Rz. 16

Bedarfsgesichtspunkte sind bei der Prüfung der Geeignetheit nicht relevant (vgl. schon BVerwG, Urteil v. 30.9.1993, 5 C 41/91, Rz. 17, BVerwGE 94 S. 202; BSG, Urteil v. 7.10.2015, B 8 SO 19/14 R, Rz. 21 f., SozR-3500 § 75 SGB XII Nr. 8; LSG Hessen, Urteil v. 18.7.2006, L 7 SO 16/06 ER, NDV-RD 2006 S. 110, 112 mit Anm. Brühl; Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 75 Rz. 25; Flint, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 75 Rz. 34; Jaritz/Eicher, in: jurisPK-SGB XII, § 78 Rz. 92; Wenzel/Kulenkampff, NDV 2006 S. 455, 456; ein Ausreißer war die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 18.6.1993, 6 S 935/91, Rz. 29 ff., ESVGH 43 S. 287; vgl. auch Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 75 Rz. 32; Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 75 Rz. 25).

Im Hinblick auf den im SGB IX erstmals ausdrücklich normierten Sicherstellungsauftrag, wonach die Träger der Eingliederungshilfe im Rahmen ihrer Leistungsverpflichtung eine personenzentrierte Leistung für Leistungsberechtigte unabhängig vom Ort der Leistungserbringung sicherzustellen haben (§ 95 Satz 1) und dem Auftrag zur Förderung und Weiterentwicklung der Strukturen der Eingliederungshilfe in jedem Land eine Arbeitsgemeinschaft zu bilden (§ 94 Abs. 4), wirkt das in Rechtsprechung und Literatur einhellig vertretene Verbot, Bedarfsgesichtspunkte bei den Vereinbarungen und damit der Auswahl der Leistungserbringer gelten zu lassen, widersprüchlich.

Träger der Eingliederungshilfe haben die Verantwortung Bedarfe und damit Rechtsansprüche unabhängig vom Korsett des Vertragsrechts mit dem Verbot der Bedarfssteuerung zu erfüllen. Zwar bleibt dem Träger der Eingliederungshilfe unbenommen, bei der Auswahl seiner Vertragspartner Gesichtspunkte zur Erfüllung seines Sicherstellungsauftrags einfließen zu lassen. Sobald aber ein Leistungserbringer zu Vertragsverhandlungen auffordert (§ 126 Abs. 1), können Bedarfsgesichtspunkte nicht als Grund zur Weigerung eines Vertragsabschlusses angeführt werden.

Neumann, verweist unter Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil v. 27.6.2011, L 9 SO 294/11 B ER, Rz. 8 f.) darauf, dass die Verweigerung der Zulassung zur Leistungserbringung ein Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) sei, der nur auf der Grundlage einer hinreichend bestimmten parlamentsgesetzlichen Ermächtigung gerechtfertigt werden könne und es eine solche Ermächtigung in der Sozialhilfe (Eingliederungshilfe) nicht gebe (Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 75 Rz. 25; ders., Freiheitsgefährdung, S. 394 ff.). Die Unzulässigkeit ergibt sich weiterhin aus der Legitimation des Vertragsrechts des Achten Kapitels SGB IX ohne Anwendung des Vergabe- oder Konzessionsrechts (vgl. Komm. zu § 123 Rz. 11 ff.), da deren Ausschluss nur dann nicht eingreift, wenn jedes geeignete Unternehmen jederzeit zu vorab festgelegten Bedingungen zugelassen werden kann, sodass weder eine Auswahl nach Bedarfsgesichtspunkten getroffen noch der Beschaffungsbedarf exklusiv einzelnen Unternehmen überlassen wird (EuGH, Urteil v. 2.6.2016, C-410/14, Rz. 32-42, NZS 2016 S. 542; vgl. dazu auch Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 75 Rz. 62).

So ist es den Trägern der Eingliederungshilfe mit Hilfe des Vertragsrechts nicht möglich, eine Begrenzung des Angebots nach oben herbeizuführen oder gar einem Leistungserbringer eine Monopolstellung zuzuweisen (Wenzel/Kulenkampff, NDV 2006 S. 455, 456).

Mit dem Abschluss einer Vereinbarung entsteht allerdings keine Pflicht, den Leistungserbringer im Rahmen der Leistungsfeststellung auf der Grundlage des Gesamtplans (vgl. § 123 und dortige Komm.) mit Aufträgen der Leistungsberechtigten zu versorgen (vgl. BVerwG, Urteil v. 30.9.1993, 5 C 41/91, BVerwGE 94 S. 202, 208, und RsDE (1995) Nr. 25 S. 70, 74 f. mit Anm. Giese). Die Vereinbarung vermittelt dem Leistungserbringer lediglich die "Chance", den Hilfeempfängern Leistungen der Sozialhilfe zu erbringen (OVG Lüneburg, Beschluss v. 6. 12. 1999, 12 O 4455/99, Rz. 3, NDV-RD 2000 S. 55). Das Unternehmerrisiko, also das Risiko der Unterbelegung, trägt ausschließlich der Leistungserbringer. Wenn der Leistungserbringer nicht mehr in Anspruch genommen wird und infolgedessen nicht mehr leistungsfähig ist, muss der Betrieb eingestellt werden. Eine Angebotssteuerung bei gleichzeitiger Belegungsgarantie kennt das Sozialhilferecht nicht (Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 75 Rz. 26). Das Vertragsrecht sichert die "Chancengleichheit für alle geeigneten Bewerber" (Kulenkampff/Wenzel, NDV 2008 S. 125, 126).

Andere Sozialrechtsbereiche lassen hingegen ein Abstellen auf eine bedarfsgerechte Versorgung zu, z. B. das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 109 Abs. 2 SGB V).

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