Rz. 37

Ausschlussfristen lassen Ansprüche nach erheblich kürzerer Zeit entfallen als dies durch die gesetzlichen Verjährungsfristen geschieht. Bei entsprechend weiter Formulierung der Ausschlussfrist ("Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind binnen einer Frist von 6 Monaten gegenüber der jeweils anderen Vertragspartei schriftlich geltend zu machen" statt nur "Alle Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag" oder "Alle Ansprüche aus diesem Tarifvertrag") greift diese unmittelbar in Ansprüche der Arbeitnehmer nach dem BUrlG oder anderer gesetzlicher Regelungen ein und ist deshalb angesichts der Regelung in § 13 Abs. 1 Satz 1 und 3 BUrlG kritisch zu untersuchen.

 

Rz. 38

 
Hinweis

Der EuGH hat am 20.1.2009 entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG sowohl dem Erlöschen des Urlaubs- als auch des Urlaubsabgeltungsanspruchs bei Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers bis zum Ende des Urlaubsjahrs bzw. des Übertragungszeitraums entgegensteht (EuGH, Urteil v. 20.1.2009, C-350/06 u. a.[1]). Dem ist das BAG im Urteil vom 24.3.2009 (BAG, Urteil v. 24.3.2009, AZR 983/07[2]) gefolgt und hat § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BUrlG richtlinienrechtskonform fortgebildet. Diese Fortbildung des § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BUrlG bezieht sich jedenfalls auf gesetzliche Teil- oder Vollurlaubsansprüche.[3] Die Auswirkungen, die sich durch diese Rechtsprechungsänderung für das Urlaubsrecht insgesamt ergeben, sind erheblich.[4] Urlaubsansprüche können dadurch in größerem Umfang angesammelt werden, auch wenn durch das BAG jedenfalls für Krankheitsfälle klargestellt ist, dass Urlaubsansprüche 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres untergehen (BAG, Urteil v. 7.8.2012, 9 AZR 353/10[5]). Gleichzeitig hat sich durch die vollständige Aufgabe der Surrogatstheorie (BAG, Urteil v. 19.6.2012, 9 AZR 652/10[6]) – also nicht nur für den Bereich andauernder Erkrankung eines Arbeitnehmers – der Anwendungsbereich der Ausschlussfristen auf alle Urlaubsabgeltungsansprüche ganz entscheidend erweitert.

Unter der Surrogatstheorie stellte sich wegen der damit einhergehenden Befristung des Urlaubsabgeltungsanspruchs auf das Kalenderjahr die Frage des Eingreifens von Ausschlussfristen nicht.[7] Mehrere Entscheidungen des BAG zeigen (vgl. nur BAG, Urteil v. 31.1.2023, 9 AZR 244/20[8]), dass gerade im Bereich der Urlaubsabgeltungsansprüche nunmehr andere Bedingungen als für den Urlaubsanspruch im laufenden Arbeitsverhältnis gelten. Auch die Frage, ob tarifliche Ausschlussfristen jedenfalls den nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen bei langwährender Erkrankung des Arbeitnehmers über die Grenzen des § 7 Abs. 3 BUrlG hinaus übertragenen Urlaubsanspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis betreffen, ist geklärt.[9] Das Unionsrecht – d. h., die Richtlinie 2003/88/EG sowie Art. 31 Abs. 2 GRC – steht dem grundsätzlich nicht entgegen, denn es schützt nur den Arbeitnehmer, der (unverschuldet) verhindert ist, seine Ansprüche zu realisieren, nicht aber den, der einfach untätig bleibt (BAG, Urteil v. 18.9.2012, 9 AZR 1/11[10]). Allerdings müssen der Äquivalenzgrundsatz und der Effektivitätsgrundsatz gewahrt sein (BAG, Urteil v. 7.7.2020, 9 AZR 323/19[11]).

Im Folgenden wird v. a. aufgezeigt, welchen Anwendungsbereich Ausschlussfristen nach Aufgabe der Surrogatstheorie haben.[12] Dabei ist stets zwischen Urlaubsansprüchen und Urlaubsabgeltungsansprüchen zu unterscheiden. Das ist Folge der Aufgabe der Surrogatstheorie.

 

Rz. 39

Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen können weder für die gesetzlichen noch für die tariflichen Urlaubsansprüche Ausschlussfristen regeln (BAG, Urteil v. 5.4.1984, 6 AZR 443/81[13]). Sie können sich deshalb nur auf Urlaubsansprüche auswirken, die über gesetzliche und tarifliche Mindestansprüche hinausgehen (vgl. hierzu BAG, Urteil v. 19.3.2019, 9 AZR 881/16[14]).

 

Rz. 40

Tarifliche Ausschlussfristen erfassen gesetzliche Urlaubsansprüche aus dem BUrlG jedenfalls insoweit nicht, als dadurch in die Grundnormen der §§ 13 Abs. 1 BUrlG eingegriffen wird (BAG, Urteil v. 5.8.2014, 9 AZR 77/13). Ansonsten läge ein Verstoß gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG vor. Insbesondere auf Urlaubsansprüche, die – sofern nicht wegen Erkrankung des Arbeitnehmers eine Übertragung auch über das Kalenderjahr und den Übertragungszeitraum hinaus erfolgt – befristet für einen bestimmten Zeitraum bestehen und deren Erfüllung während dieser Zeit stets verlangt werden kann, finden tarifliche Ausschlussfristen keine Anwendung. Das folgt aus der Ausgestaltung der Urlaubsvorschriften im Gesetz, die den Arbeitnehmer lediglich zwingen, seine Ansprüche rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zu verlangen. Wäre daneben eine kürzere tarifliche Ausschlussfrist anzuwenden, müssten die Arbeitnehmer erheblich früher jedes Jahr ihre Urlaubsansprüche schriftlich geltend machen, um den Verfall zu verhindern (BAG, Urteil v. 24.11.1992, 9 AZR 549/91[15]). Für den Fall, dass ein Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten[16] nicht genügt hat, beginnt die Ausschlussfrist nicht zu laufen...

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