Rz. 8

Keinen Einfluss auf die Anwendung des § 102 BetrVG hat die mögliche Erklärung des Arbeitnehmers, die Kündigung hinnehmen zu wollen oder sein ausdrücklicher Wunsch, den Betriebsrat nicht zu beteiligen. Im letzteren Fall wäre aber eine Berufung des Arbeitnehmers auf die fehlende Anhörung des Betriebsrats rechtsmissbräuchlich gem. § 242 BGB (venire contra factum proprium). Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (Beschluss v. 17.2.2004, 13 TaBV 59/03[1]) besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 102 BetrVG, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbaren und diese Vereinbarung durch Kündigung und Abwicklungsvertrag umgesetzt wird. Bei diesen (unechten) Abwicklungsverträgen sei maßgebend, dass Kündigung und Abwicklungsvereinbarung auf einer Verständigung der Vertragspartner zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhten, nicht auf einem einseitigen Kündigungsentschluss des Arbeitgebers. Die Kündigung basiere auf der Abwicklungsvereinbarung, sie werde nur ausgesprochen, weil eine Abwicklungsvereinbarung getroffen worden sei oder getroffen werden solle. Damit sei die Kündigung als Scheingeschäft zu bewerten, das nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig sei. Maßgebend für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei die Abwicklungsvereinbarung, die als Aufhebungsvertrag zu qualifizieren sei. Liege aber ein Aufhebungsvertrag vor, würden Rechte nach § 102 BetrVG nicht ausgelöst. Grundsätzlich ist dem zuzustimmen. Im Streitfall dürfte es für den Arbeitgeber aber schwierig werden nachzuweisen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich vor Ausspruch der Kündigung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einverstanden war und nicht lediglich auf eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung reagiert hat. Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil v. 18.12.2003, B 11 AL 35/03 R[2]), dass der Arbeitnehmer, der nach Ausspruch einer Kündigung des Arbeitgebers mit diesem innerhalb der Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage eine Vereinbarung über die Hinnahme der Kündigung (Abwicklungsvertrag) trifft, das Beschäftigungsverhältnis löst, also eine Sperrzeit gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 SGB III eintritt, dürfte dieses Problem in der Praxis nicht weiter von Bedeutung sein. Der Arbeitnehmer wird, um den Eintritt der Sperrzeit zu verhindern, Kündigungsschutzklage erheben und dann u. U. einen gerichtlichen Vergleich schließen. Das BAG (BAG, Beschluss v. 28.6.2005, 1 ABR 25/04[3]) hat den Beschluss des LAG Niedersachsen aufgehoben und festgestellt, dass im entschiedenen Fall kein Scheingeschäft vorliegt, der Betriebsrat also gem. § 102 BetrVG anzuhören ist. Ein Scheingeschäft liege nicht vor, wenn es zur Herbeiführung des von den Parteien tatsächlich beabsichtigten Erfolgs der wirksamen Vornahme des betreffenden Rechtsgeschäfts gerade bedürfe (vgl. auch BAG, Urteil v. 21.4.2005, 2 AZR 125/04[4]). Vorliegend habe aber allein die Kündigung, nicht die Abwicklungsvereinbarung das Arbeitsverhältnis beendet.

[1] NZA-RR 2004, 479.
[2] NZA 2004, 661.
[3] NZA 2006, 48.
[4] FA 2005, 222.

2.2.2.1 Wiederholungskündigung

 

Rz. 9

Einer – erneuten – Anhörung des Betriebsrats bedarf es schon immer, wenn der Arbeitgeber bereits nach Anhörung des Betriebsrats eine Kündigung erklärt hat, d. h., wenn die erste Kündigung dem Arbeitnehmer zugegangen ist und der Arbeitgeber damit seinen Kündigungswillen bereits verwirklicht hat und nunmehr eine neue (weitere) Kündigung aussprechen will. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Kündigung auf den gleichen Sachverhalt stützt (sog. Wiederholungskündigung). Dieses Gestaltungsrecht und die damit im Zusammenhang stehende Betriebsratsanhörung sind mit dem Zugang der Kündigungserklärung verbraucht. Dies gilt insbesondere auch in den Fällen, in denen der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung erneut kündigt (BAG, Urteil v. 10.11.2005, 2 AZR 623/04[1]). Das durch die ordnungsgemäße Anhörung erworbene Recht zum Ausspruch der Kündigung ist durch den Zugang der Kündigung verbraucht. Sinn des § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist es nämlich, dass der Betriebsrat bei jeder vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung seine ihm gesetzlich eingeräumten Rechte unter Ausschöpfung der dafür vorgesehenen Fristen wahrzunehmen in der Lage sein muss (BAG, Urteil v. 3.4.2008, 2 AZR 965/06[2]). Von dieser Verpflichtung ist der Arbeitgeber dann befreit, wenn eine Kündigung, zu welcher der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist, und der er ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt hat, am fehlenden Zugang gescheitert ist (BAG, Urteil v. 11.10.1989, 2 AZR 88/89[3]). In einem solchen Fall ist vor einer erneuten Kündigung eine nochmalige Anhörung des Betriebsrats entbehrlich, weil sie in engem zeitlichen Zusammenhang ausgesprochen und auf denselben Sachverhalt gestützt wird (BAG, Urteil v. 10.11.2005, 2 AZR 623/04[4]; BAG, Urteil v. 16.9.1993, 2 AZR 267/93[5]). Eine weitere Kündigung im eigentlichen Sinne liegt nicht vor, weil eine Kündigung em...

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