Erheblichkeitsgrenze laut Bundesarbeitsgericht

Hohe Entgeltfortzahlungskosten können zu einer solchen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen.[1] Gerade hierauf wird man zunächst personenbedingte Kündigungen stützen.

Hier stellte das BAG in seiner Entscheidung vom 29.7.1993 klar[2]:

"Allein die entstandenen und künftig zu erwartenden Lohnfortzahlungskosten, die jährlich jeweils für einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen aufzuwenden sind, stellen eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung dar. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber Betriebsablaufstörungen nicht darlegt und eine Personalreserve nicht vorhält."

Mit dieser Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht eine verlässliche Grenze herausgearbeitet. In der Vergangenheit waren immer wieder Unsicherheiten hinsichtlich einer "Personalreserve" aufgetaucht, durch die der Arbeitgeber eine auf Erfahrungsregeln beruhende Fehlquote abzudecken hatte.[3]

Hieraus hatten einige Vertreter der Literatur den Schluss gezogen, dass "das Gericht offenbar allein die erheblichen wirtschaftlichen Belastungen mit Lohnfortzahlungskosten als Kündigungsgrund erachtet, wenn der Arbeitgeber eine übliche Personalreserve vorhält".[4]

Dieses Missverständnis hat das BAG nun beseitigt. Jetzt gilt, dass die Kosten, die der Arbeitgeber zusätzlich für eine Vorhaltereserve aufwendet, nur bei der Interessenabwägung und auch dort nur zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sind.[5]

Einzelne erhebliche Beeinträchtigungen

Nun lassen sich die erheblichen Beeinträchtigungen wie folgt einteilen:

  1. Wirtschaftliche Belastung durch Entgeltfortzahlung von mehr als 6 Wochen im Jahr
  2. Sonstige wirtschaftliche Belastungen
  3. Betriebsablaufstörungen, und zwar auch bei Entgeltfortzahlungszeiten von nicht mehr als 6 Wochen im Jahr

Die letztgenannten Betriebsablaufstörungen müssen bei häufigen Kurzerkrankungen konkret nachgewiesen werden.

Sonstige wirtschaftliche Belastungen:

Sie müssen erheblich sein und können sich ergeben aus:

  • Vergabe an Drittfirmen
  • Einsatz von Leiharbeitnehmern
  • Zahlung vom Überstundenvergütungen
  • Vorhaltekosten für Personalreserve

Betriebsablaufstörungen:

Es muss sich um schwerwiegende Störungen im Produktionsprozess handeln, die der Arbeitgeber nicht durch Überbrückungsmaßnahmen vermeiden kann.[6]

 
Praxis-Beispiel

Beispiele für mögliche Betriebsablaufstörungen

  • Maschinenstillstand
  • Produktionsrückgang wegen erforderlicher Einarbeitung von Springern
  • Nicht akzeptable Überlastung der Arbeitskollegen, die den Kräfteausfall tragen müssen
  • Unkalkulierbarkeit des Arbeitseinsatzes
  • Erhebliche Verärgerung der Kollegen

Diese Betriebsablaufstörungen können nur dann die Anforderungen der zweiten Stufe der krankheitsbedingten Kündigung ausfüllen, wenn ihr Eintritt nicht durch mögliche und zumutbare Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden kann.

Dabei ist zu denken an:

  • Einsatz einer bestehenden Personalreserve (zur Schaffung einer solchen ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet)
  • Umorganisation
  • Anordnung von Überstunden

Dokumentationspflicht des Arbeitgebers

Die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen muss der Arbeitgeber im Einzelnen darlegen und beweisen können. Hierzu bedarf es einerseits umfangreicher Dokumentation, andererseits ist die gerichtliche Bewertung unsicher. In der Praxis werden zurzeit überwiegend die Entgeltfortzahlungskosten ins Feld geführt.

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