Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze von Beteiligungen bei der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften teilweise verfassungswidrig

 

Leitsatz (amtlich)

Die Absenkung der Beteiligungsquote bei der Besteuerung privater Veräußerungen von Kapitalanteilen durch § 17 Abs. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 war mit belastenden Folgen einer unechten Rückwirkung verbunden, die zum Teil den Grundsätzen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes widersprechen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die zehnprozentige Beteiligungsgrenze als solche ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

2. Ausführungen zur echten Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) und zur unechten Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung).

3. Soweit aufgrund der geänderten Beteiligungsgrenze Wertsteigerungen steuererheblich werden, die erst nach der Verkündung eintreten, begegnet die darin liegende gesetzgeberische Neubewertung der „Wesentlichkeit” einer Beteiligung im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG unter Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

4. Die Absenkung der Beteiligungsgrenze verstößt aber gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 entstanden sind und die entweder – bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt – nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder – bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes – sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können.

5. Die unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Erfassung von Wertsteigerungen im Vermögen des Steuerpflichtigen ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Sie ist die systematische und insofern folgerichtige Konsequenz aus der das Einkommensteuerrecht prägenden Konzeption, nach der die Einkommensteuer grundsätzlich nur im Rahmen der Gewinneinkunftsarten den Gedanken der Reinvermögenszugangstheorie aufgreift und deshalb auch den Wertzuwachs bei Vermögensgegenständen erfasst, während die Einkünfte im Rahmen der übrigen Einkunftsarten, dem Gedanken der Quellentheorie entsprechend, als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten ermittelt werden, so dass hier Zuwächse im Stammvermögen grundsätzlich außer Betracht bleiben. Der Gesetzgeber wäre allerdings nicht gehindert, Gewinne aus jeder Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens zu besteuern. Ob und inwieweit er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist eine Frage politischer Gestaltung.

 

Normenkette

EStG § 17 Abs. 1 S. 4, § 52 Abs. 1 S. 1; StEntlG 1999/2000/2002; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1; HGB § 255

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 10.08.2005; Aktenzeichen VIII R 22/05; BFH/NV 2005, 2188)

BFH (Urteil vom 01.03.2005; Aktenzeichen VIII R 92/03; BFH/NV 2005, 964; BFHE 209, 285; BStBL II 2005, 398)

BFH (Urteil vom 01.03.2005; Aktenzeichen VIII R 25/02; BFH/NV 2005, 960; BFHE 209, 275; BStBL II 2005, 436)

FG Nürnberg (Urteil vom 25.09.2003; Aktenzeichen IV 229/2002; EFG 2004, 105)

 

Tenor

§ 17 Absatz 1 Satz 4 in Verbindung mit § 52 Absatz 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (Bundesgesetzblatt I Seite 402) verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 am 31. März 1999 entstanden sind und die entweder – bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt – nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder – bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes – sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können.

Die Urteile des Bundesfinanzhofs vom 1. März 2005 – VIII R 25/02 –, vom 1. März 2005 – VIII R 92/03 – und vom 10. August 2005 – VIII R 22/05 – werden aufgehoben. Die Verfahren werden an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Tatbestand

A.

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass Gewinne aus der privaten Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften nach § 17 Abs. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Satz 1 EinkommensteuergesetzEStG – in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I S. 402) der Einkommensteuer unterworfen sind, insbesondere soweit sich die damit einhergehende Absenkung der Beteiligungsgrenze von mehr als 25 % auf mindestens 10 % auch auf nach altem Recht bestehende Beteiligungsverhältnisse bezieht.

I.

1. Das Einkommensteuergesetz unterscheidet nach § 2 Abs. 2 EStG zwischen Gewinneinkunftsarten und Überschusseinkunftsarten. Im Rahmen der Gewinneinkunftsarten, zu denen die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit zählen, unterliegt der Wertzuwachs bei den zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern der Besteuerung zum Zeitpunkt ihrer Realisierung insbesondere in Gestalt eines Veräußerungsgewinns. Bei den Überschusseinkunftsarten, zu denen die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung sowie „sonstige Einkünfte” gehören, gilt das für die Einkünfteerzielung eingesetzte Vermögen als Privatvermögen. Wertsteigerungen des Privatvermögens bleiben grundsätzlich auch im Fall einer Veräußerung einkommensteuerfrei, wenn nicht das Einkommensteuergesetz die Besteuerung „privater” Veräußerungsgewinne besonders vorsieht. Nach der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Rechtslage war das für die Gewinne aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an einer Kapitalgesellschaft der Fall, die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 und 4 EStG a.F. als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer unterlagen, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung – das heißt zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb dieses Zeitraums – zu mehr als 25 % beteiligt war.

2. Diese Regelung geht auf das Einkommensteuergesetz vom 10. August 1925 (RGBl I S. 189) zurück, nach dessen § 30 Abs. 3 die Veräußerung von Anteilen an einer „Erwerbsgesellschaft” der Veräußerung eines Gewerbebetriebs oder Teilbetriebs gleichgestellt war und deshalb der Einkommensteuer unterlag, wenn der Veräußernde innerhalb der letzten zehn Jahre zu mehr als 25 % beteiligt war. § 17 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes vom 16. Oktober 1934 (RGBl I S. 1005) übernahm diese Regelung, verkürzte allerdings den maßgeblichen Zeitraum auf die letzten fünf Jahre vor der Veräußerung. Diese Fassung blieb trotz verschiedener Reforminitiativen bis Ende des Jahres 1998 im Kern unverändert. Der Vorschlag der Steuerreformkommission 1971, die Beteiligungsgrenze auf 10 % zu senken (vgl. Bundesministerium der Finanzen ≪Hrsg.≫, Gutachten der Steuerreformkommission 1971, S. 88), mündete zwar in einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (vgl. BTDrucks 7/1470, S. 33, 264), wurde aber nicht Gesetz. Der Bundesrat sprach sich im Jahr 1993 ebenfalls erfolglos für eine Beteiligungsgrenze von 10 % aus (vgl. BTDrucks 12/5940, S. 4, 28). Zuletzt sahen die von einer Regierungskommission im Jahr 1997 unterbreiteten „Petersberger Steuervorschläge” eine zehnprozentige Beteiligungsgrenze vor (vgl. NJW 1997, Beilage zu Heft 13, S. 5 ≪8≫). Der darauf zurückgehende Entwurf eines Steuerreformgesetzes 1999 (vgl. BTDrucks 13/7480, S. 38, 199) fand jedoch nicht die Zustimmung des Bundesrates (vgl. BTDrucks 13/8177).

