Rz. 19

Wird das Organmitglied abberufen, sind 3 Konstellationen denkbar:

  1. Sofern bei Bestellung zum Organvertreter bereits ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand und dieses durch ausdrückliche vertragliche Vereinbarung ruhend gestellt wurde, lebt dieses Arbeitsverhältnis nach Abberufung und Kündigung des Geschäftsführer-Anstellungsvertrags sowie nach Ablauf der darin vorgesehenen Kündigungsfrist wieder auf. Für dieses Arbeitsverhältnis gilt der allgemeine Kündigungsschutz.
  2. Wurde das bis zur Bestellung zum Organvertreter bestehende Arbeitsverhältnis durch ausdrücklichen schriftlichen Aufhebungsvertrag oder eine entsprechende Klausel im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag aufgehoben, endet das Dienstverhältnis der Parteien mit Ablauf der im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag bestimmten Kündigungsfrist. Allgemeiner Kündigungsschutz besteht nicht.[1]
  3. Bestand ursprünglich, d. h. vor der Bestellung zum Organvertreter kein Arbeitsverhältnis, wird das der Bestellung zum Organvertreter zugrunde liegende Anstellungsverhältnis durch die Abberufung nicht automatisch zum Arbeitsverhältnis.[2] Soll nach der Abberufung ein Arbeitsverhältnis neu begründet werden, muss dies ausdrücklich vereinbart werden. Möglich ist auch die konkludente Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses, z. B. durch Weiterarbeit des abberufenen früheren Organvertreters auf einer anderen Position.[3]
 

Beispiel

Der als Vorstandsmitglied einer AG tätige und für den Bereich Marketing und Vertrieb zuständige Franz Müller arbeitet nach seiner Abberufung als Vorstand mit Wissen der Gesellschaft als Abteilungsleiter des Vertriebs weiter.

 

Rz. 20

Ein (neues) Arbeitsverhältnis entsteht nur dann, wenn die Parteien sich darüber einig sind, dass das Vertragsverhältnis unter den geänderten Bedingungen fortgesetzt werden soll, das ehemalige Organmitglied also zukünftig als Arbeitnehmer tätig wird. In diesem Fall greift dann auch das KSchG ein, und zwar auch dann, wenn die Kündigung auf Vorfälle während der Amtszeit als Organmitglied gestützt wird.[4]

 
Hinweis
  1. 1. Maßgeblich für das Eingreifen der Fiktion des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG ist der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung.[5] Eine Übertragung der für die Zulässigkeit des Rechtswegs und das Eingreifen der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG geltenden Grundsätze auf die Fiktion des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG und die Anwendung des allgemeinen Kündigungsschutzes kommt nicht in Betracht.[6]
  2. 2. Es liegt keine treuwidrige Vereitelung der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf die Kündigung des Vertragsverhältnisses eines GmbH-Geschäftsführers vor, wenn die vor Kündigungszugang bereits beschlossene Abberufung als Geschäftsführer erst nach Kündigungsausspruch vorgenommen wird.

    So liegt etwa bei einer Wartezeitkündigung (6-Monats-Frist des § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG) die Treuwidrigkeit nicht schon deshalb vor, weil der Arbeitgeber durch Ausspruch der Kündigung in der Wartezeit einen Rechtsstreit um die soziale Rechtfertigung der Kündigung vermeiden will. Ebenso ist ein Verstoß gegen Treu und Glauben nicht allein deshalb anzunehmen, wenn die Gesellschaft ihre Gestaltungsrechte so ausgeübt hat, dass der Geschäftsführer nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG keinen Kündigungsschutz erwerben konnte.[7]

[1] Zur Vereinbarung der Geltung der materiellen Regeln des Kündigungsschutzgesetzes zugunsten des Organmitglieds im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag s. BGH, Urteil v. 10.5.2010, II ZR 70/09, dazu ausführlich oben Rz. 3.
[3] APS/Biebl, § 14 KSchG, Rz. 12.
[4] Vgl. BAG, Urteil v. 22.2.1974, 2 AZR 289/73, DB 1974, 1243.
[5] BAG, Urteil v. 11.6.2020, 2 AZR 374/19, NZA 2020, 1179, Rz. 16; BAG, Urteil v. 25.10.2007, 6 AZR 1045/06, Rz. 22, NZA 2008, 168.

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