landesarbeitsgericht war Gelegenheit zu geben, nach Zurückverweisung die Äußerungen des Klägers im Zusammenhang zu würdigen. Hierbei hat es auch die Berechtigung der Vorwürfe des Klägers im einzelnen zu prüfen und bei der Würdigung, ob die weitere Zusammenarbeit bis zum Ende der fiktiven Kündigungsfrist zumutbar war, zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht hat dahingestellt sein lassen, ob der Werkleiter K die Tür zur Damentoilette zu Kontrollzwecken geöffnet und dabei die Zeugin G angetroffen hat. Ist dies geschehen, hat der Werkleiter auch Persönlichkeitsrechte verletzt. Unerheblich ist in diesem Fall, ob und an welchem Körperteil sich die Zeugin G gewaschen hat. Die Kennzeichnung eines Raumes als Damentoilette dient dazu, die weiblichen Arbeitnehmer vor der Verletzung ihrer weiblichen Intimsphäre gegenüber Männern zu schützen.

Die massiven Angriffe des Klägers auf den Werkleiter K, insbesondere seine Vorwürfe, dieser schüchtere die Mitarbeiter ein und erhöhe den Leistungsdruck, verlieren an kündigungsrechtlichem Gewicht, wenn die Behauptung des Klägers zutrifft, der Arbeiter Y habe eine schwere, schweißtreibende Arbeit erledigen müssen und danach nur eine kurze Teepause gemacht, um dann scharf vom Werkleiter und Androhung einer Abmahnung angewiesen zu werden, den Arbeitsplatz aufzuräumen und zu säubern, obwohl dies bis dahin nur für das Ende des Arbeitstages angeordnet gewesen sei. Das Gleiche gilt für die Behauptung des Klägers, der Werkleiter habe ihn mit erhobenem Arm an seinen Arbeitsplatz geschickt, als er mit dem Betriebsratsmitglied Be über die Tagesordnung gesprochen habe. Das Berufungsgericht wird schließlich auch festzustellen haben, ob der Werkleiter dem Arbeiter Sch einen Verweis erteilt hat, weil der Kläger ihm geholfen hatte, eine schwere Papierrolle herunterzuheben.

Zu all diesen Behauptungen hat das Landesarbeitsgericht bereits eine sorgfältige Beweisaufnahme durchgeführt. Es hat nunmehr die erhobenen Beweise zu würdigen.

B.I. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Anschlußrevision, mit der weiterhin die Verurteilung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung begehrt wird, nicht bereits deshalb unbegründet, weil die Berufung insoweit unzulässig gewesen wäre.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 2, 58 = AP Nr. 2 zu § 554 ZPO) muß sich die Revisionsbegründung mit allen Teilen des angefochtenen Urteils befassen. Sind mehrere Ansprüche betroffen, so muß zu jedem einzelnen Anspruch dargelegt werden, warum die Entscheidung des Berufungsgerichts für unrichtig gehalten wird. Wird zu einem Anspruch nichts vorgetragen, so ist die Revision insoweit unzulässig. Entsprechendes gilt für die Berufungsbegründung. Diese Anforderungen können allerdings dann nicht gestellt werden, wenn die Begründetheit des einen Anspruchs von der Begründetheit eines anderen Anspruchs praktisch unmittelbar abhängt (BAG Urteil vom 16. Juni 1976 - 3 AZR 1/75 - AP Nr. 27 zu § 72 ArbGG 1953 Streitwertrevision und BAG Urteil vom 24. März 1977 - 3 AZR 232/76 - AP Nr. 12 zu § 630 BGB - für das Verhältnis von Kündigungsfeststellungsklage und Klage auf Zahlung des Verzugslohns). Hierauf hat das Berufungsgericht zutreffend verwiesen und die Auffassung vertreten, das Verhältnis von der Kündigungsfeststellungs- zur Weiterbeschäftigungsklage entspreche der von Feststellungsklage zur Klage auf Lohn unter dem Gesichtspunkt von Annahmeverzug, weil nach dem Beschluß des Großen Senats vom 27. Februar 1985 (- GS 1/84 - BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) die Beschäftigungspflicht in der Regel durch die Entscheidung eines Instanzgerichts ausgelöst wird, die die Unwirksamkeit einer Kündigung feststellt. Darin ist dem Landesarbeitsgericht für die Fälle zu folgen, in denen die Weiterbeschäftigungsklage schon deshalb abgewiesen worden ist, weil das Vordergericht - wie im vorliegenden Falle - die Feststellungsklage abgewiesen hat. Denn dann enthält das angegriffene Urteil keine Ausführungen zum Weiterbeschäftigungsanspruch, mit denen sich der Kläger auseinandersetzen könnte. Insoweit wird die Auffassung im Senatsurteil vom 13. Juni 1985 (- 2 AZR 452/84 - EzA § 1 KSchG Nr. 41) aufgehoben, in dem ausgeführt wird, der Arbeitnehmer müsse in der Revisionsbegründung zum Weiterbeschäftigungsanspruch auch Stellung nehmen, wenn die Vorinstanz die Kündigungsschutzklage abgewiesen hatte. Der Senat hat auf der anderen Seite ebenso entschieden, der Arbeitgeber wehre sich mit der Revisionsbegründung ausreichend gegen die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung, wenn er darlege, aus welchen Gründen die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung rechtlich fehlerhaft sei.

