Das europäische Recht hat einen erheblichen Einfluss auf das in Deutschland geltende Arbeitsrecht. Die Einwirkung erfolgt insbesondere über die europä­ischen Richtlinien, die materielle Mindeststandards für die deutsche Gesetzgebung setzen, und über deren Interpretation durch den EuGH, die für die deutschen Gerichte verbindlich ist. Dieser Einfluss zeigt sich oft auch erst längere Zeit nach Erlass der Richtlinien und aufgrund von späteren Neuinterpretationen des europäischen oder deutschen Rechts. Dabei geht die Initiative für die Durchsetzung solcher Neuinterpretationen oftmals von deutschen Instanzgerichten aus, die damit die abweichende Rechtsprechung des BAG über den Weg zum EuGH angreifen.

Ermöglicht wird dieses Vorgehen, weil zwar nur das BAG zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, aber die Instanzgerichte auch zur Vorlage an den EuGH berechtigt sind[1]; der EuGH wiederum verlässt sich für die Darstellung der deutschen Rechtslage auf die Vorlage des Instanzgerichts.

Nach dem Beispiel der Rechtsprechung zur Massenentlassungsanzeige[2] hat die Rechtsprechungsänderung zum Urlaubsanspruch eines langfristig erkrankten Arbeitnehmers diese Wechselwirkung zwischen der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit und dem EuGH anschaulich gezeigt: Das BAG hatte in seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung für Fälle einer langjährigen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers angenommen, dass der Urlaubsanspruch nach § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Übertragungszeitraums erlischt, wenn er nicht im laufenden Jahr genommen wurde.[3] Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer könne keinen Urlaub nehmen, sodass er den Arbeitgeber auch nicht in Verzug setzen und neuen Urlaub als Schadensersatz für den Verfall geltend machen könne.[4] Danach hatte ein längerfristig arbeitsunfähiger Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung für zurückliegende Jahre bei Rückkehr in das Arbeitsleben oder auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsunfähigkeit.

Das LAG Düsseldorf hielt diesen ersatzlosen Verfall von Urlaubsansprüchen für unvereinbar mit der Richtlinie 2003/88/EG vom 4.11.2003 und legte dem EuGH mit Beschluss vom 2.8.2006 eine Frage zur Vorabentscheidung vor.[5] Der EuGH urteilte daraufhin in der Schutz-Hoff-Entscheidung, dass es mit Art. 7 Abs. 1, 2 der Richtlinie unvereinbar ist, wenn der Urlaubsanspruch bei Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des Bezugs- bzw. Übertragungszeitraums und bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig war und daher zu keinem Zeitpunkt Urlaub beanspruchen konnte.[6]

Das LAG Düsseldorf hat den Fall im Anschluss an den EuGH zugunsten eines Abgeltungsanspruchs des Arbeitnehmers entschieden, diesen jedoch auf den gesetzlichen Mindesturlaub von 4 Wochen jährlich beschränkt und damit die weitergehenden Urlaubsansprüche als ersatzlos verfallbar eingestuft.[7]

In einem ähnlichen Fall ist das BAG danach der Vorgabe des EuGH gefolgt: § 7 Abs. 3, 4 BUrlG sei unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung unionsrechtskonform im Wege der teleologischen Reduktion fortzubilden, sodass der Anspruch auf Urlaub nicht verfalle, sondern fortbestehe, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr und bis zum Ende des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig war.[8] Die mit dieser Änderung der Rechtsprechung entstehende Gefahr einer unbegrenzten Ansammlung von Urlaubs(-abgeltungs)ansprüchen hat der EuGH zwischenzeitlich erkannt und bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit einen tariflichen Übertragungszeitraum von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres und einen entsprechenden Verfall mit Fristablauf gebilligt.[9] Im Anschluss an diese Entscheidung legt das BAG nun § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG unionsrechtskonform dahingehend aus, dass es in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG die vom EuGH gebilligte 15-Monatsverfallsfrist hineinliest. Das BAG hat jedoch ausdrücklich festgehalten, dass der Gesetzgeber nicht gehindert wäre, einen anderen Übertragungszeitraum festzusetzen, der lediglich deutlich länger sein müsste als der Bezugszeitraum.[10]

Das BAG legte am 13.12.2016 dem EuGH die Frage vor, ob seine Rechtsprechung mit Art 7. Abs 1 der RL 2003/88/EG vereinbar ist.[11]

Der EuGH entschied, dass Art. 7 der Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Arbeitnehmer, der im Bezugszeitraum keinen Urlaubsantrag gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraums die Urlaubstage und entsprechende Ansprüche auf Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses automatisch verliert.[12]

In der Folge hat das BAG die Vorgaben des EuGH durch 2 Entscheidungen umgesetzt. Danach erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub bei richtlinienkonformer Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, den Urlaub zu nehmen. Zusätzlich muss der Arbeitnehmer den Urlaub aus freien Stücken nicht genommen ha...

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