Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplanpflicht beim nachträglich gewählten Betriebsrat

 

Leitsatz (amtlich)

Wird in einem Betrieb ein Betriebsrat erst gewählt, nachdem sich der Arbeitgeber zur Stillegung des Betriebes entschlossen und mit der Stillegung begonnen hat, so kann der Betriebsrat auch dann nicht die Vereinbarung eines Sozialplanes verlangen, wenn dem Arbeitgeber im Zeitpunkt seines Entschlusses bekannt war, daß im Betrieb ein Betriebsrat gewählt werden soll (im Anschluß an BAG Beschluß vom 20. April 1982 – 1 ABR 3/80 – BAGE 38, 284 = AP Nr. 15 zu § 112 BetrVG 1972).

 

Normenkette

BetrVG §§ 111, 112 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Beschluss vom 09.10.1991; Aktenzeichen 11 TaBV 54/91)

ArbG Wuppertal (Beschluss vom 26.03.1991; Aktenzeichen 7 BV 80/90)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Oktober 1991 – 11 TaBV 54/91 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die … B… W… GmbH & Co. KG, Wuppertal, (im folgenden nur Arbeitgeber-KG) betrieb in mehreren Orten Nordrhein-Westfalens Filialgeschäfte, in denen Tabakwaren und andere Artikel verkauft wurden. Außerdem unterhielt sie in Wuppertal … einen Betrieb, von dem aus die Geschäftstätigkeit der Filialen verwaltet wurde. In diesem Betrieb waren mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt. Persönlich haftende Gesellschafterin der Arbeitgeber-KG war … die B… W… Verwaltungs-GmbH, Wuppertal, Kommanditisten Familienmitglieder der Familie B…

Im Mai 1990 wurde das Unternehmen von dem Kaufmann G… erworben. Er wurde Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin und übernahm die Kommanditanteile. Diese Vorgänge wurden am 10. Juli und 24. August 1990 im Handelsregister (Amtsgericht Wuppertal HR B… und HR A…) eingetragen.

Am 22. Mai 1990 stellte sich der Kaufmann G… in einer Belegschaftsversammlung den Arbeitnehmern des Wuppertaler Betriebs als neuer Inhaber vor. Nach Darstellung des Betriebsrates soll der Kaufmann G… dabei erklärt haben, die Arbeitnehmer brauchten sich keine Sorgen um die Arbeitsplätze zu machen. Die Verwaltung bliebe in Wuppertal und würde vergrößert.

Am 23. Mai 1990 suchten Arbeitnehmer des Betriebes die DAG auf. Bei diesem Besuch soll ihnen geraten worden sein, einen Betriebsrat zu wählen. Der Sekretär der DAG soll am 2. Juli 1990 dem Kaufmann G… telefonisch mitgeteilt haben, daß die Belegschaft einen Betriebsrat wählen wolle und daß für eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes eingeladen werde. Diese Betriebsversammlung fand am 23. Juli 1990 statt. Es wurde ein Wahlvorstand gewählt. Die Wahl des aus drei Mitgliedern bestehenden Betriebsrates fand schließlich am 21. September 1990 statt.

Schon vorher, am 25. Juli 1990, hatte der Kaufmann G… den Arbeitnehmern mitgeteilt, daß der Verwaltungsbetrieb in Wuppertal geschlossen werde, die Verwaltung der Gesellschaften werde zum Januar 1991 in Süddeutschland konzentriert.

Zur … B… Gruppe gehörten – soweit bekannt – noch die … B… GmbH & Co., Frankfurt, persönlich haftende Gesellschafterin die … B… Vertriebs GmbH, Berlin, deren Geschäftsführer zuletzt auch der Kaufmann G… war, sowie die … B… GmbH & Co., Berlin, persönlich haftende Gesellschafterin die … B… Verwaltungs-GmbH, deren Geschäftsführer ebenfalls zuletzt der Kaufmann G… war.