3. Nach dem Regierungswechsel im Jahr 1998 wurde die Beteiligungsgrenze durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 schließlich doch auf 10 % gesenkt.

a) Der zugrundeliegende Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN datiert vom 9. November 1998. In der Begründung heißt es, durch die Herabsetzung der Beteiligungsgrenze solle die Besteuerungsgrundlage verbreitert werden. Außerdem diene die Neuregelung der Missbrauchsbegrenzung. Der Anwendungsbereich des § 50c Abs. 11 EStG, der vielfach deshalb Kritik erfahre, weil er die steuerlichen Folgen beim Erwerber und nicht beim Veräußerer der Beteiligung ansetze, werde zurückgedrängt. Es bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass auch solche Wertzuwächse der Besteuerung unterlägen, die bis zur Änderung nicht steuerverhaftet gewesen seien. Deren Ausklammerung durch gesonderte Feststellung des Werts der bereits bestehenden Beteiligungen gehe mit einem unzumutbaren Aufwand einher. Das Feststellungsverfahren sei sehr streitanfällig und würde zu langwierigen Rechtsbehelfsverfahren führen (vgl. BTDrucks 14/23, S. 178).

b) Mit Beschluss vom 13. November 1998 überwies der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf an den Finanzausschuss, der am 2. März 1999 seine Beschlussempfehlung fasste (vgl. BTDrucks 14/442). Im dazugehörigen Bericht wird die Herabsetzung der Beteiligungsgrenze als Teil eines Katalogs von Maßnahmen zur Gegenfinanzierung der im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vorgesehenen Steuererleichterungen aufgeführt (vgl. BTDrucks 14/443, S. 2 ff., S. 4, linke Spalte, letzter Spiegelstrich). Der Bundestag fasste in der Sitzung am 4. März 1999 in namentlicher Abstimmung den endgültigen Gesetzesbeschluss (vgl. BT-Plenarprotokoll 14/25, S. 1956 ff.). Der Bundesrat stimmte in seiner Sitzung am 19. März 1999 zu (vgl. BRDrucks 129/99). Nach Ausfertigung durch den Bundespräsidenten am 24. März 1999 wurde das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/ 2002 am 31. März 1999 verkündet (BGBl I S. 402).

c) In der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung lauten die einschlägigen Vorschriften des Einkommensteuergesetzes:

§ 2

Umfang der Besteuerung, Begriffsbestimmungen

(1) Der Einkommensteuer unterliegen

(…)

2. Einkünfte aus Gewerbebetrieb,

(…)

die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seiner beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. (…)

(…)

§ 17

Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften

(1) Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war. (…) Anteile an einer Kapitalgesellschaft sind Aktien, Anteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Kuxe, Genussscheine oder ähnliche Beteiligungen und Anwartschaften auf solche Beteiligungen. Eine wesentliche Beteiligung ist gegeben, wenn der Veräußerer zu mindestens 10 vom Hundert unmittelbar oder mittelbar beteiligt war. (…)

(2) Veräußerungsgewinn im Sinne des Absatzes 1 ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. (…)

(…)

§ 52

Anwendungsvorschriften

(1) Diese Fassung des Gesetzes ist, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist, erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. (…)

(…)

II.

1. a) Die Beschwerdeführer in dem Verfahren 2 BvR 748/05, zusammen veranlagte Eheleute, hielten Beteiligungen an einer GmbH in Höhe von insgesamt 70 %, wobei auf den Beschwerdeführer 60 % und auf die Beschwerdeführerin 10 % entfielen. Mit Vertrag vom 29. Dezember 1998 übertrug die Beschwerdeführerin mit sofortiger Wirkung einen Teil zu einem Preis von 600 DM auf den Beschwerdeführer, wodurch sich ihre Beteiligung auf 9,92 % verringerte, die sie mit Vertrag vom 28. Juni 1999 zu einem Preis von 992.000 DM an einen Dritten veräußerte. Aufgrund der Rechtsänderungen durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 ging das Finanzamt von einer Beteiligungsgrenze von mindestens 10 % innerhalb der fünf Jahre vor der Veräußerung aus und rechnete den Gewinn in Höhe von 916.356 DM dem zu versteuernden Einkommen zu.

Nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens änderte das Finanzgericht Baden-Württemberg den Einkommensteuerbescheid mit Urteil vom 19. März 2002 – 1 K 63/00 – (EFG 2002, S. 701 ff.) insoweit ab. Die Neufassung der Beteiligungsgrenze durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 müsse, damit sie nicht zu einer unzulässigen Rückwirkung führe, verfassungskonform so ausgelegt werden, dass sie erst ab dem Jahr 1999 gelte und für die davorliegenden Jahre die alte Beteiligungsgrenze maßgeblich sei. Danach habe die Beschwerdeführerin die Besteuerung durch die Verringerung ihres Anteils von 10 % auf 9,92 % noch vor dem Jahreswechsel vermeiden können. Auf die Revision des Finanzamts hob der Bundesfinanzhof diese Entscheidung mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil vom 1. März 2005 – VIII R 25/02 – auf (BStBl II S. 436 ff. = BFHE 209, 275 ff.).

b) Der Beschwerdeführer in dem Verfahren 2 BvR 753/05 war mit Anteilen zu 20.000 DM an einer GmbH beteiligt, deren Stammkapital sich auf 150.000 DM belief. Mit Vertrag vom 11. März 1999 veräußerte er einen Teil seiner Beteiligung zu einem Preis von 1.510.000 DM. Den Gewinn rechnete das Finanzamt dem zu versteuernden Einkommen zu. Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht Nürnberg mit Urteil vom 15. September 2003 – IV 229/2002 – ab (EFG 2004, S. 105 ff.). Soweit die geänderte Beteiligungsgrenze auch für solche Beteiligungen gelte, die bereits bei der Rechtsänderung bestanden hätten, sei dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die dagegen gerichtete Revision des Beschwerdeführers wies der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 1. März 2005 – VIII R 92/03 – zurück (BStBl II S. 398 ff. = BFHE 209, 285 ff.).

c) Der Beschwerdeführer in dem Verfahren 2 BvR 1738/05 hielt seit dem Jahr 1993 einen GmbH-Anteil von 24,02 % und veräußerte diese Beteiligung mit Vertrag vom 23. Juli 2001 für 100.000 DM. Den Gewinn rechnete das Finanzamt dem zu versteuernden Einkommen zu. Die dagegen erhobene Klage wies das Niedersächsische Finanzgericht mit Urteil vom 14. Februar 2005 – 3 K 679/04 – ab (EFG 2005, S. 1041 ff.). Zwar müsse § 17 Abs. 1 EStG in verfassungskonformer Weise so verstanden werden, dass es bei der Betrachtung des zurückliegenden Zeitraums auf die im jeweiligen Veranlagungszeitraum gültige Beteiligungsgrenze ankomme. Im Fall des Beschwerdeführers ändere dies aber nichts, weil dieser die ab dem Jahr 1999 gültige Beteiligungsgrenze von 10 % überschritten habe. Dass aufgrund dessen der gesamte Veräußerungsgewinn der Besteuerung unterliege, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die dagegen gerichtete Revision wies der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 10. August 2005 – VIII R 22/05 – zurück (BFH/NV 2005, S. 2188).

