Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtmäßigkeit des Streiks der Vereinigung Cockpit gegen die Gründung einer Billigfluglinie im Ausland durch den Lufthansa-Konzern

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Arbeitskampf, der um ein tariflich nicht regelbares Ziel geführt wird, ist rechtswidrig. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich nicht nur um eine bloße Nebenforderung handelt.

2. Ein Arbeitskampf, der sich gegen eine unternehmerische Entscheidung (hier u.a. Gründung einer Fluggesellschaft im Ausland) als solche richtet, zielt grundsätzlich auf ein nicht tariflich regelbares Ziel ab.

3. Bei der Frage, welche Forderungen eine Gewerkschaft zum Gegenstand des Arbeitskampfes macht, ist grundsätzlich auf den Streikbeschluss der zuständigen Gremien abzustellen. Ausnahmsweise können allerdings auch sonstige Verlautbarungen der Gewerkschaft selbst, insbesondere von deren vertretungsberechtigten Mitgliedern und/oder deren Pressesprechers, Berücksichtigung finden.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3, Art. 12; BGB §§ 823, 1004

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 08.09.2015; Aktenzeichen 13 Ga 130/15)

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2020; Aktenzeichen 1 BvR 2674/15)

 

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsklägerinnen wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. September 2015 -13 Ga 130/15 - abgeändert.

  1. Dem Verfügungsbeklagten wird es untersagt,

    seine Mitglieder zu bundesweiten Streiks am 9. September 2015, von 0:01 Uhr bis 23:59 Uhr bei der Verfügungsklägerin zu 1. betreffend Flüge mit Flugzeugen des Typs Airbus A320-Family, Boeing B737 und Embraer von deutschen Flughäfen aus aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen.

  2. Dem Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von € 100.000,00 (in Worten: Einhunderttausend und 0/100 Euro), ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Präsidenten A, angedroht.

Die Kosten des Verfahrens hat der Verfügungsbeklagte zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Verpflichtung zur Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen im einstweiligen Rechtsschutz.

Die Verfügungsklägerin zu 1. ist die größte deutsche Fluggesellschaft und Obergesellschaft des Lufthansa Konzerns. Sie betreibt die konzernintern als Lufthansa Passage bezeichnete Linienfluggesellschaft mit Frankfurt als Heimatflughafen. Die Verfügungsklägerin zu 2. ist eine der größten Frachtfluggesellschaften im internationalen Luftverkehr und eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Verfügungsklägerin zu 1.

Der Verfügungsbeklagte ist die Vereinigung Cockpit e.V. (abgekürzt: VC). Dabei handelt es sich um eine Gewerkschaft, die im Lufthansakonzern Tarifpartner für die Gruppe der Cockpitmitarbeiter ist. Sie vertritt die Interessen von rund 9.300 Cockpitmitarbeitern aus zahlreichen deutschen Luftfahrtgesellschaften.

Der Verfügungsbeklagte schloss mit dem auf Arbeitgeberseite zuständigen Arbeitgeberverband Luftverkehr e.V. (kurz: AGVL) mehrere Tarifverträge ab. Die Arbeitgeberseite kündigte den Tarifvertrag Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal vom 15./16. Mai 2000 (im Folgenden TV-ÜV) sowie den Tarifvertrag Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal der Lufthansa Cargo AG mit Einstellungsdatum vor dem 27. September 1995 (im Folgenden TV-ÜV Cargo) mit Wirkung zum 31. Dezember 2013.

Seit Ende 2013 verhandelten die Tarifparteien über den Abschluss neuer Tarifverträge zur Regelung der Übergangsversorgung. Der Verfügungsbeklagte teilte am 21. März 2014 mit, dass sich in einer Urabstimmung nahezu alle Mitglieder für einen Streik ausgesprochen haben. In der Folgezeit kam es zu zahlreichen Streikmaßnahmen. Erstmals rief der Verfügungsbeklagte am 28. März 2014 zum Streik auf. Nach Durchführung des Streiks nahmen die Tarifvertragsparteien ihre Verhandlungen über den Neuabschluss eines TV-ÜV am 6. Mai 2014, 14. Mai 2014, 15. Mai 2014, 12. Juni 2014, 27. Juni 2014 und 8. Juli 2014 wieder auf.

Am 9. Juli 2014 stellte der Vorstandsvorsitzende der Verfügungsklägerin zu 1. dem Verfügungsbeklagten das sog. Wings-Konzept vor. Demnach soll eine neue Low-Frill-Airline unter einer neuen Marke künftig Low-Cost-Flüge im Interkontinentalbereich für Privatreisende anbieten. Gegenstand der Überlegungen ist das Betreiben einer in Österreich unter der Marke Eurowings geführten Fluglinie, die in Konkurrenz zu Low-Cost-Airlines wie Ryanair, Easyjet etc. treten soll. Die Eurowings GmbH ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Verfügungsklägerin zu 1. und bislang als Regio-Gesellschaft tätig. Das Cockpitpersonal soll in dieser Gesellschaft nach den Plänen der Verfügungsklägerin zu 1. zu schlechteren Arbeitsbedingungen als in Deutschland arbeiten. Dieses Konzept wurde von dem Verfügungsbeklagten von Anfang an kritisiert und abgelehnt.

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 bot die Verfügungsklägerin zu 1. dem Verfügungsbeklagten eine Schlichtung zum Thema Übergangsversorgung an. Der Verfügungsbek...

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