Rz. 43

Einen dem § 23 Abs. 3 BetrVG sehr ähnlichen Rechtsbehelf enthält § 17 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Nach dieser Norm können der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft bei einem groben Verstoß des Arbeitgebers gegen arbeitsrechtliche Vorschriften des AGG die in § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG genannten Rechte gerichtlich geltend machen. Der Verweis auf die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG hat zur Folge, dass das Klagerecht nach § 17 Abs. 2 AGG nur in betriebsratsfähigen Betrieben besteht. Kleinstbetriebe sind also ausgenommen. Der Verstoß des Arbeitgebers kann sich auf alle im zweiten Abschnitt des AGG genannten Pflichten beziehen. Erfasst sind damit neben dem Verbot eigener Diskriminierungen (§ 7 AGG) auch Verstöße gegen die Arbeitnehmerrechte aus den §§ 12, 13, 14 und 16 AGG. Der Antrag muss auf ein zukünftiges Verhalten des Arbeitgebers gerichtet sein. Ansprüche diskriminierter Arbeitnehmer, insbesondere Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG, können nicht geltend gemacht werden. Dies stellt § 17 Abs. 2 S. 2 AGG klar. Für die Vollstreckung verweist § 17 Abs. 2 AGG auf § 23 Abs. 3 S. 2 bis 5 BetrVG.

 

Rz. 44

Über einen Antrag nach § 17 Abs. 2 AGG dürfte entsprechend § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG im Beschlussverfahren zu entscheiden sein. Zwar handelt es sich um eine Angelegenheit aus dem AGG, nicht aus dem BetrVG. Für eine Anwendung des § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG spricht aber neben dem umfassenden Verweis des § 17 Abs. 2 AGG auf § 23 Abs. 3 BetrVG auch, dass über einen Antrag nach § 23 Abs. 3 BetrVG wegen groben Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot des § 75 BetrVG im Beschlussverfahren zu entscheiden ist und beide Anträge inhaltlich sehr ähnlich sind.

 

Rz. 45

Die rechtspolitisch umstrittene Norm vermengt in durchaus problematischer Weise die grundsätzlich auf Individualschutz angelegten Vorschriften des AGG mit dem kollektiv-rechtlichen Instrumentarium des Betriebsverfassungsrechts.[1] Die Legitimation zur Bekämpfung von Diskriminierungen einzelner Arbeitnehmer etwa durch eine Gewerkschaft erscheint fraglich, wenn die Betroffenen nicht Mitglied der Gewerkschaft sind und eine Einmischung in Angelegenheiten zwischen ihnen und dem Arbeitgeber nicht wünschen. Die Legitimation ist auch zweifelhaft, wenn der Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 AGG vorgeht, der Verstoß des Arbeitgebers sich aber nur auf leitende Angestellte bezieht. Um Spannungen zwischen Individualrechten diskriminierter Arbeitnehmer und dem kollektivrechtlichen Rechtsbehelf des § 17 Abs. 2 AGG zu vermeiden, erscheint es angebracht, das Tatbestandsmerkmal des "groben" Verstoßes lediglich dann zu bejahen, wenn nicht nur ein schwerer Verstoß gegen das AGG vorliegt, sondern die Benachteiligung einen kollektiven Bezug aufweist, etwa bei einer diskriminierenden Einstellungspraxis[2]) oder der Benachteiligung einer Belegschaftsgruppe[3].

[1] Ausführlich hierzu Klumpp, NZA 2006, 904 ff.
[3] Klumpp, a. a. O. S. 906.

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