Rz. 14

Die Vorschrift bildet das Herzstück des Berufskrankheitenrechts und galt seit dem 1.1.1997 (Art. 36 S. 1 UVEG) bis zum 31.12.2020 nahezu unverändert. Sie statuiert das sog. Mischsystem mit der Berufskrankheitenliste (Abs. 1) einerseits und der Öffnungsklausel (Abs. 2) andererseits. Darüber hinaus enthält die Norm in Abs. 3 eine Vermutungsregel und verpflichtet die gesetzlichen Unfallversicherungsträger in Abs. 8, Berufskrankheiten zu erforschen. Abs. 4 bis 7 und 9 regeln Verfahrensfragen.

Nach § 7 Abs. 1 ist die Berufskrankheit – neben dem Arbeitsunfall – ein eigenständiger und gleichberechtigter Versicherungsfall. Der Unfall (§ 8 Abs. 1 S. 2) ist zeitlich auf eine Arbeitsschicht begrenzt (BSG, Urteile v. 1.2.1979, 2 RU 85/78, und v. 30.5.1985, 2 RU 17/84; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Kap. 1.3.1.1, S. 65), während sich die Berufskrankheit typischerweise allmählich über einen längeren Zeitraum entwickelt.

Die Schadstoffe, die zu einer Berufskrankheit geführt haben, wirken typischerweise über einen langen Zeitraum ein (Expositionszeiten). Zwischen der Exposition und dem Auftreten der manifesten Erkrankung können Jahre oder Jahrzehnte vergehen (Latenzzeiten), was in der Praxis zu erheblichen Problemen bei der Sachverhaltsermittlung und Kausalitätsprüfung führen kann. In Ausnahmefällen – z. B. bei Infektionskrankheiten (Nr. 3101) oder Höreinbußen (Nr. 2301) – kann aber auch die einmalige oder mehrfache Einwirkung während einer Arbeitsschicht (z. B. einmaliger Kontakt mit einem Krankheitserreger; Knalltrauma) ausreichen, um eine Berufskrankheit hervorzurufen. Erfüllt der Versicherte gleichzeitig die Tatbestände des Arbeitsunfalls und der Berufskrankheit, so geht das Berufskrankheitenrecht (als lex specialis) vor (BSG, Urteil v. 24.7.1985, 9b RU 36/83; Becker in: Brackmann, SGB VII, § 9 Rz. 21; Kater/Leube, SGB VII, § 9 Rz. 58; Koch, in: Lauterbach, UV, § 9 Rz. 35; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Handkommentar, E § 9 SGB VII Rz. 2; Ricke, in: Kasseler Kommentar, SGB VII, § 9 Rz. 3; Schmitt, Gesetzliche Unfallversicherung, 2. Aufl. 2004, § 9 Rz. 3; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Kap. 1.7.5, S. 113; Streubel in: LPK-SGB VII, § 9 Rz. 8). Denn es ist in aller Regel günstiger, weil der Versicherte vorbeugende Leistungen (Abs. 6 Nr. 1; z. B. Übergangsleistungen, § 3 BKV) erhalten und andere (Geld-)Leistungen ggf. nach einem höheren Jahresarbeitsverdienst (§ 84) oder zu einem früheren Zeitpunkt (Abs. 5) beziehen kann. Dagegen kann er bei bestimmten Berufskrankheiten (z. B. Nr. 2101, 2108 bis 2110) ausnahmsweise aber auch schlechter stehen, wenn er z. B. verpflichtet ist, die gefährdende Tätigkeit aufzugeben (sog. Unterlassungszwang, § 9 Abs. 1 S. 2 a. E.) oder einem bestimmten Personenkreis angehören muss (z. B. Versicherte im Gesundheitsdienst, Nr. 3101). Deshalb ist (subsidiär) immer zu prüfen, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, wenn die Voraussetzungen einer Berufskrankheit verneint werden (BSG, Urteil v. 25.8.1961, 2 RU 106/59; Becker, in: Brackmann, SGB VII, § 9 Rz. 22; Koch, in: Lauterbach, UV, § 9 Rz. 35).

Die Unfallversicherungsträger haben nicht nur Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu verhüten, sondern auch arbeitsbedingte Erkrankungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3c ASiG) und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren (vgl. § 1 Nr. 1, § 14) zu bekämpfen. Arbeits- oder berufsbedingte Erkrankungen sind in der gesetzlichen Unfallversicherung aber nur entschädigungspflichtig, wenn sie zugleich den Tatbestand eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit erfüllen. Realisieren sich arbeits- oder berufsbedingte Gesundheitsgefahren, die nicht die Qualität einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls haben, muss der Versicherte ggf. auf die Kranken- und Rentenversicherung zurückgreifen. Arbeitsbedingte Erkrankungen sind Gesundheitsstörungen, die durch Arbeitsbedingungen ganz oder teilweise verursacht sind bzw. in ihrem Verlauf ungünstig beeinflusst werden können. Die Betriebsärzte untersuchen die Ursachen arbeitsbedingter Erkrankungen, erfassen die Untersuchungsergebnisse und werten sie aus. Außerdem schlagen sie dem Arbeitgeber vor, wie arbeitsbedingte Erkrankungen zukünftig verhütet werden können. Die Prävention setzt bei den arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren an. Diesen Begriff verwendet § 20 SGB V. Danach haben die Krankenkassen bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren mitzuwirken und mit den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung zusammenzuarbeiten. 1996 wurde dieser Präventionsauftrag erweitert und die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung verpflichtet, neben Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten auch "arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren … mit allen geeigneten Mitteln" zu verhüten sowie den "Ursachen von arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit" nachzugehen (§ 1 sowie 14 SGB VII). Der Präventionsauftrag ist also sehr weit reichend formuliert und die Interventionsschwell...

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