Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzinteresse bei Betriebsratswahlanfechtung

 

Leitsatz (redaktionell)

Wird eine Betriebsratswahl nur von wahlberechtigten Arbeitnehmern angefochten und scheiden alle Wahlanfechtenden während des Beschlußverfahrens aus ihren Arbeitsverhältnissen endgültig aus, so führt dies zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses und damit zur Unzulässigkeit des Wahlanfechtungsverfahrens (teilweise Abweichung von BAG Beschluß vom 4.12.1986, 6 ABR 48/85 = BAGE 53, 385 = AP Nr 13 zu § 19 BetrVG 1972).

 

Normenkette

BetrVG § 19 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 16.11.1987; Aktenzeichen 12 TaBV 6/87)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 24.06.1987; Aktenzeichen 9 BV 3/87)

 

Gründe

A. Die Antragsteller waren im K der beteiligten Arbeitgeberin als gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt. Sie fechten mit ihrem am 8. April 1987 eingereichten Schriftsatz die am 25. und 26. März 1987 durchgeführte Betriebsratswahl in dem Betrieb mit der Begründung an, bei der Auszählung der Stimmen der Gruppe der gewerblichen Arbeitnehmer sei es zu Fehlern gekommen. Antragsgegner ist der aus dieser Wahl hervorgegangene Betriebsrat. Er hat 15 Mitglieder, zehn von ihnen, darunter sein Vorsitzender, gehören der Gruppe der gewerblichen Arbeitnehmer an. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind alle drei Antragsteller "im gegenseitigen Einvernehmen aus gesundheitlichen Gründen" gegen Zahlung von Abfindungen aus ihren Arbeitsverhältnissen ausgeschieden.

Sie haben erklärt, das Verfahren fortsetzen zu wollen, hierfür bestehe auch weiterhin ein Rechtsschutzinteresse.

Die Antragsteller haben beantragt,

die Wahl des Betriebsrates vom 25. März

1987 im K der beteiligten

Arbeitgeberin für unwirksam zu erklären.

Der beteiligte Betriebsrat und die beteiligte Arbeitgeberin haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie treten der Auffassung der Antragsteller mit Rechtsausführungen entgegen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Antragsteller hat das Landesarbeitsgericht die Wahl für unwirksam erklärt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstreben der beteiligte Betriebsrat und die beteiligte Arbeitgeberin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses, während die Antragsteller beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

B. Die Rechtsbeschwerden des beteiligten Betriebsrats und der beteiligten Arbeitgeberin sind zulässig und begründet.

Der Antrag der die Betriebsratswahl anfechtenden Antragsteller ist unzulässig geworden, weil alle drei Antragsteller nach Abschluß der Beschwerdeinstanz im Einvernehmen mit der beteiligten Arbeitgeberin aus ihren Arbeitsverhältnissen ausgeschieden sind. Damit ist das Rechtsschutzinteresse für die Wahlanfechtung, das als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Sachentscheidung auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch vorliegen und von Amts wegen geprüft werden muß, entfallen.

Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sind zur Anfechtung einer Betriebsratswahl "mindestens drei Wahlberechtigte" befugt. Nach der früheren Rechtsprechung des Ersten und des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts mußte die Wahlberechtigung und damit die Betriebszugehörigkeit von mindestens drei der die Wahl anfechtenden Arbeitnehmer auch während der gesamten Dauer des Beschlußverfahrens noch gegeben sein (Beschlüsse vom 14. Februar 1978 und vom 10. Juni 1983, BAGE 30, 114 und 44, 57, 60 = AP Nr. 7 und 10 zu § 19 BetrVG 1972). Diese Rechtsprechung hat der Sechste Senat mit Zustimmung des Ersten Senats in seinem Beschluß vom 4. Dezember 1986 (BAGE 53, 385 = AP Nr. 13 zu § 19 BetrVG 1972) aufgegeben und im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu entsprechenden Vorschriften über die Anfechtung von Personalratswahlen (BVerwGE 67, 145; Beschluß vom 29. November 1983 - 6 P 22.83 -, PersV 1986, 26) ausgesprochen, daß die Wahlberechtigung des die Wahl anfechtenden Arbeitnehmers nur zum Zeitpunkt der Wahl gegeben sein muß und daß deshalb ein späterer Wegfall der Wahlberechtigung durch Ausscheiden aus dem Betrieb dem Arbeitnehmer die Anfechtungsbefugnis nicht nimmt. Der Sechste Senat hat dies mit der Erwägung begründet, § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG knüpfe hinsichtlich der Wahlberechtigung an die Vorschrift des § 7 BetrVG an, die als wahlberechtigt Arbeitnehmer nenne, die am letzten Wahltag das erforderliche Wahlalter erreicht haben. Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Wahl entspreche auch dem Sinn und Zweck eines Wahlanfechtungsverfahrens. Die Wahl sei ein punktuelles Ereignis. Die sich zum Verlauf und zum Ergebnis der Wahlhandlung stellenden materiellen Rechtsfragen würden nach den Ereignissen bis zur Wahl und bei der Wahl beurteilt. Das müsse auch für die Wahlberechtigung als Voraussetzung der Anfechtungsbefugnis nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gelten. Auf die Wahlberechtigung zu einer künftigen Betriebsratswahl, von der ungewiß sei, ob sie überhaupt stattfinde und ob der Arbeitnehmer sie erlebe, könne es nicht ankommen.

