Entscheidungsstichwort (Thema)

Befreiung von Mehrarbeit nach § 124 SGB IX. Begriff der Mehrarbeit. Anspruch auf behindertengerechte Dauer und Lage der Arbeitszeit. Befreiung von Mehrarbeit auf Verlangen des schwerbehinderten Arbeitnehmers nach § 124 SGB IX. Anspruch auf behindertengerechte Dauer und Lage der Arbeitszeit nach § 81 Abs. 4 Ziff. 4 SGB IX. Rechte behinderter Menschen

 

Leitsatz (amtlich)

  • Jede über acht Stunden werktäglich hinausgehende Arbeitszeit ist Mehrarbeit iSd. § 124 SGB IX. Tariflich abweichende Arbeitszeiten sind unerheblich. Das gilt auch dann, wenn sie kürzer als die gesetzliche Arbeitszeit sind. Die vor allem tariflich eingeführten Arbeitszeitverkürzungen gewährleisten nämlich nicht den Schutz des schwerbehinderten Menschen vor einer Überbeanspruchung und sind auch nicht geeignet, ihm vergleichbare Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wie einem Nichtbehinderten zu verschaffen. Durch die Flexibilisierungsregelungen wird nämlich vielfach eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit über acht Stunden hinaus ermöglicht.
  • Schwerbehinderte Menschen haben nach § 81 Abs. 4 Ziff. 4 SGB IX einen einklagbaren Anspruch auf behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitszeit, soweit dessen Erfüllung für den Arbeitgeber nicht unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist. Hieraus kann sich die Pflicht des Arbeitgebers ergeben, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht zur Nachtarbeit einzuteilen und dessen Arbeitszeit auf die Fünf-Tage-Woche zu beschränken.
 

Orientierungssatz

  • Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer kann nach § 124 SGB IX verlangen, von Mehrarbeit freigestellt zu werden. Mehrarbeit ist danach jede über acht Stunden werktäglich hinausgehende Arbeitszeit. Die vor allem tariflich eingeführten Arbeitszeitverkürzungen gewährleisten nicht den Schutz des schwerbehinderten Menschen vor einer Überbeanspruchung, weil sie durch Flexibilisierungsregelungen vielfach eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit über acht Stunden hinaus ermöglichen.
  • Die Verlängerung der Arbeitszeit nach § 3 Satz 1 ArbZG auf bis zu 10 Stunden täglich stellt Mehrarbeit iSd. § 124 SGB IX dar, weil der Acht-Stunden-Tag überschritten wird.
  • § 124 SGB IX enthält mehr als ein Leistungsverweigerungsrecht. Verlangt der Arbeitnehmer die Freistellung, so wird die Mehrarbeit nicht mehr geschuldet.
  • Von einem Freistellungsverlangen werden nach § 124 SGB IX nur Nachtarbeit und Bereitschaftsdienste erfaßt, wenn damit Mehrarbeit verbunden ist.
  • Schwerbehinderte Menschen haben nach § 81 Abs. 4 Ziff. 4 SGB IX einen einklagbaren Anspruch auf behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitszeit, soweit dies für den Arbeitgeber nicht unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist. Hieraus kann sich die Pflicht des Arbeitgebers ergeben, keine Nachtarbeit anzuordnen und die Arbeitszeit auf die Fünf-Tage-Woche zu beschränken.
 

Normenkette

SGB IX §§ 124, 81, 1; SchwbG a.F. §§ 46, 31, 14; ArbZG §§ 3, 6; Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anlage 5

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 26.04.2001; Aktenzeichen 5 Sa 1070/2000)

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 10.05.2000; Aktenzeichen 10 Ca 8858/99)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 26. April 2001 – 5 Sa 1070/2000 – teilweise aufgehoben.

Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen, soweit sich die Beklagte gegen die Feststellung wendet, daß die Klägerin nicht verpflichtet ist, täglich mehr als 8 Stunden und 5 Minuten zu arbeiten.

Im übrigen wird der Rechtsstreit auf die Revision der Beklagten zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin beansprucht unter Berufung auf ihre Schwerbehinderteneigenschaft die Freistellung von Mehr- und Nachtarbeit. Darüberhinaus streiten die Parteien über Vergütungsansprüche der Klägerin aus Annahmeverzug.

Die 1944 geborene Klägerin ist seit Juni 1981 als vollzeitbeschäftigte Assistenzärztin in einem Krankenhaus der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte ist dem Deutschen Caritasverband angeschlossen.

Nach § 2 des Dienstvertrages gelten für das Dienstverhältnis die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR). Gem. § 22 Abs. 1 AVR sind Dienstgeber und Mitarbeiter verpflichtet, bei Meinungsverschiedenheiten, die sich aus der Anwendung der AVR oder aus dem Dienstverhältnis ergeben, zunächst die bei dem zuständigen Diözesancaritasverband errichtete Schlichtungsstelle anzurufen. Zur Arbeitszeit heißt es in der Anlage 5 zu den AVR:

“§ 1 Arbeitszeit, Ruhepausen, Ruhezeiten

(1) Die regelmäßige Arbeitszeit der Mitarbeiter beträgt durchschnittlich 38,5 Stunden in der Woche. Der Berechnung des Durchschnitts der wöchentlichen Arbeitszeit ist in der Regel ein Zeitraum von 13 Wochen zugrunde zu legen. Durch Dienstvereinbarung kann ein Zeitraum von bis zu 52 Wochen zugrunde gelegt werden.

