Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragspflicht - Arbeitsentgelt - Verfallen - tarifliche Ausschlußklausel

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Einzugsstelle kann vom Arbeitgeber Beiträge auch auf Arbeitsentgelt fordern, das der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber wegen einer tariflichen Ausschlußklausel nicht mehr verlangen kann.

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 11.06.1992; Aktenzeichen L 1 Kr 385/91)

SG Gießen (Entscheidung vom 22.02.1991; Aktenzeichen S 9 Kr 1035/89)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. Juni 1992 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Die Versicherte war seit dem 1. März 1971 bei der klagenden Gemeinde als "Reinemache- und Garderobenfrau" beschäftigt. Laut Arbeitsvertrag vom selben Tage war eine Wochenarbeitszeit von 20,5 Stunden und als Arbeitsentgelt eine Monatspauschale von 360 DM vereinbart. Nach dem weiteren Arbeitsvertrag vom 1. April 1971 betrug die Wochenarbeitszeit 30,5 Stunden und die Monatspauschale 588 DM. Beide Arbeitsverträge waren schriftlich geschlossen.

Seit dem 1. Februar 1977 erhielt die Versicherte anstelle einer Monatspauschale ein Entgelt nach der Lohngruppe VI der Anlage 1 des Tarifvertrages über das Lohngruppenverhältnis zum Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder (HLT VI) und der Dienstaltersstufe 1, ohne daß der schriftliche Arbeitsvertrag geändert wurde. Die auf dieses Entgelt entfallenden Beiträge wurden von der Klägerin an die jeweils zuständige Einzugsstelle abgeführt.

Im September 1988 bat die Versicherte zu prüfen, ob sie nach der zutreffenden Dienstaltersstufe entlohnt werde. Die Klägerin gelangte zu dem Ergebnis, daß der Entgeltberechnung bereits im Jahre 1977 die Dienstaltersstufe 4 und für die Folgezeit die weiteren Dienstaltersstufen hätten zugrunde gelegt werden müssen. Das Entgelt wurde dementsprechend angepaßt, jedoch nur bis zum 1. März 1988 rückwirkend gezahlt, weil frühere Ansprüche nicht innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht worden und daher verfallen seien (Ausschlußklausel des § 63 des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe ≪BMT-G II≫ iVm § 2 des Arbeitsvertrages). Mit schriftlichem Vertrag vom 14. November 1988 änderten die Klägerin und die Versicherte sodann den Arbeitsvertrag rückwirkend zum 1. Februar 1977 dahin, daß an die Stelle der Monatspauschale die tarifliche Entlohnung nach HLT VI trat.

Mit Bescheid vom 2. Dezember 1988 forderte die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Gießen die Klägerin auf, ab Dezember 1984 die auf das nicht gezahlte höhere Entgelt entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu entrichten sowie zu beachten, daß die Versicherte bis Ende 1985 Mitglied der AOK Lahn-Dill gewesen sei. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, das Entgelt sei wegen der Ausschlußklausel nur für sechs Monate rückwirkend (ab März 1988) gezahlt worden; für die frühere Zeit dürften deshalb auch Beiträge nicht erhoben werden. Die AOK Gießen wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 1989 zurück und stellte fest, daß Beiträge aus der Entgelterhöhung für die Zeit ab Januar 1986 an sie zu entrichten seien. Auf die Zeit vor 1986 entfallende (und an die AOK Lahn-Dill zu entrichtende) Beiträge verlangte sie im Widerspruchsbescheid nicht.