2. a) Nach Auffassung des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs ist für eine Auslegung, nach der es für die Steuerbarkeit auf die im jeweiligen Veranlagungszeitraum gültige Beteiligungsgrenze ankommt, kein Raum. Nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte könne § 17 Abs. 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 nur so verstanden werden, dass der Gewinn der Besteuerung unterliege, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung zu mindestens 10 % beteiligt gewesen sei. Für ein anderes Verständnis bestehe auch keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit. Soweit die geänderte Beteiligungsgrenze den Zeitraum vor der Rechtsänderung tatbestandlich einbeziehe, überwiege das Änderungsinteresse das Vertrauensschutzinteresse der Betroffenen. Die Erwartung des Einzelnen, das geltende Steuerrecht werde fortbestehen, sei verfassungsrechtlich nicht geschützt, was grundsätzlich auch dann gelte, wenn er auf der Grundlage der bisher geltenden steuerlichen Lage disponiert habe. Der Gesetzgeber sei durch den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz nicht gehindert gewesen, die Rahmenbedingungen für die Erfassung von Veräußerungsgewinnen im Sinne des § 17 EStG zum Nachteil der betroffenen Steuerpflichtigen zu ändern. Ausweislich der Gesetzesbegründung habe der Gesetzgeber die Besteuerungsgrundlage für Veräußerungsgewinne verbreitern und Missbräuche eindämmen wollen. Das seien sachliche Gründe, die eine belastende Rechtsänderung rechtfertigten.

Zwar habe der IX. Senat des Bundesfinanzhofs in seinem Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht vom 16. Dezember 2003 – IX R 46/02 – (BStBl II 2004, S. 284 ff. = BFHE 204, 228 ff.) die rückwirkende Verlängerung der zur Besteuerung führenden Veräußerungsfrist für Grundstücke von zwei Jahren auf zehn Jahre durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 als verfassungswidrig beurteilt. Diese Einschätzung beruhe aber auf Gründen, die auf die Absenkung der Beteiligungsgrenze durch das Steuerentlastungsgesetz nicht übertragbar seien. Wer eine Beteiligung halte, die nach Maßgabe alten Rechts unterhalb der Wesentlichkeitsgrenze gelegen habe, sei weniger schutzwürdig als derjenige, der über ein Grundstück verfüge, bei dem die alte, zweijährige Veräußerungsfrist bereits abgelaufen sei. Während die eingetretenen Wertzuwächse im letzteren Fall definitiv steuerfrei seien, bleibe der Wertzuwachs von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften stets „latent steuerverstrickt”. Schütte beispielsweise die Gesellschaft Gewinne aus, unterlägen diese in jedem Fall der Einkommensteuer. Dasselbe gelte, wenn die Gesellschaft aufgelöst, ihre Unternehmen unter Aufdeckung der stillen Reserven veräußert und der Liquidationsüberschuss an die Gesellschafter verteilt würden. Auf diese Umstände habe auch ein im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG „wesentlich” Beteiligter je nach Größe der Beteiligung keinen Einfluss. Ebenso sei denkbar, dass seine Beteiligung, ohne dass er dies verhindern könne, „in die Wesentlichkeit hineinwachse” mit der Folge, dass der gesamte Wertzuwachs der Besteuerung unterliege. Das sei etwa der Fall, wenn die Kapitalgesellschaft eigene Anteile erwerbe und hierdurch die Beteiligung des Steuerpflichtigen die Wesentlichkeitsgrenze überschreite, weil der Nennwert der eigenen Anteile der Kapitalgesellschaft vom Grund- oder Stammkapital abzuziehen sei. Vergleichbar sei die Lage, wenn der Steuerpflichtige an der Kapitalgesellschaft mittelbar über eine andere Kapitalgesellschaft beteiligt sei und diese weitere Anteile erwerbe, denn auch dadurch könne eine Beteiligung ohne Zutun des Steuerpflichtigen zu einer wesentlichen werden.

Schließlich sei das Vertrauen in den unveränderten Fortbestand des § 17 Abs. 1 EStG a.F. schon durch die Einfügung des Absatz 11 in § 50c EStG durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I S. 2590) abgeschwächt gewesen. Damit habe der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, die Einmalbesteuerung ausgeschütteter Gewinne inländischer Kapitalgesellschaften zu gewährleisten. Außerdem habe er verhindern wollen, dass durch die Veräußerung nicht wesentlicher Beteiligungen Ausschüttungen in nicht steuerbare Veräußerungsgewinne umgewandelt würden. § 50c Abs. 11 EStG sei entsprechenden Gestaltungen entgegengetreten, indem er die sogenannte ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung untersagt und auf diese Weise die Besteuerung der Erträge sichergestellt habe. Das sei als systemwidrig kritisiert worden, weil die Ausschüttung an sich beim Veräußerer der Beteiligung angefallen wäre. Ausweislich der Gesetzesbegründung habe der Gesetzgeber dem zumindest teilweise durch die Absenkung der Beteiligungsgrenze in § 17 Abs. 1 EStG Rechnung tragen wollen, wodurch er den Anwendungsbereich des § 50c Abs. 11 EStG zurückgedrängt habe.

b) Im Übrigen ist die zehnprozentige Beteiligungsgrenze nach Auffassung des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es stehe mit dem allgemeinen Gleichheitssatz in Einklang, dass Gewinne aus der privaten Veräußerung einer Beteiligung nur dann der Besteuerung unterlägen, wenn diese mehr als 10 % betrage. Für die alte Beteiligungsgrenze von 25 % habe das Bundesverfassungsgericht dies in BVerfGE 27, 111 ff. wegen der „Nähe” einer solchen Beteiligung zur Geschäftsführung der Gesellschaft und der mitunternehmerähnlichen Stellung des Anteilseigners bereits ausgesprochen. Ob davon auch bei einer Beteiligung von 10 % die Rede sein könne, könne dahinstehen, denn der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht die höhere Beteiligungsgrenze für verfassungsgemäß befunden habe, könne nicht so verstanden werden, dass dem Gesetzgeber jede andere Regelung und damit eine Neugestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes verwehrt seien. Bezüglich der steuerlichen Erfassung von Wertsteigerungen im Privatvermögen habe er durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 – berücksichtige man die darin ebenfalls vorgesehene Verlängerung der Veräußerungsfrist für Grundstücke – einen Paradigmenwechsel zugunsten einer breiteren steuerlichen Erfassung von Wertsteigerungen im Privatvermögen eingeleitet, die er durch die weitere Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 1 % durch das Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) fortgeführt habe. Wenn der Gesetzgeber dadurch die durch die Erzielung von Veräußerungsgewinnen gesteigerte Leistungsfähigkeit verstärkt zum Gegenstand der Besteuerung mache, liege dies im Rahmen seines Gestaltungsspielraums.

