Die Mitwirkungsrechte der SBV gegenüber dem Arbeitgeber beschränkten sich bis Ende 2016 nach § 95 Abs. 2 SGB IX a. F. auf Unterrichtungs-, Anhörungs- und Erörterungsrechte. Mit Inkrafttreten von Art. 2 BTHG zum 30.12.2016 ist das Mitwirkungsrecht beim Ausspruch von Kündigungen schwerbehinderter oder ihnen gleichgestellter Mitarbeiter erheblich erweitert worden: unterbleibt die Anhörung der SBV, führt dies nun zwingend zur Unwirksamkeit der Kündigung.[1]

4.1.1 Allgemeine Unterrichtungs- und Anhörungspflicht

Der Arbeitgeber hat die SBV in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen schwerbehinderten Menschen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung zu hören sowie ihr die danach getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen.[1] Diese Unterrichtungspflicht ist weitergehender als das Informationsrecht des Betriebsrats.

Bei Eingang der Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung unmittelbar zu unterrichten.[2] Unterlässt es der Arbeitgeber, die SBV entgegen § 178 Abs. 2 SGB IX zu beteiligen, spricht dies nach der Rechtsprechung des BAG[3] dafür, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde und damit ein Indiz i. S. d. § 22 AGG vorliegt, das für einen Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot spricht. Es ist Sache des Arbeitgebers, dies zu widerlegen.

Allerdings kann ein solches Indiz für einen Verstoß nur dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber zu einer Unterrichtung bzw. Anhörung der SBV verpflichtet ist, mithin die Voraussetzungen des § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX vorliegen. Dazu ist erforderlich, dass es um eine Angelegenheit geht, die einen einzelnen schwerbehinderten Menschen oder schwerbehinderte Menschen als Gruppe berühren. Nach Ansicht des BAG[4] ist das Wort "berühren" in § 178 Abs. 2 SGB IX mit "betreffen" gleichzusetzen. Sinn und Zweck der Unterrichtungs- und Anhörungspflicht ist es, der SBV zu ermöglichen, auf eine sachdienliche Behandlung hinzuwirken, wenn spezifische Belange eines schwerbehinderten Menschen oder der schwerbehinderten Beschäftigten als Gruppe für die Entscheidung des Arbeitgebers erheblich sind.[5] Eine Unterrichtungs- und Anhörungspflicht des Arbeitgebers besteht daher nicht, wenn die Angelegenheit bzw. Maßnahme des Arbeitgebers die Belange schwerbehinderter Menschen in keiner anderen Weise betrifft als die Belange nicht schwerbehinderter Beschäftigter.[6]

Bestehen Zweifel, ob die beabsichtigte Maßnahme den davon betroffenen schwerbehinderten Menschen in gleicher Weise betrifft wie die nicht schwerbehinderten Beschäftigten, oder ob er nicht doch in besonderer Weise davon betroffen ist, sollte der Arbeitgeber vorsorglich die SBV einschalten.

 
Praxis-Beispiel

Unterrichtung und Anhörung der SBV

Will der Arbeitgeber einen schwerbehinderten Menschen wegen Schlechtleistung abmahnen, so muss er vorher die SBV unterrichten und vor seiner endgültigen Entscheidung anhören.

Die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses berührt den einzelnen schwerbehinderten oder einen gleichgestellten Menschen mit Behinderung stets i. S. v. § 178 Abs. 2 Satz 1 SGBV IX n. F. Deshalb ist im Falle einer Kündigung stets die SBV zu unterrichten und anzuhören. Nicht erforderlich ist, dass die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Das Erfordernis der Unterrichtung und Anhörung der SBV gilt auch für Kündigungen von schwerbehinderten oder einem solchen gleichgestellten Menschen mit Behinderung im Zuge einer Massenentlassung aufgrund einer vollständigen Betriebsstilllegung. Das hat das BAG ausdrücklich klargestellt.[7]

Rechtzeitig ist die Unterrichtung nur dann, wenn die SBV die Möglichkeit zur eigenen Entscheidungsbildung hat und als Helfer und Berater des schwerbehinderten Menschen noch zeitlich in der Lage ist, auf den Entscheidungsprozess des Arbeitgebers einzuwirken. Deshalb ist eine Anhörung mit gleichzeitiger Abgabe des Abmahnungsschreibens in den Postumlauf verspätet.

Umfassend ist die Unterrichtung nur, wenn die SBV aufgrund der konkret mitgeteilten Tatsachen in die Lage versetzt wird, sich mit dem Sachverhalt auseinander zu setzen. Die Mitteilung von bloßen Werturteilen "Herr X ist zu faul" genügt nicht.

Die Verletzung dieser Unterrichtungs- und Anhörungspflicht kann nach § 238 Abs. 1 Nr.  SGB IX i. V. m. § 238 Abs. 2 SGB IX mit einer Geldbuße bis zu 10.000 EUR von der Bundesagentur für Arbeit geahndet werden. Verstößt der Arbeitgeber gegen seine Unterrichtungs- und Anhörungspflicht nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX im Falle der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, ist diese Kündigung nach § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX unwirksam. Der Arbeitgeber hat also die SBV jetzt zwingend vor Ausspruch der Kündigung zu beteiligen. Bisher war er zwar grundsätzlich auch zur Anhörung verpflichtet, allerdings handelte es sich dabei nicht um eine Wirksamkeitsvoraussetzung. Die Beteiligun...

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