Das Sozialgericht (SG) hat nach Beiladung der Versicherten (Beigeladene zu 1), der Landesversicherungsanstalt (LVA, Beigeladene zu 2), der Bundesanstalt für Arbeit (BA, Beigeladene zu 3) und der AOK Lahn-Dill (frühere Beigeladene zu 4) die Klage mit Urteil vom 22. Februar 1991 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist vom Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 11. Juni 1992 zurückgewiesen worden. Nachdem die Versicherte seit Februar 1977 nicht mehr ein monatliches "Festgehalt", sondern das Tarifentgelt bezogen habe, sei die ursprüngliche Lohngruppeneinreihung obsolet geworden. Ihr habe statt dessen seit März 1977 aufgrund der in den §§ 2, 4 des Arbeitsvertrages für maßgeblich erklärten tariflichen Bestimmungen ein Entgelt mit Dienstalterszulage zugestanden. Hieraus folge wegen des Beschäftigungsbeginns am 1. März 1971, daß ihr ab März 1977 ein Entgelt nach Dienstaltersstufe 4, ab März 1985 nach Dienstaltersstufe 8 und ab März 1987 nach Dienstaltersstufe 9 zugestanden habe. Entsprechend seien die geforderten Beiträge zu entrichten, auch wenn das höhere Entgelt für die betreffende Zeit (Januar 1986 bis Februar 1988) wegen der Ausschlußklausel nicht gezahlt worden sei.

Die Klägerin hat Revision eingelegt. Während des Revisionsverfahrens sind die Ortskrankenkassen in Hessen zur AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen, der nunmehrigen Beklagten, vereinigt worden. Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), sinngemäß auch des § 103 SGG, ferner des § 63 BMT-G II, der §§ 14, 22, 23 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV), des § 381 Abs 1 und des § 1385 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie des § 175 Abs 1 Nr 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG vom 11. Juni 1992 und das Urteil des SG vom 22. Februar

1991 sowie den Bescheid der AOK Gießen vom 2. Dezember 1988 in der Gestalt

des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 1989 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Die Versicherte hat sich nicht geäußert. Die LVA hat keinen Antrag gestellt, schließt sich aber den Ausführungen der Beklagten an. Die BA hat keinen Antrag gestellt; sie hat sich zunächst iS der Beklagten geäußert, später jedoch auf den Aufsatz von Franoschek (Die Beiträge 1994, 449 ff) hingewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung an das LSG begründet; die festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

Umstritten ist, ob der Bescheid der AOK vom 2. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 1989 rechtmäßig ist. Darin verpflichtete die AOK die Klägerin, für die Zeit von Januar 1986 bis Februar 1988 weitere Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Dieses begründete sie damit, daß Beiträge bisher nur nach dem gezahlten, nach der Dienstaltersstufe 1 berechneten Entgelt entrichtet worden seien, der Beitragserhebung jedoch auch ein nach höheren Dienstaltersstufen geschuldetes, wenn auch nicht gezahltes Arbeitsentgelt unterliege.

Die Versicherte war in der Zeit, um die es geht (Januar 1986 bis Februar 1988), aufgrund ihrer Beschäftigung bei der Klägerin in der Krankenversicherung und in der Rentenversicherung versicherungspflichtig sowie zur BA beitragspflichtig. Für die Berechnung der Beiträge war damals in der Krankenversicherung § 385 Abs 1 iVm § 180 Abs 1 Satz 2 RVO maßgebend. Nach § 180 Abs 1 Satz 2 RVO richtete sich der Grundlohn nach dem Arbeitsentgelt. In der Rentenversicherung war nach § 1385 Abs 3 Buchst a RVO das Bruttoarbeitsentgelt maßgebend. Dieses galt nach § 175 Abs 1 Nr 1 AFG damaliger Fassung iVm § 168 AFG auch für die Beiträge beitragspflichtiger Arbeitnehmer zur BA. Das Entgelt war ursprünglich in § 160 RVO näher bestimmt. An die Stelle dieser Vorschrift ist seit dem 1. Juli 1977 § 14 SGB IV getreten. Nach dessen Abs 1 sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