Die werktägliche Arbeitszeit der Mitarbeiter darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb der genannten Zeiträume im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

(2) Die regelmäßige Arbeitszeit kann auf durchschnittlich 50 Stunden in der Woche und über zehn Stunden werktäglich verlängert werden, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt.

(8) Die wöchentliche Arbeitszeit ist unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen auf die Tage in der Woche zu verteilen, an denen in der Einrichtung regelmäßig gearbeitet wird. Eine Woche ist der Zeitraum von Montag 0.00 Uhr bis Sonntag 24.00 Uhr. Dienstplanmäßige Arbeit ist die Arbeit, die innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an den nach dem Dienstplan festgelegten Kalendertagen regelmäßig zu leisten ist. Die Arbeitszeit kann innerhalb einer Einrichtung für die Mitarbeiter verschiedener Dienstbereiche unterschiedlich verteilt werden, wenn das aus dienstlichen Gründen geboten ist.

§ 7 Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft

(1) Auf Anordnung des Dienstgebers haben die Mitarbeiter außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit Dienstleistungen in der Form des Bereitschaftsdienstes oder der Rufbereitschaft zu erbringen.

Der Dienstgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, daß zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. …

(2) Bei Bereitschaftsdiensten ist der Mitarbeiter verpflichtet, sich außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit in der Einrichtung aufzuhalten und im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen. Als Bereitschaftsdienst gilt nicht das Wohnen im Bereich der Einrichtung.

§ 9 Sonderregelung für die Abgeltung der Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaften für Ärzte, Zahnärzte, Hebammen, medizinisch-technische Assistentinnen und Gehilfinnen sowie für Mitarbeiter im Pflegedienst

(2) Zum Zwecke der Vergütungsberechnung wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit wie folgt als Arbeitszeit gewertet:

a) Nach dem Maß während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallender Arbeitsleistungen wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes wie folgt als Arbeitszeit gewertet:

Stufe

Arbeitsleistung innerhalb des Bereitschaftsdienstes

Bewertung als Arbeitszeit

A

0 bis 10 v.H.

15 v.H.

B

mehr als 10 bis 25 v.H.

25 v.H.

C

mehr als 25 bis 40 v.H.

40 v.H.

D

mehr als 40 bis 49 v.H.

55 v.H.

…”

Im März 1997 stürzte die Klägerin in einem der Operationssäle der Beklagten. Sie erlitt ua. einen Lendenwirbelkörperbruch. Sie war deshalb vom 6. Juli 1997 bis einschließlich 15. April 1999 fortlaufend infolge Krankheit arbeitsunfähig. Zum 1. Oktober 1998 wurde die Klägerin als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 50 % anerkannt. Am 19. April 1999 nahm sie ihre Tätigkeit bei der Beklagten erneut auf. Sie war nicht in der Lage, zur Nachtzeit Arbeitsleistungen zu erbringen, da die von ihr einzunehmenden Medikamente sich mit der Tätigkeit in den Nachtstunden nicht vertrugen. In dem der Beklagten vorgelegten neuropsychiatrischen Attests vom 25. September 1999 heißt es ua.:

“Die Patientin befindet sich hier nach wie vor in regelmäßiger ambulanter fachärztlicher Behandlung.

Sie ist nach wie vor als arbeitsunfähig anzusehen, darf jedoch – da eine weitere Besserung des Gesundheitszustandes bis zum jetzigen Zeitpunkt ausblieb – aus medizinischen Gründen für die Dauer der nächsten drei Monate noch keine Nacht-(Bereitschafts-)Dienste leisten.”

Mit Schreiben vom 25. April 1999 und vom 2. Juni 1999 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, es sei ihr wegen der Einnahme der Medikamente nicht möglich, nachts zu arbeiten. Mit Schreiben vom 15. Oktober 1999 erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerin daraufhin, sie verzichte ab sofort auf die bislang akzeptierte teilweise Erfüllung der Arbeitsverpflichtung. Seit dem ist die Klägerin nicht mehr zur Arbeit eingeteilt.

Die Arbeitszeiten und Bereitschaftsdienstzeiten sind im Bereich der Anästhesie, in der die Klägerin tätig war, wie folgt dienstplanmäßig geregelt:

Regulärer Dienst von Montag bis Freitag mindestens von 7.30 Uhr bis 16.00 Uhr einschließlich einer halbstündigen Pause.

Bereitschaftsdienst von Montag bis Donnerstag 18.00 Uhr bis 7.30 Uhr, Freitag 18.00 Uhr bis 9.30 Uhr, Samstag 9.00 Uhr bis 9.30 Uhr und Sonntag 9.00 Uhr bis 7.30 Uhr.

An Tagen, an denen Bereitschaftsdienste zu leisten sind, findet in der Zeit von 16.00 Uhr und 18.00 Uhr regulärer Dienst statt.

