Rz. 31

Behinderte Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen gelten im rentenrechtlichen Sinne als voll erwerbsgemindert, ohne dass es einer Feststellung im Einzelfall bedarf, ob der behinderte Mensch in der Lage sei, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen mit einer Arbeitszeit von wenigstens 3 Stunden täglich ausüben zu können (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI).

Damit gehören behinderte Menschen in Werkstätten, sofern sie das 18. Lebensjahr vollendet haben, grundsätzlich zu den Anspruchsberechtigten für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII.

 

Rz. 32

Weitere Voraussetzung für diese Leistung ist, dass die volle Erwerbsminderung dauerhaft ist.

Die Bundesregierung hat hierzu in einer Antwort auf eine schriftliche Frage des Abgeordneten des Deutschen Bundestages Markus Kurth im Deutschen Bundestag (BT-Drs. 16/10547 Frage 31, S. 16, 17) zum Ausdruck gebracht, dass sie die Auffassung vertrete, dass behinderte Menschen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich (noch) keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel SGB XII haben. Von einer Dauerhaftigkeit der vollen Erwerbsminderung sei in dem fraglichen Zeitpunkt noch nicht auszugehen.

 

Rz. 33

Zum 1.7.2017 war in § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII eine Verfahrensregelung aufgenommen worden, wonach auch für Menschen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich kein Ersuchen zur Feststellung einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung zu stellen sei. Diese Regelung sollte klarstellen, dass auch bei dieser Personengruppe kein Ersuchen des Trägers der Leistungen der Grundsicherung an den Rentenversicherungsträger erforderlich sei, weil diese Personengruppe bereits kraft der gesetzlichen Regelung in § 43 SGB VI voll erwerbsgemindert sei. Es war jedoch nicht Absicht des Gesetzgebers, mit dieser Klarstellung in der Verfahrensvorschrift des § 45 SGB XII auch einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für diese Personengruppe zu bestimmen.

 

Rz. 34

Obgleich das BSG in seinem Urteil v. 23.3.2010 (B 8 SO 17/09 R, dort insbesondere Rz. 16) klargestellt hatte, dass § 45 SGB XII eine reine Verfahrensvorschrift sei, aus der ein Anspruch selbst nicht abgeleitet werden könne – (in dem Revisionsverfahren ging es allein um die Frage, ob das Ausbildungsgeld auf die Leistungen anzurechnendes Einkommen sei, den Anspruch dem Grunde nach hatten die Vorinstanzen bereits bejaht, der Anspruch war nicht Gegenstand der Revision, sodass das BSG trotz kritischer Anmerkungen hierzu sich mit der Frage des Anspruchs nicht befassen konnte) – hatte die Rechtsprechung in der Folge aus dieser zum 1.7.2017 geschaffenen Regelung einen Anspruch auf die Leistungen auch für die Rehabilitanden im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich hergeleitet. Dieser Rechtsauffassung von Sozialgerichten und Landessozialgerichten hatten sich die Länder angeschlossen und dem Bund im Herbst 2018 mitgeteilt, sich vorzubehalten, künftig auch Menschen mit Behinderungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich Leistungen der Grundsicherung zu bewilligen um Widerspruchs- und Klageverfahren zu vermeiden und insoweit Verwaltungskosten einzusparen.

 

Rz. 35

Mit dem Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz) v. 10.12.2019 (BGBl. I S. 2135) folgte der Bund dieser Verwaltungspraxis. In § 41 SGB XII wurde Abs. 3a eingefügt, in dem nun bestimmt ist, dass auch Menschen mit Behinderungen im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich in einer Werkstatt für behinderte Menschen (§ 57) oder in einer entsprechenden Maßnahme bei einem anderen Leistungsanbieter (§ 60) ebenfalls einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung haben. Ebenfalls einen solchen Anspruch haben Menschen mit Behinderungen, die in einem Ausbildungsverhältnis stehen, für das sie ein Budget für Ausbildung (§ 61a) erhalten.

 

Rz. 36

Der Gesetzgeber hat für die Personengruppe eine eigene Leistungsvorschrift geschaffen und damit seine bisherige Rechtsauffassung, diese Personengruppe sei zwar kraft Gesetzes (§ 43 SGB VI) voll erwerbsgemindert, dies jedoch noch nicht dauerhaft (im Einzelnen Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 19/13399, zu Art. 1 Nr. 2), ausdrücklich beibehalten.

Eine Festlegung, dass bereits während der Zeit des Eingangsverfahrens und des Berufsbildungsbereichs die volle Erwerbsminderung dauerhaft sei, wäre auch ein "Zugeständnis", dass eine berufliche Bildung des behinderten Menschen von vornherein sinnlos wäre. Dies stünde auch mit einem Anspruch auf eine angemessene berufliche Bildung, die wenigstens 2 Jahre, nach mancher Vorstellung sogar noch länger andauern solle, in Widerspruch.

Die Vorschrift ist am Tage nach Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt (Veröffentlichung am 12.12.2019), also am 13.12.2019, in Kraft getreten. Der Anspruch besteht also bereits für den ...

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