Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg. Dozenten als arbeitnehmerähnliche Person

 

Leitsatz (amtlich)

Wer als Dozent für ein gewerbliches Weiterbildungsinstitut tätig ist, kann arbeitnehmerähnliche Person sein (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG)

 

Normenkette

GVG § 17a; ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 S. 2, § 48; TVG § 12a

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Beschluss vom 11.07.1996; Aktenzeichen 12 Ta 240/96)

ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 05.02.1996; Aktenzeichen 1 Ca 10604/94)

 

Tenor

1. Die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 11. Juli 1996 - 12 Ta 240/96 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.

3. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde auf 4.045,50 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Vergütung für vertraglich vereinbarte, aber nicht abgehaltene Lehrveranstaltungen.

Der Kläger ist promovierter Dipl.-Volkswirt und als Wirtschaftsberater/Dozent tätig. Er unterrichtete an unterschiedlichen privaten Institutionen in den Fächern Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre sowie Mathematik. Die Beklagte, die bundesweit im Jahre 1993 an zehn unterschiedlichen Standorten ca. 170 freiberufliche Dozenten beschäftigte, befaßt sich mit der beruflichen Fort- und Weiterbildung arbeitsloser Akademiker und anderer arbeitslos gewordener Personen.

Die Parteien schlossen einen – undatierten – “Rahmenvertrag”, der auszugsweise wie folgt lautet:

“Der Rahmenvertrag enthält Regeln der Zusammenarbeit beider Vertragspartner, begründet für sich allein aber keine Leistungspflichten zwischen den Partnern; hierfür ist der Abschluß von Einzelvereinbarungen erforderlich. Ein Anspruch auf Abschluß von Einzelvereinbarungen besteht jedoch für keine Partei.

Der Abschluß dieses Vertrages sowie spätere Einzelvereinbarungen begründen kein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien; dies bedeutet, daß der Freie Mitarbeiter nur an fachliche Weisungen des I… gebunden ist, die sich auf den Inhalt der von ihm zu erbringenden Leistung beziehen, sowie an die vereinbarten Fristen und Termine gemäß der Einzelvereinbarung. Darüber hinaus ist der Freie Mitarbeiter in der Einteilung und Verwertung seiner Arbeitszeit frei, kann für andere Auftraggeber tätig sein und muß für seine Sozialversicherung und die steuerliche Behandlung der ihm von I… gezahlten Vergütung selber Sorge tragen.…”

Die Parteien schlossen dann “Einzelvereinbarungen”, in denen u.a. Unterrichtsort, -termine und -zeiten sowie die Unterrichtsthemen angegeben waren. Aufgrund dieser Vereinbarungen war der Kläger ab dem 14. Januar 1993 insgesamt etwa 12 Wochen lang für die Beklagte als Dozent tätig, und zwar im wesentlichen ganztägig (8 Unterrichtsstunden). Er bezog dafür von der Beklagten insgesamt 28.840,00 DM Honorar. Die beiden am 31. März 1993 und am 2. April 1993 abgeschlossenen Einzelvereinbarungen Nr. F 1031 (“Unternehmensplanung”; Honorar: 5.859,00 DM) und F 1050 (“Jahresabschlußanalyse; Controlling”; Honorar: 9.067,50 DM), die im September/Oktober 1993 durchzuführen gewesen wären, wurden von der Beklagten im September 1993 abgesagt. Einen Teilbetrag in Höhe von 12.136,50 DM hat der Kläger mit seiner beim Arbeitsgericht erhobenen Klage geltend gemacht.

Aus einer weiteren Dozententätigkeit bei der DAG-Schule F… erzielte der Kläger im Jahre 1993 Honorare in Höhe von insgesamt 16.800,00 DM. Insgesamt beliefen sich seine Einnahmen im Jahre 1993 auf 45.640,00 DM. 22.259,00 DM waren zu versteuern.

Der Kläger hat sich auf den Standpunkt gestellt, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei gegeben, weil er Jedenfalls als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen sei.

Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt und die Auffassung vertreten, der Kläger sei als freier Mitarbeiter nicht einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig gewesen. Er habe lediglich das Kursthema, den Zeitrahmen für den jeweiligen Kurs und den Ort der Dienstleistung vertraglich vorgegeben bekommen. Ansonsten sei er bei der Ausgestaltung seiner Dozententätigkeit völlig frei gewesen. Er habe eigenverantwortlich die Schwerpunkte des vorgegebenen Themas festgelegt. Es habe für ihn auch Methodenfreiheit in dem Sinne bestanden, daß er die Art und Weise seines Vortrages selber habe bestimmen können. Gleiches habe für die Auswahl der Unterrichtsmittel und der Literatur gegolten. Der Kläger habe auch Thema und Zeitpunkt der Klausuren bestimmt. Darüber hinaus sei er von der Beklagten nicht wirtschaftlich abhängig gewesen. Wegen des seine Einkünfte aus Dozententätigkeit im Jahre 1993 deutlich übersteigenden Einkommens seiner Ehefrau und des Umstandes, daß er nur ca. 12 Wochen für die Beklagte tätig geworden sei, sei davon auszugehen, daß er weiteres Einkommen “nicht nötig gehabt” habe.

Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für gegeben erachtet, und zwar mit der Begründung, der Kläger sei arbeitnehmerähnliche Person gewesen. Die sofortige Beschwerde der Beklagten blieb erfolglos. Mit der weiteren sofortigen Beschwerde verfolgt die Beklagte ihren Antrag, “das Verfahren an das Amtsgericht Frankfurt am Main – Zivilabteilung – abzugeben”, weiter.

 

Entscheidungsgründe

II. Die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen zu Recht bejaht, da der Kläger als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG).

1. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen auch für solche Mitarbeiter gegeben, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Person einzustufen sind. Das Arbeitsgerichtsgesetz hat den Begriff dieser Personengruppe nicht selbst bestimmt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Diese Gruppe unterscheidet sich von den Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, wobei vor allem die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Arbeitnehmerähnliche Personen sind wegen ihrer fehlenden Eingliederung in eine betriebliche Organisation und im wesentlichen freier Zeitbestimmung nicht im gleichen Maß persönlich abhängig wie Arbeitnehmer; an die Stelle der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit. Jedoch muß der wirtschaftlich Abhängige auch seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein (BAGE 66, 113, 116 = AP Nr. 9 zu § 5 ArbGG 1979, zu II 3a der Gründe; BAG Beschluß vom 15. April 1993 – 2 AZB 32/92 – AP Nr. 12 zu § 5 ArbGG 1979, zu III 2b aa der Gründe; BAG Beschluß vom 6. Juli 1995 – 5 AZB 9/93 – AP Nr. 22 zu § 5 ArbGG 1979, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II der Gründe). Dafür sind die gesamten Umstände des Einzelfalles maßgebend; die Verkehrsanschauung ist zu berücksichtigen.

Eine arbeitnehmerähnliche Person kann auch für mehrere Auftraggeber tätig sein; jedoch ist für sie kennzeichnend, daß die Beschäftigung für einen der Auftraggeber wesentlich ist und die hieraus fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage darstellt (BAGE 66, 113 = AP Nr. 9 zu § 5 ArbGG 1979, zu II 3a der Gründe).

2. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger war wirtschaftlich von der Beklagten abhängig. Er hat 1993 den deutlich überwiegenden Teil seiner Gesamteinkünfte von der Beklagten bezogen. Das gilt auch, wenn die hier streitgegenständlichen Honorare nicht mit einbezogen werden. Auf die Einkünfte der Ehefrau kommt es nicht an. Zu Unrecht meint die Beklagte, die wirtschaftliche Abhängigkeit sei unmaßgeblich, da der Kläger freier Mitarbeiter sei. Auch freie Mitarbeiter Können arbeitnehmerähnliche Personen sein.

Der Kläger war auch einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig. Der Honorarstundensatz von 69,75 DM war für einen Selbständigen nicht sonderlich hoch. Er schließt die Zeiten für Vor- und Nachbearbeitung ein.

Die Arbeitnehmerähnlichkeit ergibt sich weiter aus der Vertragsdurchführung. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, ist es bei Unterrichtstätigkeit ein erhebliches Indiz für die einem Arbeitnehmer vergleichbare Schutzbedürftigkeit, wenn Blockunterricht über mehrere Wochen hinweg vollschichtig zu erteilen ist. In dieser Zeit ist der Dienstleistende aufgrund der vertraglichen Festlegung der Unterrichtszeiten wie ein Arbeitnehmer gebunden. Bereits durch das Tätigkeitsvolumen war er mit dem Typ des – befristet eingestellten – vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers sozial vergleichbar. Der Kläger erteilte Unterricht in dieser Weise nicht nur insgesamt etwa zwölf Wochen seit dem 14. Januar 1993. Auch die Kurse, die er im September und im Oktober 1993 abhalten sollte, verlangten von ihm eine im wesentlichen ganztägige Tätigkeit.

Zu Unrecht beruft sich die Beklagte auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. November 1991 (– 7 AZR 31/91 – BAGE 69, 62 = AP Nr. 60 zu § 611 BGB Abhängigkeit = EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 45). In diesem Fall ging es um die Arbeitnehmereigenschaft eines Volkshochschuldozenten und nicht um seine Eigenschaft als arbeitnehmerähnliche Person.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 929350

NJW 1997, 2404

JR 1998, 176

NZA 1998, 499

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