Bereitschaftsdienste sind nur von den Assistenzärzten in der Anästhesie zu leisten.

Während des Bereitschaftsdienstes sind tatsächlich mindestens 34,45 % im Durchschnitt tatsächliche Arbeit zu leisten.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Zahlungsklage Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 11. November 1999 bis einschließlich April 2000 mit Ausnahme des Zeitraums vom 10. Januar bis 6. Februar 2000, für den die Beklagte Entgeltfortzahlung leistete.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, sie sei nicht zur Arbeitsleistung über 8 Stunden 5 Minuten täglich hinaus und somit auch nicht zur Leistung von Nacht-/Bereitschaftsdiensten verpflichtet. Da ihre werktägliche Arbeitszeit an fünf Wochentagen um 7.25 Uhr beginne und um 16.00 Uhr ende, habe sie werktäglich unter Abzug der 30-minütigen täglichen Pause eine Arbeitszeit von 8 Stunden 5 Minuten. Dafür sei sie zu vergüten.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, sie als Ärztin für Anästhesie im S Krankenhaus in F… an fünf Arbeitstagen wöchentlich im Umfang von täglich 8 Stunden 5 Minuten tagsüber zu beschäftigen,
  • Die Beklagte zu verurteilen, an sie 70.033,78 DM brutto abzüglich 6.879,05 DM netto und 6.966,96 DM netto nebst 12 % Zinsen aus 3.610,00 DM netto vom 1. bis 31. Dezember 1999, aus 9.310,00 DM netto vom 1. bis 31. Januar 2000, aus 15.010,00 DM netto vom 1. bis 29. Februar 2000, aus 20.710,00 DM netto vom 1. bis 31. März 2000, aus 26.410,00 DM netto vom 1. bis 30. April 2000 und aus 32.110,00 DM netto seit dem 1. Mai 2000 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Teilnahme am Bereitschaftsdienst sei keine Mehrarbeit iSv. § 46 SchwbG aF. Eine Arbeitsleistung der Klägerin nur für den regelmäßigen Tagdienst sei ihr nicht zumutbar. Der Chefarzt Dr. N…. könne nicht dauerhaft zur Vertretung der Klägern in die Bereitschaftsdienste eingeteilt werden. Ebenso stünden die Oberärzte hierzu nicht zur Verfügung.

Die Klägerin hat Klage erhoben, ohne die nach den AVR gebildete Schlichtungsstelle anzurufen. Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Ausnahme der geltend gemachten Ansprüche auf Schmerzensgeld, Urlaubsabgeltung und Abgeltung eines Freizeitausgleichs stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und festgestellt, daß der Rechtsstreit hinsichtlich der geleisteten Entgeltfortzahlung in Höhe von 8.510,22 DM netto erledigt ist. Die Beklagte verfolgt mit der Revision die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

  • Die Revision der Beklagten ist nur zum Teil begründet. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, werktäglich über 8 Stunden 5 Minuten hinaus zu arbeiten. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Klägerin sei nur verpflichtet an fünf Tagen der Woche ohne Nachtarbeit und Bereitschaftsdienste zu arbeiten, fehlt es an ausreichenden Feststellungen. Dasselbe gilt für die Annahmeverzugsansprüche. Auch insoweit ist der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung und anderweiten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

    I. Die Klage ist zulässig.

    1. Die Durchführung des in § 22 AVR bestimmten Schlichtungsverfahrens ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Nach § 22 Abs. 4 AVR schließt die Behandlung eines Falles vor der Schlichtungsstelle die fristgerechte Anrufung des Arbeitsgerichts nicht aus. Die Parteien haben daher ein Wahlrecht, ob sie die Schlichtungsstelle anrufen oder sogleich vor dem Arbeitsgericht Klage erheben wollen (BAG 7. Februar 1996 – 10 AZR 225/95 – nv.). Die Klägerin hat zulässigerweise sogleich Klage beim Arbeitsgericht erhoben.

    Die Auslegung ergibt, daß die Klägerin mit dem Antrag zu 1) zulässigerweise das Ziel einer Feststellungsklage verfolgt.

    2. Die Klage ist eine Feststellungsklage und als solche zulässig. Der Wortlaut des Leistungsantrags entspricht nicht dem tatsächlichen Rechtsschutzziel. Die Parteien streiten nicht darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin an fünf Tagen in der Woche in einem zeitlichen Umfang von 8 Stunden und 5 Minuten zu beschäftigen. Streitig ist allein, ob die Klägerin verpflichtet ist, über diesen Zeitraum hinaus weitere Dienste, insbesondere Nacht- und Bereitschaftsdienste zu leisten. Darüberhinaus will die Klägerin nur an fünf Tagen in der Woche zur Arbeitsleistung verpflichtet sein. Diese Auslegung ergibt sich deutlich aus dem Vorbringen der Klägerin. Aus dem von ihr vorgelegten Schreiben vom 25. April und 2. Juni 1999 und aus dem ärztlichen Attest vom 25. September 1999 folgt, daß sie aus medizinischen Gründen keine Nachtarbeit leisten will. Dabei stellt sie teilweise die Bereitschaftsdienste der Nachtarbeit gleich, weil der Bereitschaftsdienst auch während der Nacht zu leisten ist. Sie will aber auch keine Bereitschaftsdienste außerhalb der Nachtarbeit leisten. Insoweit geht sie von einer unzulässigen Mehrarbeit iSd. § 46 SchwbG aF aus. Die Klägerin begehrt damit die Feststellung der Grenzen des Direktionsrechts der Beklagten in dem von ihr begehrten Sinn.

