Rz. 66

Das Widerspruchsrecht des Betriebsrats besteht nur gegen eine ordentliche Kündigung, auch in Form der Änderungskündigung, nicht aber gegen eine außerordentliche Kündigung. Entsprechend anwendbar ist die Norm auf die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist eines aufgrund Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmers (vgl. Rz. 87).

 

Rz. 67

Das Widerspruchsrecht greift bei jeder ordentlichen Kündigung, gleichgültig, ob aus betriebsbedingten, personenbedingten oder verhaltensbedingten Gründen.[1] Der Betriebsrat kann der ordentlichen Kündigung nur aus den Gründen widersprechen, die im Katalog des Abs. 3 abschließend aufgeführt sind.

[1] BAG, Urteil v. 16.3.1978, 2 AZR 424/76, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 15; BAG, Urteil v. 22.7.1982, 2 AZR 30/81, AP KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 5; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 155 m. w. N.

6.1.1 Nicht ausreichende Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte bei der Auswahl des Arbeitnehmers (Nr. 1)

 

Rz. 68

Der Widerspruchsgrund nach Nr. 1 gilt nur für betriebsbedingte Kündigungen, weil für andere Kündigungen eine soziale Auswahl nicht in Betracht kommt.[1] Ein Widerspruch nach Nr. 1 ist auch bei gleichzeitiger Rüge der mangelnden Betriebsbedingtheit der Kündigung zulässig[2] sowie bei gleichzeitiger Geltendmachung personenbedingter oder verhaltensbedingter Gründe. Weil auch hier kann für die soziale Rechtfertigung wesentlich sein, dass die Sozialauswahl nicht fehlerhaft war, soweit die Kündigung nicht als personen- oder verhaltensbedingte, sondern nur als betriebsbedingte Kündigung zulässig ist.[3] Wegen des engen Zusammenhangs mit § 1 Abs. 3 KSchG gilt auch Satz 2 dieser Vorschrift im Rahmen des Widerspruchs nach Nr. 1.[4]

 
Hinweis

Der Wirksamkeit des Widerspruchs steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber vorgibt, die Weiterbeschäftigung der nicht in die Sozialauswahl einbezogenen Arbeitnehmer läge im berechtigten betrieblichen Interesse; insoweit kommt nur die Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht nach Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 in Betracht.

 

Rz. 69

Für die Frage, welche Arbeitnehmer der Betriebsrat in seine Betrachtung mit einbeziehen darf, ist das Kündigungsschutzrecht maßgeblich.[5] Macht der Betriebsrat mit seinem Widerspruch geltend, der Arbeitgeber habe zu Unrecht Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einbezogen, müssen diese Arbeitnehmer vom Betriebsrat entweder konkret benannt oder anhand abstrakter Merkmale bestimmbar sein.[6]

[1] LAG Düsseldorf, Beschluss v. 12.6.1975, 3 TaBV 106/74, DB 1975, 1995; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 159 m. w. N.
[2] LAG Düsseldorf, Urteil v. 21.6.1974, 15 Sa 633/74, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 3 Beschäftigungspflicht.
[3] Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 161; ebenso DKW/Bachner/Deinert, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 209.
[4] Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 163; Fitting, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 78; HWGNRH/Huke, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 132.
[5] S. hierzu ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 318 ff.; zu Besonderheiten im Gemeinschaftsbetrieb s. auch BAG, Urteil v. 5.5.1994, 2 AZR 917/93, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 23.
[6] BAG, Urteil v. 9.7.2003, 5 AZR 305/02, AP BetrVG 1972 § 102 Weiterbeschäftigung Nr. 14; s. auch Rz. 83.

6.1.2 Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie (Nr. 2)

 

Rz. 70

Der Betriebsrat kann der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn er durch sie gegen eine Auswahlrichtlinie verstößt, die nach § 95 BetrVG festgelegt ist. Der Widerspruchsgrund greift nur bei betriebsbedingten Kündigungen.[1]

 
Hinweis

Die Hinzufügung des § 1 Abs. 4 KSchG durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003[2] hat die Bedeutung des Widerspruchsgrunds in Nr. 2 mittelbar erhöht; denn ist in einer Auswahlrichtlinie festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (§ 1 Abs. 4 Satz 1 KSchG).

[1] Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 166 m. w. N.; a. A. DKW/Bachner/Deinert, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 215, nach dem sich der Widerspruchsgrund auf alle Arten von Kündigungen erstreckt.
[2] BGBl. I S. 3002.

6.1.3 Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers – Allgemeines (Nr. 3–5)

 

Rz. 71

Die in Nr. 3–5 genannten Widerspruchsgründe kommen vor allem bei betriebsbedingten Kündigungen, aber auch bei einer personenbedingten Kündigung[1] oder sogar einer verhaltensbedingten Kündigung in Betracht[2]. Ein Widerspruchsrecht ist insbesondere anzuerkennen, wenn ein Arbeitnehmer ohne sein Verschulden schlechte Leistungen erbringt, aber auf einem anderen Arbeitsplatz in der Lage wäre, ordnungsgemäß zu arbeiten, es sich also um Grenzfälle zu einer personenbedingten Kündigung handelt.[3] Aber auch, wenn der Arbeitnehmer durch sein Verschulden nicht mehr auf dem bisherigen Arbeitsplatz beschäftigt werden kann, ist eine Kündigung nur sozial gerechtfertigt, wenn eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit nicht vorhanden oder wegen des schuldhaften Fehlverhaltens dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist.[4]

[1] Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 170, 155 m. w. N.

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