Die Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung von einem höheren als dem gezahlten Arbeitsentgelt hängt davon ab, ob der weitere Entgeltbetrag schon während der Zeit, für welche die Beiträge verlangt werden, geschuldet wurde. Im vorliegenden Verfahren war nach § 5 Satz 1 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 1. April 1971 eine Monatspauschale vereinbart; diese "Lohngruppeneinreihung" galt nach § 5 Satz 2 "bis zur Änderung dieses Arbeitsvertrages". Sollte ein anderes Arbeitsentgelt geschuldet werden, war demnach ein Vertrag erforderlich. Ob ein solcher beim Übergang von der Monatspauschale zu einer tariflichen Entlohnung nach Dienstaltersstufe 1 ab Februar 1977 geschlossen worden ist, kann offenbleiben, soweit die Klägerin dieses Entgelt (nach Dienstaltersstufe 1) gezahlt und Beiträge hierauf abgeführt hat. Soweit jedoch ein nicht gezahltes höheres Entgelt nach Dienstaltersstufe 4 (statt 1) geschuldet worden sein soll, das außerdem alle zwei Jahre anstieg, muß eine Änderungsvereinbarung festgestellt werden. Das ist, wie die Revision mit Recht rügt, bisher nicht geschehen. Das LSG hat vielmehr vor allem daraus, daß zum 1. Februar 1977 "rein tatsächlich" auf eine tarifliche Entlohnung übergegangen und dabei die Dienstaltersstufe 1 angewendet worden ist, hergeleitet, die "Lohngruppeneinreihung" des Arbeitsvertrages sei obsolet geworden und an ihre Stelle eine tarifliche Regelung einschließlich einer Bestimmung zur Dienstalterszulage getreten, auf die der Arbeitsvertrag in seinen §§ 2 und 4 außerhalb der Lohnregelung des § 5 Bezug nahm; hieraus ergebe sich wegen der Aufnahme der Beschäftigung am 1. März 1971, daß nach Übergang auf die tarifliche Entlohnung ab März 1977 statt der Dienstaltersstufe 1 die Dienstaltersstufe 4 und später die weiteren Dienstaltersstufen zu berücksichtigen gewesen seien, also ab März 1985 Dienstaltersstufe 8 und ab März 1987 Dienstaltersstufe 9. Dieses reicht für die Feststellung der erforderlichen Änderung des Arbeitsvertrages nicht aus. Insbesondere kann nicht ohne nähere Aufklärung des Sachverhalts angenommen werden, mit dem Übergang von der Monatspauschale zu einer tariflichen Bezahlung nach Dienstaltersstufe 1 sei nunmehr ohne die nach § 5 Satz 2 des Arbeitsvertrages zum Lohn erforderliche Vertragsänderung in Abweichung sowohl von der Monatspauschale des § 5 Satz 1 als auch von der tatsächlichen Entlohnung nach Dienstaltersstufe 1 ein höheres Entgelt nach Dienstaltersstufe 4 und den weiteren Dienstaltersstufen geschuldet worden. Die Klägerin war, wie das LSG festgestellt hat, nicht tarifgebunden, ferner der angewandte Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt.

Das LSG wird hiernach noch feststellen müssen, ob früher (vor 1986), insbesondere beim Übergang von der Monatspauschale auf die tarifliche Entlohnung (mit Dienstaltersstufe 1), eine Änderung des Arbeitsvertrages erfolgt ist, aus der sich ein Entgeltanspruch ergab, von dem die Beklagte bei ihrer Beitragsnacherhebung ausgeht. Hierbei könnte je nach den tatsächlichen Verhältnissen auch eine etwaige betriebliche Übung iVm der Pflicht zur Gleichbehandlung von Arbeitnehmern mit gleichen Aufgaben bedeutsam sein. Es wird auch zu prüfen sein, ob eine solche Änderung nach Gemeinderecht, wegen einer Bezugnahme des Arbeitsvertrages auf eine entsprechende tarifliche Regelung oder aufgrund des § 5 Satz 2 des Arbeitsvertrages wirksam nur schriftlich hätte erfolgen können. Sollte sich nicht mehr klären lassen, ob die Versicherte einen Anspruch auf das höhere Entgelt schon vor der Zeit von Januar 1986 bis Februar 1988 erworben hat, so geht das zu Lasten der Beklagten, weil sie ihre Beitragsforderung mit einem derartigen Anspruch begründet.

