Rz. 4

§ 15 Abs. 2 BetrVG ordnet an, dass dasjenige Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein muss, wenn der Betriebsrat aus mindestens 3 Mitgliedern besteht. Aus der früheren Soll-Vorschrift hat das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001[1] eine Muss-Vorschrift gemacht. § 15 Abs. 2 BetrVG spricht nur von einem Geschlecht in der Minderheit. Aus der Ausführungsvorschrift des § 5 WahlOBetrVG wird dann ausdrücklich deutlich, dass das Gesetz noch von zwei Geschlechtern ausgeht, Männern und Frauen. Rein praktisch wird dies wahrscheinlich in den allermeisten Fällen keine Auswirkungen haben: Das dritte Geschlecht oder die dritten Geschlechter werden meist kaum Anteile an der Belegschaft erreichen, die einen "Quotensitz" im Betriebsrat gewähren würden. Zudem wird es dem Wahlvorstand schwer werden, diejenigen Geschlechtsangehörigen zu ermitteln, die sich nicht geoutet haben.

An der Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 2 BetrVG bestehen erhebliche Zweifel, selbst wenn § 15 Abs. 2 BetrVG auch das dritte Geschlecht berücksichtigen würde. Die auch für die Betriebsratswahl geltenden Grundsätze der formalen Wahlgleichheit (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) werden durch die Bevorzugung des Minderheitengeschlechts verletzt. Das BAG hält die Regelung dennoch für verfassungskonform (BAG, Beschluss v. 16.3.2005, 7 ABR 40/04 und vorhergehend LAG Köln, Beschluss v. 31.3.2004, 3 TaBV 12/03). Die Regelung des § 15 Abs. 2 BetrVG und der in § 15 Abs. 5 Nr. 2 WO BetrVG vorgesehene Listensprung[2] verstoßen nach Ansicht des BAG nicht gegen den nach Art. 3 Abs. 1 GG bestehenden Grundsatz der Gleichheit der Wahl, denn Art. 3 Abs. 2 GG gestatte Maßnahmen wie § 15 Abs. 2 BetrVG, die zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter dienten. Aus gleichem Grund verstoße § 15 Abs. 2 BetrVG auch nicht gegen das Verbot der Geschlechterdiskriminierung in Art. 3 Abs. 3 GG und die entsprechende Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976. Auch werde nicht in unzulässiger Weise in den durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Grundsatz der gleichen Wettbewerbschancen der Koalitionen eingegriffen. Angesichts des verfassungsrechtlichen Gebots der tatsächlichen Durchsetzung der Geschlechtergleichheit habe der Gesetzgeber berechtigterweise davon ausgehen können, dass es den Trägern von Wahlvorschlägen bei nachhaltigem Bemühen im Allgemeinen gelingen werde, Vertreter des Geschlechts in der Minderheit in erforderlichem Umfang als Wahlbewerber zu gewinnen.[3]

 

Rz. 5

Voraussetzung für die Anwendung der Minderheitenregel ist, dass ein Geschlecht in der Minderheit ist. Das ist nicht der Fall, wenn die Zahl der beschäftigten Männer und Frauen gleich hoch ist; Ausschlag gibt die Anzahl. Unerheblich ist, ob und wie viel Männer oder Frauen in Vollzeit oder Teilzeit arbeiten. Gesetz und § 5 WO BetrVG geben keine Auskunft, ob nur die Arbeitnehmer des Betriebs i. S. d. § 5 BetrVG zählen oder auch die in § 7 BetrVG erfassten Leiharbeitnehmer. Zweck der Vorschrift ist es, die wahlberechtigte Belegschaft abzubilden. Dass auch die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind, legt § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG nunmehr ausdrücklich fest. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Tag des Erlasses des Wahlausschreibens (§ 5 Abs. 1 Satz 3 WO BetrVG).

 

Rz. 6

Die zwingende Berücksichtigung der Minderheit setzt erst bei der Wahl an, nicht bereits bei der Aufstellung der Vorschlagslisten und der Wahlvorschläge. Nach wie vor sind also reine Frauenlisten, reine Männerlisten sowie gemischte Listen mit Frauen und Männern zulässig – wenn auch reine Vorschlagslisten aus dem Mehrheitsgeschlecht bei der Sitzverteilung Nachteile erleiden, dazu unten.

Die Wahlordnung setzt ein zweistufiges Verfahren ein: Zunächst wird die Zahl der Mindestsitze des Minderheitsgeschlechts ermittelt (§ 5 WO BetrVG), dann wird das Minderheitsgeschlecht bei der Sitzverteilung bevorrechtigt behandelt (§ 15 Abs. 5 WO BetrVG, § 22 WO BetrVG, § 34 Abs. 5 WO BetrVG, § 36 Abs. 4 WO BetrVG).

Die Vorschrift verlangt, dass das Geschlecht in der Minderheit mindestens anteilsmäßig im Betriebsrat repräsentiert ist. Sie verbietet also nicht eine höhere Präsenz. Wenn der Wahlvorstand im Wahlausschreiben also die errechnete Gesamtzahl an Sitzen auf beide Geschlechter genau aufteilt und die Differenz zwischen der Mindestzahl für das Minderheitengeschlecht und der Gesamtzahl der Betriebsratssitze dem Mehrheitsgeschlecht zuschreibt, so handelt er falsch. Die Wahl wird dadurch anfechtbar (BAG, Beschluss v. 13.3.2013, 7 ABR 67/11). Die Gefahr entsteht insbesondere, wenn der Wahlvorstand Musterwahlausschreiben verwendet, die – naturgemäß – Platz für die Angabe einer (Mindest-) Zahl sowohl an männlichen, wie an weiblichen Mitgliedern des Betriebsrates vorsehen.

 

Rz. 7

In der ersten Stufe stellt der Wahlvorstand auf der Basis der am Tag des Erlasses ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Personal Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge