Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung bei betrieblichen Prüfungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zu den Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung gehören Lehrgänge, die den Arbeitnehmern die für die Ausfüllung ihres Arbeitsplatzes und ihrer beruflichen Tätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verschaffen sollen (im Anschluß an BAG 31.1.1969 1 ABR 18/68 = BAGE = 21, 323 = AP Nr 1 zu § 56 BetrVG Berufsausbildung).

2. Die Vermittlung der für den Betrieb eines Kernkraftwerks erforderlichen Fachkunde an das verantwortliche Schichtpersonal ist eine solche Maßnahme der betrieblichen Berufsbildung.

3. Die die Ausbildung abschließende Fachkundeprüfung ist Teil der Bildungsmaßnahme. Der Betriebsrat hat bei der Ausgestaltung der Prüfung mitzubestimmen, soweit dem Arbeitgeber nach gesetzlichen Regelungen ein Gestaltungsspielraum verbleibt.

4. Aus dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats folgt eine Mitregelungskompetenz. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen sich - soweit ein Mitbestimmungsrecht besteht - über Einzelheiten - etwa über eine beobachtende Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an den Prüfungen - einigen. Ein solches Beobachtungsrecht besteht nicht schon kraft Gesetzes.

 

Normenkette

ZPO § 256 Abs. 1; BetrVG § 98 Abs. 1, 4, 6, § 75 Abs. 1-2, § 80 Abs. 2, 1 Nr. 1, § 81 Abs. 1 S. 1; BetrVG 1952 § 56 Abs. 1 Buchst. d

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 11.05.1983; Aktenzeichen 12 TaBV 10/83)

ArbG Paderborn (Entscheidung vom 15.12.1982; Aktenzeichen 2 BV 12/82)

 

Gründe

A. Der Arbeitgeber betreibt als Stromversorgungsunternehmen das Kernkraftwerk W bei B. In diesem Betrieb besteht ein Betriebsrat. Der Betrieb eines Kernkraftwerks bedarf der Genehmigung (§ 7 Abs. 1 AtG). Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn "die für die Errichtung, Leitung und Beaufsichtigung des Betriebs der Anlage verantwortlichen Personen die hierfür erforderliche Fachkunde besitzen" (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 AtG). Die Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden der Länder haben vereinbart, die "Richtlinie für den Fachkundenachweis von Kernkraftwerkspersonal" in der Fassung vom 17. Mai 1979 (GMBl. 1979, 233 ff.) in Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren für Kernkraftwerke als Grundlage für die Prüfung der vom Antragsteller (Betreiber) beizubringenden Angaben zur erforderlichen Fachkunde einheitlich anzuwenden. Nach dieser Richtlinie sind besondere Fachkundenachweise vorgesehen u.a. für Schichtleiter, Schichtleitervertreter und Reaktorfahrer (Abschnitt 1.3.3 der Richtlinie). Der Nachweis ausreichender Fachkunde dieser Personen wird erbracht durch Vorlage von Unterlagen, die die ausreichende fachliche Ausbildung und praktische Erfahrung belegen, und zusätzlich durch eine schriftliche und eine mündliche Fachkundeprüfung. Die näheren Einzelheiten des Prüfungsverfahrens sind in Abschnitt 3 der Richtlinie geregelt. Die schriftliche Prüfung erfolgt betriebsintern; die zuständige Genehmigungs- oder Aufsichtsbehörde ist über die Prüfungsfragen und das Ergebnis der Prüfung zu unterrichten. Der erfolgreiche Abschluß der schriftlichen Prüfung ist Voraussetzung für die Zulassung zur mündlichen Prüfung. Für die mündliche Prüfung wird eine Prüfungskommission bestellt:

"Mitglieder sind in der Regel

- Beauftragte des Antragstellers:

drei Mitglieder der unter den Ziffern

1.3.1 bis 1.3.4 genannten Personenkrei-

se, von denen zwei aus der Anlage des

Antragstellers sein müssen;

- Beisitzer:

- ein Vertreter der zuständigen Geneh-

migungs- oder Aufsichtsbehörde und

- zwei von der zuständigen Genehmigungs-

oder Aufsichtsbehörde zugezogene Sach-

verständige, davon einer aus der Ge-

sellschaft für Reaktorsicherheit mbH.

Den Vorsitz übernimmt einer der Beauftragten

des Antragstellers. ..."

Inhalt und Umfang der mündlichen Prüfung werden zwischen dem Antragsteller (Betreiber) und der zuständigen Genehmigungs- oder Aufsichtsbehörde abgestimmt. Die mündliche Prüfung besteht aus einem allgemeinen und einem praktisch-technischen Teil (Abschnitt 3.3.2). Die Prüfungskommission entscheidet im Anschluß an die mündliche Prüfung über das Ergebnis und teilt es dem Kandidaten mit. Über den Verlauf der mündlichen Prüfung, die Prüfungsentscheidung und die Begründung ist ein Protokoll anzufertigen und der zuständigen Genehmigungs- oder Aufsichtsbehörde vorzulegen (Abschnitt 3.3.3). Für den Inhalt der Fachkundeprüfung des verantwortlichen Schichtpersonals in Kernkraftwerken gilt eine Richtlinie vom 10. Mai 1978 (GMBl. 1978, 431 ff.). Auch nach Ablegung der Fachkundeprüfung müssen Schichtleiter, Schichtleitervertreter und Reaktorfahrer regelmäßig an Fortbildungsveranstaltungen zur Erhaltung ihrer Fachkunde teilnehmen. Welche Bedingungen diese Programme erfüllen müssen und wie der Nachweis der erfolgreichen Teilnahme zu erbringen ist, regelt die "Richtlinie für Programme zur Erhaltung der Fachkunde des verantwortlichen Schichtpersonals in Kernkraftwerken vom 17. Mai 1979" (GMBl. 1979, 238 ff.).

Die Ausbildungspläne, in denen der zeitliche Ablauf der Ausbildung festgelegt wurde, sind vom Arbeitgeber "in Abstimmung" mit dem Betriebsrat erlassen worden. Darüber hinaus hat der Betriebsrat gefordert, zu den mündlichen Prüfungen ein Mitglied als Beobachter entsenden zu dürfen. Der Arbeitgeber hat dies abgelehnt.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, bei der Prüfung handele es sich um eine betriebsinterne Prüfung. Er habe nach § 98 Abs. 1 BetrVG ein Recht, an diesen Prüfungen als Beobachter teilzunehmen. Die Richtlinie für den Fachkundenachweis von Kernkraftwerkspersonal schließe die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds als Beobachter nicht aus. Ein solche Teilnahme sei der Sache nach geboten, weil nur so der Betriebsrat erfahre, welches Wissen zum Nachweis der Fachkundeprüfung benötigt werde; nur so könne der Betriebsrat geeignete Arbeitnehmer für diese betriebliche Berufsbildungsmaßnahme vorschlagen (§ 98 Abs. 3 BetrVG) und sich ein Bild über die persönliche und fachliche Eignung der Ausbilder machen (§ 98 Abs. 2 BetrVG). Er hat deshalb beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, zu

jeder im Kernkraftwerk W durchge-

führten Fachkundeprüfung für Schichtlei-

ter, Schichtleitervertreter und Reaktor-

fahrer ein Mitglied des Antragstellers

bei der mündlichen Prüfung als Beobachter

hinzuzuziehen.

Der Arbeitgeber hat beantragt, diesen Antrag zurückzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Abnahme von Prüfungen sei keine Maßnahme der betrieblichen Berufsbildung. Im übrigen sei in der Richtlinie abschließend geregelt, wie sich die Prüfungskommission zusammensetzen dürfe.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Die Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Sachantrag weiter. Vorsorglich will er sein Recht, als Beobachter an der Prüfung teilnehmen zu können, festgestellt wissen.

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist nicht begründet. Zwar hält die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht den Antrag des Betriebsrats abgewiesen hat, einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Doch stellt sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig dar (§ 92 Abs. 2 ArbGG, § 563 ZPO).

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei der mündlichen Fachkundeprüfung handele es sich nicht um eine Maßnahme der betrieblichen Berufsbildung im Sinne von § 98 Abs. 1 BetrVG. Mit der Prüfung werde kein Wissen vermittelt, sondern nur vorhandenes Wissen festgestellt. Außerdem sei die Zusammensetzung der Prüfungskommission "vom Staat" geregelt worden. Der Staat lasse den Fachkundenachweis nur gelten, wenn er in der von ihm vorgeschriebenen Art und Weise erbracht worden sei.