    Diese Feststellungklage hat das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Hierzu reicht es, wenn nur ein Teil eines bestehenden Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien streitig ist und die gerichtliche Klärung geeignet ist, diesen Streit zu klären (Senat 24. März 1998 – 9 AZR 172/97 – AP GVG § 21e Nr. 4 = EzA GVG § 21e Nr. 1). Eine gerichtliche Feststellung über den Umfang des zeitlichen Direktionsrechts der Beklagten ist geeignet, eine Klärung zwischen den Parteien herbeizuführen.

    II. Die Klage ist nur zum Teil begründet.

    1. Die Beklagte ist nicht berechtigt, die Klägerin werktäglich mehr als die von ihr zugestandenen 8 Stunden 5 Minuten einzusetzen. Eine darüberhinaus gehende Arbeitsverpflichtung der Klägerin ist Mehrarbeit, zu der sie gem. § 124 SGB IX nicht verpflichtet ist.

    a) Dies folgt allerdings nicht aus Anlage 5 der arbeitsvertraglich vereinbarten AVR. Gem. § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der Anlage 5 darf die werktägliche Arbeitszeit der Mitarbeiter zwar acht Stunden nicht überschreiten, sie kann jedoch auf bis zu 10 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb der unter Abs. 1 genannten Ausgleichszeiträume im Durchschnitt werktäglich acht Stunden nicht überschritten werden. Gem. § 1 Abs. 2 der Anlage 5 AVR ist sogar eine Verlängerung auf über 10 Stunden werktäglich zulässig, wenn in die Arbeitszeit regelmäßige Arbeitsbereitschaft in erheblichem Umfang fällt.

    b) Die Klägerin hat zu Recht eine Beschränkung der werktäglichen Arbeitszeit auf 8 Stunden und 5 Minuten nach § 124 SGB IX verlangt. Danach sind schwerbehinderte Menschen auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freizustellen.

    aa) Jede über 8 Stunden hinausgehende werktägliche Arbeitszeit ist Mehrarbeit iSd. § 124 SGB IX (seit dem 1. Juli 2001 in Kraft gem. Art. 1 SGB IX vom 19. Juni 2001).

    (1) § 124 SGB IX bestimmt ebenso wie auch der gleichlautende § 46 SchwbG aF nach seinem Wortlaut nicht, was unter Mehrarbeit zu verstehen ist. Nach der herkömmlichen arbeitsrechtlichen Begriffsverwendung ist Mehrarbeit diejenige Arbeit, die über die gesetzliche Arbeitszeit hinausgeht (Neumann/Pahlen SchwbG 9. Aufl. § 46 Rn. 3). Das Bundesarbeitsgericht ist deshalb im Rahmen von § 46 SchwbG aF und § 3 AZO aF davon ausgegangen, daß Mehrarbeit iSd. Schwerbehindertengesetzes diejenige Arbeit sei, die über die normale gesetzliche Arbeitszeit von acht Stunden werktäglich hinausgehe (BAG 8. November 1989 – 5 AZR 642/88 – BAGE 63, 221). Dem gegenüber wurde nach Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes vermehrt die Auffassung vertreten, Mehrarbeit iSd. § 46 SchwbG aF sei die über die vertraglich geschuldete Arbeitszeit des Schwerbehinderten hinausgehende tägliche oder wöchentliche Arbeitszeit. Dies wird vor allem mit der arbeitsvertraglichen und tarifvertraglichen Arbeitszeitverkürzung begründet. Der schwerbehinderte Mensch würde ansonsten schlechter gestellt, da er trotz Absenkung der regelmäßigen Arbeitszeit in Arbeitsverträgen und Tarifverträgen das gesetzliche Ablehnungsrecht erst in Anspruch nehmen könne, wenn der Arbeitgeber vom Schwerbehinderten mehr als 48 Stunden Arbeit verteilt auf sechs Tage in der Woche oder mehr als acht Stunden verlangen würde (Dörner SchwbG Stand Mai 2001 § 46 III 2d; Großmann in Großmann/Schimanski GK-SGB IX § 124 Rn. 25; Düwell in LPK-SGB IX § 124 Rn. 4; Masuch in Hauck/Noftz SGB IX Stand Juni 2002 K § 124 Rn. 7).