Ergibt sich demgegenüber, daß schon während der damaligen Zeit ein Anspruch auf ein höheres als das gezahlte Arbeitsentgelt bestanden hat, so ist die Beitragsforderung rechtmäßig, wie das LSG zutreffend erkannt hat. Nach § 22 Abs 1 SGB IV, der nach § 179 AFG auch für die Beiträge zur BA gilt, entstehen die Beitragsansprüche der Versicherungsträger, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Diese bestanden hier darin, daß eine versicherungs- und beitragspflichtige Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt wurde. Die Höhe des Beitragsanspruchs richtete sich danach, welche Einnahmen die Versicherte aus der Beschäftigung tatsächlich erhielt, darüber hinaus aber auch nach den Einnahmen, die sie zwar nicht erhielt, die ihr aber von der Klägerin geschuldet wurden.

Die Entstehung des Beitragsanspruchs hängt nicht davon ab, ob das geschuldete Arbeitsentgelt gezahlt wurde, es dem Arbeitnehmer also zugeflossen ist. Diese Auffassung hat schon das Reichsversicherungsamt (RVA) vertreten, weil sich anderenfalls Arbeitgeber, die ihre vertraglichen Pflichten verletzten, Vorteile gegenüber Arbeitgebern verschaffen könnten, welche die Gehälter vertragsgemäß zahlten (AN 1931, 34 Nr 3948). Dem ist das Bundessozialgericht (BSG) zum Teil sogar für die Zeit gefolgt, für die zwischen 1944 und 1977 das steuerrechtliche Zuflußprinzip Eingang ins Beitragsrecht gefunden hatte (BSGE 41, 6, 9 ff = SozR 2200 § 393 Nr 3; BSGE 54, 136 = SozR 2200 § 393 Nr 9; jedoch dem Zuflußprinzip folgend BSGE 22, 106 = SozR Nr 12 zu § 160 RVO). Erst recht für die Zeit nach dem Inkrafttreten des SGB IV am 1. Juli 1977 ist nach der Rechtsprechung für das Entstehen der jeweiligen Beitragsansprüche nicht notwendig, daß der Arbeitgeber das geschuldete Arbeitsentgelt auch gezahlt hat (vgl BSGE 59, 183 = SozR 4100 § 168 Nr 19). Dieses wurde außer mit der schon vom RVA genannten Begründung mit dem Schutzzweck der Sozialversicherung, der Loslösung vom Zuflußprinzip und mit beitragsrechtlichen Regelungen im Konkurs gerechtfertigt. Ferner treten die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung sowie die Beitragspflicht zur BA schon am Tage der Aufnahme einer Beschäftigung gegen Entgelt ein. Von der tatsächlichen Zahlung dieses Entgelts hängt hingegen der Eintritt der Versicherungspflicht und der Beitragspflicht nicht ab. Insbesondere in der Krankenversicherung entstehen im Versicherungsfall unmittelbar mit dem Beginn der Versicherungspflicht und damit vielfach vor der Zahlung von Arbeitsentgelt Leistungsansprüche der Versicherten (vgl allgemein § 40 Abs 1 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil). Mit dem Entstehen des Beitragsanspruchs muß es sich dann in der Krankenversicherung ebenso verhalten (vgl BSGE 41, 6, 11 = SozR 2200 § 393 Nr 3, dort zur Fälligkeit). Da das Entstehen des Anspruchs auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für alle drei Versicherungszweige einheitlich zu beurteilen ist, kann für die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung nichts anderes gelten, obwohl hier das Verhältnis von Leistungs- und Beitragsrecht zueinander von der Krankenversicherung abweicht und auch in der Rentenversicherung von dem in der Arbeitslosenversicherung verschieden ist. Dem Gesetz ist auch nicht zu entnehmen, das Entstehen der Beitragsansprüche hänge davon ab, ob sie selbst oder die Entgeltansprüche, auf denen sie beruhen, alsbald erkannt und geltend gemacht werden.

