Rz. 43

Das BAG hat seine Rechtsprechung zur Frage, welche Pflichten einem Arbeitgeber bei der Erfüllung der Urlaubsansprüche obliegen, weiterentwickelt[1] und damit die Vorgaben des EuGH aufgrund der Vorabentscheidung vom 6.11.2018[2] umgesetzt. Nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ist es dem Arbeitgeber vorbehalten, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Die Vorschrift zwingt zwar den Arbeitgeber nicht, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren, allerdings obliegt ihm unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs.[3] Damit kann nicht mehr die früher vertretene Auffassung beibehalten werden, dass ein Arbeitnehmer Urlaubsansprüche im Sinne einer originären Initiativlast nach § 286 Abs. 1 BGB geltend machen muss, damit sie nicht mit Ablauf eines Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG[4]) bzw. wegen des Eingreifens von Ausschlussfristen untergehen[5].

 
Wichtig

Der Verfall von Urlaub kann nach der weiterentwickelten Rechtsprechung des BAG in der Regel nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlöscht.[6]

 

Rz. 44

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer und erhebt dieser Kündigungsschutzklage, entstehen grundsätzlich nur dann weitere Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers, wenn das Arbeitsgericht – bzw. im Fall der Berufung oder Revision das Landes- oder Bundesarbeitsgericht – die Unwirksamkeit der Kündigung feststellt:

 
Praxis-Beispiel

Der Arbeitgeber kündigt das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers am 15.1.2020 zum 30.4.2020. Der Arbeitnehmer erhebt rechtzeitig (§ 4 Satz 1 KSchG) Kündigungsschutzklage. Nachdem der Gütetermin am 20.2.2020 scheitert, findet am 10.7.2020 der Kammertermin statt. Im Anschluss hieran verkündet das Arbeitsgericht ein Urteil. Der Arbeitnehmer war über den 30.4.2020 hinaus nicht weiterbeschäftigt worden.

Variante 1

Das Arbeitsgericht weist die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers ab. Das Urteil wird rechtskräftig. Das Arbeitsverhältnis endet deshalb mit Ablauf der Kündigungsfrist (wenn der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen hätte, mit Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer). Urlaubsansprüche können nur bis zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist entstanden sein, d. h. bis zum 30.4.2020. Dem Arbeitnehmer stehen deshalb Urlaubsansprüche nur nach § 5 Abs. 1c BUrlG (die Wartezeit des § 4 BUrlG hat der Arbeitnehmer erfüllt)[7] und damit i. H. v. 4/12 zu. Durch die "Verzögerung" der Feststellung der Rechtswirksamkeit der Kündigung durch das Arbeitsgericht ändert sich nichts.

Variante 2

Das Arbeitsgericht gibt der Kündigungsschutzklage statt. Das Urteil wird rechtskräftig. Damit steht fest, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöste: Es steht dem Arbeitnehmer nicht nur der gekürzte Vollurlaubsanspruch nach § 5 Abs. 1c BUrlG zu, sondern vielmehr der am 1.1. des Kalenderjahres entstandene und ungekürzte Vollurlaubsanspruch nach §§ 1 und 3 BUrlG, da nunmehr das erste Kalenderhalbjahr überschritten ist. Dass der Arbeitnehmer seit 30.4.2020 nicht mehr im Betrieb des Arbeitgebers arbeitet, ist unerheblich. Maßgeblich ist allein der rechtliche Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber kann auch nicht nachträglich die Zeit vom 1.5. bis zum Zeitpunkt des Urteils am 10.7.2020 auf den Urlaubsanspruch anrechnen. Allerdings können sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens darauf einigen, dass der Arbeitgeber Urlaub gewährt, auch wenn die Kündigungsfrist bereits abgelaufen ist.[8] Der Arbeitgeber kann zudem vorsorglich dem Arbeitnehmer Urlaub gewähren.[9] Da sich der Arbeitgeber nach Ablauf der Kündigungsfrist – bei der außerordentlichen Kündigung nach dem Zugang der Kündigung – im Annahmeverzug befindet (§ 615 BGB), muss die Gewährung von Urlaub zum einen eindeutig zum Ausdruck bringen, der Arbeitnehmer werde zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub freigestellt[10] und zum anderen konkret sein, d. h. Beginn und Ende müssen mitgeteilt werden[11]. Die Freistellungserklärung des Arbeitgebers muss zudem mit hinreichender Sicherheit erkennen lassen, ob er dem Arbeitnehmer den vollen Urlaubsanspruch für das Jahr 2020 oder lediglich den auf den Zeitraum vom 1.1. bis zum 30.4.2020 entfallenden Teilurlaubsanspruch erfüllen wollte. Sonst läuft der Arbeitgeber Gefahr, dass allenfalls der Teilurlaubsanspruch als erfüllt gilt.[12] Außerdem genügt die Freistellung nicht. Vielmehr muss der Arbeitgeber auch das Urlaubsentgelt entweder vor Antritt des Urlaubs zahlen oder dessen Zahlung vorbehaltlos zusagen.[13]

Hat der Arbeitnehmer während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens mit seinem ersten Arbeitgeber ein anderweitiges Arbeitsverhältnis mi...

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