Nach Darstellung der Arbeitgeber-KG war dem vorausgegangen, daß der Kaufmann G… am 14. Juni 1990 einen Unternehmensberater beauftragt hatte, die Unternehmen zu begutachten. Dieser habe Anfang Juli dringend empfohlen, die Verwaltung zu konzentrieren und nur das Berliner Unternehmen bestehen zu lassen. Da der Kaufmann G… seinen Wohnsitz in Süddeutschland gehabt habe, sei dann am 20. Juli 1990 von den Gesellschaftern beschlossen worden, den Wuppertaler Verwaltungsbetrieb aufzulösen und das Frankfurter Unternehmen nach Holzkirchen zu verlegen. Dort sei für Anfang 1991 der Bau neuer Geschäftsräume in Auftrag gegeben worden.

In der Folgezeit wurden am 10. und 31. Juli 1990 je ein Arbeitnehmer zum 15. Januar 1991, am 6. und 7. September 1990 je ein Arbeitnehmer zum 31. März 1991 und am 14. September 1990 14 Arbeitnehmer zum 31. März 1991 gekündigt. Die Kündigung des Mietvertrages über die Geschäftsräume in Wuppertal erfolgte am 21. September 1990.

Im Oktober 1990 verlangte der Betriebsrat von der Arbeitgeber-KG Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. Solche Verhandlungen wurden von der Arbeitgeber-KG abgelehnt. Der Betriebsrat hat daraufhin am 30. November 1990 das vorliegende Verfahren gegen die Arbeitgeber-KG anhängig gemacht und beantragt

festzustellen, daß die Einigungsstelle zur Aufstellung eines Sozialplanes anläßlich der geplanten Betriebsstillegung zum 31. März 1991 in Wuppertal zuständig ist.

Er ist der Ansicht, die Arbeitgeberin habe sich erst zur Stillegung des Wuppertaler Betriebes entschlossen, als ihr am 2. Juli 1990 durch den Sekretär der DAG mitgeteilt worden sei, daß im Betrieb ein Betriebsrat gewählt werden solle. Von diesem Zeitpunkt an habe die Arbeitgeber-KG mit der Wahl eines Betriebsrates im Betrieb rechnen müssen und daher bei ihren Entscheidungen über das Schicksal des Wuppertaler Betriebes die Existenz eines Betriebsrates und dessen Beteiligungsrechte berücksichtigen können.

Die Arbeitgeber-KG hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie bestreitet, daß ihr am 2. Juli 1990 von einem Vertreter der DAG die Absicht mitgeteilt worden sei, daß im Betrieb ein Betriebsrat gewählt werden solle. Die Entscheidung, den Wuppertaler Betrieb stillzulegen, sei im Anschluß an das zunächst mündlich erstattete Gutachten des Unternehmensberaters allein aus Rationalisierungsgründen und mit Rücksicht auf den in Süddeutschland gelegenen Wohnsitz des Kaufmanns G… getroffen worden. Da zu diesem Zeitpunkt, am 20. Juli 1990, ein Betriebsrat im Betrieb noch nicht gewählt gewesen sei, könne der erst später gewählte Betriebsrat Beteiligungsrechte an dieser Betriebsstillegung nicht geltend machen.

Im Laufe des Verfahrens sind eine Reihe gesellschaftsrechtlicher Änderungen erfolgt:

Die Firma des persönlich haftenden Gesellschafters der Arbeitgeber-KG, ist aus “… B… W… Verwaltungs-GmbH”, in die Firma “M… Vertriebs-GmbH” geändert worden. Der Sitz dieser Gesellschaft ist nach Holzkirchen verlegt worden. Die entsprechenden Eintragungen im Handelsregister sind am 11. Juni 1991 erfolgt.

Der Kaufmann G… hat seinen Kommanditanteil im Wege der Sonderrechtsnachfolge auf die … B… GmbH & Co., Frankfurt, übertragen. Diese Gesellschaft hat ihren Sitz ebenfalls nach Holzkirchen verlegt.

