Rz. 125

Die Berücksichtigung des halben Kinderfreibetrags bei jedem Elternteil kann zu unausgewogenen Verhältnissen führen, wenn ein Elternteil mangels eigenen Einkommens daraus steuerlich keinen Vorteil ziehen kann oder wenn ein Elternteil mehr als seinen im internen Verhältnis der Eltern zueinander geschuldeten Anteil am Unterhalt erbringt, ohne zugleich auch stärker steuerlich entlastet zu werden. § 32 Abs. 6 S. 6 EStG regelt diese Konfliktfälle.

Eine Übertragung des Kinderfreibetrags ist deshalb auf Antrag zulässig, wenn eine Verletzung der Unterhaltspflicht vorliegt oder (ab 2012) wenn der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist. Eine Ausnahme besteht allerdings dann, wenn Unterhaltsleistungen nach dem UnterhaltsvorschussG (UhVorschG) gezahlt werden. Eine Verletzung der Unterhaltspflicht i. S. d. Abs. 6 wird demzufolge nicht angenommen, wenn der betreuende Elternteil für das Kind Leistungen nach dem UhVorschG erhält. Ab 2012 kann der Kinderfreibetrag auch dann übertragen werden, wenn der andere Elternteil aufgrund seiner Einkommenssituation nicht unterhaltspflichtig ist, es sei denn, er erhält Leistungen nach dem UhVorschG.

In beiden Fällen wird der betreuende Elternteil durch den Unterhaltsvorschuss so gestellt, als leiste der andere Elternteil Unterhalt.

Bis Vz 1995 konnte der Kinderfreibetrag des einen Elternteils auch mit dessen Zustimmung auf Antrag des anderen Elternteils übertragen werden. Die Übertragung mit Zustimmung wurde ab Vz 1996 gestrichen. Gegen die Abschaffung der einvernehmlichen Übertragung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.[1]

 

Rz. 126

Die zustimmungsfreie Übertragung auf Antrag eines Elternteils nach § 32 Abs. 6 S. 6 EStG ab 1996 beruhte auf der Überlegung, dass ein Elternteil die steuerliche Entlastung durch einen Kinderfreibetrag in Anspruch nimmt, seinen Unterhaltspflichten aber nicht nachkommt und damit faktisch keine Belastung trägt, deren Tragung das Gesetz bei der Zuerkennung eines Freibetrags typisierend unterstellt. In vielen Fällen wird dann der andere Elternteil unterhaltsrechtlich einspringen müssen, sofern seine Leistungsfähigkeit ihm dies erlaubt. Das FA kann dann auf Antrag diesem Elternteil den Kinderfreibetrag des anderen Elternteils auch gegen dessen Willen zukommen lassen. Voraussetzung ist, dass der die Übertragung begehrende Elternteil seiner Unterhaltspflicht nachkommt, der andere Elternteil hingegen nicht oder nur zu einem unwesentlichen Teil oder nicht unterhaltspflichtig ist. Eingeschränkt wird diese Übertragungsmöglichkeit, wenn der die Übertragung begehrende Elternteil einen Unterhaltsvorschuss erhält. Der Antrag kann nicht auf einzelne Monate beschränkt werden.

 

Rz. 127

Der Antrag ist formlos beim Wohnsitz-FA (nicht bei der Familienkasse) zu stellen. Der Antragsteller muss nachweisen, dass die Voraussetzungen für eine Übertragung vorliegen. Der Antrag kann bis zur Bestandskraft der Veranlagung des Antragstellers gestellt werden. Die Veranlagung des anderen Elternteils kann auch nach dessen Bestandskraft gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO entsprechend geändert werden.[2] Eine fehlerhafte Doppelberücksichtigung kann nach § 174 Abs. 2 AO korrigiert werden.[3] In Zweifelsfällen ist dem anderen Elternteil Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren.[4] Die Übertragung des Kinderfreibetrags stellt einen unselbstständigen Teil der Steuerfestsetzung dar (§ 157 Abs. 2 AO).

Ob bei streitigem Übertragungsbegehren der eine Elternteil zum Verfahren des anderen Elternteils notwendig beizuladen (§ 60 Abs. 3 S. 1 FGO) ist, ist in folgende Konstellationen zu unterscheiden:

Notwendig beizuladen ist, wenn der im Einspruchsverfahren (nur) hinzugezogene Elternteil im Klageverfahren begehrt, die Zuordnung des eigenen Freibetrags zum anderen Elternteil bei dessen Veranlagung wieder rückgängig zu machen. Hier handelt es sich um die Anfechtung eines begünstigenden Verwaltungsakts durch einen Dritten.[5]

Nicht notwendig beizuladen ist, wenn der klagende Elternteil vom FA die Berücksichtigung des eigentlich dem anderen Elternteil zustehenden Freibetrags bei seiner (des klagenden Elternteils) eigenen Veranlagung verlangt.[6]

Es liegt ein Fall widerstreitender Steuerfestsetzungen i. S. v. § 174 Abs. 4, 5 AO vor, sodass kein Bedürfnis für die Anwendung des § 60 Abs. 3 FGO besteht.[7] Durch eine Hinzuziehung oder Beiladung des anderen Elternteils, Letztere auf Antrag, dem das FG entsprechen muss, kann jedoch eine einheitliche Entscheidung sichergestellt werden.

 

Rz. 128

Voraussetzung für die Übertragung ist, dass der die Übertragung begehrende Elternteil, nicht jedoch der andere Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind im Kj. "im Wesentlichen nachkommt". Die Unterhaltspflicht richtet sich nach bürgerlichem Recht.[8] Erbringt ein Elternteil durch die Übernahme der Pflege und Erziehung eines minderjährigen Kindes Naturalunterhalt (Betreuungsunterhalt) in ausreichender Höhe, kommt er seiner Unterhaltsverpflichtung stets in vollem Umfang nach (§ ...

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