    (2) Die Auslegung des Begriffs der Mehrarbeit nach § 124 SGB IX hat sich zunächst am Schutzzweck der Vorschrift zu orientieren. Danach soll sichergestellt werden, daß die Leistungsfähigkeit schwerbehinderter Menschen nicht durch zu lange Arbeitszeiten überbeansprucht wird (BT-Drucks. 7/1515 S 15, 16). Daneben soll die gleichberechtigte Teilhabe des schwerbehinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft gefördert werden (§ 1 SGB IX). Dazu muß ihm ausreichend freie Zeit verbleiben, die ihm einem Nichtbehinderten vergleichbare Teilchancen ermöglicht. Je nach der Art der Behinderung, insbesondere bei Geh-, Sehbehinderungen oder geistigen Behinderungen wird der schwerbehinderte Mensch hierzu mehr Zeit als der Nichtbehinderte aufwenden müssen. Der Schutzzweck erfordert es daher, die tägliche Arbeitszeit zu begrenzen. Nur so wird gewährleistet, daß dem schwerbehinderten Menschen ausreichend Zeit für die Teilhabe an der Gesellschaft, insbesondere aber auch für die notwendigen täglich zu verrichtenden Angelegenheiten bleibt, wie Einkaufen, Behördengänge etc. Dem würde ein Bezug auf tarifliche oder sonst im Arbeitsverhältnis geltende Arbeitszeitregelungen nicht gerecht.

    Die vor allem tariflich eingeführten Arbeitszeitverkürzungen gewährleisten einen solchen Schutz nicht. Sie ermöglichen eine erhebliche Verlängerung der täglichen Arbeitszeit. Die tarifliche Flexibilisierung der Arbeitszeit setzt die Arbeitszeitverkürzung erst innerhalb eines längeren Ausgleichszeitraums um, in dem die regelmäßige Wochenarbeitszeit erreicht werden soll. Deshalb müssen Arbeitnehmer für nicht nur unerhebliche Zeiträume längere tägliche und/oder wöchentliche Arbeitszeiten und damit erhebliche körperliche und geistige Belastungen hinnehmen. So ist nach § 2 Ziff. 2 des MTV für Arbeitnehmer im Groß- und Außenhandel NRW vom 9. Juli 1997 trotz Einführung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden eine Verteilung der betrieblichen Arbeitszeit auf bis zu 50 Stunden in der Woche zulässig. Die tägliche Arbeitszeit ist tariflich nicht beschränkt. Es muß lediglich innerhalb des Ausgleichszeitraums von 52 Wochen die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden erreicht werden. § 2 Ziff. 7 des Tarifvertrags über Jahresarbeitszeit und Arbeitszeitgestaltung für die gewerblichen Arbeitnehmer, Angestellten und Auszubildenden des Bekleidungslohngewerbes vom 1. April 1996 läßt eine tägliche Arbeitszeit von bis zu 9,5 Stunden zu.

    Diese Flexibilisierungen in Tarifverträgen, die sich vor allem an den betrieblichen Bedürfnissen, nicht aber den besonderen Belangen von schwerbehinderten Menschen orientieren, können daher je nach betrieblicher Umsetzung für erhebliche Zeiträume zu einer die gesetzliche Regelarbeitszeit von acht Stunden täglich überschreitenden Arbeitszeit führen. Die individuelle bzw. tarifliche regelmäßige Arbeitszeit ist daher kein geeigneter Maßstab für die Bestimmung des Begriffs der Mehrarbeit nach § 124 SGB IX. Sie gewährleistet weder den Schutz des schwerbehinderten Menschen vor zu hoher Beanspruchung, noch seine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.

    (3) Es ist daher auf § 3 Satz 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) abzustellen. Dabei bleibt die Verlängerung der Arbeitszeit auf bis zu 10 Stunden täglich nach § 3 Satz 2 ArbZG außer Betracht. Sie stellt Mehrarbeit iSd. § 124 SGB IX dar. Trotz der Flexibilisierung auf einen Zehn-Stunden-Arbeitstag sollte es bei dem Grundsatz des Acht-Stunden-Tages bleiben (BT-Drucks. 12/5888 S 20). Es sollten nur die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten verbessert werden. Die Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit in § 3 Satz 2 ArbZG auf zehn Stunden mit entsprechendem Ausgleich innerhalb der folgenden sechs Kalendermonate wurde zwar aus Gründen des Gesundheitsschutzes auf höchstens zehn Stunden beschränkt, es handelt sich aber dennoch um eine Ausnahme von der regelmäßigen achtstündigen werktäglichen Arbeitszeit. Der schwerbehinderte Mensch ist nach dem Schutzzweck des § 124 SGB IX aber nicht verpflichtet, mehr als die regelmäßige tägliche Arbeitszeit zu arbeiten.

    (4) Der Grundsatz des Acht-Stunden-Tages dient auch der Rechtsklarheit, da die betrieblichen und tarifvertraglichen Arbeitszeitmodelle keinen allgemeingültigen Maßstab für den Begriff der Mehrarbeit liefern können (BAG 8. November 1989 – 5 AZR 642/88 – BAGE 63, 221). Dies entspricht auch den gesetzlichen Regelungen für andere schutzbedürftige Beschäftigte. So dürfen Jugendliche nach § 8 Abs. 1 JArbSchG nicht mehr als acht Stunden täglich beschäftigt werden. Nach § 8 MuSchG liegt verbotene Mehrarbeit für werdende und stillende Mütter unter 18 Jahren bei einer Arbeitszeit von mehr als acht Stunden täglich (§ 8 Abs. 2 Ziff. 1 MuSchG) oder bei mindestens 18-jährigen werdenden und stillenden Müttern bei einer Arbeitszeit von mehr als 8,5 Stunden täglich vor.

    bb) Die Klägerin hat auch die Freistellung von der Mehrarbeit iSv. § 124 SGB IX verlangt. Dies läßt sich ihrem vorgerichtlichen Schreiben vom 25. April 1999 und vom 2. Juni 1999 allerdings nicht entnehmen. Dort hat sie sich lediglich darauf berufen, sie könne keine Nachtdienste leisten. Dies betrifft aber nicht die Dauer der täglichen Arbeitszeit, sondern dessen Lage. Mit der Klage verlangte sie aber eine Beschäftigung nur während der “normalen Arbeitszeit” und berief sich ausdrücklich auf die Freistellung von Mehrarbeit gem. § 46 SchwbG aF.