Dem schließt sich der nunmehr nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesarbeitsgerichts für die Anfechtung von Betriebsratswahlen zuständige erkennende Senat an.

Kommt es mithin für die Wahlanfechtungsbefugnis von mindestens drei Arbeitnehmern auf deren Wahlberechtigung zum Zeitpunkt der anzufechtenden Betriebsratswahl an, so ist die Anfechtungsbefugnis der Antragsteller nicht dadurch entfallen, daß sie durch ihr Ausscheiden aus dem Betrieb für eine künftige Betriebsratswahl nicht mehr wahlberechtigt sind.

Eine andere Frage ist es jedoch, ob für die Durchführung eines gerichtlichen Wahlanfechtungsverfahrens noch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, wenn sämtliche die Wahl anfechtenden Arbeitnehmer unzweifelhaft aus dem Betrieb ausgeschieden sind und die geltend gemachte Fehlerhaftigkeit der Wahl für keinen von ihnen gegenwärtig oder künftig noch irgendwelche Auswirkungen haben kann, weil sie durch den Betriebsrat, dessen Wahl sie anfechten, nicht mehr repräsentiert werden. Der Sechste Senat hat in dem genannten Beschluß vom 4. Dezember 1986 diese Frage bejaht und ausgesprochen, daß der Fortbestand des für die Zulässigkeit des Antrags auf Unwirksamkeitserklärung der Betriebsratswahl erforderlichen Rechtsschutzinteresses durch das Ausscheiden der Antragsteller aus dem Betrieb nicht berührt wird. Dem vermag der erkennende Senat nicht uneingeschränkt zu folgen.

