Rz. 53

Unter bestimmten Voraussetzungen räumt § 102 Abs. 5 BetrVG dem Arbeitnehmer während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses als Folge eines wirksamen Betriebsratswiderspruchs einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung ein. Dieser Anspruch führt zur Weiterbeschäftigung unabhängig vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss.

 
Praxis-Beispiel

Ein Arbeitnehmer hatte – nachdem der im Betrieb gebildete Betriebsrat seiner Kündigung wirksam nach § 102 Abs. 3 BetrVG widersprochen hatte – neben dem Kündigungsschutzantrag auch einen Weiterbeschäftigungsantrag nach § 102 Abs. 5 BetrVG gestellt. In erster Instanz obsiegte er durch Urteil des Arbeitsgerichts im Jahr 2019 in vollem Umfang. Der Arbeitgeber ließ das Urteil des ArbG hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags rechtskräftig werden und legte Berufung nur hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags ein. Der Arbeitnehmer verlangte seine Weiterbeschäftigung. Das lehnte der Arbeitgeber ab. Das LAG änderte im Januar 2021 das Urteil des ArbG ab und wies die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers ab. Der Arbeitnehmer hatte bereits im Jahr 2020 die Gewährung von Urlaub für dieses Jahr verlangt. Der Arbeitgeber hatte dies abgelehnt. Im Februar 2021 begehrt der Arbeitnehmer die Abgeltung des Urlaubsanspruchs für das Jahr 2020.

Verlangt der Arbeitnehmer seine Weiterbeschäftigung, ist es unerheblich, ob er beschäftigt wird oder nicht. Denn wenn die Voraussetzungen des besonderen Beschäftigungsanspruchs nach § 102 Abs. 5 BetrVG vorliegen, besteht das bisherige Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes fort und ist nur auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage.[1] Die beiderseitigen Leistungen werden aufgrund des bisherigen Arbeitsverhältnisses erbracht. Auch ohne tatsächliche Beschäftigung können dann Vergütungsansprüche erwachsen, etwa bei Arbeitsunfähigkeit oder aus § 615 BGB.[2] Der Beschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG besteht anders als der allgemeine Beschäftigungsanspruch auch unabhängig davon, ob die Kündigung wirksam war oder nicht. Der Arbeitnehmer hat somit Ansprüche auf Beschäftigung und Lohn, ohne dass es darauf ankommt, ob das Arbeitsverhältnis sich trotz der Kündigung als fortbestehend erweist.[3] Es entstehen dann ebenso Urlaubsansprüche: Denn durch das Weiterbeschäftigungsverlangen nach § 102 Abs. 5 BetrVG wird gerade das bisherige Arbeitsverhältnis fortgesetzt. Da es für das Entstehen von Urlaubsansprüchen grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht hat[4], muss das Gleiche gelten, wenn die Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 BetrVG vorliegen, unabhängig davon, ob eine tatsächliche Beschäftigung stattfindet oder nicht.

 

Fortsetzung Beispiel

Lösung

Der Arbeitgeber muss deshalb den Urlaub für das Jahr 2020 abgelten, zumal er vom Arbeitnehmer rechtzeitig im Jahr 2020 geltend gemacht wurde.

Verlangt der Arbeitnehmer seine Weiterbeschäftigung dagegen nicht, kann er im Fall des Unterliegens im Kündigungsschutzverfahren keine auf § 102 Abs. 5 BetrVG gestützten Ansprüche geltend machen.[5]

 
Achtung

Ist der Widerspruch des Betriebsrats unwirksam, kann der Arbeitnehmer sich nicht auf den Fortbestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses bis zur rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage berufen. Beschäftigt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dennoch fort und schließen die Parteien nicht zumindest vorsorglich einen schriftlichen befristeten Arbeitsvertrag (§ 14 Abs. 4 TzBfG), droht dem Arbeitgeber das Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsvertrags.[6]

[1] Vgl. BAG, Urteil v. 12.9.1985, 2 AZR 324/84, NZA 1986, 424; BAG, Urteil v. 10.3.1987, 8 AZR 146/84, NZA 1987, 373; Richardi/Thüsing, BetrVG, 17. Aufl. 2022, § 102 BetrVG, Rz. 235.
[2] BAG, Urteil v. 7.3.1996, 2 AZR 432/95, BB 1996, 1721; Gallner/Mestwerdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht, 7. Aufl. 2022, § 102 BetrVG, Rz. 207.
[4] S. auch Rz. 26 f.
[5] Gallner/Mestwerdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht, 7. Aufl. 2022, § 102 BetrVG, Rz. 207.

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