Der Arbeitnehmer muß nur, aber auch immer dann, in der Rechtsmittelbegründung darlegen, weshalb ihm ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung zustehen soll, wenn das Urteil des Vordergerichts eigenständige Ausführungen zum Weiterbeschäftigungsanspruch enthält, etwa Ausführungen darüber enthält, weshalb trotz der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung im konkreten Falle das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung überwiege.

2. Vorliegend hat die Beklagte, worauf die Anschlußrevisionserwiderung zutreffend hinweist, in den Schriftsätzen vom 5. Juni 1985 auf Seite 2 und vom 23. September 1985 Ausführungen gemacht, aus denen sich ergeben soll, daß die Zwangsvollstreckung aus einem Weiterbeschäftigungsurteil der Beklagten einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringe bzw. der Beschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Ende des Rechtsstreits nicht begründet sei. U.a. wird auf die Aktivitäten der IG Druck und Papier und des Klägers, der zugleich Ortsvereinsvorsitzender der IG Druck und Papier ist, verwiesen. Die IG Druck und Papier habe alle Mitglieder, die bei der Beklagten beschäftigt seien, zur Solidarität mit dem Kläger aufgerufen. Sie habe außerdem Stellungnahmen in den Zeitungen abgegeben, bei denen sie es mit der Wahrheit nicht genau genommen habe. Auch diese zusätzlichen Ausführungen der Beklagten zum Weiterbeschäftigungsanspruch führen nicht zur Unzulässigkeit der Berufung, weil das Arbeitsgericht in seinem Urteil diese zusätzlichen Darlegungen der Beklagten nicht gewürdigt hat. Der Kläger aber hatte sich in der Berufungsbegründung nur mit den Ausführungen im Urteil des Arbeitsgerichts auseinanderzusetzen.

II. Da nach Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts zum Feststellungsantrag zunächst kein Urteil besteht, das die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt hat, kann ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers nur entstehen, wenn das Landesarbeitsgericht aufgrund der erneuten Verhandlung wiederum zu dem Ergebnis kommt, daß die Kündigung der Beklagten unwirksam ist.

1. Bei seiner Entscheidung zum Weiterbeschäftigungsanspruch hat das Landesarbeitsgericht den Beschluß des Großen Senats vom 27. Februar 1985 (- GS 1/84 - BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht = EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9 mit Anm. Gamillscheg = SAE 1986, 37 mit Anm. Lieb; vgl. zum Beschluß des Großen Senats auch Dütz, NZA 1986, 209; Färber/ Kappes, NZA 1986, 215) zugrunde zu legen. Nach dem Beschluß des Großen Senats, der entsprechende Anfragen des Siebten und Zweiten Senats beantwortet hat, hat außerhalb der Regelungen der § 102 Abs. 5 BetrVG, § 79 Abs. 2 BPersVG der gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet die Ungewißheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozeß ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewißheit des Prozeßausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzu kommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Auf die Begründung des Beschlusses des Großen Senats wird verwiesen. Er zieht die Konsequenz aus der Tatsache, daß die Kündigungsschutzklage nicht als Gegengestaltungsklage, sondern als Feststellungsklage konzipiert worden ist und die Rechtsüberzeugung des Bundesarbeitsgerichts (seit dem Urteil vom 10. November 1955 - 2 AZR 591/54 - BAGE 2, 221 = Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht), daß der Arbeitgeber verpflichtet ist, während des unangefochten bestehenden Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmer nicht nur zu vergüten, sondern auch zu beschäftigen, inzwischen Allgemeingut geworden ist. Ist eine Kündigung des Arbeitgebers rechtsunwirksam, besteht der Beschäftigungsanspruch über das Ende der Kündigungsfrist hinaus fort, weil das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst worden ist. Ist die Kündigung dagegen wirksam, besteht auch kein Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. bei der außerordentlichen Kündigung nach Zugang der Kündigung. Der Große Senat hat in seinem Beschluß einen Ausgleich im Wege einer Interessenabwägung für die Zeit geschaffen, in der eine Ungewißheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses besteht. Inzwischen haben die Fachsenate weitere Einzelfragen entschieden: So sind nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 13. Juni 1985 (- 2 AZR 410/84 - AP Nr. 19 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht = SAE 1987, 11 mit Anm. Kraft) die Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats auch auf den Streit über eine Befristung anzuwenden. Das Senatsurteil vom 19. Dezember 1985 (- 2 AZR 190/85 - AP Nr. 17 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht = SAE 1987, 17 mit Anm. Kraft) regelt den Weiterbeschäftigungsanspruch bei wiederholten Kündigungen. Schließlich hat am 10. März 1987 der Achte Senat (- 8 AZR 146/84 -) entschieden, werde ein gekündigter Arbeitnehmer nur wegen der vorläufig vollstreckbaren Verurteilung des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozeß weiterbeschäftigt, so habe er bei Wirksamkeit der Kündigung Anspruch auf Jahressonderzahlung nur, wenn sie als Lohnanspruch ausgestaltet sei, nicht aber auf Urlaubsabgeltung.