III.

1. Die Beschwerdeführer halten die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes für verletzt. Die Erstreckung der abgesenkten Wesentlichkeitsgrenze auf bereits abgelaufene Veranlagungszeiträume bewirke eine unzulässige „echte” Rückwirkung, soweit sie auch bereits angesammelte, nicht steuerverstrickte stille Reserven und damit Sachverhalte erfasse, die unter Berücksichtigung des einkommensteuerrechtlichen Periodizitätsprinzips bereits abgeschlossen seien. Nichts anderes ergebe sich, wenn man die für „unechte” Rückwirkungen geltenden Maßstäbe anlege, denn das Vertrauen der Steuerpflichtigen sei aufgrund der jahrzehntelangen Geltung der vorherigen Beteiligungsgrenze besonders schutzwürdig und überwiege das Änderungsinteresse des Gesetzgebers. Die rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze könne nicht anders beurteilt werden als die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfrist für Grundstücke, die der IX. Senat des Bundesfinanzhofs zutreffend als verfassungswidrig gekennzeichnet habe. In beiden Fällen handele es sich um grundsätzlich steuerfreie Wertzuwächse im Privatvermögen, die nachträglich der Besteuerung unterworfen würden.

Das Gegenargument des VIII. Senats, im Gegensatz zu Wertzuwächsen bei Grundstücken nach Ablauf der Zweijahresfrist seien Wertzuwächse bei Beteiligungen „latent steuerverhaftet”, überzeuge nicht. Zwar könne der Steuerpflichtige, wie der Senat anführe, unter Umständen nicht verhindern, dass Wertzuwächse an ihn ausgeschüttet oder spätestens im Fall einer Liquidation der Gesellschaft als Einkünfte aus Kapitalvermögen steuerpflichtig würden. Darin liege aber eine lediglich teilweise Realisation stiller Reserven, denn der Firmenwert als solcher gehe mit der Zerschlagung einer Gesellschaft unter und könne auch nicht an den Gesellschafter ausgeschüttet werden. Deshalb sei die Liquidation bei werthaltigen Unternehmen, und um diese gehe es gerade, ein lediglich theoretischer Fall, denn nur unverkäufliche Unternehmen würden liquidiert. Die Steuerbarkeit von Dividenden sei ebenfalls keine Besonderheit, denn auch der Grundstückseigentümer habe Erträge aus dem Grundstück wie insbesondere Miet- oder Pachteinnahmen laufend zu versteuern. Zurückzuweisen sei schließlich das Argument, in anderen Fällen könne eine Beteiligung ebenfalls ohne Zutun des Steuerpflichtigen in die Wesentlichkeit „hineinwachsen”. Gegenstand des Vertrauens sei eine gesetzliche Regelung. Dies sei nicht vergleichbar mit dem allgemeinen Risiko, dass sich der Beteiligungsumfang ändere. Im Übrigen kämen die vom VIII. Senat beispielhaft angeführten Konstellationen in der Rechtswirklichkeit eher selten vor, und wenn, dann wirke der Steuerpflichtige am Gesellschafterbeschluss über den Erwerb eigener Anteile durch die Gesellschaft mit und sei aufgrund dessen „vorgewarnt”, so dass er seine Beteiligung rechtzeitig abstoßen könne.

Der ehemalige § 50c Abs. 11 EStG sei nicht geeignet, das Vertrauen der Anteilseigner als weniger schutzwürdig erscheinen zu lassen, weil er die alte Wesentlichkeitsgrenze gerade unverändert gelassen und nicht den Veräußerer, sondern den Erwerber der Beteiligung besteuert habe. Auch unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität des Vollzugs sei es nicht gerechtfertigt gewesen, von einer Übergangsregelung abzusehen, die den bereits akkumulierten steuerfreien Wertzuwachs ausklammert. Schließlich sei der Gesetzgeber beispielsweise bei der Neuregelung der Bodengewinnbesteuerung im Jahr 1971 entsprechend verfahren.

2. Der Beschwerdeführer in dem Verfahren 2 BvR 753/05 hält überdies die zehnprozentige Beteiligungsgrenze als solche für gleichheitswidrig. Sie weiche von dem in der grundsätzlichen Unterscheidung von Gewinn- und Überschusseinkunftsarten angelegten Prinzip ab, dass Wertsteigerungen im Privatvermögen nicht der Besteuerung unterlägen. Für die alte Beteiligungsgrenze von 25 % habe das Bundesverfassungsgericht dies in BVerfGE 27, 111 ff. akzeptiert, jedoch tragend auf die Nähe einer solchen Beteiligung zur Mitunternehmerschaft abgestellt. Davon könne aber bei einer Beteiligung von nur 10 % nicht mehr die Rede sein. Ebenso wenig könnten die durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vorgenommenen Modifikationen zugunsten einer weitergehenden steuerlichen Erfassung von Wertzuwächsen im Privatvermögen mit dem VIII. Senat des Bundesfinanzhofs als „Paradigmenwechsel” interpretiert werden. Eine „neue Sachgesetzlichkeit” habe der Gesetzgeber nicht geschaffen, denn die grundsätzliche Unterscheidung von Gewinn- und Überschusseinkünften sei unverändert geblieben. Die weitergehende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze auf 1 % durch das Steuersenkungsgesetz im Jahr 2000 sei im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Einführung des „Halbeinkünfteverfahrens” zu sehen und müsse schon deshalb außer Betracht bleiben, weil ein späteres Gesetz ein früheres nicht rechtfertigen könne. Davon abgesehen habe auch darin keine grundsätzliche Abkehr vom „Dualismus der Einkunftsarten” gelegen.

Schließlich erweise sich auch der Gesichtspunkt der Missbrauchsbekämpfung als nicht durchgreifend, denn es könne nicht davon ausgegangen werden, dass jeder, der eine Beteiligung zwischen 10 und 25 % an einer Kapitalgesellschaft halte und diese veräußere, generell missbräuchlich handele. Wenn der Gesetzgeber Missbrauch bekämpfen wolle, müsse er diesen als solchen angehen, könne aber nicht pauschal eine Beteiligungsgrenze absenken.

