Rz. 11

Satz 2 konkretisiert die Anforderungen an eine "grobe Pflichtverletzung" anhand von nicht abschließend geregelten Fallgruppen.

Unter Beachtung der Unzumutbarkeit eines Festhaltens an den Vereinbarungen und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind die Tatbestände des Satzes 2 unwiderlegbare Vermutungsregelungen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Neben dem objektiven Tatbestand muss bei Satz 2 Nr. 1, 2 und 5 auch das subjektive Element des Verschuldens geprüft werden. Bei den Tatbeständen des Satzes 2 Nr. 3 und 4 wurde im Vorfeld bei der Entscheidung auf Entzug der Betriebserlaubnis oder der Untersagung des weiteren Betriebes das Verschuldenselement abschließend geprüft. Für die Erfüllung des Tatbestands dürfte leichte Fahrlässigkeit ausreichen. Fehlverhalten der Mitarbeiter des Leistungserbringers ist diesem zuzurechnen.

Satz 2 Nr. 1 stellt auf den Fall ab, dass ein Leistungsberechtigter infolge der Pflichtverletzung zu Schaden kommt. Typisch ist für diesen Fall eine mangelnde fachgerechte Aufsicht über Handlungen der Leistungsbezieher. Im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss der Schaden eine gewisse Schwere und Umfang haben. Jenseits von Körperschaden kann auch die Geltendmachung von Forderungen gegenüber dem Leistungsberechtigten, die nicht gegenüber diesem erhoben werden dürfen (z. B. nicht anerkannte Investitionskosten), den Tatbestand erfüllen (Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 78 Rz. 9; vgl. auch Satz 1 Nr. 5). Auch eine Pflichtverletzung gegenüber selbstzahlenden Leistungsbeziehern kann grundsätzlich als Pflichtverletzung nach Satz 2 Nr. 1 gewertet werden, da dem Träger der Eingliederungshilfe eine umfassende Qualitätsüberwachung des Leistungserbringers zukommt (Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 78, Rz. 9a; Flint, in: Grube/Wahrendorf/Flint, 5. Aufl. 2014, SGB XII, § 78 Rz. 4; a. A. Münder, in: LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 78 Rz. 1).

Satz 2 Nr. 2 führt gravierende Mängel bei der Leistungserbringung an. Diese liegen grundsätzlich bereits vor, wenn der Leistungserbringer die vereinbarten Leistungen nicht mit ausreichender sachlicher oder personeller Ausstattung erbringen kann. So hat das BVerwG (Urteil v. 29.12.2000, 5 B 171/99, Rz. 6, RsDE (2002) Nr. 50 S. 78) bereits die Unfähigkeit eines Heimbetreibers, den baulichen Mindeststandard herzustellen, als einen hinreichenden Kündigungsgrund bewertet. Auch die Weigerung, Leistungsberechtigte aufzunehmen oder diese Pflicht nur selektiv zu erfüllen, kann als gravierender Mangel der Leistungserbringung gewertet werden (Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 78, Rz. 9).

Satz 2 Nr. 3 und 4 berechtigt den Träger der Eingliederungshilfe zur Kündigung, wenn dem Leistungserbringer nach heimrechtlichen Vorschriften (der Länder) die Betriebserlaubnis entzogen oder nach einer ordnungsrechtlichen Entscheidung einer Behörde der weitere Betrieb des Leistungserbringers untersagt worden ist. Dieser Fall ist so gravierend, dass in aller Regel die außerordentliche Kündigung auszusprechen ist. Auch der Versuch einer einvernehmlichen Lösung dürfte in diesem Fall dem Träger der Eingliederungshilfe nicht zumutbar sein.

Satz 2 Nr. 5 berechtigt schließlich zur Kündigung, wenn der Leistungserbringer gegenüber dem Träger der Eingliederungshilfe nicht erbrachte Leistungen abgerechnet hat. Im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darf der Schaden des Trägers der Eingliederungshilfe nicht von marginaler Bedeutung sein. Der Schuldvorwurf ist hier besonders zu prüfen. Ein Verwechseln der Abrechnung (im Fall vollstationäre Pflegeleistungen werden als ambulante Leistungen abgerechnet, SG Chemnitz, Urteil v. 2.12.1999, S 15 P 96/98, RsDE (2001) Nr. 48 S. 86, 97) erfüllt nicht automatisch den Tatbestand, dass ein Festhalten an den Vereinbarungen nicht mehr zumutbar ist. Auch mangelnde Dokumentationspflichten (z. B. wenn der Leistungserbringer nicht in der Lage ist, zwischen Leistungsempfängern nach SGB VIII, SGB IX oder SGB XI zu differenzieren oder es erfolgt überhaupt keine Aufzeichnung erbrachter Fachleistungen der Eingliederungshilfe) können eine Kündigung wegen fehlerhafter Abrechnung rechtfertigen (VG Schleswig -Holstein, Urteil v. 26.5.2003, 10 B 102/03, Rz. 26 ff., juris).

Da das außerordentliche Kündigungsrecht auf eine grobe Verletzung einer gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtung durch den Leistungserbringer zielt, die unmittelbar den Leistungsberechtigten oder den Träger der Eingliederungshilfe als Kostenträger schädigt, sind Verstöße gegen tarifliche Vereinbarungen zulasten der Mitarbeiter und gegen die Bestimmungen zum Mindestlohn oder das Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Leistungserbringer über § 130 nicht sanktionierbar (vgl. Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 78 Rz. 9b; Flint, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 78 Rz. 4). Ist allerdings eine Zahlung tariflicher Löhne an die Mitarbeiter des Leistungserbringers vereinbart, kann ein Verstoß zur außerordentlichen Kündigung berechtigen (vgl. LSG Darmstadt, Urteil v. 14.3.2...

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