Leitsatz (amtlich)

Bei der Berechnung des Krankengeldes ist die Leistungsbemessungsgrenze zugrunde zu legen, die bei Eintritt der AU in Kraft gewesen ist.

Das gilt auch, wenn infolge von Lohnfortzahlung die Zahlung des Krankengeldes erst einsetzt, nachdem eine neue Leistungsbemessungsgrenze wirksam geworden ist.

Inwieweit sich ein einmal festgestelltes Krankengeld bei längeren Bezugszeiten verändern kann, wird durch RVO § 182 Abs 8 abschließend geregelt (Anschluß an BSG 1977-07-13 3 RK 22/76 = BSGE 44, 130, BSG 1977-11-10 3 RK 82/75 = BSGE 45, 126).

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 4 Fassung: 1974-08-07, Abs. 5 S. 1 Fassung: 1974-08-07, Abs. 8 Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 19.01.1978; Aktenzeichen L 16 Kr 116/77)

SG Duisburg (Entscheidung vom 10.06.1977; Aktenzeichen S 21 Kr 111/76)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Januar 1978 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten nur noch über die Berechnung des Krankengeldes.

Der Kläger, dessen Arbeitsverdienst die Jahresarbeitsverdienstgrenze überstieg, wurde am 6. November 1974 arbeitsunfähig und bezog nach dem Ende der Gehaltsfortzahlung ab 7. Mai 1975 Krankengeld. Bei dessen Berechnung legte die Beklagte den für 1974 geltenden Höchstregellohn von 62,50 DM (Leistungsbemessungsgrenze) zugrunde, so daß sich ein tägliches Krankengeld von 50,- DM ergab. Dieses erhöhte sie ab 1. November 1975 um 11,1 vH auf 55,55 DM. Mit Bescheid vom 3. Mai 1976 setzte sie das Ende des Krankengeldbezuges auf den 4. Mai 1976 fest. Im Widerspruchsverfahren wies der Kläger darauf hin, daß er infolge der Gehaltsfortzahlung 1975 Beiträge nach der für dieses Jahr geltenden Bemessungsgrenze entrichtet habe. Er begehrte deshalb ua die Berechnung des Krankengeldes nach dem für 1975 geltenden Höchstregellohn (tägliches Krankengeld 56,- DM) und seine Erhöhung ab 1. Januar 1976 auf täglich 62,- DM.

Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt: Bei der Berechnung des Krankengeldes sei die Leistungsbemessungsgrenze zugrunde zu legen, die bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in Kraft gewesen sei. Spätere Lohnerhöhungen blieben für den laufenden Leistungsfall auch dann außer Betracht, wenn Anspruch auf Lohnfortzahlung bestehe und infolge des höheren Lohnes höhere Beiträge entrichtet werden müßten. Die Beklagte habe deshalb das Krankengeld richtig berechnet und ab 1. November 1975 zutreffend erhöht. Eine Anpassung zum 1. Januar 1976 sei nicht in Betracht gekommen. Inwieweit sich ein einmal festgestelltes Krankengeld bei längeren Bezugszeiten verändern könne, werde durch § 182 Abs 8 der Reichsversicherungsordnung (RVO) abschließend geregelt. Diese Vorschrift finde erstmals nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende des Bemessungszeitraums Anwendung und könne danach erst wieder Bedeutung gewinnen, wenn ein weiteres Jahr verstrichen sei.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er hält an der Auffassung fest, sein Krankengeld habe unter Zugrundelegung der für 1975 geltenden Leistungsbemessungsgrenze mit täglich 56,- DM gezahlt und mit Rücksicht auf die am 1. Januar 1976 erfolgte Erhöhung der Leistungsbemessungsgrenze von diesem Zeitpunkt ab auf 62,- DM erhöht werden müssen.

Der Kläger beantragt,

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihrer Bescheide zu verurteilen, ihm das Krankengeld für die Zeit ab 7. Mai 1975 nach der Leistungsbemessungsgrenze für 1975 zu zahlen und für die Zeit ab 1. Januar 1976 um 11,1 vH zu erhöhen,

hilfsweise das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres Krankengeld. Die Beklagte und auch das LSG sind mit Recht davon ausgegangen, daß bei der Berechnung des ihm ab 7. Mai 1975 gewährten Krankengeldes die für das Jahr 1974 geltende Leistungsbemessungsgrenze zugrundezulegen ist; denn seine Arbeitsunfähigkeit war bereits am 6. November dieses Jahres eingetreten.

Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt, daß nach § 182 Abs 4 Satz 1 RVO das - für den Kalendertag zu zahlende - Krankengeld 80 vH des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Entgelts (Regellohn) beträgt. Die Berechnung des Regellohns richtet sich gemäß § 182 Abs 4 Satz 2 RVO nach den Absätzen 5, 6 und 9 dieser Vorschrift. Danach ist von dem Entgelt auszugehen, das der Versicherte während der letzten abgerechneten vier Wochen vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder - falls das Entgelt monatlich bemessen wird - während des letzten vor diesem Zeitpunkt abgerechneten Kalendermonats erzielt hat (§ 182 Abs 5 Satz 1 und 3 RVO). Der Regellohn darf jedoch nur bis zur Höhe des Betrages berücksichtigt werden, der in § 180 Abs 1 Satz 3 RVO als Höchstgrenze bei der Grundlohnermittlung festgesetzt ist (§ 182 Abs 9 RVO). Es handelt sich insoweit um die mit der Beitragsbemessungsgrenze übereinstimmende Leistungsbemessungsgrenze (vgl das Urteil des Senats vom 13. Juli 1977, BSG SozR 2200 § 182 RVO Nr 22). Diese liegt bei einem Dreihundertsechzigstel der nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO maßgeblichen Jahresarbeitsverdienstgrenze, die 75 vH der für Jahresbezüge in der Rentenversicherung der Arbeiter geltenden Beitragsbemessungsgrenze ausmacht (§ 1385 Abs 2 RVO). Nach § 1255 Abs 2 RVO ist letztere an die allgemeine Bemessungsgrundlage in der Arbeiterrentenversicherung gekoppelt und deshalb jährlichen, jeweils zum 1. Januar wirksam werdenden Veränderungen unterworfen (vgl BSG aaO).

Nach § 182 Abs 4 iVm Abs 5 und 9 RVO ist bei der Berechnung des Krankengeldes die Leistungsbemessungsgrenze zugrundezulegen, die bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in Kraft gewesen ist. Bei dieser Begrenzung handelt es sich um ein Element der Regellohnermittlung. Der Regellohn aber bemißt sich nach dem Entgelt, das der Versicherte zuletzt als Arbeitsfähiger erzielt hat. Das hat der Senat schon in seinem Urteil vom 10. November 1977 (BSGE 45, 126, 128) ausgesprochen. Er hat ausgeführt, daß nicht der Termin des Zahlungsbeginns als "Eintritt der Leistungspflicht" bezeichnet werden kann, weil der Anspruch auf Krankengeld durch den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ausgelöst wird (§ 182 Abs 2 Nr 2 RVO aF). Dieser Zeitpunkt ist auch maßgebend für die zeitliche Begrenzung des Krankengeldanspruchs; denn die in § 183 Abs 2 Satz 1 RVO aF genannte Frist von drei Jahren rechnet vom Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit an. Diesen den Grund des Anspruchs betreffenden Vorschriften korrespondiert die Regelung der Anspruchshöhe durch § 183 Abs 5 RVO aF, bei der ebenfalls auf den Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit abgestellt wird. Daraus erhellt, daß nach dem gesamten Regelungssystem der Anspruch auf Krankengeld maßgeblich beeinflußt wird durch den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit. Er ist als Anspruchsvoraussetzung für das Krankengeld weitgehend verselbständigt (BSGE 18, 122, 125), und dieser Zeitpunkt ist somit für die Leistungspflicht der Krankenkasse entscheidend. Das zeigt sich am deutlichsten darin, daß die Krankenkasse von diesem Zeitpunkt an Krankengeld gewähren muß, wenn der Versicherte nach § 1 Abs 1 Satz 2 oder Abs 2 oder nach § 5 des Lohnfortzahlungsgesetzes oder nach § 182 Abs 7 RVO aF vom Arbeitgeber keine Zahlungen erhält. Wenn auch der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht als eigenständiger Versicherungsfall anzusehen ist, so hat dieses Ereignis als wesentlichste Voraussetzung für den Krankengeldanspruch doch eine so weittragende Bedeutung, daß es entscheidend für die Begründung und Bestimmung des Anspruchs ist. Der Senat ist in diesem Urteil deshalb zu dem Ergebnis gekommen, daß Lohnerhöhungen, die zwischen dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und dem Beginn der Krankengeldzahlung erfolgen, nicht auf dessen Berechnung wirken.

Hierfür spricht auch - wie schon das LSG in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat - daß zwischen dem maßgeblichen Arbeitsentgelt und dessen Begrenzung nach oben ein unmittelbarer Zusammenhang besteht; denn beide orientieren sich am jeweiligen Lohnniveau. Eine völlige Deckungsgleichheit läßt sich zwar nicht erzielen, weil der Bemessungszeitraum bei Leistungsfällen, die sich zu Jahresbeginn ereignen, noch in das Vorjahr fallen kann. Diese Divergenz in Einzelfällen, die sich aus der notwendigen Schematisierung normativer Regelungen ergibt, rechtfertigt jedoch nicht die Zugrundelegung eines Zeitpunktes, der unter Umständen lange nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit liegt. Auch der Grundsatz, daß das versicherungsrechtliche Risiko nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung nach Eintritt des Versicherungs- oder Leistungsfalles zum Nachteil des Versicherungsträgers verschoben werden darf (vgl insoweit das Urteil des BSG vom 28.1.1965, BSGE 22, 236, 239), legt es nahe, die Entwicklung nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bei der Anwendung des § 182 Abs 4 iVm den Absätzen 5 und 9 RVO außer Betracht zu lassen. Das gilt um so mehr, als nunmehr durch den am 1. Oktober 1974 in Kraft getretenen Absatz 8 des § 182 RVO sichergestellt wird, daß bei länger währenden Leistungsfällen eine Anpassung des Krankengeldes erfolgt, die sich an der Regelung des § 1272 RVO ausrichtet.