IV.

Zu den Verfassungsbeschwerden haben das Bundesministerium der Finanzen namens der Bundesregierung sowie der IX. und XI. Senat des Bundesfinanzhofs Stellung genommen.

1. Das Bundesministerium der Finanzen ist der Auffassung, der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht die Beteiligungsgrenze von 25 % für verfassungsgemäß befunden habe, könne nicht so verstanden werden, dass dem Gesetzgeber jegliche Neugestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes verwehrt sei. Die Ähnlichkeit zum Mitunternehmer sei auch bei einer Beteiligungsgrenze von 10 % noch gegeben. Im Übrigen rechtfertige sich die Neuregelung aus dem Erfordernis der Gegenfinanzierung der durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 gewährten Steuererleichterungen und aus dem Ziel der Missbrauchsbekämpfung. Die Grundsituation, dass sich der jeweilige Gesetzgeber einerseits unter politischem Handlungszwang sehe, andererseits aber für steuersystematische Idealvorstellungen mehrheitsfähige Ergebnisse nur selten erreichbar seien, dürfe den Gesetzgeber nicht lähmen.

Soweit sich die abgesenkte Beteiligungsgrenze tatbestandlich auch auf den zurückliegenden Zeitraum beziehe, sei dies mit dem VIII. Senat des Bundesfinanzhofs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Darin liege kein Zugriff auf einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt, denn nach der tatbestandlichen Struktur des § 17 Abs. 1 EStG sei dieser erst mit der Veräußerung abgeschlossen. Die bloße Erwartung des Steuerpflichtigen, das geltende Steuerrecht werde fortbestehen, sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich nicht geschützt. Der Inhaber einer nach bisherigem Recht unwesentlichen Beteiligung habe zu keinem Zeitpunkt darauf vertrauen können, den Wertzuwachs im Fall der Veräußerung steuerfrei zu realisieren, denn dieser bleibe stets „latent steuerverhaftet”, wie sich insbesondere aus der vom VIII. Senat angeführten Rechtsprechung zum „Hineinwachsen in die Wesentlichkeit” ergebe. Im Übrigen sei dieser zutreffend davon ausgegangen, dass das Vertrauen der Steuerpflichtigen schon aufgrund der Einführung des § 50c Abs. 11 EStG weniger schutzwürdig gewesen sei. Vor diesem Hintergrund seien die gesetzgeberischen Ziele der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und der Missbrauchsbekämpfung hinreichend tragfähig für die angegriffene Rechtsänderung.

2. Nach Auffassung des IX. und des XI. Senats des Bundesfinanzhofs sind die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfrist für Grundstücke und die rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze als im Wesentlichen gleich gelagerte Konstellationen beide als verfassungsrechtlich unzulässig zu beurteilen. Im Fall des § 17 EStG habe der Steuerpflichtige, so der IX. Senat, beim Erwerb einer nach altem Recht unwesentlichen Beteiligung von der Möglichkeit einer jederzeit nicht steuerbaren Veräußerung ausgehen können. Ob der vom VIII. Senat angeführte Ausnahmefall der Liquidation von Unternehmen und die Tatsache, dass die Beteiligungsgrenze bereits mehrfach Gegenstand von Änderungsinitiativen gewesen sei, es rechtfertigten, den Vertrauensschutz der Steuerpflichtigen anders als bei Grundstückserwerbern im Sinne des § 23 EStG zu gewichten, sei zweifelhaft. Der XI. Senat befürwortet aufgrund dessen eine verfassungskonforme Auslegung des § 17 EStG, nach der es auf die im jeweiligen Veranlagungszeitraum gültige Beteiligungsgrenze ankommt.

 

Entscheidungsgründe

B.

§ 17 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 ist wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes teilweise verfassungswidrig (I.). Die zehnprozentige Beteiligungsgrenze als solche ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (II.).

I.

Die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes sind in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang verletzt.

1. a) Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte „ins Werk gesetzt” worden sind (vgl. BVerfGE 45, 142 ≪167 f.≫; 63, 343 ≪356 f.≫; 72, 200 ≪242≫; 97, 67 ≪78 f.≫). Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten (vgl. BVerfGE 30, 272 ≪285≫; 63, 343 ≪357≫; 72, 200 ≪257 f.≫; 97, 67 ≪78≫; 105, 17 ≪37≫; 114, 258 ≪300 f.≫).

b) Eine Rechtsnorm entfaltet „echte” Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen”). Das ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Erst mit der Verkündung, das heißt, mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss (vgl. BVerfGE 97, 67 ≪79≫ m.w.N.), muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird (vgl. BVerfGE 63, 343 ≪353 f.≫; 67, 1 ≪15≫; 72, 200 ≪241 f.≫; 97, 67 ≪78 f.≫; 114, 258 ≪300≫).

c) Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung”), liegt eine „unechte” Rückwirkung vor (vgl. BVerfGE 63, 343 ≪356≫; 72, 200 ≪242≫; 97, 67 ≪79≫; 105, 17 ≪37 f.≫). Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (vgl. BVerfGE 63, 343 ≪357≫; 105, 17 ≪40≫; 114, 258 ≪301≫). Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren (vgl. BVerfGE 63, 312 ≪331≫; 67, 1 ≪15≫; 71, 255 ≪272≫; 76, 256 ≪349 f.≫). Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl. BVerfGE 38, 61 ≪83≫; 68, 193 ≪222≫; 105, 17 ≪40≫; 109, 133 ≪180 f.≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2009 – 2 BvR 758/07 –, NVwZ 2010, S. 634 ≪640≫).

Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen (vgl. BVerfGE 30, 392 ≪404≫; 50, 386 ≪395≫; 67, 1 ≪15≫; 75, 246 ≪280≫; 105, 17 ≪37≫; 114, 258 ≪300≫). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein (vgl. BVerfGE 72, 200 ≪242 f.≫; 95, 64 ≪86≫; 101, 239 ≪263≫; 116, 96 ≪132≫; 122, 374 ≪394≫; 123, 186 ≪257≫). Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.

d) Die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen ist das Entstehen der Steuerschuld. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) daher nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 AO in Verbindung mit § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt nach § 25 Abs. 1 EStG des Kalenderjahres (vgl. BVerfGE 72, 200 ≪252 f.≫; 97, 67 ≪80≫; vgl. auch bereits BVerfGE 13, 261 ≪263 f., 272≫; 13, 274 ≪277 f.≫; 19, 187 ≪195≫; 30, 272 ≪285≫).