Die Regelung über die Fälligkeit von Beiträgen (§ 23 Abs 1 SGB IV) bestätigt, daß Beitragsansprüche unabhängig von der Zahlung des geschuldeten Arbeitsentgelts entstehen, weil nicht einmal die Fälligkeit einer Beitragsforderung, obwohl sie deren Entstehen voraussetzt, von einer solchen Zahlung abhängt. Nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB IV werden laufende Beiträge, die geschuldet werden, entsprechend den Regelungen der Satzung der Krankenkasse fällig. Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen sind, werden nach § 23 Abs 1 Satz 2 SGB IV spätestens am Fünfzehnten des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem die Beschäftigung, mit der das Arbeitsentgelt erzielt wird, ausgeübt worden ist. Damit reicht nicht nur für das Entstehen, sondern sogar für die Fälligkeit der Beitragsforderung (spätestens am 15. des Folgemonats) aus, daß das Arbeitsentgelt durch die Ausübung der entgeltlichen Beschäftigung erzielt, dh verdient worden ist. Aus § 23 Abs 1 Satz 3 SGB IV, der für den Fall betriebsüblicher Abrechnung des Arbeitsentgelts nach dem Zehnten des Folgemonats eine Sonderregelung enthält, ist nichts anderes zu entnehmen. Bei einer betriebsüblich so späten Abrechnung sind nach Halbsatz 1 Beiträge in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld spätestens zu dem in Satz 2 genannten Zeitpunkt, also bis zum Fünfzehnten nach dem Beschäftigungsmonat zu entrichten. Lediglich ein verbleibender Restbetrag wird nach Satz 3 Halbsatz 2 erst eine Woche nach dem betriebsüblichen Abrechnungstermin fällig. Das gilt allerdings auch, wenn im Einzelfall selbst zu diesem Termin nicht abgerechnet und nicht gezahlt wird. Aus § 23 Abs 1 SGB IV ergibt sich sogar, daß eine Beitragsforderung entstehen und fällig werden kann, wenn die Entgeltforderung ihrerseits noch nicht fällig, geschweige denn erfüllt worden ist.

Eine nach Feststellung der höheren Entgeltforderung durch das LSG entstandene und fällig gewordene Beitragsforderung der Beklagten ist nicht erloschen. Insbesondere ist sie nicht von der Klägerin erfüllt oder von der Beklagten nach § 76 Abs 2 Nrn 2, 3 SGB IV niedergeschlagen oder erlassen worden. Sie ist auch nicht nach § 76 Abs 2 Nr 1 SGB IV gestundet oder nach § 25 SGB IV verjährt. Die AOK hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 1989 lediglich noch nicht verjährte Beiträge für die Zeit von Januar 1986 bis Februar 1988 erhoben.