    Es ist nach § 124 SGB IX auch zulässig, die Freistellung von Mehrarbeit für eine unbestimmte Zeit zu verlangen. Das Verlangen muß nicht für jeden Arbeitstag oder jede Arbeitswoche wiederholt werden. Eine solche Beschränkung läßt sich dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung nicht entnehmen und dient auch nicht dem Interesse des Arbeitgebers. Ihm wäre ansonsten eine längerfristige Personalplanung und Dienstplangestaltung unmöglich, zumal § 124 SBG IX keine Erklärungsfrist vorsieht.

    c) Damit war die Klägerin nicht mehr zur Leistung von Mehrarbeit verpflichtet. Einer besonderen Freistellungserklärung des Arbeitgebers bedurfte es dann anders als im Urlaubsrecht nicht (Düwell in LPK-SGB IX § 125 Rn. 7; Dörner SchwbG aaO § 46 IV). Nach der gesetzlichen Regelung tritt die Rechtsfolge der Freistellung bei Erfüllung der Arbeitnehmeranspruchsvoraussetzungen allein mit dem Verlangen des schwerbehinderten Menschen ein (ebenso zu § 16 Abs. 1 BErzGG: BAG 22. Juni 1988 – 5 AZR 526/87 – BAGE 59, 62).

    Das Schrifttum geht davon aus, § 124 SGB IX räume dem schwerbehinderten Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht ein (so Dörner SchwbG aaO § 46 IV). Ein Leistungsverweigerungsrecht berechtigt den Schuldner einer Leistung allerdings nur, die geschuldete Leistung zu verweigern (§ 273 Abs. 1 BGB). Mit dem Zugang des Freistellungsverlangens beim Arbeitgeber tritt hier aber die gesetzliche Freistellung ein. Nach § 124 SGB IX schuldet der Arbeitnehmer die geforderte Mehrarbeit nicht mehr. Dem Arbeitgeber ist auch untersagt, die Erbringung der Mehrarbeit zu fordern. Das ist eine andere Rechtsfolge als sie bei einer Leistungsverweigerung nach § 273 Abs. 1 BGB eintritt.

    2. Nach dem Vorbringen der Klägerin kommt auch ein Anspruch auf Beschränkung der Arbeitspflicht auf die Fünf-Tage-Woche ohne Bereitschaftsdienst und Nachtarbeit in Betracht. Dem Senat ist eine abschließende Sachentscheidung nicht möglich. Die dazu erforderlichen Feststellungen fehlen.

    a) Der Anspruch der Klägerin ergibt sich nicht schon aus Anlage 5 AVR.

    Nach § 7 Abs. 1 der Anlage 5 AVR hat ein Mitarbeiter auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit Bereitschaftsdienste zu erbringen. Diese sind auch während der Nacht zulässig, was aus § 7 Abs. 4 Anlage 5 AVR folgt. Danach werden Bereitstellungsdienste auf die Nachtarbeitsstunden nicht angerechnet. Dieses Anrechnungsverbot setzt aber voraus, daß Bereitschaftsdienste auch nachts zu leisten sind. Ebenso ist eine Beschränkung der Arbeitszeit auf fünf Tage in der Woche der Anlage 5 AVR nicht zu entnehmen. Gem. § 1 Abs. 8 der Anlage 5 AVR ist die wöchentliche Arbeitszeit unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen auf die Tage der Woche zu verteilen, an denen in der Einrichtung regelmäßig gearbeitet wird. Dies sind bei Krankenhäusern mehr als fünf Tage in der Woche.

    b) Die Beschränkung auf die Fünf-Tage-Woche ohne Bereitschaftsdienst und Nachtarbeit läßt sich auch nicht aus § 124 SGB IX entnehmen. § 124 SGB IX verbietet lediglich Mehrarbeit nach entsprechendem Verlangen des schwerbehinderten Menschen. Die gesetzliche regelmäßige Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG erstreckt sich aber auch ohne die Anordnung von Mehrarbeit auf acht Stunden täglich in der Sechs-Tage-Woche ohne Mehrarbeit.