e) An diesen Grundsätzen ist auch angesichts der im Schrifttum geäußerten Kritik festzuhalten. Wie im Zusammenhang mit den Verfahren betreffend die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfrist für Grundstücke ausgeführt, findet die Kategorie der echten Rückwirkung – verstanden als zeitliche Rückbewirkung von Rechtsfolgen auf abgeschlossene Tatbestände – ihre Rechtfertigung darin, dass mit ihr eine Fallgruppe gekennzeichnet ist, in der der Vertrauensschutz regelmäßig Vorrang hat, weil der in der Vergangenheit liegende Sachverhalt mit dem Eintritt der Rechtsfolge kraft gesetzlicher Anordnung einen Grad an Abgeschlossenheit erreicht hat, über den sich der Gesetzgeber vorbehaltlich besonders schwerwiegender Gründe nicht mehr hinwegsetzen darf. Das ändert aber nichts daran, dass die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens auch im Übrigen stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit bedürfen. Das gilt auch, wenn der Gesetzgeber das Einkommensteuerrecht während des laufenden Veranlagungszeitraums umgestaltet und die Rechtsänderungen auf dessen Beginn bezieht. Auch hier muss der Normadressat eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 – 2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05 –, unter C. II. 1. e≫ mit Nachweisen auch zur Kritik).

2. Die Absenkung der Beteiligungsgrenze von mehr als 25 % auf mindestens 10 % durch § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 bewirkt nach diesen Grundsätzen keine echte Rückwirkung, weil die Neuregelung nach der Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG im Hinblick auf das Entstehen der Steuerschuld erstmalig für den bei Verkündung noch laufenden Veranlagungszeitraum mit dessen Ablauf Wirkung entfaltet. Sie geht aber mit einer unechten Rückwirkung einher, soweit sie sich tatbestandlich auf Beteiligungsverhältnisse bezieht, die bereits vor der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 bestanden haben. Das ist verfassungsrechtlich nur teilweise gerechtfertigt.

a) Soweit aufgrund der geänderten Beteiligungsgrenze Wertsteigerungen steuererheblich werden, die erst nach der Verkündung eintreten, begegnet die darin liegende gesetzgeberische Neubewertung der „Wesentlichkeit” einer Beteiligung im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG unter Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Steuerpflichtige, der eine nach Maßgabe alten Rechts als „unwesentlich” angesehene Beteiligung erworben hat, hat keinen Anspruch darauf, dass der Gesetzgeber diese Bewertung für alle Zeiten unverändert lässt. Zwar kann die Entscheidung für den Erwerb von Anteilen im einzelnen Fall maßgeblich von der Erwartung bestimmt sein, einen etwaigen Veräußerungsgewinn steuerfrei vereinnahmen zu können. Dies geht jedoch über die allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde unverändert bleiben, nicht hinaus. Es fehlen besondere Momente der Schutzbedürftigkeit, deretwegen der Gesetzgeber verpflichtet sein könnte, bei der Bestimmung des zukünftigen Steueraufkommens auf Erwartungen der Steuerpflichtigen bei zurückliegenden Dispositionen Rücksicht zu nehmen.

Die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, begründet keine (vertrauens-)rechtlich geschützte Position. Mit Wertsteigerungen kann im Zeitpunkt des Erwerbs nicht sicher gerechnet werden, so dass auch die Enttäuschung der Hoffnung auf künftige steuerfreie Vermögenszuwächse nicht als Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte zu werten ist. Hinzu kommt, dass angesichts langjähriger Auseinandersetzungen und verschiedener gescheiterter Reformversuche zur Erweiterung der Besteuerung privater Veräußerungsgewinne mit der Möglichkeit einer Realisierung derartiger Ziele seit langem zu rechnen war. Soweit durch die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze das beim Erwerb der Beteiligung betätigte Vertrauen enttäuscht wird, reichen deshalb bereits die allgemeinen Ziele der Verbreiterung der Besteuerungsgrundlage (vgl. BTDrucks 14/23, S. 178) und der Gegenfinanzierung der durch das Steuerentlastungsgesetz bewirkten Steuerausfälle (vgl. BTDrucks 14/443, S. 2 ff., S. 4, linke Spalte, letzter Spiegelstrich) zur Rechtfertigung aus.

b) Die Absenkung der Beteiligungsgrenze verstößt aber gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 entstanden sind und die entweder – bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt – nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder – bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes – sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können.

aa) Mit dem Entstehen zwischenzeitlicher Wertzuwächse von Beteiligungen, die die 25 %-Grenze nicht überschritten, erfüllten sich ursprünglich beim Erwerb der Beteiligung vertrauensrechtlich nicht besonders geschützte Erwartungen in Gestalt eines konkret vorhandenen Vermögensbestands im grundrechtlich geschützten Verfügungsbereich, der nach altem Recht – soweit auch die Voraussetzungen eines Spekulationsgeschäfts nicht vorlagen – nicht der Einkommensteuer unterlag. Daraus ergibt sich ein erhöhter Rechtfertigungsbedarf, soweit die rückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze eine solche konkret verfestigte Vermögensposition nachträglich entwertet. Dabei kommt es allein darauf an, ob diese schon vor dem Wirksamwerden des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 mit seiner Verkündung am 31. März 1999 objektiv entstanden war. Die konkrete Motivations- und Entscheidungslage beim Erwerb der Beteiligung im einzelnen Fall ist aus der für die Verfassungsmäßigkeit maßgeblichen generalisierenden Sicht des Gesetzgebers nicht entscheidend. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit der einzelne Steuerpflichtige noch vor der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 im Vertrauen auf die Steuerfreiheit des zwischenzeitlich eingetretenen Wertzuwachses weitere Dispositionen – sei es in Form einer Veräußerung, sei es in Form eines bewussten und gewollten Absehens davon – vorgenommen hat, oder ob er gegebenenfalls wegen des bereits schwebenden Gesetzgebungsverfahrens eine rückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze als möglich in Betracht ziehen musste. Der erhöhte Rechtfertigungsbedarf folgt schon aus dem Erwerb eines konkreten Vermögensbestands, an dem auch das zwischenzeitliche Gesetzgebungsverfahren nichts ändern konnte.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Wertzuwachs – mit dem VIII. Senat des Bundesfinanzhofs gesprochen – insofern „latent steuerverhaftet” geblieben war, als nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Steuerpflichtige, sei es mit oder ohne sein Zutun, „in die Wesentlichkeit hineinwächst”, was auch nach Maßgabe alten Rechts zur Besteuerung des gesamten Wertzuwachses geführt hätte. Diese Möglichkeit ändert nichts daran, dass die rückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze die Entwertung konkret vorhandener Vermögensbestände zur Folge hat. Allerdings trifft es zu, dass der Steuerpflichtige sich im Hinblick auf die zwischenzeitlichen Wertsteigerungen nicht auf Bestandsschutz berufen kann, wenn im einzelnen Fall ein solches „Hineinwachsen in die Wesentlichkeit” (nach Maßgabe des alten Rechts) im Zeitpunkt der Veräußerung tatsächlich erfolgt sein sollte. Dann wäre die Wertsteigerung auch nach altem Recht zu versteuern gewesen, die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze für die Steuerbarkeit also nicht ursächlich, so dass derartige Fälle entsprechend dem in der Entscheidungsformel formulierten Vorbehalt von der Nichtigkeitsfolge auszunehmen sind.

