Rz. 13

§ 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III bestimmt, dass ungeachtet des Ruhens des Arbeitslosengeldanspruchs gleichwohl eine Leistungspflicht der Agentur für Arbeit dann besteht, wenn der Arbeitnehmer trotz des Anspruchs auf das Arbeitsentgelt oder die Urlaubsabgeltung die Leistung nicht erhält. Damit wird der Arbeitslose so behandelt, als stünde ihm der an sich gegebene Anspruch auf Arbeitsentgelt oder Urlaubsabgeltung nicht zu. Insofern führt die Regelung des § 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III zu einer Art Fiktion eines Versicherungsfalls. Dabei ist § 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht nur dann anzuwenden, wenn mit Sicherheit ein Arbeitsentgeltanspruch besteht und lediglich eine Verwirklichung nicht in kurzer Zeit erreicht werden kann, sondern vielmehr auch in den Fällen, in denen ein solcher Anspruch, etwa wenn der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage erhoben hat, nur möglicherweise besteht oder entstehen kann.[1] Mit anderen Worten: Die Regelung befreit die Bundesagentur für Arbeit von einer Überprüfung vor der Gewährung des Arbeitslosengeldes, ob der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Arbeitsentgelt oder Urlaubsabgeltung gegen den Arbeitgeber hat und ob dieser erfüllt wird.[2]

Sofern die Gerichte für Arbeitssachen davon ausgehen, dass bei einer Gleichwohlgewährung in arbeitsrechtlicher Hinsicht die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ruhen[3], entspricht dies nicht der Regelungssystematik des § 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III. Der Gesetzgeber ist gerade davon ausgegangen, dass während der Gleichwohlgewährung der Anspruch auf Arbeitsvergütung weiterhin Bestand hat, da dort § 115 SGB X ausdrücklich erwähnt wird. Die Gleichwohlgewährung als solche verändert also nicht die arbeitsvertraglichen Pflichten. Als Ausgleich für die Gleichwohlgewährung erhält die Bundesagentur für Arbeit nach § 157 Abs. 3 Satz 2 SGB III unter den dort genannten Voraussetzungen einen Erstattungsanspruch gegen den Arbeitslosen, wenn der Arbeitgeber Arbeitsentgelt oder Urlaubsabgeltung mit befreiender Wirkung geleistet hat.[4] Dies ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass § 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III auf § 115 SGB X verweist. Nach dieser Vorschrift gehen in Höhe des gezahlten Arbeitslosengeldes die Forderungen des Arbeitslosen gegen seinen Arbeitgeber auf die Agentur für Arbeit über; dies gilt z. B. auch für Annahmeverzugslohnansprüche.[5] Bei der Gleichwohlgewährung handelt es sich also nicht etwa um eine "besondere Art" von Arbeitslosengeld, sondern lediglich um eine Ausnahme von dem Ruhenstatbestand des § 157 Abs. 1 SGB III.[6]

 

Rz. 14

Als "Gleichwohlgewährung" wird die Leistung nach § 157 Abs. 3 SGB III deshalb bezeichnet, da unter rückschauender Betrachtung an sich ein Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen des Arbeitsentgeltanspruchs oder des Anspruchs auf die Urlaubsabgeltung nicht besteht.[7] Mit der Gleichwohlgewährung erfüllt die Arbeitslosenversicherung nicht die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers, wirtschaftlich tritt ihre Leistung jedoch für den Arbeitnehmer in Höhe des gezahlten Arbeitslosengelds an die Stelle des ihm vorenthaltenen Lohnes.[8] Dennoch gewährt § 157 Abs. 3 SGB III einen Rechtsanspruch auf die Leistung.[9] Die Zahlung von Arbeitslosengeld nach § 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist keine vorläufige, sondern vielmehr eine endgültige Entscheidung (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 18.8.2022, L 14 AL 42/18[10]). D. h., dass die Agenturen für Arbeit in derartigen Fällen diese Art von Arbeitslosengeld von Gesetzes wegen zu gewähren haben, um mit der Bewilligung einem bestehenden Rechtsanspruch gerecht zu werden.

 

Rz. 15

Die Gewährung bleibt selbst dann rechtmäßig, wenn der Empfänger des Arbeitslosengeldes später das Arbeitsentgelt oder das Urlaubsentgelt erhält.[11] Insbesondere sieht das Gesetz nicht vor, dass die Arbeitslosengeldbewilligung rückwirkend aufzuheben ist, sobald sich herausstellt, dass der Arbeitgeber der Bundesagentur für Arbeit die Aufwendungen für den Versicherungsfall erstattet hat. Selbst in den Fällen, in denen die Bundesagentur für Arbeit vom Arbeitslosengeldempfänger eine Arbeitslosengelderstattung verlangt, weil das Arbeitsentgelt trotz des Übergangs des Anspruchs auf die Bundesagentur für Arbeit an den Arbeitslosen gelangt ist (§ 157 Abs. 3 Satz 2 SGB III), setzt dies nach st. Rspr. des BSG nicht die Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung voraus.[12] Also auch dann, wenn der Arbeitgeber nach Bewilligung von Arbeitslosengeld den eigentlich nach § 115 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Anspruch erfüllt, bleibt die Gleichwohlgewährung rechtmäßig.[13]

 

Rz. 16

Die Leistung von Arbeitslosengeld im Wege der Gleichwohlgewährung hat grds. die gleichen Rechtsfolgen, als wenn Arbeitslosengeld ohne Gleichwohlgewährung gezahlt worden wäre. Daher stellt eine Gleichwohlgewährung – genauso wie das Arbeitslosengeld – keine dem Krankengeld (§§ 44 ff. SGB V) vergleichbare sozialversicherungsrechtliche Leistung dar. Vielmehr handelt es sich um eine Entgeltersatzleistung, die bei Arbeitslosigkeit und beruflicher Wei...

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