Rz. 54

Die Grundsätze über das fehlerhafte (faktische) Arbeitsverhältnis dienen der Bewältigung der Rechtsfolgen eines übereinstimmend in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrags ohne wirksame Vertragsgrundlage, wenn sich der Arbeitsvertrag also zu einem späteren Zeitpunkt als nichtig oder anfechtbar erweist. Diese Grundsätze sind daher nicht anzuwenden, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht vom Willen beider Parteien getragen ist.[1] Vielmehr ist kennzeichnend für ein fehlerhaftes Arbeitsverhältnis eine zunächst von beiden Parteien gewollte Beschäftigung des Arbeitnehmers.

Das rechtfertigt es, ein bereits vollzogenes Arbeitsverhältnis für die Vergangenheit wie ein fehlerfrei zustande gekommenes Arbeitsverhältnis zu behandeln. Damit ist die Rückabwicklung der wechselseitig erbrachten Leistungen nach Bereicherungsgrundsätzen grundsätzlich ausgeschlossen.[2] Neben Erfüllungsansprüchen z. B. auf die ursprünglich vereinbarte Vergütung, sind auch die arbeitsrechtlichen Schutznormen ohne Einschränkung anzuwenden.[3] Das bedeutet, dass für die Dauer des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses Urlaubsansprüche wie im fehlerfreien Arbeitsverhältnis entstehen.[4] Wurde dem Arbeitnehmer während des Zeitraums des faktischen Arbeitsverhältnisses Urlaub gewährt, kann dieser nicht dahin rückabgewickelt werden, dass der Arbeitgeber das Urlaubsentgelt zurückfordert.

 
Hinweis

Nach der Rechtsprechung des BAG kann ein bereits in Vollzug gesetzter Arbeitsvertrag nicht mehr mit rückwirkender Kraft angefochten werden.[5] Das Arbeitsverhältnis endet erst mit dem Zeitpunkt des Zugangs der Anfechtung (ex-nunc-Wirkung). Allerdings wirkt die Anfechtung auf den Zeitpunkt zurück, seit dem der Arbeitnehmer nicht mehr gearbeitet hat und das Arbeitsverhältnis damit außer Funktion gesetzt wurde.

Dies gilt z. B. für den Fall, dass der Anfechtungserklärung des Arbeitgebers Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vorangehen. Der Arbeitgeber muss keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zahlen.[6] Nichts anderes dürfte dann gelten, wenn der Arbeitnehmer vor Zugang der Anfechtungserklärung in Urlaub war. Ihm stünde ein Anspruch auf Urlaubsentgelt nicht zu, weil die fehlende Arbeitsleistung das Arbeitsverhältnis außer Funktion setzt, sodass die Anfechtung auf den Zeitpunkt des Urlaubsbeginns zurückwirkte. Allerdings kollidiert dies mit der Auffassung des EuGH zum Begriff des "Arbeitnehmers" sowie des "Arbeitsverhältnisses" i. S. d. Richtlinie 2003/88/EG (vgl. Rz. 48). Jedenfalls der Teil des Urlaubs, der auf den unionsrechtlichen Mindesturlaubsanspruch entfällt, müsste deshalb vergütet werden. Ein anderes Ergebnis kann nur begründet werden, indem angenommen wird, bei wirksamer Anfechtung habe der Arbeitnehmer keine Tätigkeit ausgeübt, die ihn als schutzwürdigen Arbeitnehmer i. S. d. Richtlinie ausweist. Denn ein "Arbeitnehmer" i. S. d. Richtlinie übt eine tatsächliche und echte Tätigkeit aus, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen.[7] Es sind m. E. nur krasse Ausnahmefälle denkbar, in denen der Ausnahmefall der "völlig untergeordneten und unwesentlichen Arbeitsleistung" bejaht werden könnte. Ein Beispiel wäre, dass ein Arbeitnehmer vorgetäuscht hat, über eine erforderliche Qualifikation zu verfügen. Hat er sie nicht und ist seine Arbeitsleistung in dem Sinne wertlos, dass er schlicht untätig herumsitzt, wäre er nach unionsrechtlichen Maßstäben ggf. kein Arbeitnehmer. Anders sähe die Situation dagegen aus, wenn er tatsächlich Arbeitsleistung erbringt, wenn auch nicht in der geforderten Qualität.

[1] S. Rz. 48 ff.
[2] BAG, Urteil v. 30.4.1997, 7 AZR 122/96, NZA 1998, 199; vgl. aber auch BAG, Urteil v. 3.11.2004, 5 AZR 592/03, NZA 2005, 1409: Bei einem besonders schweren Mangel ist die Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses in vollem Umfang zu beachten; die erbrachten Leistungen werden nach Bereicherungsrecht rückabgewickelt. Auch hier stellt sich die Frage, ob dennoch eine Arbeitsleistung i. S. d. Richtlinie 2003/88/EG vorliegt, die die Einhaltung des Mindesturlaubsanspruchs erfordert (vgl. Rz. 49).
[4] Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath//Holthaus, 5. Aufl. 2022, § 2 BUrlG, Rz. 15.
[5] Vgl. nur BAG, Urteil v. 3.12.1998, 2 AZR 754/97, NZA 1999, 584.

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