bb) In der Vielzahl der Fälle, in denen eine nach Maßgabe alten Rechts unwesentliche Beteiligung bereits bis Ende des Jahres 1998 bestanden hat, bewirkt die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist zudem eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung. Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit unter anderem darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (stRspr; vgl. BVerfGE 122, 210 ≪231≫ m.w.N.). Damit steht die rückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze nicht im Einklang, denn sie erfasst nach der Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 bis zum Ende des Jahres 1998 erzielte, nach Maßgabe alten Rechts steuerfreie Wertsteigerungen nur, wenn der Veräußerungsgewinn ab dem Jahr 1999 entstanden ist. Hat der Steuerpflichtige seine Beteiligung hingegen bereits bis Ende des Jahres 1998 veräußert und war der Veräußerungsgewinn in diesem Zeitraum entstanden, bleiben die erzielten Wertsteigerungen steuerfrei.

Zwar bemisst das Einkommensteuerrecht die Leistungsfähigkeit nach Veranlagungszeiträumen. In dieser Perspektive liegt bezogen auf die Jahre bis 1998 keine Ungleichbehandlung vor, wenn der Veräußerungsgewinn erst in einem anderen, späteren Veranlagungszeitraum entsteht. Dass Wertsteigerungen erst im Zeitpunkt ihrer Realisation zu versteuern sind, findet seinen Grund aber allein im Prinzip einer vorsichtigen, substanzschonenden Besteuerung. Die Besteuerung ist nicht deshalb auf die Realisation bezogen, weil erst zu diesem Zeitpunkt der Wertzuwachs entsteht, sondern obwohl er bereits vorher beim Steuerpflichtigen entstanden ist. Es wird also im Zeitpunkt der Realisation ein über den vorangegangenen Zeitraum akkumulierter Zuwachs an Leistungsfähigkeit nachholend der Besteuerung unterworfen (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 – 2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05 –, unter C. II. 2. b≫ bb≫). Auf die bloß formale Zuordnung des Veräußerungsgewinns zu einem bestimmten Veranlagungszeitraum kommt es daher nicht an, sondern maßgeblich ist, dass sich die höhere Leistungsfähigkeit, auf die mit der steuerlichen Erfassung des Veräußerungsgewinns zugegriffen wird, materiell auf den gesamten Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung bezieht. Wenn also die Besteuerung des bis Ende des Jahres 1998 eingetretenen Wertzuwachses aufgrund der Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 davon abhängt, ob der Veräußerungsgewinn noch bis Ende des Jahres 1998 oder erst ab dem Jahr 1999 angefallen ist, dann liegt darin bei der gebotenen materiellen Betrachtung bezogen auf den Zeitraum bis Ende des Jahres 1998 eine ungleiche Bemessung steuerlicher Leistungsfähigkeit.

cc) Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet sind, die nachträgliche einkommensteuerrechtliche Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener Wertzuwächse zu rechtfertigen, bestehen nicht.

(1) Soweit die Herabsetzung der Beteiligungsgrenze allgemein mit dem Ziel einer Verbreiterung der Besteuerungsgrundlage begründet wird (vgl. BTDrucks 14/23, S. 178), ist damit nur das allgemeine Änderungsinteresse bezeichnet, aber kein spezifischer Grund, der geeignet ist, gerade auch den rückwirkenden Zugriff auf bereits steuerfrei erworbene Wertsteigerungen zu legitimieren. Die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, ist für sich genommen grundsätzlich noch kein den Vertrauensschutz betroffener Steuerpflichtiger überwindendes Gemeinwohlinteresse, denn dies würde bedeuten, dass der Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Verschärfungen des Steuerrechts praktisch leerliefe (vgl. BVerfGE 105, 17 ≪45≫). Wieweit ausnahmsweise anderes gelten kann, wenn der Gesetzgeber den allgemeinen Steuertarif mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum „in maßvollen Grenzen” anhebt (vgl. BVerfGE 13, 274 ≪278≫; 18, 135 ≪144≫), kann dahinstehen.

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass mit den Mehreinnahmen an anderer Stelle gewährte Steuererleichterungen gegenfinanziert werden sollen (vgl. BTDrucks 14/443, S. 2 ff., S. 4, linke Spalte, letzter Spiegelstrich), denn eine solche Umverteilung ist als typischer Gegenstand politischer Gestaltung durch den Einkommensteuergesetzgeber grundsätzlich zukunftsgerichtet. Das Bedürfnis nach Gegenfinanzierung bezeichnet daher ebenfalls nur einen allgemeinen Änderungsbedarf, der es rechtfertigt, Wertsteigerungen ab der Verkündung steuerlich zu erfassen, aber nicht gerade auch die rückwirkende Einbeziehung bereits steuerfrei erzielter Vermögenszuwächse legitimiert (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 – 2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05 –, unter C. II. 2. b≫ cc≫ ≪2≫). Dies kann anders zu beurteilen sein, wenn mit der innerhalb eines Veranlagungszeitraums rückwirkenden Verschärfung unerwartete Mindereinnahmen oder ein sonstiger außerordentlicher Finanzbedarf aufgefangen werden soll (vgl. BVerfGE 105, 17 ≪44 f.≫). Ein solcher Fall liegt jedoch bei bloßen Umverteilungsmaßnahmen nicht vor, denn der Gesetzgeber hat die Wahl zwischen Gegenfinanzierung und Verzicht auf Entlastung.