Der Beitragsforderung der Einzugsstelle steht nicht entgegen, daß der ihr zugrundeliegende Entgeltanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber wegen einer Ausschlußklausel verfallen ist. Die Beitragsforderung ist eine öffentlich-rechtliche Forderung, die hinsichtlich ihres Entstehens, ihrer Fälligkeit und ihrer Verjährung in den §§ 22, 23, 25 SGB IV dem öffentlichen Recht unterliegt. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgelt ("Vergütung") ist demgegenüber hinsichtlich seiner Entstehung (§ 611 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ≪BGB≫), seiner Fälligkeit (§ 614 BGB) und hinsichtlich seiner Verjährung (§ 196 Abs 1 Nrn 8, 9 BGB) zivilrechtlich geregelt. Schon die gesetzlichen Regelungen zu Entstehung, Fälligkeit und Verjährung der Beitragsforderung einerseits und der Entgeltforderung andererseits weichen erheblich voneinander ab. Die Beitragsforderung ist nicht abdingbar, während der Entgeltanspruch wegen der im Zivilrecht bestehenden Vertragsfreiheit weitgehend einzelvertraglichen oder tariflichen Abreden unterliegt. Diese Unterschiede schließen es aus, die zivilrechtliche Ausschlußklausel, die nur für den Entgeltanspruch vorgesehen ist und nur ihn verfallen läßt, ohne gesetzliche Grundlage auf die öffentlich-rechtliche Beitragsforderung zu übertragen. Aus ähnlichen Gründen hat der Senat bereits entschieden, daß der öffentlich-rechtlichen Nachforderung eines höheren Arbeitgeberanteils an den Krankenversicherungsbeiträgen des Arbeitnehmers nach dem früheren § 520 RVO eine tarifliche Ausschlußklausel nicht entgegenstand (SozR 2200 § 520 Nr 3).

Eine Verbindung zwischen dem Entgeltanspruch des Arbeitnehmers und der Beitragsforderung der Einzugsstelle besteht allerdings insofern, als der Eintritt der Versicherungspflicht von der Aufnahme eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses und, soweit Entgeltgrenzen bestehen, auch von der Höhe des Entgelts abhängt (Geringfügigkeitsgrenze des § 8 SGB IV und in der Krankenversicherung die frühere Jahresarbeitsverdienstgrenze des § 165 Abs 1 Nr 2 RVO und heutige Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung ≪SGB V≫). Ferner entscheidet die Höhe des Entgelts über die Höhe der Beiträge, mitunter auch darüber, wen die Beitragslast trifft (zB früher § 381 Abs 1 Satz 2 RVO, heute § 249 Abs 2 Nr 1 SGB V). Unter diesen Umständen haben es die Parteien von Arbeitsverträgen und die Tarifpartner in der Hand, durch Vereinbarung von Entgelt und seiner Höhe den Eintritt der öffentlich-rechtlichen Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses mit entsprechenden Beitragsforderungen der Einzugsstellen auszulösen. Ist dieses jedoch einmal geschehen, so können sie das Versicherungsverhältnis in seiner öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung durch ein späteres Verhalten für die Vergangenheit nicht mehr beeinflussen, sondern seine Änderung lediglich für die Zukunft nach Maßgabe der neuen Entgeltvereinbarungen oder -zahlungen bewirken. So führt die Vereinbarung einer rückwirkenden Lohnerhöhung nicht dazu, daß schon in der Vergangenheit auch ein höherer Beitragsanspruch entstanden ist (vgl BSGE 22, 162 = SozR Nr 16 zu § 160 RVO zur Unterscheidung zwischen verspäteter Zahlung geschuldeten Lohnes und Zahlung rückwirkend erhöhten Lohnes). Entsprechend bringt eine rückwirkende Verringerung des Entgelts eine einmal entstandene Beitragsforderung nicht zum Erlöschen. Ebenso ist es auf einen in der Vergangenheit entstandenen Beitragsanspruch ohne Einfluß, wenn der entstandene Entgeltanspruch später verfällt, weil der Arbeitnehmer ihn nicht rechtzeitig gegenüber seinem Arbeitgeber geltend gemacht hat und eine tarifliche Ausschlußklausel eingreift. Ob etwas anderes gilt, soweit das Entstehen eines Entgeltanspruchs von vornherein unter einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung stand und die Bedingung eintritt, kann hier offenbleiben (vgl dazu BSGE 26, 120 = SozR Nr 20 zu § 160 RVO für eine Rückzahlungsklausel beim Weihnachtsgeld). Denn damit ist der Verfall eines Entgeltanspruchs wegen einer Ausschlußklausel nicht vergleichbar, weil der Entgeltanspruch ohne Bedingung entstanden und Grundlage von Versicherungsverhältnissen mit Beitragsforderungen geworden war.

