Rz. 3

Wichtigstes Merkmal des Untersuchungsgrundsatzes – auch Inquisitionsmaxime oder Amtsermittlungsprinzip genannt – ist es, dass die Behörde selbst, und nicht etwa die Beteiligten, den Sachverhalt im konkreten Einzelfall ermittelt (Abs. 1 Satz 1), ohne an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. Das öffentliche Interesse an der Feststellung des wahren Sachverhalts hat dabei Vorrang vor den Privatinteressen der Beteiligten. Es kann dabei nicht in das Belieben der Beteiligten gestellt werden, welcher Sachverhalt von der Behörde unter die rechtlichen Bestimmungen subsumiert werden soll. Das schließt allerdings nicht aus, dass der Beteiligte der Behörde von sich aus Beweismittel (vgl. § 21) an die Hand geben kann. Grundlage der behördlichen Entscheidung muss letztlich der nach den §§ 20, 21 zu ermittelnde entscheidungserhebliche Sachverhalt sein.

 

Rz. 4

Wegen des Untersuchungsgrundsatzes ist dem Verwaltungsverfahren die subjektive Beweisführungslast fremd. Für ihre Behauptungen brauchen die Beteiligten nicht unbedingt Beweismittel anzugeben und selbst keinen Beweis zu führen; sie trifft auch nur eine beschränkte Darlegungspflicht. Aus ihren Angaben muss allerdings zu entnehmen sein, welche Entscheidungen sie aufgrund welchen Sachverhalts erstreben. Bei unklaren Ausführungen hat die Behörde die Beteiligten zur Klarstellung aufzufordern. Eine Mitwirkung der Beteiligten ist vor allem dann erforderlich, wenn es um Tatsachen geht, die nur den Beteiligten bekannt sind. Durch konkrete Mitwirkungspflichten (vgl. im Einzelnen §§ 60ff. SGB I) hat der Untersuchungsgrundsatz eine gewisse Einschränkung erfahren. Diese beziehen sich auf Personen, die Sozialleistungen beantragen oder erhalten, und betreffen die Angabe von Tatsachen, das persönliche Erscheinen und die Teilnahme an Untersuchungen, Heilbehandlung und berufsfördernden Maßnahmen. Eine Mitwirkung der Beteiligten ist insbesondere dann erforderlich, wenn es um Tatsachen geht, die nur den Beteiligten bekannt sind.

 

Rz. 5

Aus der Ungebundenheit der Verwaltung bei der Sachverhaltsermittlung folgt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Danach würdigt die Behörde das Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich der Beweisaufnahme frei nach der Überzeugungskraft der jeweiligen Beweismittel und des Beteiligtenvortrages unter Abwägung aller Umstände. Dabei ist eine Tatsache regelmäßig als erwiesen anzusehen, wenn ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit besteht, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt. Ein geringerer Grad an Wahrscheinlichkeit genügt nur, wenn abweichende Regelungen oder Normen bestehen.

 

Rz. 6

Steht fest, dass weitere Ermittlungen nicht mehr möglich bzw. unzumutbar sind und auch im Rahmen der Beweiswürdigung keine Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen möglich ist, ist die Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen zutreffen. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast sind die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder einer nicht festgestellten Tatsache von demjenigen Beteiligten zu tragen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will. Mithin trägt grundsätzlich derjenige, der ein Recht in Anspruch nimmt bzw. eine Sozialleistung begehrt, die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, umgekehrt trägt regelmäßig derjenige, der ein Recht in Abrede stellt, die Beweislast für rechtshindernde, rechtsvernichtende oder rechtshemmende Tatsachen. Welcher Beteiligte das ist, ergibt sich aus der für den Rechtsstreit erheblichen Norm des materiellen Rechts (BSG, Urteil v. 31.10.1969, 2 RU 40/67, BSGE 30 S. 121). Im Rahmen der freien Beweiswürdigung kann auch der Umstand Berücksichtigung finden, dass der Beteiligte schuldhaft die Aufklärung des Sachverhalts erschwert hat.

Wird eine an sich mögliche Beweisführung durch schuldhaftes Verhalten (Tun oder Unterlassen) unmöglich gemacht, kann dies zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr führen. Denn nach dem aus § 444 ZPO entwickelten allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, gilt, dass derjenige, der durch schuldhaftes Handeln oder Unterlassen eine mögliche Beweisführung vereitelt, sich gegebenenfalls so behandeln lassen muss, als sei die Beweisführung gelungen. Hat ein pflichtwidriges Verhalten des Versicherungsträgers den beweisbelasteten Versicherten in eine Beweisnot gebracht, kann dieses Verhalten als ein für die Wahrheit des Vorbringens des Versicherten sprechenden Umstand berücksichtigt und daraus im Rahmen der freien Beweiswürdigung der Schluss gezogen werden, dass der Beweis geführt ist. Der Beweis ist jedoch nicht vereitelt, wenn der beweisbelastete Beteiligte ihn selbst hätte sichern können (vgl. BSG, Beschluss v. 13.9.2005, B 2 U 365/04 B; BSG, Urteil v. 10.8.1993, 9/9a RV 10/92, SozR 3-1750 § 444 Nr. 1; BSG, Urteil v. 2.9.2004, B 7 AL 88/03 R, SozR 4-1500 § 128 Nr. 5).

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