Inwieweit die Beitragsbemessungsgrenze auch noch bei der Anpassung des Krankengeldes ihre Bedeutung hat, ist im Urteil vom 13. Juli 1977 (aaO) dargelegt worden. Daraus ergibt sich aber - wie das LSG zutreffend erkannt hat - nicht, daß auch bei der Erstberechnung des Krankengeldes eine Leistungsbemessungsgrenze zugrundegelegt werden kann, die erst nach dem Eintritt des Leistungsfalles wirksam geworden ist. Denn es handelt sich bei der Anpassung um einen selbständigen Berechnungsschritt, der in die Verknüpfung der Absätze 5 und 9, die der § 182 Abs 4 Satz 2 RVO vornimmt, nicht mit einbezogen ist.

Die Beitragsbemessungsgrenze nach § 1385 Abs 2 RVO für das Jahr 1974, in dem die Arbeitsunfähigkeit des Klägers eingetreten ist, betrug 30.000,- DM (vgl Bekanntmachung des Bundesministers für Arbeit - BMA - vom 27. November 1973, Bundesanzeiger Nr 223 S. 1). 75 vH hiervon waren 22.500,- DM. Geteilt durch 360 ergab das einen Höchstregellohn je Kalendertag von 62,50 DM. 80 vH hiervon machen 50,- DM aus. Dieser Betrag ist dem Kläger ab 7. Mai 1975 täglich als Krankengeld gezahlt worden.

Die Beklagte hat die so berechnete Leistung auch ab 1. November 1975 zutreffend um den Vomhundertsatz des 18. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) auf 55,55 DM erhöht. Eine Anpassung zum 1. Januar 1976, wie sie der Kläger erstrebt, kam nicht in Frage. Inwieweit sich ein einmal festgestelltes Krankengeld bei längeren Bezugszeiten verändern kann, wird durch § 182 Abs 8 RVO abschließend geregelt. Diese Vorschrift findet erstmals nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende des Bemessungszeitraums Anwendung und kann danach erst wieder Bedeutung gewinnen, wenn ein weiteres Jahr verstrichen ist. Die Neuberechnung des Höchstkrankengeldes jeweils bereits zum 1. Januar eines neuen Jahres würde eine vorgezogene Anpassung zur Folge haben, die auch im Hinblick auf den Zweck der Krankengeldzahlungen nicht gerechtfertigt wäre. Auch das hat der Senat in seinem bereits mehrfach angeführten Urteil vom 13. Juli 1977 im einzelnen dargelegt.

Soweit es sich um die Krankengeldanpassung handelt, betrifft dieses Urteil auch einen Sachverhalt, der dem vorliegenden in den wesentlichen Punkten gleicht. Nachdem feststeht, welche Leistungsbemessungsgrenze bei der Erstberechnung zugrundezulegen war, geht es auch hier lediglich noch um die Frage, ob und wie sich die späteren Erhöhungen dieser Grenze auf die Leistungshöhe auszuwirken vermögen. Dazu ist in dem Urteil des Senats vom 13. Juli 1977 ausgeführt worden, daß die Änderungen der Leistungsbemessungsgrenze wie Rechtsänderungen zu betrachten sind und Rechtsänderungen für bereits laufende Leistungsfälle nur Bedeutung gewinnen, wenn und soweit das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. Zugleich ergibt sich aus diesem Urteil, daß auf das vom Kläger genannte Urteil des Senats vom 26. März 1963 (BSGE 19, 25) seit dem am 1. Oktober 1974 erfolgten Inkrafttreten der Anpassungsvorschrift des § 182 Abs 8 RVO nicht mehr zurückgegriffen werden kann.

Zutreffend hat das LSG auch darauf hingewiesen, daß hier dahingestellt bleiben kann, ob andere Krankenkassen das Krankengeld unter Zugrundelegung der jeweils in Kraft befindlichen Leistungsbemessungsgrenze gewähren. Eine solche Praxis stünde jedenfalls nicht im Einklang mit dem geltenden Recht und wäre schon aus diesem Grunde nicht geeignet, Ansprüche zu begründen. Auch kann die Beklagte nicht durch Maßnahmen verpflichtet werden, die von anderen Versicherungsträgern getroffen worden sind. Anhaltspunkte dafür aber, daß ein höheres Krankengeld hier bindend zugesagt worden ist, sind vom LSG nicht festgestellt worden.

Nach alledem ist der Revision des Klägers der Erfolg versagt; denn das angefochtene Urteil ist zu Recht ergangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653223

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