In einem weiteren Rechtsstreit hatte das BAG zu entscheiden, ob die unterlassene Aufzeichnung der Überstunden des Arbeitnehmers sich auf die Beweislast im Überstundenprozess auswirkt.

Der Fall

Der Arbeitnehmer verlangt vom Arbeitgeber die Vergütung von Überstunden. Er war dort als Auslieferungsfahrer beschäftigt. Er erfasst die Arbeitszeit, aber nur Beginn und Ende. Die Pausen zu erfassen ist technisch nicht möglich.

Aus einer vom Arbeitgeber erteilten Auskunft ergibt ein positiver Saldo der Zeitaufzeichnungen von 348 Überstunden. Der Arbeitnehmer macht geltend, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit als Lkw-Fahrer gearbeitet, Pausen habe er nicht gemacht, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Der Arbeitgeber hat dagegen eingewandt, die Arbeitszeitdokumentation würde nur die sog. "Kommt-und-Geht-Zeit" erfassen. Der Arbeitnehmer sei angewiesen worden, arbeitstäglich Pausen zu nehmen und habe diese Pausen auch eingelegt. Der Arbeitnehmer macht weiter geltend, die Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer nicht gearbeitet habe, liege beim Arbeitgeber, weil der pflichtwidrig keine korrekte Zeiterfassung veranlasst habe.

Die Entscheidung (BAG, Urteil v. 4.5.2022, 5 AZR 359/21)

Das BAG hat die Klage abgewiesen. Der Arbeitnehmer könne keinen Anspruch auf die Vergütung weiterer 348 Überstunden geltend machen. Zwar habe er dargestellt, wie viele Überstunden er gemacht hat. Er habe aber nicht dargestellt, dass der Arbeitgeber diese Überstunden in zurechenbarer Weise veranlasst habe, indem er sie angewiesen habe, geduldet habe oder indem jedenfalls die Leistung der Überstunden erforderlich war, um die zugewiesene Arbeit überhaupt erledigen zu können.

Der Umstand, dass der Arbeitgeber keine (vollständige) Arbeitszeiterfassung betreibe, ändere nichts daran, dass der Arbeitnehmer die Veranlassung der Mehrarbeit durch den Arbeitgeber im Rechtsstreit darzulegen hat. Die CCOO Entscheidung des EuGH[1] ändere daran nichts. Diese Entscheidung betreffe nur die aus dem Arbeitsschutzrecht herzuleitende Verpflichtung des Arbeitgebers, die Arbeitszeit der Arbeitnehmenden zu erfassen, um den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden zu verwirklichen. Sie treffen aber keine Aussage darüber, welche Darlegung und Beweislast den Arbeitnehmer im Kündigungsrechtsstreit treffe, weil der europäische Gesetzgeber hierfür keine Regelungskompetenz habe.

Allein in dem Umstand, dass es bei der Zeiterfassungsanlage nicht möglich war, die Pausenzeiten zu erfassen, liegt noch nicht die Billigung, dass der Arbeitnehmer keine Pausen macht, sondern durcharbeitet.

Bedeutung für die Praxis

Die Verpflichtung des Arbeitgebers ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit einzurichten, hat keine Auswirkung auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess. Hier bleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung des BAG.

Der Arbeitnehmer muss zunächst vortragen, an welchen Tagen wie viele Stunden gearbeitet worden ist. Die Behauptung, es seien keine Pausen gemacht worden, stellt einen schlüssigen Vortrag dar.

Damit hat der Arbeitnehmer der Darlegungslast aber noch nicht genügt. Vielmehr muss zusätzlich darlegt werden, dass der Arbeitgeber diese Mehrarbeitsstunden auch veranlasst hat und sie ihm deswegen zuzurechnen sind, womit er diese Stunden auch zu vergüten hat. Veranlasst hat der Arbeitgeber die Überstunden dann, wenn er sie ausdrücklich angewiesen hat, oder dem Arbeitnehmer so viel Arbeit zuweist, dass diese nur durch Mehrarbeitsstunden erledigt werden kann. Eine Veranlassung liegt auch dann vor, wenn der Arbeitgeber die Überstunden nachträglich genehmigt oder sie in Kenntnis ihrer Leistung gebilligt hat, was auch durch eine bloße Duldung geschehen kann.

Aufgedrängte Mehrarbeit muss der Arbeitgeber nicht vergüten. Arbeitnehmende können sich nicht über die vertraglichen Vereinbarungen hinaus selbst Arbeit "geben" bzw. den Arbeitsumfang (eigenmächtig) erhöhen.

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