Rz. 25

Unabhängig von der Geltendmachung durch den Arbeitnehmer ist der Arbeitgeber nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG verpflichtet, den Urlaub durch Festsetzung des Urlaubszeitraums zu gewähren. Mit der Freistellungserklärung als Leistungshandlung nach § 243 Abs. 2 BGB erfüllt der Arbeitgeber seine Pflicht zur Festsetzung.

 

Rz. 26

Im Normalfall wurde seit der Entscheidung des BAG vom 7.8.2012[1] auch ohne Tilgungsbestimmung mit der Urlaubsgewährung der gesetzliche und der übergesetzliche Urlaub gemeinsam zum Erlöschen gebracht, da es sich typischerweise um einen Anspruch auf Erholungsurlaub handelt, der auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruht. Eine Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber dahingehend, dass zunächst der gesetzliche Urlaub erfüllt wird, war daher in der Regel nicht erforderlich. In den Fällen, in denen der Anspruch auf den vertraglichen oder tariflichen Mehrurlaub eigenen abweichenden Regeln unterliegt, empfahl es sich, in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung[2] eine Tilgungsbestimmung entsprechend § 366 Abs. 2 BGB abzugeben, da ansonsten nach § 366 Abs. 2 BGB zunächst die Schuld getilgt wird, die die geringere Sicherheit bietet. Dies ist der übergesetzliche Mehrurlaub, wenn dieser für den Arbeitnehmer ungünstigere Regelungen enthält.[3]

Urlaubsansprüche aus dem Vorjahr werden nach § 366 Abs. 2 BGB ohne Tilgungsbestimmung als ältere Schuld vorab erfüllt.

Durch eine "Nuancierung" hat der 9. Senat[4] nunmehr hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 366 BGB seine Rechtsprechung weiterentwickelt. Die Tilgungsreihenfolge des § 366 Abs. 2 BGB wird durch den hypothetischen Parteiwillen des Arbeitgebers ersetzt, dem zufolge gewährte Urlaubsansprüche zunächst auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch anzurechnen sind.

 
Praxis-Beispiel

Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer hat einen tariflichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen. Der tarifliche Mehrurlaub verfällt zum 31.3. des Folgejahres, wenn er vom Arbeitnehmer nicht schriftlich geltend gemacht wird.

Für das Jahr 2021 erhielt der Arbeitnehmer 26 Urlaubstage ohne Tilgungsbestimmung. Er verlangt am 1.6.2022 weitere 9 Tage Urlaub (5 Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen und 4 Tage tariflicher Mehrurlaub).

Nach der weiterentwickelten Rechtsprechung des BAG wurden der gesetzliche Mindesturlaub von 20 Arbeitstagen und der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen mit 5 Arbeitstagen erfüllt. Der nicht genommene tarifliche Mehrurlaub ist untergegangen, da dieser einem eigenen Fristenregime unterlag.[5]

 

Rz. 27

Erfüllt ist der Urlaubsanspruch mit der Inanspruchnahme. Die Zahlung des Urlaubsentgelts war nach langjähriger Rechtsprechung des BAG nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Urlaubsgewährung.[6] Inzwischen hat das BAG im Zusammenhang mit der vorsorglichen Zuweisung von Urlaubsansprüchen aus unionsrechtlichen Gründen seine Rechtsprechung modifiziert[7] und betont, dass einem Arbeitnehmer durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben nur dann wirksam Urlaub gewährt wird, wenn der Arbeitgeber die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt. In mehreren Entscheidungen vom 22.1.2019 zur Vererbbarkeit des Urlaubsanspruchs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers hat es darauf abgestellt, dass § 1 BUrlG nicht nur einen Freistellungsanspruch, sondern auch den Anspruch des Arbeitnehmers auf Bezahlung regelt. Freistellung und Zahlung des Urlaubsentgelts sind daher 2 Aspekte eines einzigen Anspruchs.[8] Dies bedeutet jedoch nicht die Rückkehr zur alten Rechtsprechung des BAG zur Einheitstheorie.[9]

Eine wirksame Urlaubsgewährung setzt daher zwingend voraus, dass dem Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Urlaubs entsprechend dem arbeitsvertraglich nicht abdingbaren § 11 Abs. 2 BUrlG entweder das Urlaubsentgelt ausgezahlt wird oder ihm jedenfalls ein Anspruch auf Vergütung sicher ist. Im Normalfall stellt der Arbeitgeber im bestehenden Arbeitsverhältnis mit der Urlaubserteilung auch die Urlaubszahlung entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen streitlos. Der Arbeitnehmer muss daher den Urlaubsentgeltanspruch nicht mehr zur Wahrung einer Verfallklausel geltend machen.[10]

 

Beispiel

Einem Arbeitnehmer wird vor einem Betriebsübergang 2 Wochen Urlaub gewährt. Ein Urlaubsentgelt wird nicht bezahlt. Der Freistellungsanspruch selbst ist in Höhe von 2 Wochen erfüllt und kann beim Betriebserwerber nicht geltend gemacht werden. Geltend gemacht werden kann die Bezahlung von Urlaubsentgelt.

 

Rz. 28

Bei der Freistellungserklärung handelt es sich nach der aktuellen Rechtsprechung des BAG weder um eine Ausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber[11] noch um ein sonstiges Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB, § 106 GewO.[12]

Die Urlaubsgewährung ist vielmehr eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung[13] mit Anwendung der §§ 104 ff. BGB.[14] Die Rechtsnatur ist dabei insbesondere wichtig im Zusammenhang mit der Möglichkeit des Arbeitgebers zum Widerruf von bewilligtem Urlaub und mit der Frag...

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