Rz. 39

Damit Menschen mit Behinderung oder drohender Behinderung die für sie erforderlichen Leistungen zur Teilhabe im frühestmöglichen Stadium erhalten, ist es erforderlich, dass Anzeichen eines möglichen Bedarfs an Leistungen zur Teilhabe frühzeitig erkannt werden. Das Erkennen solcher Anzeichen ist gemeinsame Aufgabe der Rehabilitationsträger sowie aller potenziell am Rehabilitationsprozess beteiligten Akteure.

Nach § 13 Abs. 1 verpflichtet der Gesetzgeber alle Rehabilitationsträger dazu, den individuellen Rehabilitations- bzw. Teilhabebedarf mithilfe von

  • systematischen Arbeitsprozessen (z. B. Screenings, Erhebungen, Analysen, Dokumentation, Planung und Ergebniskontrolle) und
  • standardisierten Arbeitsmitteln (z. B. Selbstauskunftsbögen, Antragsunterlagen, Befundberichte, Checklisten, Leitfäden, Gutachten)

(Instrumente) zu ermitteln – und zwar nach den für sie geltenden Leistungsgesetzen. Der Bezug zu den jeweiligen Leistungsgesetzen der Rehabilitationsträger stellt allerdings klar, dass die Instrumente nicht in allen Rechtskreisen identisch sein müssen und können. Trotzdem erwächst nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/9522 S. 232 f.) bei der Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs die Notwendigkeit, trägerübergreifend nach möglichst einheitlichen Maßstäben zusammenzuarbeiten; anderenfalls wären eine nahtlose Leistungserbringung und eine effektive Durchführung des Teilhabeplanverfahrens systembedingt nicht möglich.

 
Praxis-Beispiel

Ein 35-jähriger, verheirateter LKW-Fahrer wohnt im 3. Stock eines älteren Hauses ohne Aufzug. Aufgrund eines während eines Urlaubs erlittenen Verkehrsunfalls verliert er beide Beine.

Folge:

Es ist mit der Zielsetzung des SGB IX nicht vereinbar, wenn die leistende Krankenkasse den zu ermittelnden Rehabilitationsbedarf nur im Bereich der medizinischen Rehabilitation ermittelt. Vielmehr muss sie auch gleichzeitig (!) den Teilhabebedarf im Rahmen der

  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben prüfen (= z. B. "Umschulung" oder "behindertengerechte Ausstattung" des LKWs nach der Versorgung mit Beinprothesen? Ggf. höherwertige bzw. spezielle Beinprothesen wegen der Anforderungen "Fahren eines LKWs") bzw.
  • Leistungen zur Sozialen Teilhabe erheben (= z. B. Klärung der zu erwartenden Mobilität in Bezug auf die häusliche Wohnsituation; Zuschüsse für eine behindertengerechte Wohnung wie Einbau eines Treppenlifters oder Aufzug? Förderung eines Umzugs in eine andere, behindertengerechte Wohnung?).

Andernfalls kann der Betroffene möglicherweise nach Beendigung der Behandlung im Krankenhaus bzw. der stationären Rehabilitation nicht mehr in seine alte Wohnung zurückkehren. Da zur Einleitung von Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation im Vorfeld zeitaufwendige Abklärungen erfolgen müssen, ist ein frühzeitiges Handeln zwecks einer zügigen Eingliederung nötig.

Damit die Instrumente trägerübergreifend und nach Möglichkeit einheitlich erhoben werden, sind gemeinsame Absprachen und Regeln zu treffen. Um dieses zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber die Aufgabenstellung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) um "die Erarbeitung von gemeinsamen Grundsätzen zur Bedarfserkennung, Bedarfsermittlung und Koordination von Rehabilitationsmaßnahmen und zur trägerübergreifenden Zusammenarbeit" erweitert (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX).

In diesem Zusammenhang haben die Rehabilitationsträger auch die Vorgaben des § 13 Abs. 2 zu beachten. Danach haben die systematischen Arbeitsprozesse und die standardisierten Arbeitsmittel eine individuelle und funktionsbezogene Bedarfsermittlung zu gewährleisten und die Dokumentation und Nachprüfbarkeit der Bedarfsermittlung zu sichern – und zwar hinsichtlich der Feststellungen,

1. ob eine Behinderung vorliegt oder einzutreten droht,

2. welche Auswirkung die Behinderung auf die Teilhabe der Leistungsberechtigten hat,

3. welche Ziele mit Leistungen zur Teilhabe erreicht werden sollen und

4. welche Leistungen im Rahmen einer Prognose zur Erreichung der Ziele voraussichtlich erfolgreich sind.

 

Rz. 40

Im Februar 2019 vereinbarten die Rehabilitationsträger unter Federführung der BAR die Gemeinsame Empfehlung "Reha-Prozess". Sie ist im Internet unter der Homepage der BAR abrufbar.

Mit der Bedarfserkennung und der dann folgenden Bedarfsermittlung und -feststellung befassen sich die §§ 10 bis 18 und 26 ff. der Gemeinsamen Empfehlung. Hervorzuheben sind die §§ 35 bis 46 der Empfehlung, die sich mit den "inhaltlichen Grundsätzen für Instrumente der Bedarfsermittlung" befassen.

Nachstehend ein Auszug aus der Gemeinsamen Empfehlung "Reha-Prozess":

Zitat

§ 38 Arten von Instrumenten zur Bedarfsermittlung

(1) Instrumente der Bedarfsermittlung lassen sich einteilen in systematische Arbeitsprozesse, standardisierte Arbeitsmittel sowie Begutachtungen.

(2) Systematische Arbeitsprozesse können z. B. sein Erhebungen, Analysen, Dokumentation, Planung und Ergebniskontrolle, insbesondere auch in ihrer systematischen Verbindung zueinander. Sie sorgen z. B. dafür

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