Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Änderung der Attestpflicht. Kein Mitbestimmungsrecht bei Regelungsrelevanz für geringe Anzahl von Mitarbeitern

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht bei der Änderung der Nachweise für eine Arbeitsunfähigkeit; hier die Pflicht zur Vorlage erst am vierten Tag.

2. Das Mitbestimmungsrecht wird aber nicht wirksam, wenn die Anordnung des Arbeitgebers nur einen geringen Teil der Belegschaft betrifft - hier weniger als zwei Prozent.

 

Normenkette

EFZG § 5 Abs. 1 S. 3; BetrVG § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 3; ArbGG § 92 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 01.12.2020; Aktenzeichen 34 BV 11206/20)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 15.11.2022; Aktenzeichen 1 ABR 5/22)

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 01. Dezember 2020 - 34 BV 11206/20 - wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

A.

Betriebsrat und Arbeitgeberin streiten vorrangig um Unterlassungsansprüche gegen nicht mitbestimmte Auflagen, ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem ersten krankheitsbedingten Abwesenheitstag vorzulegen.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2 erbringt mit ca. 1.175 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern krankenhausnahe Dienst- und Werkleistungen. Beteiligter zu 1 ist der bei der A Netzwerk für Gesundheit GmbH (A Netzwerk) unternehmenseinheitlich gebildete Betriebsrat. Dieser ist auf der Grundlage des zwischen dem Kommunalen Arbeitgeberverband Berlin und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft e.V. Landesbezirk Berlin-Brandenburg am 3. April 2003 abgeschlossenen "Tarifvertrag über die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates bei der A Netzwerk für G.GmbH" für die Beschäftigten der Arbeitgeberin als 100%ige Tochtergesellschaft der A Netzwerk zuständig.

Die Arbeitgeberin versandte Schreiben an Beschäftigte, in denen es heißt:

"in Abstimmung zwischen Ihrem/Ihrer Fachvorgesetzten und dem/der Personalleiter*in sind Sie ab Erhalt dieses Schreibens bis auf Widerruf dazu verpflichtet, jede Krankmeldung durch ein ärztliches Attest - vom ersten Fehltag an - im Service Center Personal vorzulegen. Bitte beachten Sie, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden können, wenn Sie dieser Nachweispflicht nicht nachkommen."

Mit Schreiben vom 30. März 2020 forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf, Auflagen über die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit zu unterlassen und bereits erteilte Attestauflagen aufzuheben. Zur Begründung führte er aus, die Erteilung der Auflagen bedürfe der Mitbestimmung, die bisher nicht erteilt worden sei.

Mit Anträgen zum Arbeitsgericht hat der Betriebsrat entsprechende Ansprüche gegen die Arbeitgeberin gerichtlich geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Erteilung von Attestauflagen zu, da diese das Ordnungsverhalten im Betrieb beträfen. Ein kollektiver Bezug liege vor. Wie näher dargestellte Beispiele von Beschäftigten zeigten, die sich nach Erhalt entsprechender Auflagen an den Betriebsrat gewandt hätten, handele es sich nicht um eine Handhabung im Einzelfall. Für einen kollektiven Bezug spreche im Übrigen, dass die Arbeitgeberin die Attestauflagen in Form eines Musteranschreibens ausspreche. Aus den in dem Muster enthaltenen Festlegungen zu Dauer der Attestauflage, Abstimmung zwischen Fachvorgesetztem und Personalleitung sowie Androhung von arbeitsrechtlichen Maßnahmen für den Fall der Missachtung folgten kollektive Verfahrensregeln, die für die betroffene Beschäftigtengruppe aufgestellt seien. Die Einzelheiten zu den konkreten Anlässen der Attestauflagen und der betroffenen Personengruppe sowie dem jeweiligen Entscheider seien im Rahmen der Amtsermittlung im hiesigen Verfahren aufzuklären. Da die Arbeitgeberin durch die nicht mitbestimmte Erteilung entsprechender Auflagen gegen ein Mitbestimmungsrecht verstoßen habe, könne er Unterlassung zukünftiger Verstöße beanspruchen. Außerdem müsse die Arbeitgeberin, wie mit einem weiteren Antrag geltend gemacht, zur Beseitigung des mitbestimmungswidrigen Zustands den betroffenen Mitarbeitern mitteilen, dass die unter Verletzung des Mitbestimmungsrechts erteilte Attestauflage unwirksam sei.

Der Betriebsrat hat beantragt,

1. der Arbeitgeberin wird aufgegeben, es zu unterlassen, ihren Mitarbeiter/innen die Auflage zu erteilen, ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen, wenn nicht ein Fall des § 5 Abs.1 Satz 2 bzw. 4 EFZG vorliegt, es sei denn, der Beteiligte zu 1) hat der Erteilung zugestimmt oder die Zustimmung wurde durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt;

2. der Arbeitgeberin wird aufgegeben, den Mitarbeiter/innen, denen sie aufgegeben hat, ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzulegen, ohne dass ein Fall des § 5 Abs. 1 Satz 2 bzw. 4 EFZG vorliegt, und ohne dass der Beteiligte zu 1) der Erteilung der Auflage zugestimmt oder die Zustimmung durch ...

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