Inwiefern in der Vergangenheit ein Entgeltanspruch bestanden und eine entsprechende Beitragsforderung begründet hat, ist hiernach grundsätzlich auch dann noch zu klären, wenn der früher ohne Bedingung entstandene Entgeltanspruch aufgrund eines späteren Verhaltens des Arbeitnehmers oder der Arbeitsvertragsparteien untergegangen oder verfallen ist. Soweit der Senat früher, ohne daß dieses für die damalige Entscheidung tragend war, eine andere Ansicht vertreten hat (SozR 2100 § 14 Nr 7), beruhte das auf dem Zuflußprinzip, nach dem heute bei nicht gezahltem, aber geschuldetem Arbeitsentgelt nicht mehr verfahren wird. Wenn über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses oder den Entgeltanspruch ein arbeitsgerichtliches Verfahren schwebt, kann dessen Ausgang weiterhin abgewartet und das Ergebnis der versicherungsrechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden (vgl BSGE 52, 152 = SozR 2100 § 25 Nr 3). Im übrigen hat jedoch die Einzugsstelle bei entsprechendem Anlaß auch die Höhe des in der Vergangenheit nicht gezahlten, aber geschuldeten Arbeitsentgelts zu ermitteln und je nach dem Ergebnis über etwaige versicherungs- und beitragsrechtliche Auswirkungen zu entscheiden. Soweit sich dabei zur Versicherungspflicht, zur Beitragspflicht oder zur Beitragsforderung in der Vergangenheit, also zu den damaligen Verhältnissen neue Erkenntnisse ergeben, ist nach den Grundsätzen zu verfahren, die auch sonst gelten, wenn das Bestehen oder Nichtbestehen von Versicherungspflichten erst nachträglich erkannt wird oder sich herausstellt, daß in der Vergangenheit zu hohe oder zu niedrige Beiträge erhoben worden sind.

Dieser Auffassung kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, sie verlagere Streitigkeiten über die Höhe des Entgelts, die im Arbeitsrecht wegen der Ausschlußklauseln für eine mehr als sechs Monate zurückliegende Zeit vermieden würden, nunmehr im Rahmen der Beitragserhebung auf die Einzugsstellen und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Mit derartigen praktischen Überlegungen, deren Gewicht der Senat nicht verkennt, läßt sich ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung die Übertragung der nur für den Entgeltanspruch geltenden Ausschlußklausel auf die Beitragsforderung rechtlich nicht begründen. Eine solche Übertragung würde im übrigen nicht nur Beitragsansprüche vernichten, denen schwer feststellbare Entgeltansprüche zugrunde liegen. Sie ließe vielmehr auch Beitragsansprüche untergehen, die auf eindeutig und unstreitig entstandenen Entgeltansprüchen beruhen. Soweit etwa befürchtet wird, die Einzugsstellen hätten nun, weil sie die Einnahmen rechtzeitig und vollständig erheben müßten (§ 76 Abs 1 SGB IV), für alle bisher unentdeckten, auch unsichere und kaum beweisbare Entgeltansprüche Beiträge geltend zu machen, trifft dieses nicht zu. Die Einzugsstellen müssen oder können vielmehr von solchen Forderungen absehen, wenn ihre Ermittlungen im Verwaltungsverfahren ergeben, daß die festgestellten Tatsachen die Erhebung von Beiträgen nicht rechtfertigen oder die Verteidigung einer Beitragsforderung in einem gerichtlichen Verfahren als wenig aussichtsreich erscheint. Schließlich ergibt sich aus der Regelung über die Verjährung von Beiträgen (§ 24 SGB IV) eine gewisse zeitliche Grenze, auch wenn, wie das vorliegende Verfahren zeigt, bei Erhebung nur der noch nicht verjährten Beiträge uU arbeitsrechtliche Vorgänge aus einer weiter zurückliegenden Zeit geklärt werden müssen.

