1 Allgemeines

1.1 Normzweck und Bedeutung

 

Rz. 1

§ 617 BGB ist eine gesetzliche Konkretisierung der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und aller Dienstberechtigten. Er hat eine Auffangfunktion für Arbeitnehmer und sonstige Dienstverpflichtete, soweit diese nicht krankenversichert sind. Der Gesetzgeber wollte damit Lücken im System der Krankenversicherung durch eine untergeordnete Einstandspflicht des Dienstberechtigten abdecken[1], d. h. § 617 BGB ist subisidiär zur Absicherung durch die Krankenversicherung. Der Anwendungsbereich erfasst nicht nur Arbeitsverhältnisse, sondern alle Dienstverhältnisse. Der praktische Anwendungsbereich der Regelung ist heute wegen der umfassenden Absicherung nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch der anderen Dienstverpflichteten, jedoch gering.[2] Darüber hinaus ist die Anzahl der häuslich beschäftigten Dienstverpflichteten (sog. patriarchalische Hausgemeinschaft) unbedeutend.

[1] MükoBGB/Henssler, 8. Aufl. 2020, § 617 Rz. 1.
[2] Hierauf weist ErfK/Preis, 22. Aufl. 2022, § 617 BGB, Rz. 1 zurecht hin.

1.2 Rechtsnatur

 

Rz. 2

Der Anspruch aus § 617 BGB ist zwingend, d. h., die Verpflichtungen des Arbeitgebers können weder im Voraus durch Vertrag aufgehoben noch beschränkt werden (vgl. § 619 BGB). Es handelt sich um eine vertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers/Dienstberechtigten. Er ersetzt nicht den während einer Erkrankung eventuell bestehenden Vergütungsanspruch, z. B. den Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem EFZG, sondern besteht selbstständig daneben. Er ist weder abtretbar (vgl. § 399 BGB), noch ist er pfändbar oder verpfändbar (vgl. § 851 ZPO).[1]

[1] ErfK/Preis, 22. Aufl. 2022, § 617 BGB, Rz. 1.

2 Anspruchsvoraussetzungen

 

Rz. 3

§ 617 BGB setzt voraus, dass der Betroffene zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehört, eine Erkrankung vorliegt und dass ihm am Eintritt der Krankheit kein Verschulden trifft.

2.1 Dauerndes Dienstverhältnis

 

Rz. 4

Anspruchsberechtigt sind alle Dienstverpflichteten, die aufgrund eines Dienstvertrags (§ 611 BGB) in einem andauernden, d. h. unbefristeten oder über einen längeren Zeitraum befristeten Dienstverhältnis stehen. Der Dienstverpflichtete muss nicht zwingend Arbeitnehmer sein. Letztlich haben aber wohl lediglich Arbeitnehmer (§ 611a BGB) einen Anspruch; die Verpflichtung auf der Grundlage eines Werkvertrags genügt jedenfalls nicht. Auch freie Dienstvertragsnehmer können sich nicht auf den Schutz berufen, weil diese mit der vom Gesetz geforderten "Eingliederung in den Haushalt" (unten Rz. 6) des Arbeitgebers regelmäßig ihre Selbstständigkeit verlieren.[1] Vorausgesetzt wird eine gesteigerte zeitliche Intensität des Verhältnisses. "Dauernd" ist dieses, wenn es entweder von den Parteien (subjektiv) auf einen längeren Zeitraum angelegt ist oder unabhängig von der Parteivorstellung (objektiv) von längerer Dauer ist.[2] Als Richtwert für die Voraussetzung "längerer Zeitraum" wird ein Zeitraum von 6 Monaten angenommen.[3] Das Dienstverhältnis muss aber nur auf einen längeren Zeitraum "angelegt" sein, d. h. noch nicht dauerhaft bestanden haben, um den Anspruch nach § 617 Abs. 1 Satz 1 zu enthalten.

Es kommt nicht darauf an, ob es sich um ein befristetes oder unbefristetes Dienstverhältnis handelt. Auch mehrere unmittelbar aufeinander folgende Dienstverhältnisse können das Dauerelement erfüllen. Gleiches gilt für kurzzeitig befristete Verträge. Es darf sich nur nicht um eine einmalige Leistung handeln.

[1] MüKoBGB/Henssler, 8. Aufl. 2020, § 617 Rz. 4.
[2] So RG 146, 117; ErfK/Preis, 22. Aufl. 2022, § 617 BGB, Rz. 2.
[3] MüKoBGB/Henssler, 8. Aufl. 2020, § 617 Rz. 5; kritisch hierzu ErfK, Preis, 22. Aufl. 2022, § 617 BGB Rz. 2.

2.2 Erwerbstätigkeit als Haupttätigkeit

 

Rz. 5

Die Erwerbstätigkeit des Arbeitnehmers/Dienstverpflichteten muss ihn vollständig oder zumindest hauptsächlich in Anspruch nehmen (BAG Urteil v. 12.7.2006, 5 AZR 277/06 zu § 627 BGB[1]). Steht dieser zugleich in mehreren Dienstverhältnissen, so ist der zeitliche Anteil, den die Erfüllung der jeweiligen Dienstleistungsverpflichtung an der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit ausmacht, maßgebliches Beurteilungskriterium.[2] Es kommt dagegen nicht auf die Höhe der Vergütung sowie das Ausmaß der tatsächlichen Arbeitsleistung[3] an. Vielmehr kann die Haupttätigkeit auch diejenige sein, die in erheblichem Umfang bloße Bereitschaftszeiten umfasst. Vorausgesetzt wird für eine Haupttätigkeit, dass der Zeitanteil mehr als die Hälfte des Gesamtzeitraums in Anspruch nimmt.[4]

[1] NZA 2006, 1094, Rz. 16.
[2] So Staudinger, Oetker, § 617, Rz. 22 f m. w. N.
[3] Vgl. MüKoBGB/Henssler, 8. Aufl. 2020, § 617 Rz. 6 m. w. N.
[4] Zutreffend Staudinger, Oetker § 617, Rz. 22 f.; ebenso ErfK/Preis, 22. Aufl. 2022, § 617 Rz. 2. Nach HWK/Krause, 10. Aufl. 2022, § 617 BGB, Rz. 2 sollen wöchentlich mindestens 15 Stunden genügen.

2.3 Aufnahme in die häusliche Gemeinschaft

 

Rz. 6

Darüber hinaus muss der Dienstverpflichtete vom Dienstberechtigten in die häusliche Gemeinschaft aufgenommen worden sein. Die intensive Verpflichtung des Dienstberechtigten/Arbeitgebers wird ausschließlich wegen der Aufnahme in die Wohn- und Verpflegungsgemeinschaft und der damit verbundenen beson...

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