Zutreffend hebt der Sechste Senat in Übereinstimmung mit dem Ersten Senat (BAGE 48, 96, 104 = AP Nr. 27 zu § 76 BetrVG 1952, zu B II 2 b der Gründe) hervor, daß aus § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht geschlossen werden kann, drei oder mehr anfechtende Arbeitnehmer sollten und könnten als Gruppe kollektive Interessen der Arbeitnehmer wahrnehmen, daß die anfechtenden Arbeitnehmer vielmehr eigene individuelle Rechte ausüben. Richtig ist ferner, daß auch Wahlberechtigte, die nicht kandidiert und nicht einmal gewählt haben, anfechtungsberechtigt sind und daß die Anfechtungsberechtigung nicht etwa davon abhängt, daß der Anfechtende für sich selbst ein Betriebsratsamt anstrebt. Daraus läßt sich indessen nicht folgern, der Gesetzgeber habe die einzelnen wahlberechtigten Arbeitnehmer durch Zuerkennung der Wahlanfechtungsberechtigung als eines individuellen Rechts zu Sachwaltern des Allgemeininteresses bestellen wollen, das darin bestehe, die Beachtung der Wahlvorschriften durchzusetzen, damit nur ein ordnungsgemäß gewählter Betriebsrat seine Arbeit aufnimmt und die Belegschaft in Fragen der Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz gegenüber dem Arbeitgeber vertritt, und daß allein schon dieses Allgemeininteresse das Rechtsschutzinteresse für das Wahlanfechtungsverfahren begründe. Das Rechtsschutzbedürfnis als Zulässigkeitsvoraussetzung einer gerichtlichen Sachentscheidung bezieht sich jedoch auf die subjektive Rechtsposition des Rechtsschutzsuchenden; dieser muß im Hinblick auf seine eigene Rechtsstellung oder Rechtsbeziehung des gerichtlichen Rechtsschutzes bedürfen. Soll in einem bestimmten Rechtsbereich für die Inanspruchnahme der Gerichte auf ein solches subjektives Rechtsschutzinteresse verzichtet werden und ausnahmsweise allein das Allgemeininteresse an der Durchsetzung der Rechtsordnung genügen, so müßte eine derartige Ausnahme von dem sonst jedenfalls für den Bereich der Privatrechtsordnung, zu dem auch die Betriebsverfassung zählt, geltenden Erfordernis eines subjektiven Rechtsschutzinteresses im Gesetz eindeutig zum Ausdruck gekommen sein. Das ist hier indessen nicht der Fall. Wenn § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Wahlanfechtungsbefugnis des Wahlberechtigten nicht von dessen Beteiligung an der Wahl abhängig macht, so läßt sich daraus nicht schließen, daß es für die Wahlanfechtung auf ein subjektives Interesse des Anfechtenden an der Annullierung einer gesetzwidrigen Betriebsratswahl nicht ankommen könne, weil er bereits durch seine Wahlenthaltung sein mangelndes eigenes Interesse am Ausgang der Wahl und damit an der Zusammensetzung des Betriebsrats bekundet habe. Die Nichtbeteiligung an der Wahl muß keineswegs Ausdruck eines solchen Desinteresses sein. Sie kann auf verschiedenartigen Gründen beruhen, insbesondere auch darauf, daß der die Wahl anfechtende Arbeitnehmer sich gerade wegen eines Gesetzesverstoßes schon bei der Vorbereitung der Wahl nicht an ihr beteiligt hat.

Soweit der Sechste Senat zur Stützung seiner Auffassung auf die Vorschriften § 87 Abs. 2 und § 92 Abs. 2 ArbGG hinweist, nach denen in den Rechtsmittelinstanzen des Beschlußverfahrens ein Antrag nur mit Zustimmung der übrigen Beteiligten zurückgenommen werden kann, und meint, diese Vorschriften würden im Ergebnis umgangen, wenn man mit dem Ausscheiden der anfechtungsberechtigten Arbeitnehmer aus dem Betrieb im Beschwerde- oder Rechtsbeschwerdeverfahren den Antrag nunmehr als unzulässig ansehe und eine Sachentscheidung verweigere, vermag dies nicht zu überzeugen. Die genannten Vorschriften über die Antragsrücknahme gelten allgemein für arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren und nicht nur für Wahlanfechtungsverfahren, so daß aus ihnen für das Wahlanfechtungsverfahren keine Besonderheiten gegenüber anderen Beschlußverfahren abgeleitet werden können. Es ist aber auch für das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren anerkannt, daß das Bedürfnis des Antragstellers nach gerichtlichem Rechtsschutz für seinen Antrag während der gesamten Dauer des Verfahrens und damit auch noch in den Rechtsmittelinstanzen fortbestehen muß und daß beim Wegfall des Rechtsschutzinteresses in der Rechtsmittelinstanz eine Sachentscheidung nicht ergehen darf, sondern der Antrag als unzulässig zurückzuweisen ist.

Der erkennende Senat ist deshalb der Auffassung, daß auch im Wahlanfechtungsverfahren nach § 19 Abs. 2 BetrVG eine Sachentscheidung voraussetzt, daß der Antragsteller ein eigenes subjektives Rechtsschutzinteresse an der gerichtlichen Unwirksamkeitserklärung der angefochtenen Betriebsratswahl hat. Dieses Rechtsschutzinteresse an der Annullierung einer nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Betriebsratswahl besteht für den anfechtenden Arbeitnehmer, solange er von dem nach seiner Ansicht gesetzwidrig gewählten Betriebsrat repräsentiert wird. Er hat ein rechtsschutzwürdiges Interesse daran, daß er im Betrieb gegenüber seinem Arbeitgeber von einem Betriebsrat repräsentiert wird, der im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften gewählt worden ist. Scheidet er jedoch aus dem Betrieb aus, so kann sich die Fehlerhaftigkeit der Betriebsratswahl für ihn in Zukunft nicht mehr auswirken. Damit entfällt das durch seine Zugehörigkeit zu dem Betrieb begründete Rechtsschutzinteresse des anfechtenden Arbeitnehmers an der Annullierung der Betriebsratswahl.