Die persönlich haftende Gesellschafterin der Arbeitgeber-KG, jetzt die M… Vertriebs-GmbH, ist aus der Arbeitgeber-KG ausgeschieden. Daraufhin wurde am 16. Juli 1991 im Handelsregister eingetragen, daß die Gesellschaft der Arbeitgeber-KG aufgelöst ist. Die … B… GmbH & Co. KG, Holzkirchen, hat die Filialbetriebe der Arbeitgeber-KG übernommen und ist Arbeitgeberin der in diesen Filialen beschäftigten Arbeitnehmer.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluß vom 26. März 1991 dem Antrag des Betriebsrates stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag mit Beschluß vom 9. Oktober 1991 abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat der Betriebsrat die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt. Er richtet seinen Antrag nunmehr gegen die … B… GmbH & Co. KG, Holzkirchen.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet.

I. Der Antrag ist zulässig.

1. Der Betriebsrat ist als Antragsteller Beteiligter des vorliegenden Verfahrens. Die Fähigkeit, Beteiligter eines Beschlußverfahrens zu sein, hat der Betriebsrat nicht deswegen verloren, weil der Wuppertaler Betrieb stillgelegt worden ist und alle Betriebsratsmitglieder gekündigt sind.

Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben zwar die Betriebsratsmitglieder nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ihr Amt als Betriebsratsmitglied verloren. Das ist jedoch unschädlich, wenn die Beendigung der Arbeitsverhältnisse der Betriebsratsmitglieder und damit die Existenz des Betriebsrates auf einer Stillegung des Betriebes beruht. In solchen Fällen behält der Betriebsrat nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts über die Auflösung des Betriebes hinaus ein Restmandat zur Wahrnehmung aller sich im Zusammenhang mit der Betriebsstillegung ergebenden Aufgaben (vgl. zuletzt BAG Beschluß vom 20. April 1982, BAGE 38, 284, 286 = AP Nr. 15 zu § 112 BetrVG 1972, zu B I 1 der Gründe, m.w.N.). Zu diesen Aufgaben des Betriebsrates gehört auch die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens zur Klärung der Frage, ob dem Betriebsrat anläßlich der Stillegung des Betriebes Beteiligungsrechte zustehen oder nicht.

Zutreffend sind die Vorinstanzen auch davon ausgegangen, daß der Betriebsrat nicht zuvor die Einigungsstelle anrufen und das Einigungsstellenverfahren abwarten muß. Die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens ist keine Prozeßvoraussetzung für ein arbeitsgerichtliches Beschlußverfahren zur Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines erzwingbaren Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates und der davon abhängigen Zuständigkeit der Einigungsstelle. Auch das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (vgl. Beschluß vom 24. November 1981, BAGE 37, 102, 107 = AP Nr. 11 zu § 76 BetrVG 1972, zu B 1 der Gründe).

2. Beteiligter des vorliegenden Verfahrens ist auch die B… GmbH & Co. KG, Holzkirchen. Die vom Betriebsrat begehrte Entscheidung betrifft diese in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung, wenn sie – wie beantragt – ausspricht, daß der Betriebsrat auch dieser Gesellschaft gegenüber betriebsverfassungsrechtliche Kompetenzen hat. Damit ist diese Gesellschaft kraft Gesetzes Beteiligte des vorliegenden Beschlußverfahrens (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit Beschluß vom 13. März 1984 – 1 ABR 49/82 – AP Nr. 9 zu § 83 ArbGG 1979). Ob die vom Betriebsrat in Anspruch genommenen betriebsverfassungsrechtlichen Kompetenzen gegenüber dieser Geselschaft gegeben sind oder nicht, ist eine Frage der Begründetheit des Antrages, nicht aber eine solche der Beteiligung dieser Gesellschaften. Gegen die Beteiligtenfähigkeit dieser Gesellschaften bestehen keine Bedenken.

3. Der Antrag des Betriebsrates ist ausreichend bestimmt. Mit der Entscheidung über diesen Antrag steht unter den Beteiligten fest, ob der Betriebsrat anläßlich der Stillegung des Wuppertaler Betriebes die Aufstellung eines Sozialplanes verlangen und notfalls zur Aufstellung des Sozialplanes die Einigungsstelle anrufen kann mit der Folge, daß diese verbindlich über einen Sozialplan entscheidet. Das erforderliche Rechtsschutzinteresse folgt allein daraus, daß die Beteiligten insoweit unterschiedlicher Ansicht sind.

