Rz. 111

Ob aus einem wiederholten tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers eine betriebliche Übung mit Anspruch auf eine zukünftige Gewährung entsteht oder ob aus dem Verhalten des Arbeitgebers nur eine Vergünstigung für das jeweilige Jahr abzuleiten ist, ist in den Tatsacheninstanzen unter Berücksichtigung aller Umstände zu ermitteln.[1] Eine vertragliche Bindung kann nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände ein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer begründen.[2] Ein Gratifikationsanspruch des Arbeitnehmers ist aufgrund betrieblicher Übung dann gegeben, wenn der Arbeitgeber eine Gratifikation wiederholt vorbehaltlos zahlt und hierdurch für die Arbeitnehmer ein Vertrauenstatbestand entsteht, der Arbeitgeber wolle sich diesbezüglich auch für die Zukunft binden. Die Entstehung eines solchen Vertrauenstatbestandes ist nicht dadurch gehindert, dass der Arbeitgeber die Höhe der Zuwendung jährlich neu festsetzt, sofern nur eine gewisse Regelmäßigkeit, beispielsweise in Form eines Mindestbetrags, ersichtlich ist.[3]

 
Hinweis

Ein derartiger Vertrauenstatbestand ist nach dreimaliger Zahlung anzunehmen, falls nicht besondere Umstände dagegen sprechen.[4]

 

Rz. 112

Will der Arbeitgeber verhindern, dass aus der Stetigkeit eines Verhaltens eine in die Zukunft wirkende Bindung entsteht, muss er einen entsprechenden Vorbehalt erklären. Dabei gilt kein Formzwang. Erforderlich ist, dass der Vorbehalt klar und unmissverständlich kundgetan wird.[5] Daher ersetzt der Umstand, dass der Arbeitgeber vorhatte, eine Kündigungsklausel in eine Betriebsvereinbarung aufzunehmen, wenn es denn zu einer gekommen wäre, nicht die ausdrückliche Erklärung eines Vorbehalts.[6] Der Arbeitgeber kann den Vorbehalt sowohl durch Aushang oder Rundschreiben als auch durch Erklärung gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer bekannt geben.[7] Eine für den Arbeitnehmer erkennbar auf das jeweilige Kalenderjahr bezogene Zusage einer Leistung begründet keine Ansprüche der Leistungsempfänger aus einer betrieblichen Übung für zukünftige Jahre. Ein Widerrufsvorbehalt bzw. die Mitteilung, dass die Leistung freiwillig erfolgt, ist in diesem Fall nicht erforderlich, um Ansprüche für die Zukunft zu beseitigen bzw. überhaupt nicht entstehen zu lassen.[8]

 

Rz. 113

Der für das Entstehen einer betrieblichen Übung erforderliche Bindungswille ist in der Wechselbeziehung von Leistung und Gegenleistung nach der Rspr. des BAG eher anzunehmen, als für den Fall, dass ein Gegenstand betroffen ist, der seinem Schwerpunkt nach der Organisation des Betriebs zuzurechnen ist und daher üblicherweise auf kollektiver Ebene oder durch Ausübung des Direktionsrechts geregelt wird. Je mehr eine Regelung auf das Funktionieren des Betriebs in seiner Gesamtheit bezogen ist, desto weniger können die Arbeitnehmer annehmen, der Arbeitgeber wolle sich mit einem bestimmten Verhalten ihnen gegenüber individualrechtlich binden.[9] Allein die Leistung an einzelne Arbeitnehmer lässt noch nicht auf einen zurechenbaren objektiven Bindungswillen des Arbeitgebers schließen, er wolle allen Arbeitnehmern oder zumindest allen Arbeitnehmern einer abgrenzbaren Gruppe die Leistung zukommen lassen.[10] Eine allgemeinverbindliche Regel, ab welcher Anzahl von Leistungen ein Arbeitnehmer auf die Fortgewährung auch an ihn schließen darf, gibt es nicht. Es ist auf die Art, Dauer und Intensität der Leistungen abzustellen. Dabei kommt es auch auf die Zahl der Anwendungsfälle im Verhältnis zur Belegschaftsstärke oder zur Stärke einer begünstigten Gruppe an. Ferner sind neben der Bewertung der Relation von Anzahl und Wiederholungen und Dauer der Übung auch Art und Inhalt der Leistungen einzubeziehen.[11]

 

Rz. 114

Die Annahme eines entsprechenden Bindungswillens des Arbeitgebers setzt voraus, dass er zu dem von ihm praktizierten Verhalten nicht verpflichtet war.[12] Eine betriebliche Übung entsteht daher nicht, wenn der Arbeitgeber zu den zu ihrer Begründung angeführten Verhaltensweisen durch andere Rechtsgrundlagen verpflichtet war[13] oder sich irrtümlich aufgrund einer vermeintlichen Verpflichtung aus einer anderen Rechtsgrundlage zur Leistungserbringung verpflichtet glaubte.[14] Weil es aber auf die subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers nicht ankommt,[15] verhindert eine irrtümliche Zahlung des Arbeitgebers nur dann die Entstehung einer Betriebsübung, wenn der Arbeitnehmer aus den Umständen den Irrtum erkennen kann.[16] Vertraut der Arbeitnehmer hingegen darauf, dass der Arbeitgeber seinen Irrtum erkannt hat und durch die weitere Vergütung eine unabhängige arbeitsvertragliche Verpflichtung begründen will, so ist von der Entstehung einer betrieblichen Übung auszugehen.[17] Im Bereich der Privatwirtschaft besteht also ein Anspruch aus betrieblicher Übung grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitgeber sich über die Voraussetzungen der Zahlung geirrt hat.[18] Die apodiktische Feststellung, eine betriebliche Übung sei ausgeschlossen, soweit der Arbeitgeber mit seinem Verhalten lediglich einer ohnehin bestehenden Ve...

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