Rz. 14

Von § 616 BGB erfasst werden können auch Arztbesuche. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Arbeitnehmer nicht krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist; in einem solchen Fall ginge der Anspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG vor. Außerdem ist notwendig, dass der Arztbesuch zwingend während der Arbeitszeit erfolgen muss. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Arztbesuch schon immer dann notwendig wird, wenn der behandelnde Arzt einen Arbeitnehmer während der Arbeitszeit zur Behandlung oder Untersuchung in seine Praxis bestellt. Der Arbeitnehmer muss die Verhinderung möglichst zu vermeiden suchen. Ist ein (weiterer) Arztbesuch notwendig, muss der Arbeitnehmer den Arzt grundsätzlich bitten, den Behandlungstermin wenn möglich auf einen Zeitpunkt zu verlegen, zu dem keine Arbeitspflicht besteht. Erst wenn der Arzt sich auf diesen Wunsch des Patienten nicht einlässt, ist die Wahrnehmung während der Arbeitszeit notwendig im Sinne von § 616 BGB (vgl. BAG, Urteil v. 29.2.1984, 5 AZR 92/82). Ein Arztbesuch während der Arbeitszeit kann generell als "erforderlich" angesehen werden, wenn der Arbeitnehmer die Lage des Untersuchungstermins nicht beeinflussen kann (BAG, Urteil v. 22.1.1986, 5 AZR 34/85; LAG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 23.6.2010, 5 Sa 340/09).

 
Praxis-Beispiel

Bietet ein Arzt oder Zahnarzt Abendsprechstunden an, muss der Arbeitnehmer den Arztbesuch grundsätzlich auf eine Zeit außerhalb der Arbeitszeit legen; eine Ausnahme gilt lediglich für den Fall, dass medizinische Notwendigkeiten den Arztbesuch während der Arbeitszeit erfordern. Ist es beispielsweise für eine Blut- oder Vorsorge-Untersuchung notwendig, dass der Patient erscheint, ohne (mehrere Stunden) zuvor etwas gegessen und getrunken zu haben, ist ein Arztbesuch am frühen Vormittag erforderlich; der Arbeitnehmer muss sich in einem solchen Fall nicht darauf verweisen lassen, dass er einen Termin in einer Abendsprechstunde wahrnehmen könne.

Da jeder Arbeitnehmer den Arzt seines Vertrauens aufsuchen darf, kann er vom Arbeitgeber nicht darauf verwiesen werden, dass ein anderer Arzt zur Untersuchung oder Behandlung außerhalb der Arbeitszeit bereit wäre; die Wahl des Arztes hat Vorrang vor der Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers (BAG, Urteil v. 29.2.1984, 5 AZR 92/82[1]).

 

Rz. 15

Entsprechendes gilt für Zahnarztbesuche während der Arbeitszeit. Auch insoweit kann ein Anspruch nach § 616 BGB gegeben sein. Voraussetzung ist, dass das Aufsuchen des Zahnarztes notwendig ist. Dazu reicht jedoch z. B. nicht aus, dass ein Arbeitnehmer eine Plombe aus einem Zahn verliert. Erst wenn etwa plötzlich heftige Zahnschmerzen hinzukommen, kann das Erfordernis einer sofortigen zahnärztlichen Behandlung bejaht werden (BAG, Urteil v. 29.2.1984, 5 AZR 455/81[2]).

Liegt der Arztbesuch in der Arbeitszeit, muss der Arbeitnehmer auf Verlangen des Arbeitgebers eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, aus der hervorgeht, dass eine Notwendigkeit zum Arztbesuch während der Arbeitszeit bestand. Führt der Arbeitgeber ein Formular ein, auf dem die Arbeitnehmer die Notwendigkeit eines Arztbesuchs während der Arbeitszeit vom Arzt bescheinigen lassen sollen, so trifft er damit eine Regelung der betrieblichen Ordnung, bei der der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zwingend mitzubestimmen hat (BAG, Beschluss v. 21.1.1997, 1 ABR 53/96[3]).

Ist der Arbeitnehmer jedoch bereits bei Arbeitsbeginn arbeitsunfähig erkrankt und muss er deswegen den Arzt aufsuchen, greift § 616 BGB nicht ein. Es gelten dann die Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes (BAG, Urteil v. 7.3.1990, 5 AZR 189/89[4]).

[1] BB 1984, 1046.
[2] BB 1984, 1164,
[3] AP Nr. 27 zu § 87 BetrVG 1972, Ordnung des Betriebs.
[4] DB 1990, 1469.

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