Rz. 13

Der Sonderkündigungsschutz steht auch denjenigen Arbeitnehmern zu, die beim Versorgungsamt zu dem Zeitpunkt einen Antrag auf Anerkennung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch gestellt haben, zu dem ihnen die Kündigung zugeht. Sofern der Arbeitnehmer bereits im Kündigungszeitpunkt als schwerbehinderter Mensch anerkannt ist, steht diesem der Sonderkündigungsschutz auch dann zu, wenn keine Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft oder dem Anerkennungsantrag besteht.[1] Ausnahmsweise kann der Sonderkündigungsschutz nach Rechtsprechung des BAG bereits vor Antragstellung eingreifen, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft für den Arbeitgeber offenkundig ist oder wenn der Schwerbehinderte bereits vor dem Ausspruch der Kündigung den Arbeitgeber über seine körperlichen Beeinträchtigungen informiert und über die beabsichtigte Antragstellung beim Versorgungsamt in Kenntnis gesetzt hat.[2] Offenkundig ist eine Schwerbehinderung, wenn sie unzweifelhaft für jeden ersichtlich besteht. Dabei muss nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung offenkundig sein, sondern auch, dass der Grad der Behinderung in einem Feststellungsverfahren auf wenigstens 50 festgesetzt würde.[3] Insofern ist eine Einschränkung der Möglichkeit des schwerbehinderten Arbeitnehmers, sich auf den Sonderkündigungsschutz zu berufen (z. B. durch Verwirkung), nur dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber tatsächlich schutzbedürftig ist.[4]

 

Rz. 14

Nach § 173 Abs. 3 SGB IX greift der Sonderkündigungsschutz nicht ein, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 152 Abs. 1 Satz 3 SGB IX (also 3 Wochen) eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Dabei ist unter die Alternative "nicht nachgewiesen" auch der Fall zu fassen, dass die Schwerbehinderteneigenschaft nicht offenkundig i. S. d. § 291 ZPO ist.[5] Weiterhin sind jedoch diejenigen Fälle vom Sonderkündigungsschutz erfasst, in denen ein Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft zwar anhängig, aber noch nicht beendet ist, ohne dass dies der Antragsteller zu vertreten hat.[6] Mit der Einführung des § 173 Abs. 3 SGB IX (bzw. § 90 Abs. 2a a. F.) sollte somit nur ausgeschlossen werden, dass ein besonderer Kündigungsschutz auch für den Zeitraum gilt, in dem ein i. d. R. aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben wird.[7] Die ältere Rechtsprechung des BAG hat sich damit z. T. erledigt: Vom Zustimmungserfordernis erfasst werden jedoch nur Kündigungen gegenüber solchen Arbeitnehmern, die bei Zugang der Kündigung bereits als Schwerbehinderte anerkannt sind oder den Antrag auf Anerkennung mindestens 3 Wochen vor dem Zugang der Kündigung gestellt haben, s. § 173 Abs. 3 SGB IX.[8] Eine Antragstellung kurz vor Bekanntwerden der Kündigungsabsicht des Arbeitgebers hilft also nicht mehr.[9] Denn trotz fehlenden Nachweises bleibt der Sonderkündigungsschutz nur dann nach § 173 Abs. 3 2. Alt. SGB IX bestehen, wenn das Fehlen des Nachweises nicht auf fehlender Mitwirkung des Arbeitnehmers beruht. Das Fehlen des Nachweises beruht nach dem Gesetz jedenfalls dann auf fehlender Mitwirkung des Arbeitnehmers, wenn er den Antrag auf Anerkennung oder Gleichstellung nicht mindestens 3 Wochen vor der Kündigung gestellt hat. § 173 Abs. 3 2. Alt. SGB IX enthält insoweit die Bestimmung einer Vorfrist. Der Bescheid über die Schwerbehinderung muss allerdings nicht dem Arbeitgeber vorgelegt werden. Ausreichend ist die objektive Existenz eines geeigneten Bescheids, der die Schwerbehinderung nachweist.[10]

Die Zustimmung des Integrationsamts ist nicht nach § 173 Abs. 3 SGB IX entbehrlich, wenn im Zeitpunkt der Kündigung eine – nicht rechtskräftige und später aufgehobene – Entscheidung des Versorgungsamts vorliegt, mit der ein unter 50 GdB liegender Grad der Behinderung festgestellt wird.[11]

 

Rz. 15

Liegt die erforderliche Zustimmung der Behörde vor, so sind die betroffenen Arbeitnehmer auch in die Sozialauswahl einzubeziehen. Die Frage, ob der Arbeitgeber im Hinblick auf eine gerechte Sozialauswahl zwischen allen Arbeitnehmern die behördliche Zustimmung beantragen muss, ist nach wie vor ungeklärt. Nach der h. M. im Schrifttum steht dem Arbeitgeber ein Ermessensspielraum zu, ob er den Sonderkündigungsschutz akzeptiert, ob er also von der Beantragung der Zustimmung Abstand nimmt oder nicht.[12] Dem SGB IX kann eine solche Wertung allerdings schwerlich entnommen werden. Vielmehr muss sich der Arbeitgeber um die behördliche Zustimmung bemühen, wenngleich es ihm nicht zumutbar ist, hierfür einen Verwaltungsgerichtsprozess anzustrengen.

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