    Ebenso ist nach § 6 ArbZG auch Nachtarbeit zulässig. Die Klägerin ist damit grundsätzlich gem. § 124 SGB IX auch zur Leistung von Nachtarbeit und Bereitschaftsdiensten in der Sechs-Tage-Woche verpflichtet, wenn damit keine Mehrarbeit verbunden ist. Sie hat keinen Anspruch darauf, generell von Nacht- und Bereitschaftsdiensten und der Sechs-Tage-Woche ausgenommen zu werden. Es kommt damit nicht darauf an, ob Bereitschaftsdienste Arbeitszeiten sind (hierzu EuGH 3. Oktober 2000 – C-303/98 – EuGHE I 2000, 7997; 3. Juli 2003 – C-241/99 – Arbeit und Recht 2001, 355).

    c) Der Anspruch der Klägerin kann sich aber aus § 81 Abs. 4 Ziff. 4 SGB IX ergeben. Danach haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf behindertengerechte Gestaltung der Arbeitszeit. Der schwerbehinderte Mensch hatte daher bereits nach altem Recht im bestehenden Arbeitsverhältnis einen klagbaren Anspruch darauf, im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten so beschäftigt zu werden, daß er entsprechend seiner Vorbildung und seinem Gesundheitszustand seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann (vgl. BAG 10. Juli 1991 – 5 AZR 383/90 – BAGE 68, 141 mwN). Der Arbeitgeber kann dem Anspruch nach § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX nur entgegenhalten, die Erfüllung sei für ihn nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden.

    Der Anspruch setzt für die Klägerin voraus, daß ihre Behinderung eine Arbeitszeit erfordert, die so gestaltet ist, daß sie 5 Tage in der Woche nicht überschreitet und nicht zur Nachtarbeit und nicht zu Bereitschaftsdiensten führt. Hierzu hat das Landesarbeitsgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Auch das Attest des behandelnden Arztes vom 25. September 1999 bietet keine hinreichende Entscheidungsgrundlage. Es bezieht sich nur auf die Dauer der nächsten drei Monate. Weiterhin wird nicht deutlich, ob die aus medizinischen Gründen zu unterlassende Leistung von Nacht-/Bereitschaftsdiensten in Zusammenhang mit der Behinderung steht.

    Auch zur Zumutbarkeit der behinderungsgerechten Gestaltung der Arbeitszeit hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen. Das Landesarbeitsgericht hat zu überprüfen, ob die Oberärzte zumutbar auch für die Bereitschaftsdienste eingeteilt werden können. Ebenso kann es der Beklagten zuzumuten sein, für diese Dienste eine Ersatzkraft einzustellen. Insoweit ist auch zu prüfen, ob auf Grund der Arbeitsmarktsituation eine ausreichend qualifizierte Ersatzkraft zur Verfügung steht.

    3. Die geltend gemachten Zahlungsansprüche stehen der Klägerin nicht gem. § 615 Satz 1 BGB iVm. § 296 Satz 1 BGB zu. Ob ein entsprechender Schadenersatzanspruch besteht, kann auf Grund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht beurteilt werden.

    a) Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs gem. § 615, § 296 Satz 1 BGB liegen nicht vor.

    Annahmeverzug setzt voraus, daß der Arbeitnehmer die Leistung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit anbietet. Die Klägerin hat sich aber gerade geweigert, ihre Arbeitsleistung zu den vertraglich geschuldeten Arbeitszeiten zu erbringen.

    b) Die Klägerin kann gegenüber der Beklagten einen Schadenersatzanspruch in gleicher Höhe haben.

    Versäumt es der Arbeitgeber schuldhaft, die Beschäftigung eines schwerbehinderten Menschen nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG idF vom 26. August 1986 bzw. nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX zu ermöglichen, kommt wegen der dem Arbeitnehmer entgangenen Vergütung ein Schadenersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung (dazu Senat 23. Januar 2001 – 9 AZR 287/99 – BAGE 97, 23) sowie aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX bzw. vorher § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG aF (dazu BAG 12. November 1980 – 4 AZR 779/78 – BAGE 34, 250) eine Schadenersatzpflicht in Betracht. § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG aF ist Schutzgesetz im Sinn des § 823 Abs. 2 BGB (BAG 13. Mai 1992 – 5 AZR 437/91 – EzA SchwbG 1986 § 14 Nr. 3). Daneben konkretisiert die Norm die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem schwerbehinderten Menschen (BAG 13. Mai 1992 – 5 AZR 437/91 – aaO).

    aa) Für den maßgeblichen Zeitraum bis einschließlich April 2000 ist § 14 SchwbG idF vom 26. August 1986 gültig bis 30. September 2000 maßgebend. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG aF hatte der Arbeitgeber den Schwerbehinderten so zu beschäftigen, daß dieser seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln konnte. Die Vorschrift schränkte damit das Direktionsrecht des Arbeitgebers ein. Er war verpflichtet, den Schwerbehinderten nur nach dem Stand seiner geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit zu beschäftigen (Cramer SchwbG 4. Aufl. § 14 Rn. 12; Neumann/Pahlen SchwbG 9. Aufl. § 14 Rn. 22). Der schwerbehinderte Mensch war damit von Arbeiten fernzuhalten, die an seine gesundheitlichen Grenzen stießen (Großmann in Großmann/Schimanski/Dopatka/Spiolek/Steinbrück GK-SchwbG 2. Aufl. § 14 Rn. 306).