Die Auffassung des erkennenden 12. Senats zur fehlenden Auswirkung tariflicher Ausschlußklauseln auf das Beitragsrecht stimmt überein mit dem Urteil des 10. Senats des BSG vom 22. Juni 1994 (10 RAr 3/93, zur Veröffentlichung bestimmt). Darin hat der 10. Senat entschieden, daß die BA, die einem Arbeitnehmer nach einer unwirksamen Kündigung im Wege der sogenannten Gleichwohlgewährung Arbeitslosengeld gezahlt hatte, die Erstattung der von ihr entrichteten Beiträge zur Krankenversicherung und zur Rentenversicherung vom Arbeitgeber auch dann verlangen kann, wenn der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt wegen einer tariflichen Ausschlußklausel verfallen ist. Demgegenüber hält der erkennende Senat die Kritik von Franoschek (Die Beiträge 1994, 449 ff) an dem im vorliegenden Verfahren ergangenen Urteil des LSG nicht für überzeugend. Sie geht zu Unrecht davon aus, daß der Verfall eines Entgeltanspruchs wegen einer Ausschlußklausel eine wirksame Beitragsforderung nicht entstehen lasse (aaO S 450 unten und S 455) und macht damit einen Erlöschensgrund beim Entgeltanspruch zum Entstehungs- oder Fälligkeitshindernis für die Beitragsforderung. Infolgedessen beachtet sie nicht hinreichend, daß die herangezogene Rechtsprechung zum Teil Sachverhalte betrifft, bei denen es um das Entstehen von Entgeltansprüchen in der Vergangenheit und nicht um deren Verfall ging, und daß sich ferner die Rechtsprechung zum Zuflußprinzip inzwischen gewandelt hat.

Sollte das weitere Verfahren vor dem LSG keine früher wirksam getroffene Vereinbarung über eine Entgelterhöhung nach Dienstaltersstufe 4 ab März 1977 und weiter steigenden Dienstaltersstufen ergeben, so ist die Beitragsforderung rechtswidrig. In diesem Falle hätte erst die Änderungsvereinbarung vom 14. November 1988 rückwirkend einen Anspruch auf höheres Entgelt für die Zeit von Januar 1986 bis Februar 1988 begründen, nicht jedoch rückwirkend eine damals entstandene Beitragsforderung auslösen können; vielmehr käme eine Heranziehung des Erhöhungsbetrages zu Beiträgen nur für den Zeitpunkt in Betracht (November 1988), in dem der höhere Entgeltanspruch begründet wurde und die entsprechende Beitragsforderung zur Entstehung gelangte (vgl zu der Unterscheidung früher BSGE 22, 162 = SozR Nr 16 zu § 160 RVO). Im vorliegenden Verfahren würde aber selbst eine solche Beitragserhebung ausscheiden, weil eine Nachzahlung für die Zeit vor März 1988 schon bei Abschluß der Änderungsvereinbarung nicht gewollt und damit insoweit die Begründung eines Entgeltzahlungsanspruchs selbst nachträglich nicht beabsichtigt war.

In seiner abschließenden Entscheidung wird das LSG auch darüber zu befinden haben, ob außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60257

BSGE 75, 61-69 (LT1)

BSGE, 61

DStR 1995, 540-541 (K)

RegNr, 21688 (BSG-Intern)

EWiR 1995, 385 (L)

NZA 1995, 701

NZA 1995, 701-704 (LT1)

Quelle 1994, Nr 12, 25 (S)

WzS 1995, 56-57 (T)

ZAP, EN-Nr 735/95 (S)

ZTR 1995, 288 (ST)

AP § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 128

Die Beiträge 1995, 172-180 (LT1)

MDR 1995, 939-940 (LT)

SozR 3-2200 § 385, Nr 5 (LT1)

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