II. Der Antrag des Betriebsrates ist nicht begründet.

1. Zu Recht begehrt der Betriebsrat allerdings die Feststellung seiner möglichen Beteiligungsrechte anläßlich der Stillegung des Wuppertaler Verwaltungsbetriebes gegen die jetzige Beteiligte, die … B… GmbH & Co. KG, Holzkirchen. In der Rechtsbeschwerdeinstanz ist unter den Beteiligten unstreitig geworden, daß diese Gesellschaft die Filialbetriebe der Arbeitgeber-KG durch Rechtsgeschäft übernommen hat und Arbeitgeberin der in diesen Filialbetrieben beschäftigten Arbeitnehmer geworden ist. Sie beschäftigt auch einige Arbeitnehmer weiter, die zuvor im Wuppertaler Verwaltungsbetrieb tätig waren. Diese Betriebsnachfolge muß vor dem 16. Juli 1991 stattgefunden haben, dem Zeitpunkt, in dem die Auflösung der Arbeitgeber-KG im Handelsregister eingetragen worden ist. Damit kann davon ausgegangen werden, daß die jetzige Beteiligte Betriebsnachfolgerin auch des in Auflösung begriffenen Wuppertaler Verwaltungsbetriebes geworden ist, zumal die Mehrzahl der hier beschäftigten Arbeitnehmer erst zum 31. März 1991 gekündigt worden sind. Von einer solchen Rechtsnachfolge hinsichtlich des Wuppertaler Verwaltungsbetriebes geht auch die jetzige Beteiligte selbst aus.

2. Der Betriebsrat kann jedoch anläßlich der Stillegung des Wuppertaler Verwaltungsbetriebes nicht die Aufstellung eines Sozialplanes verlangen.

a) Das Landesarbeitsgericht hat seine den Antrag des Betriebsrates abweisende Entscheidung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 20. April 1982 (– 1 ABR 3/80 – BAGE 38, 284 = AP Nr. 15 zu § 112 BetrVG 1972) damit begründet, daß Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach §§ 111 ff. BetrVG nur gegeben sind, wenn im Betrieb ein Betriebsrat schon in dem Zeitpunkt besteht, in dem sich der Arbeitgeber entschließt, eine Betriebsänderung durchzuführen. Die Tatsache allein, daß der Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt damit rechnen müsse, daß demnächst ein Betriebsrat gewählt würde, lasse für einen erst danach gewählten Betriebsrat Beteiligungsrechte nicht mehr entstehen. Der Beschluß, den Wuppertaler Betrieb stillzulegen, sei spätestens am 25. Juli 1990 gefaßt worden, als der Arbeitgeber die Belegschaft von der beabsichtigten Stillegung des Betriebes unterrichtet habe.

b) Dieser Entscheidung folgt der Senat sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung. In der genannten Entscheidung vom 20. April 1982 hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts ausgesprochen, daß der erst während der Durchführung einer Betriebsstillegung erstmals gewählte Betriebsrat die Aufstellung eines Sozialplanes nicht mehr verlangen könne. Werde ein Betriebsrat erst zu einem Zeitpunkt gewählt, zu dem die Planung über die Betriebsänderung bereits abgeschlossen und mit der Durchführung des Planes begonnen worden ist, dann bleibe zunächst für den Versuch eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat kein Raum mehr. Ein erstmals während einer schon im Vollzug begriffenen Betriebsänderung gewählter Betriebsrat könne die unternehmerische Entscheidung über die Betriebsänderung, um die es bei dem Versuch eines Interessenausgleichs gehe, nicht mehr beeinflussen.