    Diese Pflicht zur Vermeidung von besonderen Arbeitserschwernissen bezog auch die zeitliche Lage der Arbeitsleistung ein. Sie beschränkte sich nicht nur auf räumliche oder arbeitsplatzbezogene Erschwernisse. Dies folgte aus dem Schutzzweck der Vorschrift, besondere Arbeitserschwernisse für den schwerbehinderten Menschen zu vermeiden, welche sich auch aus der Dauer und der Lage der Arbeitszeit ergeben können. Das Schwerbehindertengesetz hatte auch die besonderen arbeitszeitmäßigen Belastungen im Auge. So war der Schwerbehinderte nach § 46 SchwbG aF auf sein Verlangen von der Mehrarbeit freizustellen. Zudem verpflichtete § 14 Abs. 3 Satz 1 SchwbG aF den Arbeitgeber zur Förderung der Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen. Hiermit sollten schwerbehinderten Menschen, die eine Vollzeitarbeitsstelle aus behinderungsspezifischen Gründen nicht ausüben können, Arbeitsmöglichkeiten eröffnet werden.

    bb) Es kommt auch eine entsprechende Pflichtverletzung der Beklagten in Betracht. Die Klägerin hat sich unter Beifügung des ärztlichen Attestes darauf berufen, sie habe keine Nachtdienste leisten können. Zwar hat sie nicht konkretisiert, für welchen Zeitraum von Nachtdienst auszugehen sei. Gem. § 2 Abs. 3 ArbZG ist Nachtzeit aber die Zeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr. Wenn es für die Beklagte weiterhin unklar geblieben sein sollte, ob die für die Klägerin notwendige Nachtruhe hiermit identisch ist, hätte sie sich erkundigen müssen.

    Der Arbeitgeber mußte auf die körperliche Konstitution des schwerbehinderten Menschen Rücksicht nehmen. Dazu gehörte es auch, die dem schwerbehinderten Menschen verbliebenen körperlichen und geistigen Fähigkeiten festzustellen (Neumann/Pahlen SchwbG aaO § 14 Rn. 11). Die Beklagte hätte sich da hinsichtlich der genauen arbeitszeitlichen Einschränkungen der Klägerin erkundigen müssen. Hierzu hätte sie sich gem. § 31 Abs. 2 SchwbG aF auch der begleitenden Hilfe der Hauptfürsorgestelle bedienen können. Die nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG aF geschuldete besondere Fürsorge verpflichtet die Beklagte, ihre Erkenntnismöglichkeiten zu nutzen, insbesondere auch mit der schwerbehinderten Klägerin deren Einsatzmöglichkeiten zu erörtern. Diese Pflicht hat die Beklagte verletzt. Sie hat ohne weiteres eine Dienstplanänderung entsprechend den Wünschen der Klägerin ablehnt, ohne die genauen arbeitszeitlichen Schranken und Möglichkeiten der schwerbehinderten Klägerin zu prüfen. Zur Feststellung der Schadenersatzpflicht wird das Landesarbeitsgericht daher noch aufzuklären haben, für welche Zeiten die Klägerin wegen der erforderlichen Nachtruhe an der Arbeitsleistung gehindert war.

    cc) Aufzuklären ist auch, ob der Beklagten ein entsprechender Einsatz nach den Gegebenheiten des Betriebes möglich und zumutbar war (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG aF). Bei dieser Feststellung ist auf die Belange des Arbeitgebers angemessen Rücksicht zu nehmen (Großmann in Großmann/Schimanski/Dopatka/Spiolek/Steinbrück SchwbG aaO, § 14 Rn. 306; zum gleichlautenden § 12 SchwbG aF: BAG 4. Mai 1962 – 1 AZR 128/61 – BAGE 13, 109). Soweit sich die Beklagte darauf berufen hat, alle Assistenzärzte müßten wegen der betrieblichen Gegebenheiten auch nachts Bereitschaftsdienste leisten, sind hierzu die notwendigen Feststellungen zu treffen. Auch wird aufzuklären sein, inwieweit es der Beklagten möglich und zumutbar ist, nur für die Nachtdienste eine Ersatzkraft einzustellen.

    dd) Der Schadenersatzanspruch setzt weiter Verschulden gem. § 276 Abs. 1 BGB voraus. Auch hierzu hat das Landesarbeitsgericht die fehlenden Feststellungen nachzuholen.

  • Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
 

Unterschriften

Düwell, Zwanziger, Krasshöfer, Furche, Jungermann

 

Fundstellen

BAGE 2004, 73

BB 2003, 1960

DB 2004, 1621

NWB 2002, 4394

NWB 2003, 2373

BuW 2003, 787

ARST 2003, 94

ARST 2004, 14

FA 2003, 280

FA 2003, 314

FA 2003, 334

FA 2003, 59

NZA 2004, 1219

SAE 2003, 324

ZAP 2003, 849

ZTR 2003, 516

AP, 0

AuA 2003, 44

EzA-SD 2002, 3

EzA-SD 2003, 15

EzA

MDR 2003, 1059

ZfPR 2003, 9

br 2003, 150

br 2003, 40

AUR 2003, 29

ArbRB 2002, 353

RdW 2003, 632

BAGReport 2003, 235

GdWZ 2003, 102

SPA 2003, 7

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