Rz. 109

Die Feststellungslast über das Vorliegen der Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit (Auflösungssachverhalt, Ablehnungssachverhalt, Abbruchsachverhalt, unzureichende Eigenbemühungen, Meldeversäumnisse) hat grundsätzlich die Agentur für Arbeit zu tragen. Eine Umkehr der Beweislast kommt nur in Betracht, wenn die Nichterweislichkeit einer Tatsache in der Sphäre des Arbeitslosen liegt (so schon BSG, Urteil v. 26.11.1992, 7 RAr 38/92). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber für sperrzeitbegründende Ereignisse ab 2003 (vgl. § 434 g Abs. 2 a. F., mit Wirkung zum 1.4.2012 aufgehoben) zur Verteilung der Beweislast nach Abs. 1 Satz 3 zugrunde gelegt. Rechtsprechung und Gesetzgebung erlauben Arbeitslosen damit, durch eigene Passivität die zweifelsfreie Feststellung von Sperrzeittatbeständen zu erschweren. Das gilt jedenfalls weiterhin für den Basissachverhalt, z. B. die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses, das konkrete arbeitsvertragswidrige Verhalten, die Nichtannahme einer Beschäftigung, die Verhinderung eines Beschäftigungsverhältnisses durch Verhalten, unzureichende Eigenbemühungen, das Vorliegen grober Fahrlässigkeit usw. Nicht selten stehen am Ende der Ermittlungen der Agentur für Arbeit Aussagen konträr zueinander, sodass der Agentur für Arbeit die Möglichkeit genommen ist, den Eintritt einer Sperrzeit zweifelsfrei festzustellen. Damit ist im Zweifel der Eintritt einer Sperrzeit durch die Agentur für Arbeit nicht festzustellen.

 

Rz. 110

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist ggf. ein betriebsverfassungsrechtliches Verwertungsverbot zu beachten. Liegt ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers vor (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG), kann die prozessuale Verwertung von Erkenntnissen daraus ausgeschlossen sein. Eine dem Betriebsrat gegenüber erklärte Absicht, ein Arbeitsverhältnis wegen erwiesen erachteter Handlung zu kündigen, kann grundsätzlich nicht ohne Änderung des Sachverhalts im arbeitsgerichtlichen Verfahren in einen dringenden Verdacht geändert werden (Verdachtskündigung), wenn sich der Sachverhalt nicht geändert hat, es sei denn, der Arbeitnehmer erklärt ausdrücklich, dass er insofern keine Rüge erhebt.

 

Rz. 111

Lediglich die Tatsachen aus der Sphäre oder dem Verantwortungsbereich des Arbeitslosen, die sein Verhalten i. S. eines wichtigen Grundes rechtfertigen sollen, muss dieser darlegen und nachweisen. Insoweit ähnelt die Rechtslage nach Abs. 1 Satz 3 der des § 44 SGB X, der dem Arbeitslosen die objektive Beweislast dafür aufbürdet, dass sich der ursprünglich zugrunde gelegte Sachverhalt als unrichtig erweist (BSG, Urteil v. 25.6.2002, B 11 AL 3/02 R). Auf die positive Kenntnis der Rechtsfolgen eines Verhaltens durch den Arbeitslosen kommt es anders als bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. § 31 Abs. 1 SGB II) im Rechtskreis der Arbeitsförderung nicht an, dort ist es ebenfalls die Agentur für Arbeit, die im Zweifel die Feststellungslast zu tragen hat (bzw. das Jobcenter der gemeinsamen Einrichtung nach § 44b oder des zugelassenen kommunalen Trägers nach § 6a).

Macht der Arbeitnehmer nach Ablauf eines Entgeltfortzahlungsanspruches eine weitere Erkrankung und damit Verhinderung der Arbeitsleistung gegenüber dem Arbeitgeber geltend, hat er den Beginn der neuen Erkrankung und damit die Verhinderung zu beweisen (vgl. BAG, Urteil v. 25.5.2016, 5 AZR 318/15).

 

Rz. 112

Damit ist der Amtsermittlungsgrundsatz (§§ 20, 21 SGB X) nicht beseitigt worden. Insoweit wird sich in der Praxis der Agenturen für Arbeit wenig ändern können. Allerdings muss die Agentur für Arbeit nicht mehr den Nachweis dafür erbringen, dass etwas nicht vorliegt, wovon der Arbeitslose schon gar nichts zu wissen braucht, weil ein wichtiger Grund nur objektiv vorliegen muss. An dieser Stelle ist der entsprechende Rechtssatz durchbrochen.

 

Rz. 113

Abs. 1 Satz 3 stellt zugleich eine wichtige systematische Logik dar, rechtstechnisch bedarf es der Darlegung und des Nachweises eines wichtigen Grundes nur, wenn sich der Arbeitslose versicherungswidrig verhalten hat, gleich, ob die Beweislastverteilung aus Abs. 1 Satz 1 zulasten der Agentur für Arbeit oder Abs. 1 Satz 3 zulasten des Arbeitslosen vorzunehmen ist. Liegt ein versicherungswidriges Verhalten nicht vor, bedarf es auch keines wichtigen Grundes, der dem Arbeitslosen zur Seite stehen müsste. Andersherum bedarf es keiner Feststellungen zum Vorliegen eines wichtigen Grundes, solange das versicherungswidrige Verhalten nicht erwiesen ist bzw. hat der Feststellung des versicherungswidrigen Verhaltens die Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu folgen. Die Verwaltungspraxis kann sich häufiger aus verwaltungsökonomischen Gründen anders gestalten. Es kann mitunter verwaltungstechnisch einfacher sein, das Vorliegen eines wichtigen Grundes festzustellen, so dass es keiner weiteren Ermittlungen von Amts wegen dazu bedarf, ob ein versicherungswidriges Verhalten festzustellen ist. Entscheidend ist hierbei, dass dies ...

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