Das bedeutet jedoch nicht, daß die Betriebszugehörigkeit bei jedem einzelnen der die Wahl anfechtenden wahlberechtigten Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des Beschlußverfahrens gegeben sein müßte. Im Hinblick auf die Besonderheiten des Wahlanfechtungsverfahrens muß es genügen, daß die Betriebszugehörigkeit nur bei einem der anfechtenden Arbeitnehmer fortbesteht und seine Wahlanfechtung während des Beschlußverfahrens von mindestens zwei weiteren die Wahl ebenfalls anfechtenden wahlberechtigten Arbeitnehmern getragen wird, auch wenn diese inzwischen aus dem Betrieb ausgeschieden sind.

Obwohl das Gesetz in § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG das Anfechtungsrecht nur "mindestens drei Wahlberechtigten" einräumt, steht das Anfechtungsrecht jedem einzelnen Arbeitnehmer als subjektive Rechtsposition und nicht nur einer Gruppe von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern gemeinschaftlich zu. Das Innenverhältnis der anfechtenden Arbeitnehmer ist für das Wahlanfechtungsrecht belanglos. Diese müssen sich auch nicht von vornherein zu einer Gruppe mit dem Ziel der Wahlanfechtung zusammenschließen. Es genügt, wenn innerhalb der Anfechtungsfrist mindestens drei Wahlberechtigte unabhängig voneinander beim Arbeitsgericht die Betriebsratswahl anfechten, auch wenn sie unterschiedliche Wahlrechtsverstöße geltend machen. Jeder Anfechtungsberechtigte handelt aus eigenem Recht. Wenn das Gesetz die Wahlanfechtungsbefugnis daran knüpft, daß mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer die Wahl anfechten, so liegt dies im Interesse der Rechtssicherheit (vgl. zu BT-Drucks. VI/2729, S. 21, zu § 19). Dieses gesetzliche Erfordernis soll der Wahlanfechtung eine gewisse Erfolgsaussicht geben, insbesondere einzelne Enttäuschte oder Querulanten fernhalten (Kreutz, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 19 Rz 65). Es dient damit nur dazu sicherzustellen, daß die Wahlanfechtung des einzelnen Arbeitnehmers wirklich ernst zu nehmen ist und der Fortbestand des gewählten Betriebsrats nicht durch eine querulatorische Wahlanfechtung unnötig in der Schwebe gehalten wird. Dann aber muß es für das Rechtsschutzinteresse einer Wahlanfechtung genügen, wenn nur ein anfechtender Arbeitnehmer während der Dauer des Wahlanfechtungsverfahrens dem Betrieb noch angehört und von dem Betriebsrat repräsentiert wird.

Im vorliegenden Falle sind jedoch sämtliche drei Antragsteller unzweifelhaft aus ihren Arbeitsverhältnissen und damit auch aus dem Betrieb endgültig ausgeschieden. Keiner von ihnen hat deshalb noch ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der angestrebten Unwirksamkeitserklärung der Betriebsratswahl. Damit ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Wahlanfechtung entfallen mit der Folge, daß der Antrag der Antragsteller unzulässig geworden ist.

Dr. Seidensticker Richter Dr. Steckhan Schliemann

befindet sich im Ur-

laub.

Dr. Seidensticker

Seiler Stappert

 

Fundstellen

Haufe-Index 441046

BAGE 61, 125-131 (LT1)

BAGE, 125

DB 1989, 2626-2627 (LT1)

ASP 1990, 20 (K)

NZA 1990, 115-117 (LT1)

SAE 1990, 289-291 (LT1)

AP § 19 BetrVG 1972 (LT1), Nr 17

AR-Blattei, Betriebsverfassung VIA Entsch 21 (LT1)

AR-Blattei, ES 530.6.1 Nr 21 (LT1)

EzA § 19 BetrVG 1972, Nr 28 (LT1)

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