2. Ein Anlaß, sich mit der Kritik des Landesarbeitsgerichts auseinander zu setzen, bei dem Beschluß des Großen Senats handele es sich um eine unzulässige Rechtsfortbildung, besteht nicht, da das Berufungsgericht seine Auffassung bzw. seine Zweifel nicht begründet hat, sondern sich ausschließlich auf die Entscheidung der Dritten Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (- 3 Sa 101/85 - LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 14) bezogen hat. Diese Entscheidung stützt ihre Kritik aber allein auf die These, die Kündigungsschutzklage sei keine Feststellungs-, sondern eine Gegengestaltungsklage. Dies aber steht im Gegensatz zum Wortlaut des Gesetzes und der sonst übereinstimmenden Auffassung in der Rechtsprechung und der ganz herrschenden Ansicht im Schrifttum (vgl. nur Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 4 Rz 4; KR-Friedrich, 2. Aufl., § 4 KSchG Rz 17; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 4 Rz 2, alle m.w.N.). Die angezogene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen kommt dann auch zu dem überraschenden Ergebnis, daß ein Weiterbeschäftigungsanspruch zwar nicht bestehe, daß dennoch aber die Gerichte für Arbeitssachen im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 940 ZPO (sogen. offene Regelungsverfügung) den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits verurteilen können.

III. Kommt das Landesarbeitsgericht nach Zurückverweisung wiederum zu dem Ergebnis, daß die Kündigung rechtsunwirksam ist, hat es bei der Prüfung, ob dennoch ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers besteht, zu berücksichtigen, daß nach dem Beschluß des Großen Senats vom 27. Februar 1985 (aaO) dieses überwiegende Interesse sich nicht mehr aus der Ungewißheit des Prozeßausgangs ergeben kann, sondern nur solche zusätzlichen Umstände ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründen können, die auch im streitlos bestehenden Arbeitsverhältnis den Arbeitgeber zur vorläufigen Suspendierung des Arbeitnehmers berechtigen würden. Diese Einschränkung ergibt sich - wie die Anschlußrevision zu Recht ausgeführt hat - daraus, daß der Weiterbeschäftigungsanspruch im gekündigten Arbeitsverhältnis nicht über den Beschäftigungsanspruch im ungekündigten Arbeitsverhältnis hinausgehen kann. Ob solche Umstände vorliegen, hat das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des beiderseitigen Parteivortrags und einer ggf. hierzu noch notwendig werdenden Beweisaufnahme festzustellen. Der Anschlußrevision ist zuzugeben, daß im angefochtenen Urteil hierzu die erforderlichen Feststellungen und Würdigungen fehlen.

Hillebrecht Dr. Weller Ascheid

Schulze Dr. Roeckl

 

Fundstellen

Haufe-Index 437894

BB 1988, 1120-1122 (LT1-3)

DB 1988, 236-238 (LT1-3)

NZA 1987, 808-811 (LT1-3)

RdA 1987, 315

RzK, I 19i Nr 18 (LT2)

SAE 1988, 119-124 (LT1-3)

ZTR 1987, 314-315 (LT1-3)

AP § 626 BGB (LT1-3), Nr 96

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XB 1979 Entsch 33 (LT1-3)

AR-Blattei, Betriebsverfassung IX Entsch 69 (LT1-3)

AR-Blattei, ES 1020 Nr 288 (LT1-3)

AR-Blattei, ES 160.10.2 (1979) Nr 33 (LT1-3)

AR-Blattei, ES 530.9 Nr 69 (LT1-3)

AR-Blattei, Kündigungsschutz Entsch 288 (LT1-3)

EzA § 626 nF BGB, Nr 108 (LT1-3)

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