(2) Auch der in der Gesetzesbegründung genannte Aspekt der Missbrauchsbekämpfung (vgl. BTDrucks 14/23, S. 178) rechtfertigt den Zugriff auf bereits eingetretene steuerfreie Wertsteigerungen nicht. Er bezeichnet ebenfalls ein in erster Linie in die Zukunft gerichtetes Änderungsinteresse. Im Übrigen handelt es sich bei der Erschwerung missbräuchlicher Gestaltungen nur um einen Nebeneffekt, denn generell ist die steuerfreie Veräußerung einer Beteiligung nicht rechtsmissbräuchlich. Gemeint sind unter anderem Fälle, in denen die Steuerfreiheit des Veräußerungsgewinns dazu genutzt wird, eine ansonsten steuerpflichtige Ausschüttung steuerfrei zu realisieren, indem das zukünftige Ausschüttungsvolumen – für sich gesehen folgerichtig – in den steuerfreien Veräußerungserlös eingerechnet wird. Erfolgt die Ausschüttung anschließend an den Erwerber und nimmt dieser – ebenfalls für sich gesehen folgerichtig – eine entsprechende Teilwertabschreibung auf die Beteiligung vor, führt dies dazu, dass die Ausschüttung im Ergebnis nicht der Besteuerung unterlegen hat. Rechtsmissbräuchlich ist dies nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aber nur in besonders gelagerten Fällen, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Veräußerung wirtschaftlich tatsächlich nicht gewollt war (vgl. BFH, Urteil vom 23. Oktober 1996 – I R 55/95 –, BStBl II 1998, S. 90 ≪91≫ = BFHE 181, 490 ≪492 f.≫; Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, 29. Aufl. 2010, § 17 Rn. 4, 228 m.w.N. auch zu anderen Konstellationen).

Zwar besteht auch jenseits der Missbrauchsbekämpfung ein berechtigtes Interesse daran, etwaige Besteuerungslücken zu schließen, die sich aus der mangelnden Kongruenz der steuerlichen Behandlung von Gewinnausschüttungen einerseits und Anteilsveräußerungen andererseits ergeben, wie sie zumindest bis zur weiteren Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 1 % durch das Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) zu verzeichnen war. Auch daraus ergibt sich aber nur ein generelles, nicht spezifisch die Rückwirkung legitimierendes Änderungsinteresse. Es kommt hinzu, dass der Gesetzgeber bereits mit der Einfügung des § 50c Abs. 11 EStG durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I S. 2590) reagiert hatte, der bis zu seiner Aufhebung, ebenfalls durch das Steuersenkungsgesetz, die die Ausschüttung neutralisierende Teilwertabschreibung beim Erwerber für unbeachtlich erklärte, wenn der Veräußerungsgewinn nicht der Besteuerung unterlag. Die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze bewirkte nur eine systematisch anders gelagerte Erfassung des Problems, indem sie – worauf die Gesetzesbegründung hinweist – den Anwendungsbereich des § 50c Abs. 11 EStG zurückdrängte. Eine dringende, mit Wirkung für die Vergangenheit zu schließende Regelungslücke bestand also auch unter diesem Gesichtspunkt nicht.

(3) Andere Rechtfertigungsgründe, wie etwa einen Finanzierungsbedarf möglicherweise begleitende ordnungspolitische Sachziele (vgl. etwa BVerfGE 30, 250 ≪268 ff.≫; 50, 386 ≪396≫; 72, 175 ≪198≫; 88, 384 ≪407≫) oder die Notwendigkeit rascher Korrektur offensichtlicher Fehlsubventionierungen, die auf Ankündigungs- oder Mitnahmeeffekten beruhen (vgl. BVerfGE 97, 67 ≪81 f.≫), kommen ebenfalls nicht in Betracht. Soweit die Gesetzesbegründung schließlich auf die Schwierigkeit und Streitanfälligkeit einer stichtagsbezogenen Wertfeststellung verweist (vgl. BTDrucks 14/23, S. 178), rechtfertigt auch dies die rückwirkende Erfassung steuerfreier Wertsteigerungen nicht. Das Erfordernis eines praktikablen Vollzugs kann allenfalls grobe Schätzungslösungen bei der Wertermittlung rechtfertigen, wie sie der Bundesfinanzhof in dem dem Verfahren 2 BvL 2/04 zugrundeliegenden Vorlagebeschluss betreffend die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfrist für Grundstücke erörtert hat (vgl. BFH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – IX R 46/02 –, BStBl II 2004, S. 284 ≪297≫ = BFHE 204, 228 ≪255≫). Dagegen kommt der belastende Zugriff auf potentiell relativ lange zurückliegende und im Zweifel wesentlich niedrigere Anschaffungswerte als eine verfassungsmäßige Typisierung des maßgeblichen Veräußerungsgewinns nicht in Betracht.

II.

Die unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Erfassung von Wertsteigerungen im Vermögen des Steuerpflichtigen ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Sie ist die systematische und insofern folgerichtige Konsequenz aus der das Einkommensteuerrecht prägenden Konzeption, nach der die Einkommensteuer grundsätzlich nur im Rahmen der Gewinneinkunftsarten den Gedanken der Reinvermögenszugangstheorie aufgreift und deshalb auch den Wertzuwachs bei Vermögensgegenständen erfasst, während die Einkünfte im Rahmen der übrigen Einkunftsarten, dem Gedanken der Quellentheorie entsprechend, als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten ermittelt werden, so dass hier Zuwächse im Stammvermögen grundsätzlich außer Betracht bleiben. Dieser sogenannte Dualismus der Einkunftsarten liegt als historisch gewachsene Grundentscheidung (vgl. Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl. 2010, § 9 Rn. 181 ff.) innerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen zukommt (vgl. BVerfGE 26, 302 ≪311 f.≫; allgemein BVerfGE 122, 210 ≪230≫ m.w.N.). Der Gesetzgeber wäre allerdings nicht gehindert, Gewinne aus jeder Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens zu besteuern (vgl. BVerfGE 26, 302 ≪312≫; 27, 111 ≪127≫). Ob und inwieweit er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist eine Frage politischer Gestaltung (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 – 2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05 –, unter C. III. 2. a≫ bb≫), so dass auch die zehnprozentige Beteiligungsgrenze als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.

III.

1. Die mit den Verfassungsbeschwerden unter anderem angegriffenen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs beruhen auf der teilweise als verfassungswidrig erkannten Bestimmung des § 17 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 52 Absatz 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002. Als die maßgeblichen letztinstanzlichen Entscheidungen sind sie daher nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Verfahren zur erneuten Entscheidung an den Bundesfinanzhof zurückzuverweisen.

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

C.

Diese Entscheidung ist hinsichtlich der Begründung mit 6:2 Stimmen ergangen.

 

Unterschriften

Voßkuhle, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau

 

Fundstellen

BFH/NV 2010, 1976

BStBl II 2011, 86

BVerfGE 2011, 61

DB 2010, 10

DStR 2010, 1733

DStRE 2010, 1086

FR 2011, 40

StuB 2010, 676

StuB 2011, 33

ZAP 2010, 835

ZIP 2010, 65

DVBl. 2010, 1251

GWR 2010, 464

GmbHR 2010, 1045

GuT 2010, 269

BGBl. I 2010, 1296

BeSt 2010, 36

Ubg 2010, 668

WISO-SteuerBrief 2010, 18

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