Grenzen für ihre Rechtssetzungsmacht ergeben sich für die Tarifvertragsparteien aus der negativen Koalitionsfreiheit der nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer. Art. 9 Abs. 3 GG schützt entgegen seinem Wortlaut nicht nur das Recht des einzelnen, einer Koalition und damit einer Arbeitnehmer- bzw. Arbeitgeberkoalition beizutreten (positive Koalitionsfreiheit). Durch die genannte Grundgesetznorm wird ebenso die Freiheit des einzelnen gewährleistet, einer Koalition fernzubleiben und eine bestehende Mitgliedschaft durch Kündigung aufzulösen (negative Koalitionsfreiheit).[1] Die negative Koalitionsfreiheit ist dementsprechend ein Grundrecht, das sich als Spiegelbild der positiven Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG ergibt. Nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG sind Abreden nichtig und damit nach § 134 BGB unwirksam, die einen Eingriff in die positive oder negative Koalitionsfreiheit enthalten.

Zu den Abreden i. S. d. genannten Grundgesetzartikels zählen auch Tarifverträge. Daher sind Vereinbarungen unwirksam, die eine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft als Voraussetzung für eine Beschäftigung im Betrieb vorsehen (sog. Organisationsklauseln).

 

Organisationsklausel

Arbeitgeber und Gewerkschaft vereinbaren in einem Firmentarifvertrag, dass der Arbeitgeber bei gleicher Eignung Bewerber bevorzugt einstellt, die der abschließenden Gewerkschaft angehören. Dieser Teil des Tarifvertrags verstößt gegen Art. 9 Abs. 3 GG und ist nichtig.

Ebenso verstoßen Tarifnormen gegen höherrangiges Recht, die Vergünstigungen nur für organisierte Arbeitnehmer vorsehen und eine entsprechende Begünstigung der nicht oder anders organisierten untersagen, weil auf diese Weise für die nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer ein unzulässiger Anreiz geschaffen wird, der Gewerkschaft beizutreten (sog. Differenzierungsklauseln; auch Spannen- oder Abstandsklauseln).[2]

 

Differenzierungsklausel

In einem Tarifvertrag ist vereinbart, dass gewerkschaftsangehörige Arbeitnehmer 150 % des Weihnachtsgelds erhalten, das nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmern gezahlt wird. Auch eine solche Vereinbarung verstößt gegen die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte negative Koalitionsfreiheit.

Zulässig ist es hingegen, durch die Regelungen in einer Betriebsnorm die Arbeitsverhältnisse auch der nicht organisierten Arbeitnehmer zu erfassen.

 

Betriebsnorm

Wird in einem Tarifvertrag festgelegt, dass die Geschäftsstellen einer Bank am 31. Dezember eines Jahres geschlossen bleiben, gilt diese Regelung auch für Arbeitnehmer, die ansonsten von dem Tarifvertrag nicht erfasst werden, etwa für außertarifliche Angestellte. Der Arbeitgeber darf also auch nicht mit ihrer Hilfe den Publikumsverkehr durchführen.[3]

Noch nicht abschließend ist die Zulässigkeit der Übertragung von Rechtssetzungsmacht im Tarifvertrag auf Arbeitgeber und Betriebsrat geklärt. Während der Tarifvertrag grundsätzlich nur bei beiderseitiger Verbandsmitgliedschaft im Arbeitsverhältnis gilt, können die Tarifvertragsparteien durch eine betriebliche Öffnungsklausel den Tarifvorrang bzw. Tarifvorbehalt[4] beseitigen. Dann sind Betriebsvereinbarungen unbeschränkt zulässig, die aber nicht nur für die organisierten, sondern für alle Arbeitnehmer gelten. Auf diese Weise wird durch den Tarifvertrag mittelbar in die Arbeitsbedingungen der anders- oder nichtorganisierten Arbeitnehmer eingegriffen.

[1] BGH, Urteil v. 22.9.1980, II ZR 34/80 (maximal halbjährige Kündigungsfrist).
[2] BAG, Beschluss v. 29.11.1967, GS 1/67; zuletzt allerdings offengelassen, ob dies auch zukünftig gilt durch BAG, Urteil v. 9.5.2007, 4 AZR 275/06.
[4] S. Abschn. 6.4 Betriebsvereinbarung.

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