Rz. 6

Tatbestandlich ist das Diskriminierungsrecht strenger als das KSchG. Das KSchG erfasst in seiner aktuellen Ausdeutung durch die Rechtsprechung nicht alle diskriminierenden Kündigungen, d. h. Kündigungen können nach dem KSchG gerechtfertigt sein, sind aber dennoch diskriminierend. Hierfür lassen sich Beispiele finden: Schon in der Vergangenheit galt § 611a BGB a. F. bei geschlechtsdiskriminierenden Kündigungen unabhängig von einer Prüfung nach dem KSchG. Welche Bedeutung der Diskriminierungsschutz auch bei Kündigungen haben kann, zeigen insbesondere die Fälle, in denen eine Krankheit gleichzeitig eine Behinderung ist.[1] Entscheidend sind dann nicht mehr betriebliche Ablaufstörungen und Lohnfortzahlungskosten jenseits der 6 Wochen, sondern ob das Fehlen der Behinderung "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ist". Das ist ein noch strengerer Maßstab, denn die Krankheit wird die Arbeitsleistung nicht gänzlich unmöglich machen, sondern nur zeitweise. Das wäre dann eine deutliche Ausweitung des Kündigungsschutzes bei der personenbedingten Kündigung.

 

Rz. 7

Auch der Kopftuchfall des BAG vom 10.10.2002 belegt die Verschiedenheit der Maßstäbe.[2] Eine muslimische Verkäuferin eines Kaufhauses in einer hessischen Kleinstadt bestand darauf, künftig bei ihrer Tätigkeit ein Kopftuch zu tragen. Ihre Arbeitgeberin war der Ansicht, dies sei ihr wegen des Zuschnitts ihres Kaufhauses nicht zuzumuten und kündigte daraufhin ordentlich. 1. und 2. Instanz gaben ihr recht, das BAG entschied anders: Auch unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse gebe es keinen Erfahrungssatz, dass es bei der Beschäftigung einer Verkäuferin mit einem islamischen Kopftuch in einem Kaufhaus notwendigerweise zu erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen des Unternehmens etwa durch negative Reaktionen von Kunden komme. Der Beklagten wäre es zumindest zuzumuten gewesen, die Klägerin zunächst einmal einzusetzen und abzuwarten, ob sich ihre Befürchtungen in einem entsprechenden Maße realisierten und ob dann etwaigen Störungen nicht auf andere Weise als durch Kündigung zu begegnen gewesen wäre. Das BAG verlangte also einiges von der Arbeitgeberin und es verwundert nicht, dass 2 Instanzen hier anders werteten[3] und auch der Betriebsrat der Kündigung einstimmig zustimmte. Die damalige Entscheidung war also angreifbar, bei Geltung des Diskriminierungsrechts wäre sie es nicht: Zulässig ist dann eine Unterscheidung nach der Religion nur, wenn sie sich auf eine "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" bezieht. Wer nicht nach Kopftüchern allgemein differenziert, sondern gerade auf die religiös bestimmte Verdeckung des Haupthaars abstellt, der unterscheidet nach der Religion. Eine "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" ist der Verzicht auf ein islamisches Kopftuch im Normalfall (d. h. außerhalb des Schulbetriebs[4]) oder bei sonstigen Repräsentanten staatlicher Gewalt[5] aber sicherlich nicht. Der Wille des Arbeitgebers, dem Kundenwunsch, nicht von einer Frau mit islamischem Kopftuch bedient zu werden, nachzukommen, stellt keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung dar.[6] Jedoch kann das Verbot des Tragens eines islamischen Kopftuchs im Einzelfall gerechtfertigt sein, wenn es auf einer internen Regel beruht, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet.[7]

 

Rz. 8

Differenzen bestehen schließlich auch bei der betriebsbedingten Kündigung. Ist bislang etwa im Kündigungsschutz die Schließung eines Unternehmens als unternehmerische Entscheidung weitgehend der Kontrolle der Gerichte entzogen – wenn auch nicht unbegrenzt[8] – so verlangt das Europarecht, dass auch diese Entscheidung nicht gänzlich von richterlicher Kontrolle freigestellt sein darf. In den Downsizing-Fällen, die amerikanische Gerichte zu beurteilen haben, wird regelmäßig danach gefragt, ob denn die Schließung einer bestimmten Betriebsstätte gerade deswegen erfolgte, weil hier überproportional viele ältere Arbeitnehmer, farbige oder weibliche Arbeitnehmer beschäftigt waren.[9] Dies gilt auch für das europäische Recht.

 

Rz. 9

Das Gesagte gilt erst recht für einen Vergleich von § 242 BGB/AGG. Allerdings hat das BAG festgestellt: "Zu den typischen Tatbeständen einer treuwidrigen Kündigung zählen Rechtsmissbrauch und Diskriminierungen".[10] Beides kann jedoch nicht gleichgesetzt werden: Die Treuwidrigkeit schließen schon sachliche Gründe aus, die unmittelbare Benachteiligung nur "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen". Das ist eine sehr viel höhere Messlatte. Eine treuwidrige Kündigung kann daher auch diskriminieren. Nicht jede diskriminierende Kündigung ist jedoch treuwidrig.

[1] Vgl. hierzu EuGH, Urteil v. 11.7.2006, Rs. C-13/05 (Chacón Navas), BB 2006, 1640, NZA 2006, 839 und zur Abgrenzung der Begrifflichkeiten EuGH, Urteil v. 18.1.2018, C-270/16 (Ruiz Conejero), BeckRS 2018 S. 127; EuGH, Urteil v. 11.4.2013, C-335/1, 337/11 (HK Danmark), NZA 2013, 553...

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