Auswahlrichtlinien für die Kündigung von Arbeitsverhältnissen können nur Kündigungen erfassen, die durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sind. Die mitbestimmungspflichtigen Richtlinien sollen die personelle Auswahl transparent machen. Das Mitbestimmungsrecht dient nicht dazu, die Kündigungsfreiheit so zu beschränken, dass bestimmte Kündigungsgründe, z. B. krankheitsbedingte Kündigungen, ausgeschlossen werden. Folglich ist der Inhalt vom Betriebsrat erzwingbarer Richtlinien im Wesentlichen auf die Gewichtung sozialer Gesichtspunkte beschränkt, welche die Auswahl innerhalb des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer ermöglichen soll, von denen eine bestimmte Anzahl aus betrieblichen Gründen nicht weiterbeschäftigt werden kann. Die soziale Auswahl ist nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG so vorzunehmen, dass grundsätzlich derjenige zu entlassen ist, den eine Kündigung am wenigsten hart trifft. Bei der Gewichtung der gesetzlich zu berücksichtigenden 4 sozialen Grunddaten (Betriebszugehörigkeitsdauer, Lebensalter, Zahl der Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung) haben die Betriebspartner einen Beurteilungsspielraum.

Ob zusätzlich noch weitere soziale Gesichtspunkte, wie z. B. Belastung als alleinerziehender Elternteil eines Kleinkindes oder Ortsgebundenheit wegen pflegebedürftiger Angehöriger, Gegenstand einer Richtlinie nach § 1 Abs. 4 KSchG sein können, ist noch nicht entschieden. Die Frage ist mehr akademischer Natur; denn erstens darf dadurch das Gewicht der gesetzlichen Grunddaten nicht verschoben werden[1] und zweitens könnte wegen der zusätzlichen Merkmale die gerichtliche Überprüfung nicht auf grobe Fehler beschränkt bleiben. Die Ungewissheit wird für die Praxis leider noch verstärkt, weil der Erste Senat ausdrücklich die Frage offen gelassen hat[2], ob mit Rücksicht auf die 2004 in Kraft getretene Neuregelung die Betriebspartner noch Raum für eine abschließende Berücksichtigung individueller Besonderheiten des Einzelfalls lassen müssen, wie es der Zweite Senat bisher gefordert hat.[3]

Da es erfahrungsgemäß schwierig ist, den Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer, die in die Sozialauswahl einbezogen werden, zu bestimmen, ist es möglich, dass die Betriebspartner auch Erfahrungswerte für Einarbeitungszeiten festlegen. So kann innerhalb der Gruppe der Arbeiter die Austauschbarkeit auf bestimmten Arbeitsplätzen wegen einer zu langen Einarbeitungszeit verneint werden. Es dürfen jedoch nicht von vornherein Arbeitnehmer bestimmter Abteilungen oder Arbeitsgruppen ohne ausreichende sachliche Kriterien als nicht vergleichbar eingestuft werden.[4]

Die Anwendung von Kündigungsrichtlinien [5], die den Anforderungen des § 1 Abs. 4 KSchG genügen, führt im Kündigungsschutzprozess dazu, dass die soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft wird (§ 1 Abs. 4 KSchG). Ein Punkteschema für die soziale Auswahl (§ 1 Abs. 4 und 5 KSchG) ist der klassische Schulfall einer nach § 95 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtigen Auswahlrichtlinie. Das gilt auch dann, wenn es der Arbeitgeber nicht generell auf alle künftigen betriebsbedingten Kündigungen, sondern nur auf konkret bevorstehende Kündigungen anwenden will. Jede Anwendung eines Punkteschemas durch den Arbeitgeber setzt zwingend die Zustimmung des Betriebsrats oder dessen Ersetzung durch den Spruch der Einigungsstelle voraus.[6]

Eine Regelung, die den Arbeitgeber ermächtigt, einseitig von der getroffenen Vorauswahl abzuweichen und einen um mehrere Punkte sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmer zu entlassen, ohne eine Endauswahl vorzunehmen, widerspricht grob der Wertung in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Sie ist unbeachtlich.[7]

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