Rz. 13

Charakteristikum der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten ist der kollektive Bezug. In aller Regel sind daher nur generelle kollektive Regelungen erfasst. Einzelmaßnahmen ohne kollektiven Bezug werden von der Mitbestimmung nicht erfasst. Scheinbare Ausnahmen bilden die Regelungen in § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG (Urlaub für einzelne Arbeitnehmer) und § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG (Zuweisung und Kündigung von Wohnräumen). Aber auch diese "Einzelmaßnahmen" stehen wegen der mittelbaren Drittwirkung (erhält Arbeitnehmer A den Urlaub im September, kann sein Vertreter B nicht zur selben Zeit in den Urlaub gehen; erhält Arbeitnehmer A die Werkswohnung, können andere Arbeitnehmer diese nicht erhalten) in einem kollektiven Leistungsbezugssystem. Anders gesagt: Nur Vereinbarungen, die den individuellen Besonderheiten einzelner Arbeitsverhältnisse Rechnung tragen und deren Auswirkungen sich auf das Arbeitsverhältnis dieses Arbeitnehmers beschränken, sind mitbestimmungsfrei (BAG, Beschluss v. 3.12.1991, GS 2/90[1]; BAG, Beschluss v. 3.12.1991, GS 1/90[2]). Es kommt damit nicht auf die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer an.

 
Praxis-Beispiel

Eine generelle Arbeitszeitregelung für Pförtner über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ist gem. § 87 Abs. 2 BetrVG mitbestimmungspflichtig, selbst wenn es derzeit im Betrieb nur eine Person gibt, die als Pförtner fungiert. Etwas anderes gilt, wenn mit diesem Pförtner allein aufgrund besonderer individueller Umstände – etwa die öffentlichen Verkehrsverbindungen zwischen Wohnort und Arbeitsstätte – eine bestimmte Regelung über Beginn und Ende der Arbeitszeit getroffen wird.

Die Anweisung des Arbeitgebers an einen einzelnen Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 EFZG, bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, ist nicht mitbestimmungspflichtig, solange sie nur einen Einzelfall betrifft (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 3. 12.2021, 12 TaBV 74/21; BAG Beschluss v. 15.11.2022, 1 ABR 5/22).

Eine besondere Bedeutung hat die Frage nach dem kollektiven Tatbestand im Zusammenhang mit dem Anspruch des Arbeitnehmers auf wunschgerechte Verteilung der nach § 8 TzBfG verringerten Arbeitszeit erfahren. Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil v. 16.3.2004, 9 AZR 323/03[3]) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung einer Betriebsvereinbarung über die Lage der Arbeitszeit den Verteilungswünschen des Arbeitnehmers entgegensteht. Der Arbeitgeber hatte nämlich eingewandt, er würde sich bei einem Eingehen auf die Verteilungswünsche betriebsverfassungswidrig verhalten müssen. Das BAG hat in der Entscheidung indes nochmals bekräftigt, dass gerade kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht, wenn und soweit es um die Gestaltung eines bestimmten Arbeitsverhältnisses geht. Der Arbeitgeber darf abweichend von einer Betriebsvereinbarung mit einem Arbeitnehmer einen späteren Arbeitsbeginn vereinbaren, wenn es um dessen besondere Bedürfnisse geht und keine allgemeinen Interessen der übrigen Arbeitnehmer berührt werden. Ausdrücklich wird der Auffassung, jede Arbeitszeit stehe im funktionellen Zusammenhang mit der Arbeitszeitlage anderer Arbeitnehmer und sei deshalb "per se" notwendigerweise stets kollektiv[4], eine Absage erteilt.

[1] NZA 1992, 749.
[2] BB 1991, 2528.
[3] NZA 2004, 1047.
[4] So Buschmann, AuR 2002 S. 191.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Personal Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge