Zu den grundlegenden Garantien des Europäischen Unionsrechts gehört die Freizügigkeit der Arbeitnehmer.[1] Als eine der 5 "Grundfreiheiten" des AEU-Vertrags ist sie zusammen mit der Warenverkehrsfreiheit, der Niederlassungsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit ein zentrales Element des Binnenmarkts zwischen den Mitgliedstaaten der EU.[2] Die von Art. 45 AEUV gewollte Mobilität der Arbeitnehmer setzt gewisse Rahmenbedingungen voraus, wobei die sozialen Rahmenbedingungen besondere Wichtigkeit haben. Auf der Grundlage von Art. 48 AEUV[3] hat die Union die Verordnung 1408/71/EWG vom 14.6.1971 und die Durchführungsverordnung 574/72/EWG vom 21.3.1972 erlassen.[4] Die Verordnung wurde nun durch die Verordnung 883/2004/EG ersetzt, nachdem zum 1.5.2010 deren Durchführungsverordnung 987/2009/EG in Kraft getreten ist.[5] Die komplizierte Verordnung Nr. 883/2004/EG bestimmt die Anrechnung von Sozialversicherungszeiten, die Wanderarbeitnehmer in anderen EU-Staaten verbracht haben. Die Anwendung des Art. 45 AEUV setzt in sachlicher Hinsicht einen relevanten Auslandsbezug voraus.[6] Der persönliche Anwendungsbereich erfasst nur Angehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat. Die in der Verordnung 1408/71/EWG vorgesehene Beschränkung auf Arbeitnehmer und Selbstständige[7] wurde aufgehoben.

[1] Art. 45 AEUV, ex-Art. 39 EGV.
[2] Zu beachten: Teilweise wird von 4 Grundfreiheiten ausgegangen und die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie die Niederlassungsfreiheit zur Personenfreizügigkeit zusammengefasst.
[3] Damalige Fassung der Norm in Art. 51 Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag).
[4] VO in ABl. Nr. L 149 v. 5.7.1971, S. 1; Durchführungs-VO in ABl. Nr. L 74 v. 27.3.1972, S. 1; konsolidierte Fassung in ABl. Nr. L 28 v. 30.1.1997, S. 1. Die VO 1408/71/EWG gilt jedoch weiter für Drittstaatsangehörige.
[5] Die Verordnung 883/2004/EG, ABl. Nr. L 166 v. 30.4.2004, S. 1, trat bereits im Jahr 2004 in Kraft, gilt aber nach ihrem Art. 91 erst, wenn ihre Durchführungsverordnung in Kraft tritt, Durchführungs-VO 987/2009/EG, ABl. Nr. L 284 v. 30.10.2009, S. 1.
[7] Die Erweiterung auf Selbstständige erfolgte in einer ergänzenden Verordnung.

2.1 Arbeitnehmerbegriff

Der in Art. 45 AEUV verwendete Begriff des Arbeitnehmers wird für alle Mitgliedstaaten einheitlich durch das Unionsrecht bestimmt.[1] Arbeitnehmer ist danach jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der eine weisungsgebundene Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ausübt oder ausüben will.[2] Der Wohnort des Arbeitnehmers ist nicht ausschlaggebend.[3] Der Charakter der Tätigkeit ist grundsätzlich unerheblich, solange sich die Beschäftigung nicht als völlig unwesentlich erweist.[4] Zur Bestimmung der Unwesentlichkeit darf aber weder auf den Status als Teilzeitbeschäftigter[5] noch auf die Höhe der Bezahlung[6] abgestellt werden. Allerdings muss die Tätigkeit eine wirtschaftliche sein, was bei Entlohnung angenommen wird.[7] Die Verfolgung kultureller oder sportlicher Nebenzwecke schadet nicht.[8] Der Begriff ist wegen des hohen Werts der Freizügigkeit ohnehin nicht eng auszulegen[9], insbesondere können hierunter – anders als im deutschen Recht – auch hoheitsrechtlich Beschäftigte[10] fallen, also sogar Beamte. Ein nach deutschem Sozialversicherungsrecht geringfügig Beschäftigter kann ebenfalls Arbeitnehmer i. S. d. Art. 45 AEUV sein.[11] Allerdings ist immer im Rahmen einer Gesamtbewertung zu bestimmen, ob es sich um eine tatsächliche und echte Tätigkeit handelt; dafür soll insbesondere ein Anspruch auf bezahlten Urlaub, auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendbarkeit eines aktuellen Tarifvertrags sowie eine bereits länger dauernde Vertragslaufzeit sprechen.[12]

[2] EuGH, Urteil v. 7.9.2004, C-456/02 – Trojani; EuGH, Urteil v. 3.7.1986, C-66/85 – Lawrie-Blum; EuGH, Urteil v. 10.9.2014, C-270/13 – Haralambidis;  EuGH, Urteil v. 19.7.2017, C-143/16 – Abercrombie & Fitch Italia Srl / Antonio Bordonaro; eingehend: Wank, EuZA 2018, 327.
[9] Vgl. nur EuGH, Urteil v. 8.6.1999, C-337/97 – Meeusen.; EuGH, Urteil v. 3.5.2012, C 33/10 – Neidel; EuGH, Urteil v. 10.9.2014, C-270/13 – Haralambidis.
[10] EuGH, Urteil v. 12.2.1974, C-152/73 – Sotgiu; EuGH, Urteil v. 10.9.2014, C-270/13 – Haralambidis, auch zur Ausnahme des Art. 45 IV.

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