Dieser rechtlichen Würdigung kann der Senat nicht folgen.

1. Die Vermittlung der für den Betrieb eines Kraftwerks notwendigen Fachkunde ist eine Maßnahme der beruflichen Bildung im Sinne von § 98 Abs. 1 BetrVG. Zu diesen Maßnahmen gehören insbesondere solche, die den Arbeitnehmern diejenigen Kenntnisse und Erfahrungen verschaffen sollen, die der Ausfüllung ihres Arbeitsplatzes und ihrer beruflichen Tätigkeit dienen (vgl. BAG 21, 323, 327 = AP Nr. 1 zu § 56 BetrVG Berufsausbildung, zu 2 c der Gründe, zur Auslegung des § 56 Abs. 1 Buchst. d) BetrVG 1952; zust. zum neuen Recht Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., vor § 96 und § 97 Rz 3; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 96 Rz 2, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Dieser zu § 56 Abs. 1 Buchst. d) BetrVG 1952 von der Rechtsprechung unter Zustimmung des Schrifttums entwickelte weite Begriff der Berufsausbildung muß auf den Begriff der Berufsbildung im Sinne von § 98 Abs. 1 BetrVG 1972 übertragen werden. Bezog sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 56 Abs. 1 Buchst. d) BetrVG 1952 noch auf die "Berufsausbildung", werden jetzt durch § 98 Abs. 1 BetrVG alle Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung in das Mitbestimmungsrecht einbezogen. Damit ist klargestellt, daß nicht nur die Berufsausbildung im engeren Sinne gemeint ist; ebenso erfaßt werden die berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung. Nur ein weites Verständnis des Begriffs der betrieblichen Berufsbildung wird dem Zweck der gesetzlichen Regelung gerecht. Die betriebliche Berufsbildung hat Bedeutung für das soziale Schicksal des Arbeitnehmers und für seinen beruflichen Werdegang (vgl. BAG, aaO). Häufig entscheidet die Teilnahme an Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung darüber, ob der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz behalten oder an einem beruflichen Aufstieg teilnehmen kann. Auch die Literatur hat sich durchweg für eine weite Auslegung des Begriffs der betrieblichen Berufsbildung ausgesprochen (vgl. Nachweise bei Hammer, AuR 1985, 210, 212 mit Nachweisen).

Danach sind die mitbestimmungspflichtigen Berufsbildungsmaßnahmen abzugrenzen gegenüber den - ebenfalls mitbestimmungspflichtigen - "sonstigen Bildungsmaßnahmen" des § 98 Abs. 6 BetrVG einerseits und der - mitbestimmungsfreien - Unterrichtung des Arbeitnehmers über seine Aufgabe und Verantwortung sowie über die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 BetrVG andererseits.

Im vorliegenden Fall kann es sich nicht um eine mitbestimmungsfreie Unterrichtung im Sinne von § 81 Abs. 1 Satz 1 BetrVG handeln. Das verantwortliche Schichtpersonal wird systematisch aus- und weitergebildet. Es werden neue Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einer Form vermittelt, die für das berufliche Fortkommen der Arbeitnehmer von Bedeutung ist (vgl. Hammer, aaO, S. 216). Schließlich ist auch der Umstand, daß der Arbeitgeber in Abstimmung mit dem Betriebsrat Ausbildungspläne erlassen hat, ein Indiz dafür, daß nicht nur im Einzelfall Arbeitnehmer über die Art ihrer Tätigkeit und ihre Einordnung in den Betriebsablauf unterrichtet werden.

2. Die die Ausbildung abschließende Fachkundeprüfung ist Teil dieser Maßnahme der betrieblichen Berufsbildung. Ausbildung und Prüfung bilden eine Einheit. Wer mitbestimmen darf über den Inhalt und den Umfang der zu vermittelnden beruflichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, muß auch Einfluß nehmen können auf die Ausgestaltung der Prüfung, die dem Nachweis dieser Kenntnisse und Fähigkeiten dient. Prüfungsanforderungen und die Ausgestaltung der Prüfung können die Entscheidungen über Inhalt und Umfang der zu vermittelnden Kenntnisse und Fähigkeiten sowie über die Methode, nach der sie erworben werden sollen, beeinflussen.

3. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht allerdings nur in dem Umfang, in dem dem Arbeitgeber aufgrund der gesetzlichen Regelungen im Einzelfall ein Gestaltungsspielraum verbleibt (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 98 Rz 2). Das gilt für Inhalt, Umfang und Methode der Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten ebenso wie für die Ausgestaltung der Prüfung. Wird die Zusammensetzung einer Prüfungskommission gesetzlich vorgeschrieben, kann der Betriebsrat insoweit nicht mitbestimmen. Es handelt sich nicht mehr um eine "Maßnahme" des Arbeitgebers.

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Zusammensetzung der Prüfungskommission bei Abnahme der Prüfung nicht gesetzlich vorgeschrieben. Dabei kann der Senat davon ausgehen, daß der Betreiber eines Kernkraftwerks die Genehmigung nur erhält, wenn er die erforderliche Fachkunde seiner verantwortlichen Mitarbeiter in der Form nachweist, die die Richtlinien ihm vorschreiben. Diese Richtlinien besagen jedoch nichts darüber, ob ein Mitglied des Betriebsrats als Beobachter an der mündlichen Prüfung teilnehmen kann. Sie schließen eine solche Teilnahme nicht aus. Dabei ist zu beachten, daß der Betriebsrat kein Mitglied der Prüfungskommission bestellen will, sondern nur einen Beobachter. Solche beobachtenden Mitglieder der Prüfungskommission sind auch nach dem Zweck der Regelung nicht ausgeschlossen. Mit dem Erlaß will die Behörde erreichen, daß die erforderliche Fachkunde möglichst objektiv festgestellt wird. Durch die Teilnahme eines beobachtenden Betriebsratsmitglieds wird dieser Zweck nicht gefährdet.

4. Danach hat der Betriebsrat mitzubestimmen über die Ausgestaltung der mündlichen Fachkundeprüfung, jedenfalls soweit die Richtlinien die Einzelheiten nicht verbindlich für den Arbeitgeber vorschreiben. Das ist für die Teilnahme von beobachtenden Betriebsratsmitgliedern nicht der Fall. Insoweit stimmt der Senat der rechtlichen Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht zu.

II. Dennoch hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis den Antrag zu Recht abgewiesen.

1. Der Anspruch des Betriebsrats folgt nicht unmittelbar aus § 98 Abs. 1 BetrVG. Aus dem Recht des Betriebsrats auf Mitbestimmung folgt nur, daß sich Arbeitgeber und Betriebsrat über die Fragen, die einer Regelung zugänglich sind, verständigen müssen. Das gilt für die gesamte Durchführung einer Maßnahme der beruflichen Bildung im Sinne von § 98 Abs. 1 BetrVG. Im vorliegenden Fall müssen sich also Arbeitgeber und Betriebsrat über die Ausgestaltung der mündlichen Fachkundeprüfung einigen und damit auch über die Zuziehung eines die Prüfung beobachtenden Betriebsratsmitglieds. Kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle (§ 98 Abs. 4 Satz 1 BetrVG).

Ob die Einigungsstelle so entscheidet, wie der Betriebsrat wünscht, steht noch nicht fest. Deshalb kann der Betriebsrat im Beschlußverfahren nicht einzelne mögliche Regelungen durchsetzen. Aus dem Mitbestimmungsrecht als solchem ergeben sich nicht zwangsläufig die vom Betriebsrat gewünschten Folgen. Vielmehr besteht ein Regelungsrahmen, den Arbeitgeber und Betriebsrat durch ihre Einigung oder die Einigungsstelle durch ihren Spruch ausfüllen können (vgl. BAG 36, 385, 391 = AP Nr. 10 zu § 76 BetrVG 1972, zu III 4 der Gründe; Beschluß des Senats vom 22. Oktober 1985 - 1 ABR 38/83 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung und in der Fachpresse bestimmt).

