Rz. 42

Eine andere Möglichkeit, Arbeitnehmer einzusetzen, ohne ein Kündigungsrisiko einschätzen und ggf. tragen zu müssen, ist die Arbeitnehmerüberlassung. Sie definiert sich seit dem 1.4.2017 dadurch, dass Arbeitgeber als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen (Arbeitnehmerüberlassung) und die Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen (§ 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AÜG). Diese eigenständige Definition der Leiharbeit ist jedoch überflüssig: Aus der 2-erbeziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer wird im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung eine 3-erbeziehung, in der sich die Arbeitgeberstellung hinsichtlich des Weisungsrechts teilweise auf einen Dritten überträgt. Mithin ist Leiharbeitnehmer ein Arbeitnehmer, für den ein anderer als der Arbeitgeber das Weisungsrecht ausübt. Insofern ist auch hier weiterhin die typologische Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs maßgeblich.[1]

 

Rz. 43

Damit ist nicht jeder 3-bezogene Arbeitseinsatz eine Arbeitnehmerüberlassung i. S. d. AÜG. Diese ist vielmehr durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehung zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsrechtlichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet.[2] Notwendiger Inhalt eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags ist die Verpflichtung des Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen.[3]

 

Rz. 44

Seit dem 1.4.2017 ist in § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG geregelt, dass bei einem Auseinanderfallen des Inhalts des Vertrages und seiner tatsächlichen Durchführung für die rechtliche Einordnung des Vertrages die tatsächliche Durchführung maßgebend ist. Laut Gesetzesbegründung soll dadurch eine Klarstellung hinsichtlich der Relevanz der tatsächlichen Durchführung des Vertragsverhältnisses für die Feststellung eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags erfolgen.[4] Insofern wird im Hinblick auf die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft auf die st. Rspr. des BAG verwiesen.[5] Auch nach dem BAG ist der so ermittelte "wirkliche Wille" der Vertragsparteien entscheidend. Letztlich handelt es sich – wie bei dem parallel ausgestalteten neuen § 611a Satz 5 BGB – um eine Vorschrift, die der missbräuchlichen Bezeichnung eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages, z. B. als Werkvertrag zum Zweck der Umgehung des AÜG, entgegenwirken soll.

Freilich muss er gerade deswegen einschränkend ausgelegt werden: Ist ein Vertrag klar als Arbeitnehmerüberlassung gekennzeichnet, dann führen auch eine fehlende Eingliederung oder fehlende Weisungen nicht zu einer anderen rechtlichen Einordnung. Die Regel funktioniert also nur in eine Richtung – nicht auch in die andere.

 

Rz. 45

Unternehmen können auch bei personellen Engpässen, bedingt durch unerwartete Vertragsbeendigung eines Stammarbeitnehmers, aber auch aufgrund von Urlaub, Krankheit und Mutterschutz auf den Einsatz von Leiharbeitnehmern zurückgreifen, deren Arbeitskraft unmittelbar zur Verfügung steht und die nach Abschluss der Arbeiten wieder zum Arbeitgeber zurückkehren. Damit entfällt das Bedürfnis nach einer Aufstockung der Stammbelegschaft, die langfristig nicht gewollt ist, aber wegen des Kündigungs- und Befristungsschutzes sich u. U. nicht kurzfristig wieder abbauen lässt.[6] Je höher der Kündigungsschutz und je strenger die Befristungsregeln, desto attraktiver die Zeitarbeit.

 

Rz. 46

Soweit Leiharbeit in der Vergangenheit auch zur Umgehung tarifvertraglicher Bindungen oder zur Absenkung von Lohnkosten verwandt wurde[7], ist dies spätestens seit Einführung des Equal Pay-Gebots in §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2 AÜG (seit 1.4.2017 i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG) nicht mehr möglich. Danach ist der Verleiher verpflichtet, für den Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher keine schlechteren als die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorzusehen. Dies gilt jedoch nur, soweit keine tarifvertragliche Regelung dem Verleiher ein niedrigeres Entgeltniveau ermöglicht (§ 8 Abs. 2 AÜG). Diese Abweichung ist allerdings nach § 8 Abs. 5 nur bis zu der Grenze eines Mindestentgelts nach § 3a AÜG und nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG nur in den ersten 9 Monaten der Überlassung möglich, es sei denn, einer der Ausnahmetatbestände des § 8 Abs. 4 Satz 2 AÜG liegt vor.

Weiterhin darf nicht vom Equal Pay-Grundsatz abgewichen werden, wenn der Leiharbeitnehmer in den letzten 6 Monaten vor der Überlassung an den Entleiher aus einem Arbeitsverhältnis bei diesem oder einem Arbeitgeber, der mit dem Entleiher einen Konzern i. S. d. § 18 des Aktiengesetzes bildet, ausgeschieden ist (§ 8 Abs. 3 AÜG).[8]

[1] So auch: BT-Drucks. 18/1006...

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