Der Erste Senat hat aber auch einen Anspruch des Betriebsrates auf Abschluß eines Sozialplanes in einem solchen Falle verneint, obwohl ein Sozialplan auch noch nach Durchführung und Abschluß der Betriebsänderung vereinbart werden kann. Er hat dies damit begründet, daß die Unterrichtungs- und Beratungspflicht des Unternehmens, dessen Pflicht zum Versuch eines Interessenausgleichs und zur Vereinbarung eines Sozialplanes in einem systematischen und funktionalen Zusammenhang stehen. Zweck des erzwingbaren Sozialplanes sei es, die unternehmerische Willensbildung über die Betriebsänderung so zu steuern, daß diese freie unternehmerische Entscheidung die sozialen Belange der Belegschaft angemessen berücksichtigt, weil anderenfalls mit entsprechenden finanziellen Belastungen für das Unternehmen infolge des erzwingbaren Sozialplanes zu rechnen sei. Von daher sei auch nach dem Willen des Gesetzes der Sozialplan grundsätzlich vor Durchführung der Betriebsänderung mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren. Auch der Unternehmer habe ein berechtigtes und schützenswertes Interesse daran zu wissen, welche finanziellen Auswirkungen ein Sozialplan mit sich bringt, bevor er sich endgültig für eine Betriebsänderung entscheidet und Maßnahmen zu ihrer Durchführung ergreift. Bestehe bis zum Abschluß des Planungsstadiums und noch bei Beginn der Durchführung der Betriebsänderung kein Betriebsrat, dann könne der Unternehmer etwaige finanzielle Belastungen durch einen Sozialplan nicht einkalkulieren. Die Kalkulationsgrundlagen seiner Entscheidung würden wesentlich verändert, wenn ein erst während der Durchführung der Betriebsänderung errichteter Betriebsrat noch die Aufstellung eines Sozialplanes verlangen könne.

c) An diese Überlegung anknüpfend macht der Betriebsrat im vorliegenden Falle allerdings geltend, der Arbeitgeber habe die Belastungen eines Sozialplanes in seine Überlegungen einbeziehen können, da er schon am 2. Juli 1990 gewußt habe, daß ein Betriebsrat gewählt werden solle. Entschließe sich der Arbeitgeber erst danach, eine Betriebsänderung durchzuführen, sei kein Grund mehr dafür gegeben, den Arbeitgeber von Beteiligungsrechten des zu wählenden Betriebsrates anläßlich der Betriebsänderung freizustellen (so auch Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 3. Aufl., § 111 Rz 113, 114).

Dieser Ansicht folgt der Senat nicht. Beteiligungsrechte des Betriebsrates und damit die Pflicht des Arbeitgebers, den Betriebsrat zu beteiligen, entstehen in dem Moment, indem sich derjenige Tatbestand verwirklicht, an den das Beteiligungsrecht anknüpft. Das ist bei den Beteiligungsrechten des Betriebsrates nach den §§ 111 ff. BetrVG die geplante Betriebsänderung. Eine solche geplante Betriebsänderung liegt dann vor, wenn der Arbeitgeber aufgrund abgeschlossener Prüfungen und Vorüberlegungen grundsätzlich zu einer Betriebsänderung entschlossen ist. Von diesem Zeitpunkt an hat er den Betriebsrat zu unterrichten und die so geplante Betriebsänderung mit ihm zu beraten (BAG Urteil vom 17. September 1974 – 1 AZR 16/74 – BAGE 26, 257 = AP Nr. 1 zu § 113 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 13. Dezember 1978 – GS 1/77 – BAGE 31, 176 = AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 111 Rz 35; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 111 Rz 38; Fabricius, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 111 Rz 69). Besteht zu diesem Zeitpunkt kein Betriebsrat im Betrieb, können auch Beteiligungsrechte des Betriebsrates an der geplanten Betriebsänderung nicht gegeben sein.

Dem steht nicht entgegen, daß spätere Maßnahmen des Arbeitgebers, die der Durchführung der geplanten Betriebsänderung dienen, der Beteiligung eines jetzt bestehenden Betriebsrates unterliegen, daß beispielsweise der Betriebsrat vor einer auszusprechenden Kündigung gem. § 102 BetrVG anzuhören ist oder eine Versetzung nach § 99 BetrVG zustimmen muß. Diese Maßnahmen erfüllen neue und andere Beteiligungstatbestände als die geplante Betriebsänderung. Aus ihrer Beteiligungspflichtigkeit folgt daher nicht, daß auch die vorausgegangene geplante Betriebsänderung nachträglich einer Beteiligung des Betriebsrates unterworfen werden muß.

Aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergibt sich auch keine Verpflichtung des Arbeitgebers, mit einer an sich beteiligungspflichtigen Maßnahme solange zu warten, bis im Betrieb ein funktionsfähiger Betriebsrat vorhanden ist, und zwar auch dann nicht, wenn mit der Wahl eines Betriebsrates zu rechnen und die Zeit bis zu dessen Konstituierung absehbar ist. Dementsprechend hat auch der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 23. August 1984 (– 6 AZR 520/82 – BAGE 46, 282 = AP Nr. 36 zu § 102 BetrVG 1972) ausgesprochen, daß der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, mit dem Ausspruch der Kündigung eines Arbeitnehmers zu warten, bis sich der Betriebsrat konstituiert hat. Eine solche Verpflichtung folgt auch nicht aus § 2 Abs. 1 BetrVG, der die Betriebspartner zur vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet. Durch diese Bestimmung wird lediglich die Art der Ausübung der nach dem Betriebsverfassungsrecht ohnehin bestehenden Rechte und Pflichten geregelt, nicht aber werden dadurch für die Betriebspartner zusätzliche Rechte und Pflichten begründet, insbesondere nicht die Pflicht des Arbeitgebers, mit der Vornahme einer an sich beteiligungspflichtigen Maßnahme so lange zu warten, bis im Betrieb ein Betriebsrat gewählt ist und dieser sich konstituiert hat.

Das gilt unabhängig davon, wie lang eine solche Wartezeit höchstens sein dürfte und mit welcher Sicherheit mit der Wahl eines Betriebsrates zu rechnen ist.

d) Wenn der Betriebsrat schließlich geltend macht, der Arbeitgeber habe sich zur Stillegung des Betriebes erst entschlossen, nachdem er von der beabsichtigten Wahl eines Betriebsrates erfahren habe, und nur, um den aus der Wahl eines Betriebsrates sich ergebenden Schwierigkeiten und Bindungen zu entgehen, so sind Tatsachen, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, vom Betriebsrat nicht vorgetragen worden. Der Betriebsrat hat insoweit lediglich behauptet, daß dem Arbeitgeber am 2. Juli 1990 mitgeteilt worden sei, daß ein Betriebsrat gewählt werden solle. Auch wenn zugunsten des Betriebsrates von der Richtigkeit dieser Behauptung ausgegangen wird, folgt daraus noch nicht, daß der um den 20. Juli 1990 herum gefaßte Beschluß, den Wuppertaler Betrieb stillzulegen, nur aus diesem Grund gefaßt worden ist. Es entspricht keineswegs allgemeiner Lebenserfahrung, daß Betriebe nur deswegen stillgelegt werden, weil in ihnen ein Betriebsrat gewählt werden soll. Hinzu kommt, daß der Kaufmann G… schon vor dem 2. Juli 1990, nämlich am 14. Juni 1990, einen Unternehmensberater beauftragt hat und daher schon aus diesem Grunde davon ausgegangen werden kann, daß der Kaufmann G…, der die Unternehmen der B… -Gruppe kurz zuvor erworben hatte, sich mit dem Gedanken trug, auf der Grundlage der Vorschläge des Unternehmensberaters ggf. Maßnahmen zu ergreifen, die sich betriebsverfassungsrechtlich als Betriebsänderungen darstellen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob in einem solchen Ausnahmefall Beteiligungsrechte des Betriebsrates an der Betriebsstillegung auch dann gegeben sind, wenn der Betriebsrat erst nach Abschluß der Planung gewählt wird.

Damit erweist sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts als zutreffend, so daß die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates unbegründet ist.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Kähler, Seyd

 

Fundstellen

Haufe-Index 846713

BB 1993, 140

NZA 1993, 420

ZIP 1993, 289

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