2. Für ein allgemeines Recht des Betriebsrats, alle Tätigkeiten des Arbeitgebers bei der Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung beobachten zu dürfen ("Beobachtungsrecht"), gibt keine gesetzliche Grundlage.

a) § 98 Abs. 1 BetrVG scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Beobachtungsrechte zur Sicherung des Mitbestimmungsrechts bei der Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung sind im Gesetz nicht vorgesehen.

b) Auch aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ergibt sich nicht das vom Betriebsrat in Anspruch genommene Recht. Nach dieser Bestimmung hat der Betriebsrat darüber zu wachen, daß die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Zu diesen Vorschriften gehört auch § 75 BetrVG. Diese Bestimmung enthält die Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen. Sie verbietet insbesondere Diskriminierungen einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen und verpflichtet Arbeitgeber und Betriebsrat, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. So könnte es auch ein Anliegen des Betriebsrats sein, Diskriminierungen bei der Prüfung entgegenzuwirken.

Zur Durchführung dieser Aufgabe begründet § 80 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber, rechtzeitig und umfassend von ihm unterrichtet zu werden. Ob damit die Rechte des Betriebsrats abschließend aufgezählt sind, kann offenbleiben. Das Bundesarbeitsgericht hält es für möglich, daß der Betriebsrat - oder mit seiner Zustimmung auch die Jugendvertretung - Arbeitnehmer bzw. Jugendliche an ihrem Arbeitsplatz aufsuchen darf (vgl. BAG 37, 348, 350 = AP Nr. 1 zu § 70 BetrVG 1972, zu B II der Gründe). Dieses Recht, Arbeitnehmer oder Jugendliche am Arbeitsplatz aufsuchen zu dürfen, kann im Einzelfall erforderlich sein, wenn der Betriebsrat sonst seine allgemeinen Aufgaben nach § 80 Abs. 1 BetrVG nicht erfüllen könnte. Im vorliegenden Fall scheitert ein die Mitbestimmung sicherndes "Beobachtungsrecht" des Betriebsrats schon daran, daß nicht der Arbeitgeber, sondern eine unabhängige Prüfungskommission beobachtet werden soll. Auf den Inhalt der Prüfung (Prüfungsstoff, Fragen) sowie auf Bewertung und Ergebnis hat der Arbeitgeber keinen Einfluß. Darüber entscheidet nur die Prüfungskommission.

III. Der Hilfsantrag des Betriebsrats ist unbegründet.

Der Senat hat über diese Klageerweiterung zu entscheiden. Zwar sind Klageänderungen und Klageerweiterungen in der Revisionsinstanz im allgemeinen nicht zulässig. Sie sind aus prozeßökonomischen Gründen jedoch dann zuzulassen, wenn der neue Sachantrag sich auf den in der Berufungsinstanz festgestellten Sachverhalt stützt (vgl. Urteil des Senats vom 17. Oktober 1972 - 1 AZR 86/72 - AP Nr. 8 zu § 630 BGB, zu I 1 der Gründe, mit weiteren Nachweisen). So liegt der Fall hier. Statt des Antrags, den Arbeitgeber künftig zu einem bestimmten Verhalten zu verpflichten, will der Betriebsrat bei gleichem Sachverhalt nur das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs festgestellt wissen. Diesem Antrag kann aus den bereits dargelegten Gründen jedoch nicht entsprochen werden.

IV. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist damit insgesamt unbegründet. Der Senat hat darauf verzichtet, die Abweisung des Hilfsantrags als unzulässig ausdrücklich in der Beschlußformel hervorzuheben.

Dr. Kissel Dr. Heither Matthes

Dr. Giese Lappe

 

Fundstellen

Haufe-Index 436929

BAGE 50, 85-92 (LT1-4)

BAGE, 85

DB 1986, 1341-1343 (LT1-4)

AuB 1986, 330-330 (T)

AuB 1987, 139-139 (T)

EzB BetrVG § 98, Nr 3 (ST1)

ARST 1987, 19-20 (LT1-4)

NZA 1986, 535-536 (LT1-4)

RdA 1986, 135

AP § 98 BetrVG 1972 (LT1-4), Nr 2

EzA § 98 BetrVG 1972, Nr 2 (LT1-4)

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